„Darf man seine Eltern enttäuschen?“, fragte der Mann im Coaching.

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Inhaltsverzeichnis

  1. Warum können Eltern ihre Kinder enttäuschen?
  2. Elterliche Botschaften entschlüsseln
  3. Wie findet man einen Beruf, der zu einem passt?
  4. Was will ich mit meinem Leben anfangen?
  5. Den Eltern zeigen, wer man wirklich ist.
  6. Wie findet man den Weg aus der Sackgasse?


Unsere Eltern kennen uns  meist sehr gut und haben deshalb auch oft bestimmte Erwartungen, was das Beste für uns ist. Welcher Partner, welcher Beruf zu uns passt, welches Leben. Doch was tun, wenn die Vorstellungen der Eltern über unser Leben ziemlich konträr zu unseren eigenen Wünschen und Bedürfnissen stehen?

Dann muss man die Eltern enttäuschen. Das ist für beide Seiten meist schmerzhaft und kann große Konflikte auslösen. So wie bei meinem Klienten in diesem neuen Fallbericht.

„Das Verhältnis zu meinen Eltern war eigentlich immer gut. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass es mal zu einem solchen Zerwürfnis kommen würde“, berichtete sichtlich bewegt mein Klient im 3-h-Online-Coaching: Hans M., 41 Jahre, Anwalt in der väterlichen Kanzlei, verheiratet, keine Kinder.
„Überhaupt waren wir immer eine sehr harmonische Familie. An richtige Streits zwischen meinen Eltern kann ich mich nicht erinnern. Ich habe noch zwei jüngere Schwestern. Als ich zwölf Jahre alt war, brachten meine Eltern die Idee der Familienkonferenz ein. Immer sonntags wurden da alle anstehenden Fragen und Probleme partnerschaftlich gelöst. Sogar die Pubertät verlief bei uns dreien vergleichsweise milde. Meine Eltern hatten keine starken Verbote, die wir übertreten konnten. Sie waren immer sehr verständnisvoll und ermutigend.“

„Aber irgendwann hörte die Harmonie wohl auf?“, vermutete ich.
„Ja, das fing an, als meine ältere Schwester nach dem Abitur ein freiwilliges soziales Jahr in Afrika machte, sich dort verliebte und in einer Missionsstation anfing zu arbeiten. Anfangs nahmen meine Eltern das nicht so ernst, aber als sie schrieb, dass sie den Studienplatz in Medizin nicht antreten wolle, waren meine Eltern total entsetzt. Meine Mutter ist praktische Ärztin und flog extra nach Afrika, „um meine Schwester zur Vernunft zu bringen“. Aber es klappte nicht. Sie kam allein zurück.“


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Warum können Kinder ihre Eltern überhaupt enttäuschen?

Eltern zu sein und Kinder zu haben erfordert über einen  langen Zeitraum große Investitionen.

Dabei geht es nicht nur um Zeit und Geld, sondern auch um Kraft, Fürsorge und Energie, die Eltern investieren. Damit verbunden sind aber gleichzeitig auch immer Hoffnungen, Vorstellungen und Träume darüber, was aus dem Kind einmal wird oder werden könnte.

Denn jeder, der investiert, will ein positives Ergebnis erzielen:

  • Der Bauer hofft auf eine gute Ernte.
  • Der Firmengründer träumt von großen Umsätzen.
  • Der Schriftsteller wünscht sich viele Leser.

Es sind diese Erwartungen, die Menschen hilft, Zeit, Geld und Energie in ein Projekt zu investieren, auch wenn das Ergebnis zumeist unsicher ist. Mich interessierten jetzt die Erwartungen, die Hans M. erlebt hatte.

„Die meisten Eltern haben ja Erwartungen an ihre Kinder. Die werden entweder deutlich kommuniziert oder eher insgeheim vermittelt“. sagte ich. „Wie war das bei Ihnen? Welche Erwartungen haben Sie in Ihrer Familie mitbekommen?“

„Also das Abitur war bei uns dreien schon mal gesetzt, das war klar. Das merkte ich, als mein bester Freund mit fünfzehn die Schule abbrach und eine Schreinerlehre begann. Wie kann man sich nur so seine Zukunft verbauen, kommentierten das meine Eltern. Sie erwarteten auch immer sehr gute Noten. Brachte man mal eine Zwei nach Hause, hieß es sofort, wer denn eine Eins bekommen habe. Es herrschte schon ein arger Leistungsdruck.“

„Nur in der Schule oder auch privat?“ wollte ich wissen.
„Eigentlich auch privat. Meine Schwestern wollten Reiten lernen, das förderten meine Eltern. Ich wollte mit Rugby anfangen, weil ich das mal im Fernsehen gesehen hatte und von dieser rohen männlichen Kraft fasziniert war. Aber das erlaubten meine Eltern nicht. ‚Das spielen nur Asoziale!‘, war ihre Begründung. Ich fing dann mit Tennis an. Ich denke, da ging es auch immer um das soziale Umfeld, das meine Eltern im Blick hatten.“


 

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Wie kann man die elterlichen Erwartungen entschlüsseln?

