Negative Aufmerksamkeit: „Ich ecke überall an“, sagte die Frau im Coaching.

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Bild: Drazen Zigic, iStock.com

Was brauchen alle Menschen außer Nahrung, Schlaf und einem Dach über dem Kopf? Es ist die Aufmerksamkeit von anderen Menschen. Also die Erfahrung, wahrgenommen- und gesehen werden. Und meistens klappt das ja auch ganz gut, natürlich nicht immer.
Aber manchen Menschen reicht das nicht. Sie wollen immer Aufmerksamkeit – von allen – dauernd! Und sie tun viel dafür, die zu bekommen. Leider erreichen sie damit oft das Gegenteil: sie ernten negative Aufmerksamkeit, weil andere genervt sind. So erging es auch meiner Klientin in diesem Fallbericht. 

Es klingelte an meiner Praxistür. Das musste meine Klientin für das 3-h-Coaching sein. Als ich die Tür öffnete, fiel mein Blick auf einen roten Mantel und einen türkisfarbenen Hut. Die dazugehörige Frau drehte sich langsam um und sagte:

„Herrlich, diese ruhige Lage, die Sie hier haben. Aber ich würde das keine drei Tage aushalten, hier zu wohnen.“
„Warum kommen Sie nicht erstmal rein“, antwortete ich in Gutsherrenart.

»Was sagen Sie, nachdem Sie ‚Guten Tag‘ gesagt haben« lautet nicht umsonst ein Buchtitel des Begründers der Transaktionsanalyse, Eric Berne. Er erforschte über Jahre, wie Menschen miteinander umgehen und nannte es „Die Spiele der Erwachsenen“.

Normalerweise mache ich mit meinen Klienten immer einen Spaziergang auf dem Philosophenweg. Das steht auch so auf meiner Website und ist ein wichtiger Bestandteil des Coachings. Als ich nach der Begrüßung erwähnte, dass wir ja jetzt spazieren gehen können, riß die Klientin erstaunt die Augen auf: „Was Spazierengehen? Mit diesen Schuhen??“

Negative Aufmerksamkeit, dachte ich in diesem Moment, das wird wohl ihr Lebensthema sein.

Und so war es dann auch, als mir Olivia Z., 36 Jahre, zweimal geschieden, ihr Anliegen schilderte.

„Ich ecke überall an, vor allem beruflich. In den letzten zehn Jahren habe ich fünfmal den Arbeitgeber gewechselt. Irgendwie scheine ich nicht in Teams zu passen. Am Anfang läuft es immer super, alle mögen mich, ich bin ja auch sehr kommunikativ, gehe auf Menschen zu, interessiere mich für sie. Aber nach einer Weile ist der Wurm drin. Dieselben Menschen, die mich offensichtlich anfangs sympathisch fanden, fangen an, sich zurückzuziehen. 
Ich merke das natürlich sofort und will wissen, was da los ist. Am Anfang drucksen sie dann eine Weile rum aber weil ich nicht lockerlasse, rücken sie dann doch damit raus, warum sie sich zurückgezogen haben oder mir aus dem Weg gehen.
Meist sind es Kleinigkeiten. Dass ich öfters zu spät komme, zum Beispiel. Dass man mich manchmal an wichtige Termine erinnern muss. Dass ich soviel rede. Ich denke dann, warum die Leute sich immer an so Kleinigkeiten aufhängen müssen und nicht sehen, dass ich auch meine Arbeit gut mache.
Aber das sind oft so Kleingeister dabei so Krämerseelen, wo alles akkurat sein muss. Die sehen überhaupt nicht den ganzen Menschen, mich, Olivia, die immer bemüht ist, ihr Bestes zu geben, und was ich noch sagen wollte …“

Als Coach achte ich nicht nur auf die offenen und verdeckten Gefühle der Klientin, sondern auch auf meine eigenen. Denn die eigenen Empfindungen und Impulse können ein Resonanzboden sein, durch den man mehr über den Klienten und sein Lebensthema erfährt.

Und ich wurde zunehmend genervt.

Das ist nicht meine übliche Reaktion auf Klienten nach einer Viertelstunde, deshalb nahm ich an, dass es etwas mit Olivia Z. zu tun haben könnte.

