„Ich hätte da gern mal Ihre Einschätzung“, sagt der Mann im 3-h-Coaching und verschränkt die Arme.
Seine Stimme ist ruhig, fast kontrolliert.
„In den letzten vier Jahren wurde ich in drei Firmen jeweils noch in der Probezeit entlassen. Ich finde das unfair. Ich meine, ich bin sehr gut ausgebildet, habe mehrere Abschlüsse. Irgendwas stimmt doch mit denen nicht.“
Ich nicke. „Drei Mal in vier Jahren? Das ist ungewöhnlich. Was denken Sie denn, woran es lag?“
Er zuckt mit den Schultern. „Die haben mich einfach nicht verstanden. Ich brauche etwas Zeit, meine Fähigkeiten zu zeigen. Aber das sieht heute ja keiner mehr.“
Ich bleibe still.
Es ist einer dieser Momente, in denen es nicht darum geht, zu antworten.
Sondern zu warten. Auf den Bruch im Satz.
Auf das Zögern, das Schlucken, den kurzen Blick zur Seite.
Und dann frage ich:
„Können Sie sich vorstellen, dass das auch etwas mit Ihnen zu tun haben könnte?“
Er lacht kurz auf, trocken. „Nein. Ganz sicher nicht.“
Warum diese Frage so wichtig ist
In meinen Coachings begegnet mir diese Haltung in unterschiedlichsten Formen.
Menschen, die ein Problem haben. Und gleichzeitig total überzeugt sind, dass sie selbst damit nichts zu tun haben.
Dass die Ursache außerhalb liegt.
Bei den anderen.
In der Vergangenheit.
Oder im Schicksal.
Das ist menschlich. Und verständlich. Denn die Alternative wäre, sich einzugestehen, dass wir selbst einen Anteil an dem Problem haben könnten. Und das fühlt sich oft bedrohlich an.
- Eine Teamleiterin, die sich ständig unterbrochen fühlt – aber fest davon überzeugt ist, dass nur die männlichen Seilschaften daran schuld sind.
- Eine Klientin mit Panikattacken, die glaubt, dass ihr fehlendes Studium der Grund ist, warum sie sich unterlegen fühlt.
- Ein Mann, der regelmäßig von seinem Vater geschlagen wurde. Und in den Streits mit seiner Frau über Erziehungsfragen meint, das habe ihm nicht geschadet.
Was all diese Fälle gemeinsam haben?
Einen inneren Konflikt, der abgewehrt wird.
Mit Erklärungen. Mit Rechtfertigungen. Mit Projektionen.
Und vor allem mit einem Satz, den ich immer wieder höre: „Das hat ja nichts mit mir zu tun.“
Die Angst vor der unbequemen Wahrheit
Ein Mann beschwert sich im Coaching, dass seine Frau immer eine andere Meinung vertritt.
„Wenn Ihre Frau in zwanzig Prozent der Punkte recht hätte – was würde das für Sie bedeuten?“
frage ich den Klienten.
Es ist nur ein Gedankenexperiment. Nur ein kleiner Türspalt.
Er wird still. „Dann wäre ich ein schlechter Ehemann. Und das bin ich nicht. Ich liebe sie.“
Da ist er. Der Kern. Der eigentliche Konflikt.
Denn natürlich kann seine Frau mit manchen Dingen recht haben – aber das würde sein Selbstbild in Frage stellen.
Und das ist schwer für ihn auszuhalten.
Jeder Mensch macht sich so ein Bild von sich.
Ich bin ein guter Vater.
Eine kompetente Führungskraft.
Eine verlässliche Partnerin.
Und wenn etwas passiert, das nicht zu diesem Bild passt, wird es innerlich weggeschoben.
Oder bekämpft. Oder mit „ja, aber“-Sätzen relativiert.
Was wir nicht zugeben können, können wir nicht verändern.
Warum ich im Coaching nichts wegzaubern kann
Manche Klienten kommen mit dem Wunsch: „Machen Sie das weg.“
Die Angst. Die Panik. Die Blockade.
Sie erhoffen sich Hilfe wie beim Arzt. Tablette rein, Symptom weg.
Doch so funktioniert seelische Veränderung nicht.
Im Coaching geht es nicht darum, etwas loszuwerden. Sondern es geht ums Hinschauen.
Um das, was da ist, anzuerkennen. Und zu verstehen, warum es da ist.
Auch wenn es unangenehm ist.
Oder peinlich. Schmerzhaft.
Statt wegzaubern höre ich zu. Stelle ungewöhnliche Fragen. Biete andere Sichtweisen an.
Und halte es aus, wenn jemand erstmal alles vehement abwehrt.
Denn genau dort liegt oft der Schlüssel.
Wie Veränderung beginnt
Eine Klientin, erfolgreiche Abteilungsleiterin, kämpft mit ihrem Selbstwert.
„Ich habe nicht studiert“, sagt sie und ihre Stimme wird leiser. „Alle anderen haben einen Master oder einen Doktortitel. Ich fühle mich oft wie eine Hochstaplerin.“
Ich überlege kurz. Dann sage ich: „Ich stelle mir gerade vor, Sie würden einen Button tragen, auf dem steht: ‚Ich habe nicht studiert‘.“
Sie lacht überrascht. „Das mach ich!“
Kurze Pause. Dann wird sie ernst.
„Aber was, wenn mich jemand fragt, warum ich diesen Button trage?“
Ich lächle. „Dann sagen Sie: Das ist ein Experiment.“
Solche Experimente sind kein Spiel.
Sie sind ein Test.
Für das Selbstbild. Für die eigene Geschichte.