„Man kann nicht nicht kommunizieren“ heißt ein wichtiges Axiom von Paul Watzlawick.

Als Kind erlebt man täglich Dutzende von Botschaften von den Eltern. Manche werden direkt ausgesprochen:

  • „Was andere Familien machen, interessiert uns nicht.
  • „Solange du die Füße unter unseren Tisch streckst …“
  • „Die Familie ist das Wichtigste.“

Aber die wirklich wichtigen Botschaften werden gar nicht nicht sprachlich vermittelt, sondern eher durch das Verhalten signalisiert:

  • Wofür wurde gerne Geld ausgegeben – und wofür nicht?
  • Welche Berufe hatten die Eltern und welche Erfahrung teilten sie darüber mit?
  • Wann erlebte man die Eltern glücklich?
  • Wie wurde freie Zeit verbracht?

Fast alle Eltern wollen das Beste für Ihr Kind. Doch was das jeweils Beste ist, darüber können die Meinungen weit auseinandergehen.

„Ich weiß noch gar nicht, warum Sie hier sind. Was ist Ihr Anliegen für unser Coaching?“, sagte ich zu Hans M.

„Ein befreundeter Kollege, der mal ein Seminar bei Ihnen besucht hat, hat Sie empfohlen. Sie würden relativ schnell zum Kern des Problems vordringen. Und  das brauche ich, denn die Sache eilt.“

Der Klient hatte auf Anraten der Eltern nach dem Abitur Jura studiert und war nach einigen Lehr- und  Wanderjahren in die Kanzlei seines Vaters eingetreten und dort später auch Partner geworden. Die Zusammenarbeit klappt gut, auch mit den anderen Partnern. Vor einem Jahr aber hatte sich etwas ereignet, was eine baldige Entscheidung erforderte.

„Mein Vater hatte letztes Jahr den zweiten Herzinfarkt und muss unbedingt kürzer treten. Deshalb will er mir die Leitung der Kanzlei übertragen“, berichtete Hans M. schwer atmend.
„Und wo liegt das Problem? Sie sind doch dort anerkannt und gut eingearbeitet?“

„Das Problem ist, ich glaube … ich will nicht.“
„Ohh!“,
sagte ich einigermaßen überrascht. „Und warum nicht?“
„Ich will nicht die Kanzlei übernehmen und so enden wie mein Vater. Aber was noch dazu kommt, ich will auch nicht mehr als Anwalt arbeiten. Doch ich habe Angst, das meinem Vater direkt zu sagen. Die Kanzlei ist sein Lebenswerk. Er würde das nicht verstehen und schon gar nicht akzeptieren.“

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Wie findet man einen Beruf, der zu einem passt?

Natürlich gibt es Menschen, die schon mit sieben Jahren wissen, dass sie Schuster, Pilot, Zirkusdirektor oder Schauspielerin werden möchten. Oder sie hatten früh Kontakt mit einem Commodore 64 und träumten davon, sich damit den ganzen Tag beschäftigen zu dürfen.

Doch bei vielen ist die Berufswahl ein längeres tastendes Suchen und Ausprobieren, wie zum Beispiel bei mir.

Bei anderen spielt der Zufall eine Rolle. Über die beste Freundin kriegt eine Zwanzigjährige Einblick in ein Fach und findet es gut. Aber viele wählen auch den gleichen Beruf wie ein Elternteil. Warum?

Wer keinen starken Berufswunsch verspürt (Irgendwas mit Medien!“), sucht nach Orientierung. Über den Beruf der Eltern weiß man meist am besten Bescheid. Das kann dazu führen, dass man sich vorstellen kann, denselben Beruf zu ergreifen. Es kann aber auch zur gegenteiligen Reaktion führen („Für mich kommt jeder Beruf in Frage, außer Lehrer!“)

Hängt der Beruf der Eltern mit einem Betrieb, einer Praxis, einem Geschäft oder Unternehmen zusammen, rückt die Frage der Nachfolge fast automatisch ins Bewusstsein der Tochter oder des Sohnes. Kommt es hier zum andauernden Streit kann eine externe Beratung als Nachfolgebegleiter sehr hilfreich sein.