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Bild: fizkes iStock.com

Warum suchen Menschen negative Aufmerksamkeit?

Meist beginnt es schon in der Kindheit. Das Kind will Aufmerksamkeit, Bestätigung und Anerkennung von den Eltern und anderen Bezugspersonen. Das ist normal. Ebenso normal ist es, dass Erwachsene diesem Wunsch nicht immer nachkommen können oder wollen.

Weil der Vater gerade das Mittagessen kocht. Die Mutter gerade ein wichtiges Telefonat führt. In der Hektik des Alltags gibt es viele Situationen, in denen das Kind zu wenig Zeit und oder zu wenig Beachtung bekommt. Je nach Persönlichkeit und Alter lernt ein Kind damit umgehen. Es ist zwar im Moment enttäuscht, vielleicht auch verärgert, hat aber die Erfahrung gemacht, dass das nicht immer so ist. Sondern dass die Eltern sich oft auch dem Kind zuwenden.

Das Kind erfährt, dass es schon wahrgenommen wird – aber eben jetzt gerade nicht. Es lernt dadurch Frustrationstoleranz. Also die Fähigkeit, Enttäuschungen und Zurückweisungen hinzunehmen.

Doch manche Kinder gehen einen anderen Weg. Die Nichtbeachtung trifft sie so stark, dass sie einen Weg suchen, doch noch die Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie lernen, anstrengend zu werden.

  • Sie mäkeln am Essen herum oder verweigern es völlig.
  • Sie sind aufsässig und widersetzen sich allen Anordnungen der Eltern.
  • In Kindergarten oder Schule spielen sie Streiche und übertreten Regeln.
  • Sie geben freche oder unverschämte Antworten.
  • Sie verhauen andere Kinder oder beißen sie.
  • Sie werfen sich auf den Boden und schreien los.

Das kann Eltern ziemlich wütend und gleichzeitig hilflos machen. Jetzt beginnt ein Teufelskreis. Das Kind „lernt“, dass es, wenn es Ärger macht oder schwierig wird, die Eltern reagieren. Sie schimpfen, schreien, rasten aus oder drohen Strafen an, die sie aber dann oft doch nicht anwenden. Darauf reagiert auch das Kind, denn es ist verletzt, fühlt sich zurückgewiesen, wird wütend und verliert oft ganz die Kontrolle über sein Verhalten und dreht noch mehr auf.

Aber das Kind wird zumindest nicht mehr ignoriert, es wird beachtet – aber es ist negative Aufmerksamkeit. Doch die ist für das Kind oftmals besser als gar nicht wahrgenommen zu werden. Das Kind lernt dadurch unbewusst: Nur wenn ich Ärger und Stress mache, werde ich nicht übersehen.

Bild: REHvolution www.photocase.de

Wenn die Suche nach Aufmerksamkeit zur Sucht wird.

Biiiinggg!! Mitten im Coachings ertönte das Benachrichtigungssignal eines Smartphones. Da meines ausgeschaltet im Schreibtisch lag,  gab es nur eine Möglichkeit.

„Haben Sie vergessen, Ihr Smartphone stumm zu schalten“, fragte ich irritiert.
„Das schalte ich nie ab. Ich muss doch erreichbar sein. Außerdem gibt es mir ein gutes Gefühl, wenn ich eine Benachrichtigung bekomme“, erklärte mir Olivia Z.
„Langsam verstehe ich, warum Sie überall anecken“, sagte ich.

Die Klientin rollte mit den Augen. „Mein Güte, sind Sie pingelig. Ich mach’s schon aus!“

Ich spürte, dass ich jetzt aufpassen musste, nicht in eine Negativspirale mit Olivia Z. zu rutschen, wo sie das aufsässige Kind war und ich der spießige Elternteil. Deswegen fragte ich betont freundlich:

„Sie haben geschrieben, dass Sie mit zwei Schwestern aufgewachsen sind. Wie war das so für Sie?“
„Anstrengend!  Beide waren so Musterschülerinnen, immer gut in der Schule, was meinen Eltern, auch beide Lehrer, sehr wichtig war. Dann spielten sie auch noch beide ein Instrument und übten täglich, ohne dass man sie daran erinnern musste. Meine Eltern waren superstolz auf sie und erzählten es überall herum, wie toll sie sie fanden.“

