„Stephen King, wie überwindet man ein Trauma?“

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Ein fiktives Interview mit Stephen King über Angst, Erinnerung und das Monster im Schrank


RKW: Stephen King, ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft zu diesem Interview. Ich möchte nicht über Ihre Bestseller reden oder Verfilmungen. Sondern darüber, wie man ein Trauma überlebt. Oder ganz allgemein, wie man damit fertigwird, wenn einem das Leben zu früh viel abverlangt.

Stephen King: Wenn das mal so einfach wäre zu beantworten. Aber gut. Sie wollen offensichtlich keine Lightshow, Sie wollen das Dunkle. Dann schauen wir das mal gemeinsam an.

RKW: Beginnen wir mit Ihrem Vater. Er verließ die Familie, als Sie zwei Jahre alt waren. Ohne Erklärung. Angeblich, um Zigaretten zu Holen. Wie lebt man mit so einem Verlust?

Stephen King: Ich weiß nicht, wie man damit lebt.  Ich habe dagegen angeschrieben. Ich habe nie wirklich verstanden, warum Dad ging. Ich habe nie einen Abschiedsbrief gelesen, nie eine Erklärung bekommen. Also hat mein Kopf sich welche fabriziert. In Form von Geschichten.

Das Monster, das plötzlich da ist – das bin ich, der sich fragt: „Warum hat er mich nicht mitgenommen? Lag es an mir, dass er uns verließ?“ Und jedes Buch, in dem ein Kind mit dem Verschwinden kämpft, ist eine Form von Wiederholung. Nicht um ihn zurückzuholen. Sondern um mich selbst wiederzufinden.

RKW: Das klingt, als hätten Sie Ihre Kindheit eher überlebt als gelebt.

Stephen King: Wahrscheinlich stimmt das. Ich war viel krank. Viel allein. Meine Mutter hat gearbeitet, so viel sie konnte. Aber Armut ist eine undankbare Begleiterin. Sie zwingt dich dazu, früh Verantwortung zu übernehmen – für Dinge, die du gar nicht verstehst. Ich habe deshalb gelesen, was ich in die Finger bekam. Und später geschrieben, weil das die einzige Möglichkeit war, nicht unterzugehen. Es gab kein Familienalbum. Aber ich hatte Notizbücher. Und darin war ich nicht das Opfer, sondern der Autor.


Die deutsche Traumatherapeutin Michaela Huber betont die Rolle sicherer Bindungen als Fundament für Verarbeitung. Sie beschreibt, dass frühe Verlusterfahrungen wie Kings – der Vater verschwindet – typischerweise zu Dissoziation und Spaltung der eigenen Identität führen.

Huber betont: Trauma zeigt sich oft nicht als dramatisches Flashback, sondern als „Affekt-Kette“ – also anhaltende innere Spannung ohne großes Bewusstsein. Bei King spürt man das wieder in der leisen Angst, dem unbewussten Spüren, z. B. in ES oder Shining, wo Schrecken sich nicht nur äußert, sondern unter der Oberfläche brodelt.

Zentral ist für Huber auch der Schritt, das Trauma zu benennen, sichtbar zu machen – ähnlich wie King, der das Monster im Schrank benennt: Man zerstört dadurch seine unheimliche Macht. Nur durch Sprache kann man das Unsichtbare fühlen, in Form bringen, als Geschichte bewältigen.

RKW: In vielen Ihrer Bücher sind Kinder die Hauptfiguren. Kinder, die oft allein sind, oft missverstanden, oft mit einer übergroßen Fantasie. Ein Zufall?

Stephen King: Nein. Kinder erleben Dinge unmittelbar. Ohne Filter. Und sie haben keine Sprache für das, was sie fühlen. Also wird aus Angst ein Clown. Aus Scham ein totes Haustier. Aus Einsamkeit ein Spukhaus.
Ich schreibe über Kinder, weil ich glaube, dass dort – in dieser frühen Zeit – alles beginnt. Die Angst vor dem Verlassenwerden. Die Wut, nicht gesehen zu werden. Die Scham, nicht genug zu sein. Alles andere sind Variationen davon.

RKW: Sie schreiben viel über das Monster im Schrank. Was ist das für ein Monster?

Stephen King: Es ist immer das Gleiche. Das Gefühl, nicht sicher zu sein. Nicht in der Welt, nicht im eigenen Kopf. Und dieses Gefühl muss irgendwo hin. Also wird es ein Clown namens Pennywise. Oder ein Hotel wie in The Shining, das einen langsam in den Wahnsinn zieht.

Das Monster im Schrank ist die Metapher für alles, was du nicht anschauen willst – aber irgendwann anschauen musst. Sonst frisst es dich.

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Foto von Luis Villasmil auf Unsplash

RKW: Ist Ihr Motiv zu schreiben die Angst? Oder schreiben Sie gegen sie?