„Wie kamen Sie denn zur Laufbahn des Anwalts?“, fragte ich den Klienten.
„Ich habe mit sechzehn Jahren meinen Vater, der als Strafrechtsanwalt arbeitet, im Gericht erlebt. Und wie er dort gegen den Staatsanwalt auftrat und für den Angeklagten einen Freispruch erwirkte – das hat mir mächtig imponiert. Das wollte ich auch.“
„Und so sind Sie Jurist geworden?“,
fragte ich.
„Ja, und all die Jahre ging es nur aufwärts. Ich war immer fleißig und konnte mich in Themen reinknien. Hatte mit den Jahren auch Erfolg und bekam immer mehr große Mandate übertragen. Dann regte mein Vater an, in seine Kanzlei einzusteigen, was mich einerseits freute, aber andererseits auch gedanklich beschäftigte, ob das wirklich gut ist, sich privat und beruflich so eng miteinander zu verbinden.“

 

Die meisten Schwierigkeiten fangen klein an.

Ein kleiner Fehler, eine Unachtsamkeit, ein unangenehmes Gefühl. Oft beachten wir diese frühen Hinweise nicht, gehen darüber hinweg oder spielen sie herunter. Dabei sind es meist wichtige Anzeichen für Probleme oder Konflikte, die mit der Zeit größer werden. Im Nachhinein betrachtet können wir sehen, dass es besser gewesen wäre, diese frühen Informationen ernstzunehmen.

„Was wurde aus Ihren Bedenken?“, fragte ich Hans M.
„Meine Frau, sie ist auch Anwältin, redete sie mir aus. Schwärmte von den großen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass sich meine Frau und meine Eltern sehr gut verstehen und alle diesen Schritt befürworteten. Da wollte ich kein Spielverderber sein. Und all die Jahre lief es auch sehr erfolgreich und die Zusammenarbeit mit meinem Vater war gut. Aber der Arbeitsdruck war enorm, an manchen Tagen kam ich erst nach 21 Uhr nach Hause. Darunter litt auch meine Ehe und ich musste ich mich immer öfter zusammenreißen, um das notwendige Arbeitstempo zu erbringen.

Die Kanzlei zu übernehmen würde noch mehr Arbeit bedeuten, und noch mehr Verantwortung. Und ich spüre deutlicher als noch vor einigen Jahren, dass Jura mich nicht wirklich erfüllt. Es geht immer um Konflikte und Streitereien und immer um’s Gewinnen oder Verlieren. Das befriedigt mich einfach nicht mehr. Und ich glaube, das hat es auch noch nie wirklich.“

„Haben Sie denn mit Ihrem Vater schon über Ihre Bedenken oder Ihren Entschluss gesprochen?“, wollte ich wissen.
„Ich habe angedeutet, dass ich es vielleicht nicht mache und er reagierte völlig verständnislos. So eine Riesenchance bekäme man nur einmal im Leben. Und es wäre immer sein Wunsch gewesen, dass ich mal in seine Fußstapfen treten würde.“

„Das heißt, wenn Sie das Angebot nicht annehmen, müssten Sie Ihren Vater enttäuschen?“ vermutete ich.
„Ja, total! Darf man denn seine Eltern so enttäuschen?“,
fragte etwas hilflos schauend Hans M.
„Manchmal muss man das sogar“, war meine Antwort.

 

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Was will ich mit meinem Leben anfangen?

Das ist eine die Frage, die immer wieder im Leben auftauchen kann. Und oft geht es dabei darum, zu klären, woher unsere Wünsche eigentlich kommen. Denn natürlich prägt uns die Herkunftsfamilie enorm. Von dort haben wir wichtige Regeln, Normen und Glaubenssysteme gelernt und übernommen.

Doch um wirklich erwachsen zu sein – und nicht nur älter, braucht es zwei Dinge:

  1. Wissen, was man will.
  2. Entsprechend handeln.

Eines davon reicht nicht. Wer nicht weiß, was er will aber viel macht und tut, kommt nirgends an. Wer weiß, wohin er will aber nicht entsprechend handelt, ist auch nicht erwachsen.