„Und worin waren Sie als Kind gut? Was machten Sie gerne?“ fragte ich.
„Ich war in nichts besonders gut. In der Schule so im Mittelfeld, Musik machen wollte ich nicht. Aber ganz stimmt das nicht. Ich konnte schon immer gut andere ärgern“, berichtete die Klientin grinsend.
„Schon im Kindergarten hätte ich die Erzieherinnen zur Weißglut gebracht, weil ich fast immer das Gegenteil gemacht habe von dem, was sie wollten. Sollten alle im Stuhlkreis sitzen, lief ich herum. Sollte man still sein, redete ich. Sollte man was erzählen, blieb ich stumm. So haben mir das meine Eltern oft erzählt und dabei sehr besorgt geschaut.“

Ich dachte, dass es Zeit wäre, etwas tiefer zu gehen und überlegte eine Deutung. Damit versucht man als Coach, den Inhalten, die die Klientin berichtet, einen neuen Rahmen zu geben, der dem „problematischen“ Verhalten einen neuen Sinn gibt. Deswegen sagte ich zu Olivia Z.:

„In einer Familie hat ja jedes Mitglied eine besondere Position. Klar, da sind die Eltern oder die Älteste oder die Jüngste unter den Geschwistern. Aber es gibt noch mehr Positionen. In Ihrer Familie zum Beispiel war klar, wem Ihre Eltern die meiste positive Aufmerksamkeit gegeben haben. Ihren beiden Schwestern – und zwar für gute Leistungen in der Schule und beim Musizieren. Hätten Sie auf diesen Feldern auch Anerkennung bekommen wollen, hätten Sie mit Ihren Schwestern konkurrieren müssen.“

Die Klientin hörte aufmerksam zu. Es arbeitete in ihr.

„Aber das wollten Sie nicht. Oder Sie konnten es nicht. Denn es hätte viel Mühe und Zeit gekostet und eigentlich waren diese beiden Positionen schon besetzt. Sogar doppelt. Vielleicht haben Sie sich ja deshalb für die entgegengesetzte Position entschieden. Rebellion statt Anpassung. Dagegen sein statt dafür. Regeln brechen statt sie brav zu befolgen. Denn dafür bekamen Sie auch sofort Aufmerksamkeit. Im Kindergarten, zu Hause, in der Schule. Es war zwar negative Aufmerksamkeit durch Schimpfen, Ermahnungen und Strafen. Aber immerhin wurden Sie beachtet. Und – dafür mussten Sie sich nicht sonderlich anstrengen, mussten nichts leisten.“

Olivia Z. lächelte verstohlen, woraus ich schloss, dass die Deutung angekommen war.


 

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Woran erkennt man Menschen, die negative Aufmerksamkeit suchen?

Jeder Mensch braucht ein bestimmtes Maß an Aufmerksamkeit und Bestätigung. Die einen mehr, die anderen weniger. Bei Menschen,  deren Suche nach Aufmerksamkeit übertrieben oder unangemessen ist, kann man folgende Verhaltensweisen beobachten:

  • Sie fühlen sich in Situationen unwohl, in denen sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.
  • Sie zeigen in der Interaktion mit anderen oft unangemessenes, sexuell verführerisches oder provokatives Verhalten.
  • Sie drücken Gefühle oft oberflächlich aus und springen schnell von einem Thema zum anderen.
  • Sie nutzen Ihre körperliche Erscheinung konsequent, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
  • Sie sind übermäßig dramatisch, theatralisch und zeigen einen übertriebenen Ausdruck von Emotionen.
  • Ihre Reaktionen stehen oft in keinem Verhältnis zu den Umständen, was ihrer Umgebung peinlich sein kann.
  • Sie lassen sich sehr leicht von anderen oder den Umständen beeinflussen.
  • Sie halten Beziehungen oft für intimer, als sie tatsächlich sind.

Exkurs: Warum haben Katzenvideos mehr Zuschauer als politische Informationen?