Stephen King: Beides. Die Angst ist der Motor. Aber das Schreiben ist das Lenkrad. Ich bin niemand, der besonders mutig ist. Ich habe selbst heute noch Angst im Dunkeln. Aber ich habe gelernt, sie zu nutzen. Manche Menschen trinken, um zu vergessen. Ich schreibe, um zu erinnern. Weil ich glaube, dass nur das Erinnerte geheilt werden kann.

RKW: Sie haben selbst lange mit Alkohol und Drogen gekämpft. Haben Sie das Gefühl, das war auch Teil des Musters?

Stephen King: Absolut. Ich habe versucht, das Loch zu füllen, das der Weggang des Vaters hinterlassen hat. Mit Ruhm, mit Erfolg, mit Substanzen. Hat aber alles nicht funktioniert. Meine Familie hat mir irgendwann den Spiegel hingehalten – und gesagt: So nicht. Und dann kam die Frage: Wer bin ich, wenn ich nüchtern bin? Wer bin ich ohne Applaus? Ohne Bestsellerliste? Die Antwort darauf war hart. Aber notwendig.

RKW: Gab es einen Moment, der für Sie wie ein inneres Erwachen war?

Stephen King: Ja. Der Unfall. 1999. Ich wurde von einem Van erfasst. Ich wäre fast gestorben. Wochenlang Schmerzen. Monatelange Reha. Da war auf einmal alles still. Kein Schreiben. Kein Lärm. Nur ich und mein Körper. Und die Frage: Was bleibt, wenn alles andere wegfällt?
Die Antwort war: Meine Frau. Meine Kinder. Und die Geschichten, die ich noch nicht geschrieben hatte. Nicht, um Bestseller zu landen. Sondern um etwas in mir zu ordnen.


Peter Levine, Begründer von Somatic Experiencing, geht davon aus, dass Trauma nicht primär kognitiv ist, sondern körperlich festgelegt wird – als fragmentierte Erlebnisstruktur in „Sensation, Image, Behavior, Affect, Meaning“ (SIBAM). Vieles davon bleibt unbewusst – ein Clown im Kopf, ein Herzklopfen, dessen Ursprung niemand benennen kann.

Kings Kreativität im Schreiben gleicht genau diesem: Er nimmt Blitzlichter und verwandelt sie in lebendige Erzählungen – Clown-Pennywise, das verfallene Hotel, das Monster im Wald. Er macht aus SIBAM-Struktur ein Buch. Das ist Therapie: Aufschreiben, integrieren, Ganzwerden.

Levine betont: Heilung braucht eine„bottom-up“-Sequenz – vom Körper zur Sprache.
King schreibt, um zu spüren. Er schreibt, um das Gefühl erkennbar zu machen; er schreibt, um zu beruhigen, was im Körper pocht. Sein Artikel über den Unfall spiegelt diesen Prozess: der Körper spricht, und King übersetzt die Sprache des Schmerzes in Worte. 

RKW: Ihre Frau Tabitha hat Ihr Manuskript zu Carrie aus dem Müll geholt. Was bedeutet diese Geste für Sie heute?

Stephen King: Alles. Ich war an einem Punkt, wo ich dachte: Niemand will das lesen. Es ist zu abgedreht. Zu weiblich. Zu blutig. Und sie hat es gelesen – wirklich gelesen – und gesagt: „Da steckt etwas drin.“
Diese Geste war mehr als Liebe. Sie war ein Vertrauensvorschuss. Und sie war ein Weckruf: Vielleicht bin ich nicht so allein, wie ich denke.

RKW: Was macht Ihnen mehr Angst – das Schreiben oder das Leben?

Stephen King: Das Leben. Ohne Frage. Schreiben ist für mich der Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen. Worte auf Papier folgen einer Logik. Sätze haben einen Anfang und ein Ende.
Das Leben nicht. Es ist voller Brüche, Verluste, Widersprüche. Niemand garantiert dir, dass du morgen noch da bist. Deshalb schreibe ich. Nicht, um der Realität zu entkommen. Sondern um sie auszuhalten.

RKW: In ES kehren die Erwachsenen in ihre Heimatstadt zurück, um sich dem zu stellen, was sie als Kinder verdrängt haben. Ist das eine Anleitung?

Stephen King: Vielleicht. Ich glaube, dass jeder von uns irgendwann zurück muss – innerlich. Zurück an den Ort, wo es wehgetan hat. Nicht, um es nochmal zu erleben. Sondern um zu sagen: „Ich bin nicht mehr das Kind. Ich bin heute groß genug, um das Monster anzuschauen.“
Manchmal reicht schon dieser innere Satz: Ich bin da. Ich sehe dich. Aber ich lasse dich nicht mehr regieren.