Deshalb genügt es nicht, zu wissen, was man nicht will. Das ist eine erste Orientierung. Aber ohne eine Antwort auf die Frage „Was will ich mit meinem Leben anfangen?“ probiert man vielleicht vieles aus, dreht sich aber im Kreis.

Die beiden Fragen von oben lassen sich nicht ein für allemal beantworten, sondern sie tauchen immer wieder im Leben auf. Wenn sich neue Möglichkeiten auftun und wir reagieren müssen. Wenn eine Krise uns zwingt, einen ganz anderen Weg einzuschlagen.

Für viele sind diese beiden Fragen nicht leicht zu beantworten. Was sich daran zeigt, dass sie sich nicht entscheiden können oder mit einer getroffenen Entscheidung immer wieder hadern. Und um mit seinem Leben etwas anfangen zu können, muss es einem gehören. Das darf aber nicht nur eine intellektuelle Einsicht sein, sondern eine tiefe innere Überzeugung.

Ob das bei meinem Klienten der Fall war, wollte ich durch ein Experiment herausfinden. Ich bat ihn, die Augen zu schließen und schlug ihm einen Satz vor:

»Ich bitte Sie, mal den Satz zu sagen:
»Mein Leben gehört mir.«

Dieses experimentelle Vorgehen ist das Herzstück meines Coachingansatzes. Dabei verwende ich fast immer Sätze, die Tatsachen beschreiben oder „wahr“ sind. Aber ich suche einen Satz aus, von dem ich annehme, dass der Klient ihn spontan ablehnt oder einschränkt oder sich damit unwohl fühlt, weil das Thema einen wichtigen inneren Konflikt bei ihm berührt. So war es auch bei Hans B.

„Wie war Ihre innere Reaktion auf den Satz?“ fragte ich.
„Ich spürte, dass mein Herz plötzlich schneller schlug und ich Angst bekam“, berichtete der Klient.
„Wie verstehen Sie Ihre Angst, die sich da meldete“, wollte ich wissen.
„Die verstehe ich erst mal nicht, denn der Satz stimmt ja logisch. Jedem gehört sein Leben“, dachte Hans B. laut nach.

„Aber wenn ich den Satz ausspreche, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Als würde ich andere damit vor den Kopf stoßen. So nach dem Motto „Mein Leben gehört mir“ und es ist mir egal, was du darüber denkst.“
„Das heißt, Sie bekommen Skrupel, wenn Sie den Satz sagen?“ forschte ich nach.
„Ja, so kann man es sagen. Aber warum?“

Wesentliche Konflikte, sogenannte Lebensthemen, sind uns oft unbewusst. Und ein wesentlicher Grundkonflikt bei Menschen ist der zwischen Verbundenheit und Autonomie. Hier ein guter Artikel, welche Grundkonflikte wir in uns tragen.

Menschen suchen als soziale Wesen Verbundenheit, Sicherheit, Rückhalt, Bestätigung und soziale Anregung durch andere. Doch diese Verbundenheit beinhaltet gleichzeitig Begrenzungen, wo wir Kompromisse eingehen müssen, um die Verbindung nicht zu sehr zu belasten. Überwiegen diese Begrenzungen unser Erleben, wehren wir uns früher oder später, weil ein anderes Grundbedürfnis in uns, unsere Autonomie, bedroht ist.

Beide Bedürfnisse müssen wir also ständig in einer guten Balance halten, bzw. diese immer wieder aufs Neue herstellen. Das geht aber nur, wenn wir gute Erfahrungen damit gemacht haben, dass beide Bedürfnisse erlaubt sind.

Oft erinnern Klienten in meinen 3-h-Coachings, wenn es um prägende Sätze aus der Kindheit geht, den Satz: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst …“ Damit wird oft ein autonomer Wunsch des Kindes abgewürgt mit der Drohung, dass dies die Beziehung gefährden könne.

„Sie ringen ja mit der Frage, ob Sie Ihre Eltern enttäuschen dürfen“, nahm ich den Gesprächsfaden vor dem Experiment wieder auf. „Und Sie spüren genau, dass wenn Sie die Leitung der Kanzlei Ihres Vaters nicht übernehmen, Ihr Vater dies nicht gutheißen wird. Es ist schließlich sein Lebenswerk und dass Sie das mal übernehmen werden, gehört mit zu diesem großen Plan.“
Hans B. schaute mich aufmerksam und etwas ängstlich an.
„Es geht also um die Frage, wem Ihr Leben eigentlich gehört, denn …“
„Es gehört meinen Eltern, denn sie haben so viel für mich getan, das Studium finanziert, mir alles ermöglicht, was ich heute bin“, unterbrach mich Hans B. „Und das Leben kommt doch auch von den Eltern.“

 

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Die Eltern enttäuschen heißt, Ihnen zu zeigen, wie man wirklich ist.