Für die Frage: Was darf ich zeigen? Und was nicht? Was versuche ich zu beweisen?
Wer sich darauf einlässt, kommt unmittelbar in Kontakt mit seinen Ängsten.
Denn oft ist das, was wir verstecken wollen, genau das, was uns menschlich macht. Und stark.
Wenn ein Affe sich für einen Löwen hält.
Manche Menschen wählen lieber die Illusion.
Der oben erwähnte Klient mit den drei Probezeitkündigungen atmet erleichtert auf, als ich ihm provokativ sage:
„Dann haben die Firmen wohl einen kapitalen Fehler gemacht.“
„Genauso ist es!“ sagt er. Und strahlt.
Ich erzähle ihm dann die Fabel vom Affen im Zoo, der sich für einen Löwen hält.
Der herumstolziert, brüllt, sich mächtig fühlt.
Nur blöd, dass die Zoobesucher ihm trotzdem nur Bananen und Erdnüsse hinwerfen.
Er lacht kurz. Dann wird er still.
Denn das ist die andere Seite der Illusion: Sie schützt – aber sie verhindert auch Entwicklung.
Solange ich denke, dass ich ein Löwe bin, kann ich nie lernen, was es bedeutet, ein Affe zu sein.
Und wie man vielleicht trotzdem Einfluss gewinnt.
Warum wir alle Abwehrmechanismen haben.
Verdrängung. Verleugnung. Projektion. Rationalisierung. Das sind psychische Schutzmechanismen.
Wir alle nutzen sie. Oft sogar täglich.
Abwehrmechanismen sind ein Versuch der Selbststeuerung und Gefühlsregulierung.
Sie werden in reifere (z. B. Verdrängung) und unreifere (z. B. Spaltung) unterteilt.
Jeder von uns bedient sich ihrer öfters, denn sie sind die Voraussetzung zur Bewältigung unbewusster psychischer Konflikte.
Ziel einer Veränderungsarbeit ist jedoch, solche inneren Konflikte durch eine bewusstere Problembewältigung bzw. Konfliktverarbeitung zu lösen.
Denn Abwehrmechanismen lösen den inneren Konflikt nicht, sondern sie wehren ihn ab.
Die Arbeit an diesen Widerständen, mit denen der Klient sich schützt, ist anstrengend – für beide Seiten.
Die Abwehrmechanismen helfen uns, mit schwierigen Gefühlen klarzukommen. S
ie schützen uns vor Überforderung. Vor Scham. Vor Angst.
Aber sie lösen nichts. Sie schieben es nur auf.
Und irgendwann steht das, was wir nicht fühlen wollten, mitten im Raum.
Als körperliches Symptom.
Als Beziehungskrise.
Als innere Leere.
Deshalb arbeite ich im Coaching nicht dagegen. Sondern mit dem, was da ist.
Ich respektiere den Widerstand. Ich mache ihn für den Klienten bewusst.
Ich frage, was er bewirken will.
Und was vielleicht passieren würde, wenn man ihn losließe.
Ein Klient mit einer alten Wunde
Ein anderer Mann erzählt mir von seiner Kindheit. Der Vater schlug ihn regelmäßig.
Doch heute sagt er: „Vielleicht war das gar nicht so schlimm. Vielleicht bilde ich mir das nur ein.“
Ich bitte ihn, ein Experiment zu machen: Jeden Tag eine Minute lang still das Bild vor sich zu sehen, wie sein Vater ihn schlägt. Nur das.
Er kommt verstört zur nächsten Sitzung. „Ich habe festgestellt, dass ich immer noch Angst vor ihm habe“, sagt er. „Dabei ist mein Vater 85 und lebt im Heim.“
Aber da ist noch etwas aufgetaucht bei dem Klienten.
Eine neue Regung. Wut.
Eine Wut, die lange weggeschlossen war. Die nie da sein durfte.
Jetzt ist sie da. Und das ist gut.
Denn nur was gefühlt werden darf, kann auch heilen.
Was hilft: Neugier statt Urteil
Viele Menschen reagieren auf Feedback mit Rechtfertigung.
Oder sie verteidigen sich mit langen Erklärungen.
Sie wollen verstanden werden.
Und dabei merken sie gar nicht, dass sie sich selbst im Weg stehen.
Wer sich verändern will, muss zuerst zuhören lernen.
Ohne sofort zu reagieren.
Ohne zu erklären.
Nur zuhören.
Und sich fragen: Was macht das mit mir?
Das ist nicht leicht. Aber es ist der erste Schritt.
Ich schlage in solchen Situationen oft kleine Experimente vor.
Sätze, die der andere laut aussprechen soll.
Nur um zu spüren, was sie im Inneren auslösen.
Manchmal reicht ein Satz wie: „Vielleicht hat der andere ja ein bisschen recht.“
Und dann: atmen. Spüren.
Nicht sofort kontern.
Ein Raum, in dem alles gesagt werden darf
Mein 3-h-Coaching ist kein Ort für schnelle Lösungen.
Es ist ein Raum, in dem alles gesagt werden darf.
Auch das Unaussprechliche. Auch das Peinliche.
Auch das, wofür wir uns selbst schämen.
Und je mehr jemand wagt, sich in diesem Raum zu zeigen, desto mehr spürt er: Ich bin nicht falsch. Ich bin nicht kaputt.
Ich bin einfach ein Mensch mit einer Geschichte.
Veränderung beginnt nicht mit dem Wunsch, etwas loszuwerden.
Sie beginnt mit dem Mut, etwas zuzugeben.
Und vielleicht mit einer Frage wie: „Was wäre, wenn doch etwas dran wäre?“