Laut dem Trauma-Forscher Bessel van der Kolk hinterlässt Trauma nicht nur psychische Spuren – es prägt das Nervensystem tiefgreifend: Bei traumatisierten Menschen bleiben die Gehirnregionen zur Verarbeitung von Angst dauerhaft aktiviert, während rationale Anteile geschwächt sind.
Das erklärt, warum King oft in seinen Büchern bis ins körperlich Empfundene hineinschreibt: wenn Angst nicht nur im Kopf ist, sondern in Gliedern, in Kehle, in Bauch.

Van der Kolk nennt dies „eingeschrieben im Körper“ – nicht weg, nur unsichtbar. Und er betont: wirkliche Heilung beginnt nicht mit dem erneuten Sicher-Reden, sondern mit dem körperlichen Erspüren, dem Anerkennen eines längst erlebten Zustands.
King konkretisiert das: In seiner Schilderung nach dem Unfall spürt man, wie Schmerz und Körpererfahrung ihn tief verändert haben – nicht nur seelisch, sondern körperlich bewusst.

Van der Kolk warnt zugleich vor der Identifikation mit Trauma: Wer nur noch „verletzte Person“ ist, kann nicht wachsen – Heilung braucht Selbstneuintegration als Autor seiner eigenen Geschichte.
 Das deckt sich mit Kings Erfahrung: Sein Wendepunkt war, als er aus Sucht und Scham aufstand – und neu schrieb. Er hörte auf, das Trauma nur zu sein, und begann, es als Thema zu nutzen.


RKW: Gibt es in Ihnen heute noch ein Kind, das Angst hat?

Stephen King: Natürlich. Ich habe gelernt, mit ihm zu sprechen. Nicht mehr über es hinwegzugehen. Früher habe ich es weggedrückt. Betäubt. Ignoriert. Heute höre ich zu. Frage es: „Was brauchst du?“ Und meistens sagt es: Jemanden, der bleibt.
Vielleicht machen wir deshalb Kunst. Weil wir hoffen, dass jemand bleibt, wenn wir zeigen, wie es in uns aussieht.

RKW: Wenn Sie einem Menschen einen Rat geben könnten, der mit einem Trauma lebt – was würden Sie ihm sagen?

Stephen King: Du bist nicht das, was dir passiert ist. Aber du bist verantwortlich dafür, was du daraus machst. Du darfst wütend sein. Du darfst traurig sein. Aber du darfst auch beginnen, deine Geschichte neu zu erzählen.
Und manchmal bedeutet das: Einen Stift nehmen. Und den ersten Satz schreiben. Nicht für die Welt. Sondern für dich.

RKW: Stephen King, eine letzte Frage. Sie haben einmal gesagt: „Ich schreibe nicht, um geliebt zu werden. Ich schreibe, damit das Kind in mir weiß, dass es nicht vergessen ist.“
Was würden Sie diesem Kind heute sagen, wenn Sie ihm begegnen?

Stephen King (nachdenklich): Ich würde ihm die Hand reichen. Und sagen: „Du hast überlebt. Das reicht.“
Und vielleicht noch: „Ich hab’s aufgeschrieben. Damit du dich erinnern kannst – ohne dich darin zu verlieren.“


Mein Resümee:

Stephen King ist für mich mehr als ein Horror-Autor. Er ist ein Seismograf für das, was Kinder empfinden, aber oft nicht sagen können. Was Erwachsene vergessen, aber wiederfinden sollten. Er erzählt keine Geschichten über Monster. Er erzählt, wie wir ihnen begegnen können, ohne daran zu zerbrechen.

Seine schwierige Kindheit ohne Vater, die finanziellen Nöte, die Erfahrungen als Außenseiter, die Suchtprobleme und die körperlichen Leiden – all diese Aspekte seines Lebens wurden in seinem Werk nicht nur verarbeitet, sondern transformiert. Aus persönlichen Lebensthemen entstanden Geschichten, die universelle Resonanz erzeugen und die heilende Kraft des Erzählens demonstrieren.

Vielleicht ist das die wahre Kunst: Nicht das Dunkle zu vermeiden – sondern ihm Worte zu geben.


Was Sie aus diesem Interview mit Stephen King für sich mitnehmen können:

  • Trauma hinterlässt mehr als Erinnerungen – es bleibt im Körper.
    King zeigt, wie Worte körperliche Erfahrung aufnehmen.
  • Sichere Bindung ist Grundstein für Heilung.
    Kings Frau war nicht nur Partnerin, sondern Archetyp einer stabilen Bezugsperson.
  • Schreiben ist ein Weg, das Unsichtbare sichtbar zu machen.
    Trauma wird nicht nur benannt – es wird verstanden.
  • Im Körper erleben, beschreiben, integrieren – erst dann heilt die Seele.
    King schreibt keine Theorien – er schreibt lebendig, körperhaft, sensorisch.
  • Neue Identität entwickeln – man muss kein Opfer bleiben.
    King schreibt nicht mehr, um Opfer zu bleiben, sondern um Autor zu sein.

 

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PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.


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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

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