Der innere Konflikt meines Klienten wurde nun deutlich – und wie stark er darin verstrickt war. Wenn das Leben von den Eltern kommt und sie so viel für ihn getan haben, wird verständlich, warum Hans B. sich verpflichtet fühlt, dem Wunsch des Vaters nachzukommen.

Doch der Autonomie-Teil in ihm wehrt sich gegen so viel Gehorsam. Weil er hier noch keine Entscheidung getroffen hat, steckt er im Konflikt fest und versucht, sich nicht zu entscheiden.

„Und deshalb dürfen Sie sie auch nicht enttäuschen, meinen Sie?“
„Ja genau, Sie haben ein Recht darauf, dass ich Ihnen etwas zurückgebe?“
„Wer spricht da jetzt? Sind Sie das – oder ist es Ihr Vater?“,
forschte ich nach.

Im Coaching muss man hin und wieder intelligente Fragen stellen.
Eine intelligente Frage erkennt man daran, dass der Klient die Antwort nicht gleich weiß, sondern erst mal nachdenken oder nachspüren muss.

„Gute Frage“, antwortete Hans B. „Das kann ich gar nicht so genau sagen.“
„Vielleicht ist es die väterliche Stimme in Ihnen“,
schlug ich vor.
„Ja, wahrscheinlich. Aber die fühlt sich an, als wäre es meine eigene. Aber Sie sagten vorhin, manchmal müsse man seine Eltern enttäuschen. Wieso?“

„Nun, ich denke, dass Ihr Leben nicht Ihren Eltern gehört. Woher das Leben kommt, weiß keiner. Vielleicht von Gott, vielleicht aus sich selbst heraus. Aber es kommt nicht von Ihren Eltern. Es ist ein Geschenk, das durch Ihre Eltern kam, nicht von Ihnen. Und mit einem Geschenk kann man machen, was man will. Es gehört einem – ganz.“

„Wenn Eltern feste Vorstellungen haben, was mit diesem geschenkten Leben am besten zu geschehen hat und das aber Ihren Vorstellungen widerspricht – dann darf man die Eltern enttäuschen. Und zwar dadurch, dass man Ihnen angemessen beibringt, dass man andere Pläne für sein Leben hat. Aber das ist kein leichter Prozess.“

„Denn dann werden sie vielleicht traurig sein oder wütend auf mich. Ich weiß nicht, ob ich das aushalte“, warf Hans B. ein.
„Das verstehe ich. Für beide Seiten kann es ein schmerzlicher, aber auch klärender Weg sein. Denn Ihre Eltern können dadurch erkennen, wer oder was Sie wirklich sind – und für Sie wird es auch deutlich.“

Wirkliche persönliche Veränderung ist oft ein steiniger Weg. Hat nichts mit positivem Denken oder freundlichen Absichten zu tun. Denn der Weg der Veränderung ist immer außerhalb der persönlichen Komfortzone. Und lässt uns direkt unsere inneren Konflikte spüren, mit denen wir schon lange ringen und für die wir clevere Ausweichstrategien gefunden haben.

Hans B. hatte seinen starken „Mach’s allen recht-Antreiber“ schon im Elternhaus entwickelt. Damit ist man umgänglich, meidet Konflikte mit anderen – weil man geliebt werden will und glaubt, dies vor allem durch Wohlverhalten zu erreichen.

Doch genau dieses Verhalten hatte ihn jetzt in eine Sackgasse gebracht. Er spürt, dass er das Angebot der Kanzleiführung nicht übernehmen will, hat aber Angst, damit seinen Vater – und seine Ehefrau – zu enttäuschen und zu kränken.

 

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Wie findet man den Weg aus der Sackgasse?

In der dritten Stunde des Coachings kommen wir stets an dem entscheidenden Punkt, wo der Klient erlebt, wohin ihn seine bisherigen Strategien gebracht haben – und ob er eine andere Richtung in seinem Leben einschlagen will.