Das ist eine der Fragen, die den Medienwissenschafter Matthias Zehnder beschäftigen. Sein Buch „Die Aufmerksamkeitsfalle – wie die Medien zu Populismus führen“ widmet sich diesem Thema.

Hier ein Interview mit ihm.

Der Kampf um unsere Aufmerksamkeit findet überall statt. Für viele gilt der erste Griff am Morgen dem Smartphone. Nur knapp sieben Prozent der Zwanzig- bis Neunundzwanzig-Jährigen lesen eine Tageszeitung. Wozu auch? Steht doch alles im Netz. Mit Bildern, Videos – alles so schön bunt hier!

Das Buhlen um Aufmerksamkeit hat sich vor allem durch Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram, YouTube u.a. enorm verbreitet. Auch im Privaten gilt das Wahrgenommenwerden als wichtigste Währung. Wie sonst ist der Markt für Hochzeitsplaner und perfekt geplante Kindergeburtstage zu verstehen. Es geht oft nicht mehr um das gemeinsame Feiern der Anwesenden, sondern darum, was darüber anderen, die nicht dabei waren, berichtet werden kann.

Ende des Exkurs.


 

Wann verändern Menschen ihr Verhalten?

Meine einfache Formal dafür ist: Sie ändern ihr Verhalten, wenn der Preis für das Verhalten deutlich höher ist als der Nutzen davon.
Der Preis für ungünstiges Verhalten ist oft Schmerz. Physischer oder psychischer.

Doch viele ungünstige Verhaltensweisen verursachen erst mal keinen Schmerz, deswegen werden nützliche Informationen oft verdrängt. Bluthochdruck, Übergewicht, Rauchen, ungesunde Ernährung, Darmkrebs, eine vergrößerte Prostata, ein Knoten in der Brust etc. All das spürt man erst mal nicht oder nicht unangenehm genug. Für die zunehmende Entfremdung in der Partnerschaft, ein schlechtes Klima im Team, mangelnde Erziehung eines Kindes gilt dasselbe.

Es braucht einen Weckruf.

Ein Ereignis oder eine persönliche Erfahrung, wo der Mensch erkennt: So kann, so will ich nicht weitermachen. Dazu braucht es oft ein starkes Schmerzerlebnis. Einen Burnout, einen Herzinfarkt, eine Trennung, eine Krise im Freundeskreis.

Doch die Schmerzschwelle, nach der Menschen ins Handeln kommen, ist unterschiedlich hoch. In mein Coaching kommen manchmal Menschen erst nach dem dritten Burnout. Und selbst dann …

Im Coaching ist die Frage nach dem Anliegen deswegen zentral. Und auch die Frage, warum gerade jetzt nach Unterstützung gesucht wird.

„Warum sind Sie hier? Was wollen Sie mit dem Coaching erreichen?“, fragte ich die Klientin.

Olivia Z. überlegte eine Weile, bevor sie antwortete.

„Ich will mein Leben in den Griff bekommen. Ich will mehr Ruhe reinbringen. Fünf Firmen in zehn Jahren, zweimal geschieden. Da stimmt doch was nicht. Warum ecke ich überall an, privat wie beruflich? Warum ist das so?“

„Aber dieses Leben führen Sie ja schon eine Weile. Warum wollen Sie gerade jetzt etwas ändern?“, fragte ich neugierig.
„Ich habe einen Film gesehen über eine Frau, die Krebs bekam und starb. Mit fünfunddreissig! Das hat mich wachgerüttelt, weil ich mir die Frage stellte, was ich bisher in meinem Leben erreicht habe. Und da fiel mir wenig ein. Außerdem will ich vielleicht mal noch ein Kind. Aber dazu muss ich, glaube ich, erst noch etwas erwachsener werden.“

Meine immer wieder aufflackernde Genervtheit über die Klientin war plötzlich weg. Weil ich spürte, dass ihr Anliegen echt war. Das ganze Getue war in diesem Moment weg. Sie sprach aus ihrem Erwachsenen-Ich.


Welche innere Erlaubnis fehlt der Klientin?

Das ist immer die zentrale Frage, die ich mir im 3-h-Coaching stelle. Welche innere Erlaubnis fehlt der Klientin, dass ihr problematisches Verhalten bis jetzt ihre beste Strategie ist, ein wichtiges Bedürfnis von ihr zu erfüllen?