„Die gute Nachricht ist“, sagte ich, „Ihr Leben gehört Ihnen schon. Das ist eine Tatsache. Jedem gehört sein Leben. Die weniger gute Nachricht ist, dass Sie es immer wieder weggeben.“
„Indem ich zu oft mich nach den Wünschen anderer richte?“,
sagte Hans B.
„Ja genau. Weil es Ihnen wie eine große Sünde vorkommt, andere zu enttäuschen. Aber Enttäuschungen gehören zum Leben. Es fühlt sich nicht toll an aber man kommt nach einer Weile drüber weg. Sie haben doch auch schon viele Enttäuschungen erlebt und leben immer noch.“
„Das heißt, Sie raten mir, meinen Vater zu enttäuschen und ihm meine Abneigung, sein Nachfolger zu werden, mitzuteilen“,
wollte der Klient wissen.

„Nein, ich rate Ihnen nichts. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Es geht dabei ja vor allem um die Frage, wem Ihr Leben gehört – und wie Sie es gestalten wollen. Vorhin haben Sie gesagt, dass Ihr Leben Ihren Eltern gehört. Wenn Sie das weiter glauben wollen, können Sie Ihrem Vater seinen Wunsch nicht abschlagen.“

Der Klient rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Man sah ihm an, wie unwohl er sich fühlte – und wie schwierig ihm eine Entscheidung für sich fiel.

„Ich habe mal gelesen, dass in dem Wort Enttäuschung das Ende einer Täuschung enthalten ist. Aber worin besteht die Täuschung in meiner Situation?“, fragte Hans B.
„Das stimmt, die Vorsilbe „ent“ wird oft benutzt, um etwas zu beenden. Die Entlobung setzt einen Schlussstrich unter eine Beziehung. Sie haben all die Jahre Ihren Vater getäuscht, indem Sie Ihre ambivalenten Gefühle gegenüber dem Anwaltsberuf nie thematisiert haben. Deswegen ging er davon aus, dass sein Nachfolgewunsch auch Ihr Wunsch wäre.“
„Ja, das stimmt. Er fragte mich öfters, ob mir der Beruf gefalle und ich bejahte das sofort. Aber das stimmte so nicht.“
„Und Sie haben sich selbst getäuscht, indem Sie all die Jahre Ihre widersprüchlichen Gefühle vor sich selbst verleugnet haben.“

Die Augen des Klienten wurden feucht, er schlug die Hand vor sein Gesicht und stammelte:

„All die Jahre war ich nicht ehrlich. Nicht zu mir, nicht zu meiner Frau, nicht zu meinem Vater. Ich habe allen etwas vorgemacht, das Bild eines erfolgreichen zufriedenen Anwalts. Erfolgreich war ich, aber damit zufrieden nie“, war sein bitteres Geständnis.

Ich wollte noch einmal zu dem Satz im Experiment zurückkehren, weil das aus meiner Sicht die wichtigste Blockade war.

„Die ganze Zeit verhielten Sie sich so, dass Ihr Leben Ihren Eltern gehört. Wann glauben Sie denn, gehört es mal Ihnen?“

Der Klient erschrak und hielt sich die Hand vor den Mund.

„Wissen Sie, was gerade als Antwort in mir kam?“, fragte er mich.
„Ich kann es mir denken.“
„Erst wenn sie gestorben sind, gehört mir mein Leben, kam mir in Sinn.“

„Sie pokern mit hohem Einsatz“, sagte ich zum Schluss des Coachings.


 

Es dauerte fast zwei Jahre, bis ich wieder etwas von Hans B. hörte.

Es war ein langer Brief, in dem er schrieb, dass die beiden letzten Jahre sehr turbulent waren. Seine langjährige Affäre mit einer Italienerin sei aufgeflogen, daraufhin habe sich seine Frau von ihm getrennt. Erst dadurch habe er den Mut gehabt, seinem Vater zu sagen, dass er nicht die Kanzlei übernehmen wolle. Es sei ein sehr offenes Gespräch gewesen, in dem der Vater ihm zu seinem Mut gratulierte, den er damals selbst nicht gehabt habe, als sein Vater ihm die Leitung übertrug.
Heute ginge es ihm sehr gut. Er sei auf das Landgut seiner Freundin in der Toscana gezogen und entdecke seine Freude an körperlicher Arbeit. Ganz habe er die Juristerei nicht abgelegt, sondern betreue jetzt Jura-Studenten in Online-Vorbereitungskursen.


 

Als Antwort schickte ich ihm das bekannte Gedicht von Kahlil Gibran über Kinder:

Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch, und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.

Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.

Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.

Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts noch verweilt es im Gestern.

Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden. Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit, und er spannt euch mit seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.

Lasst eure Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein;
Denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.



 

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PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.


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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.