Hier ein paar Beispiele, wie fehlende Erlaubnis und unangemessenes Verhalten zusammenhängen können:

  • Wer immer nett ist, dem fehlt die Erlaubnis, auch mal seinen Ärger zu äußern.
  • Wer immer alles perfekt machen muss, dem fehlt die Erlaubnis, Fehler zu machen.
  • Wer immer schnell machen muss, dem fehlt die Erlaubnis, sein eigenes Tempo zu wählen.
  • Wer immer stark sein muss, dem fehlt die Erlaubnis, sich auch mal anlehnen zu können.

Olivia Z. eckte mit ihrer nervigen, aufmerksamkeitsheischenden Art überall an. Sie wurde zwar nicht übersehen, erntete aber vor allem negative Aufmerksamkeit. Welche Erlaubnis fehlte ihr, um damit aufzuhören?

Ich hatte eine Idee dazu und bat die Klientin für ein Experiment in Achtsamkeit, es sich bequem zu machen und die Augen zu schließen.

„Ich bitte Sie, mal den Satz zu sagen:
»Ich fülle meine Leere selbst.«

Olivia Z. sagte den Satz und schaute mich fragend an und sagte:
„Den Satz verstehe ich nicht.“
„Wie fühlt er sich denn an?“
fragte ich sie.
„Komischerweise ganz gut. Irgendwie beruhigend. Aber ich verstehe nicht, was mich an dem Satz beruhigt.“

Die Reaktion der Klientin überraschte mich nicht, denn es war ein Satz, den ich so das erste Mal verwendete. Er war auch für mich ein Experiment. Aber das gute Gefühl von Olivia Z., zeigte, dass der Satz wohl in die richtige Richtung wies.

„Es geht Ihnen vor allem darum, als Mensch wahr- und ernst genommen zu werden. Denn ohne das fühlen Sie ich leer. Als gäbe es Sie gar nicht. Durch das Anecken überall verschafften Sie sich bisher das Gefühl, doch zu existieren. Auch wenn es sich für Sie und andere nicht gut anfühlte. Aber bisher war das Ihre beste Strategie gegen die innere Leere. Das Gefühl, bedeutungslos zu sein.

Olivia Z. schaute mich aufmerksam an und fragte dann, ob ich den Satz nochmal wiederholen könne. Sie habe ihn vergessen. Das werte ich immer als ein gutes Zeichen, weil das Unbewusste  die neue positive Information oft erst einmal abwehrt.

„Der Satz war: »Ich fülle meine Leere selbst.«“
Der Satz bedeutet, dass Sie sich den Halt und die positive Aufmerksamkeit, die sie in Ihrer Kindheit und Jugend in Ihrer Familie nicht bekommen haben, heute selbst geben können“,
erklärte ich ihr.
„Und wie?“
„Befreunden Sie sich mit den Banalitäten und Unannehmlichkeiten des Lebens – anstatt Ihnen auszuweichen. Wenn Sie eine Rechnung bekommen, überweisen Sie sie gleich – anstatt sie mit dramatischer Geste irgendwohin zu pfeffern. Wenn Ihnen der Bus vor der Nase wegfährt, zählen Sie still bis zehn – anstatt lauthals dem Busfahrer hinterher zu schimpfen. Wenn Sie montags ins Büro kommen, erkundigen Sie sich bei den anderen, wie deren Wochenende war – anstatt ausführlich davon zu berichten, was Sie Tolles oder Schreckliches erlebt haben.“

„Das ist aber hart, was Sie da vorschlagen“, sagte die Klientin ernüchtert.
„Ja, Entzug ist immer hart, bei jeder Sucht. Weil Ihre Psyche sich erst daran gewöhnen muss, ohne die Dramagefühle auszukommen. Vielleicht sind Sie dann mal auch niedergeschlagen, bedrückt oder fühlen sich leer. Doch daran merken Sie, dass Sie auf dem richtigen Weg sind.“

„Und was soll ich dann machen gegen diese unangenehmen Gefühle?“
„Sie aushalten – und mit anderen Erfahrungen ergänzen.“

Ich spürte, dass das für die Klientin Neuland war, deshalb erklärte ich ihr, was es bedeuten könnte.

„Wenn Sie spüren, dass Sie sich nach einem Lob sehnen, weil sie etwas gut gemacht haben, können Sie sich das selbst geben.“
„Aber wenn das von anderen kommt, ist es doch viel mehr wert!“,
widersprach Olivia Z.
„Nur in Ihrem Kopf. Ob Ihnen jemand eine Suppe kocht oder ob Sie das selbst machen, ist Ihrem Bauch egal, Sie werden in beiden Fällen satt. Der Unterschied ist, dass Sie andere dazu zu bringen müssen, für Sie zu sorgen. Im zweiten Fall sorgen Sie selbst gut für sich.“

„Verstehe“, sagte die Klientin leise. „Das heißt, wenn ich nachts von einem Alptraum aufwache, soll ich nicht mehr meine Freundin anrufen, damit sie mich tröstet?“
„Genau. Kleine Kinder muss man nachts trösten, wenn sie schlecht geträumt haben. Erwachsene können das selbst übernehmen, anstatt daraus ein Drama zu machen.“

„Drama-Queen. Das war auch mein Spitzname in der letzten Firma.“


 

Es war ein recht unübliches Coaching und ich war am Ende nicht sicher, ob die Sitzung wirklich erfolgreich sein würde. Hatte ich wirklich die Psychodynamik richtig verstanden? Waren es nicht zu viel Erklärungen meinerseits?
Einige Monate hörte ich nichts von Olivia Z., was meine Zweifel nicht geringer werden ließ. Aber eines Morgens nach einem halben Jahr fand ich doch eine lange eMail von ihr auf dem Mac.

Nach unserem Coaching sei sie ziemlich verstört gewesen und hätte bemerkt, wie oft sie sich leer und wertlos fühlte. Aber die bisherigen Bewältigungsversuche, andere dazu zu bringen, sich um sie zu kümmern, hätten sich zunehmend falsch angefühlt. In ihrer Not habe sie sich dann einer Selbsthilfegruppe der Emotions Anonymous angeschlossen. Dort konfrontiere man sie sofort, wenn sie wieder Spielchen spiele oder Dramen inszeniere. Das helfe ihr, dieses destruktive Muster immer früher zu erkennen. Dort erlebe sie auch immer wieder, wie realer Kontakt und wirkliche Nähe zu anderen Menschen entstünde.

Ich schrieb ihr zurück, dass sie offensichtlich etwas gefunden habe, um ihre innere Leere zu füllen und sich selbst Halt zu geben.

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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

7 Kommentare

  1. Ingrid Schmid sagt

    Einmal mehr ein Klasse-Podcast (Blog), den ich heute auf dem Arbeitsweg gehört habe. Vielen Dank! – Auch wenn du nicht Coach bist, kannst du dann besser mit solchen Leuten umgehen.

    via LinkedIn

  2. Claudia Beer sagt

    So interessant. Ich lese die Fallbeschreibungen sehr gerne und lerne in jeder etwas.
    Vielen Dank!

    via LinkedIn

  3. Christiane Rind Krampitz sagt

    Was für ein interessantes Coaching-Gespräch! Da wäre ich gerne das Mäuschen gewesen.

    via LinkedIn

  4. Eduard Zolotov sagt

    Danke vielmals, dass Sie Ihre Podcast auch auf YouTube laden. Es ist immer sehr interessant. Ich mag auch Ihre Art vorzutragen. Immer wieder eine Bereicherung.

  5. Michaela Albrecht sagt

    Danke für diesen Artikel! Einige Punkte aus der Liste kamen mir seltsam bekannt vor. In diese Richtung hatte ich noch nicht gedacht.

  6. Ein Psychiater könnte das unter Umständen so diagnostizieren.Mir war dafür die Symptomatik nicht ausgeprägt genug.
    Außerdem: Was wäre mit dieser Einschätzung gewonnen?

  7. Lala Wasser sagt

    Wie immer fachlich kompetent und sehr gut erkannt. Sind das aber nicht alles Symptome einer Borderline-Erkrankung?

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