Gesunder Ehrgeiz kann viele positive Effekte haben, vor allem in unserer Leistungsgesellschaft gilt Ehrgeiz als Erfolgsgarant. Jedoch kommt es auch vor, dass jemand zu wenig Ehrgeiz an den Tag legt. Welche erstaunlichen Gründe das haben kann, wurde mir in diesem Coachingfall klar.
„Behandeln Sie auch hoffnungslose Fälle?“ war die Frage des Anrufers am Telefon.
„Kommt darauf an, was die Hoffnung ist“, antwortete ich.
„Die Hoffnung, dass aus mir mal noch was Außergewöhnliches wird,“ hörte ich eine resignierte Stimme.
„Wessen Hoffnung ist das denn?“, wollte ich wissen.
„Keine Ahnung, ich hatte diese Hoffnung noch nie.“
In Ausbildungsgängen zum Psychoanalytiker ist das „Erstinterviewseminar“ eines der wichtigsten Bausteine. Darin soll der Kandidat lernen, zu erfassen, wie sich bereits im ersten Kontakt mit einem Patienten eine bestimmte „Szene“ entfaltet.
Diese entsteht durch die Art, wie die Beziehung aufgenommen und das Gespräch gestaltet wird. Denn hier sind meist schon frühe Hinweise auf die unbewussten Konflikte des Klienten verborgen. Damit solche Informationen wahrgenommen und verstanden werden können, ist es wichtig, den Kontakt zum Patienten nicht mit eigenen Interessen und Zielen zu bestimmen oder durch belanglose Fragen zu stören.
Hilfreich ist dazu die Entwicklung einer bestimmten inneren Haltung des Therapeuten. Daraus folgt eine besondere Art des Zuhörens, die der Psychoanalytiker Theodor Reik als ein „Hören mit dem dritten Ohr“ beschrieb. Dabei geht es um ein Zuhören, das sich nicht wortwörtlich auf das Gesagte bezieht, „sondern in die Fugen und Risse des Gesagten hineinhört, die eine Tür zu dem vorher nicht bewusst Gedachten eröffnen kann.“
Ehrgeiz ist das ausgeprägte Streben nach Erfolg, Geltung und Anerkennung.
Ehrgeiz kann positiv als „gesunder“ Ehrgeiz oder in seiner übersteigerten Form auch als „krankhafter Ehrgeiz“ auftreten. Getreu dem Zitat „Wer all seine Ziele erreicht hat, hat sie zu niedrig gewählt.“
Aber: Es ist nichts falsch an einem Menschen, der wenig oder keinen Ehrgeiz hat. Ich kenne viele Menschen, die nicht sehr ehrgeizig sind, und sie sind nicht unglücklicher als jene, die große Ambitionen haben. Ehrgeiz kann das Leben großartig machen, und es kann das Leben auch miserabel machen.
Hinter großem Ehrgeiz steckt oft der Wunsch, sich mit anderen zu messen – und sich von anderen zu unterscheiden. Wer allein auf einer Insel lebt, hat keinen Maßstab für seinen Ehrgeiz – und somit auch kein Ziel.
In den westlichen kapitalistischen Ländern wird Ehrgeiz als eine wichtige Voraussetzung für Erfolg gepriesen. In vielen östlichen Traditionen wird Ehrgeiz dagegen als ein Übel angesehen, das uns, indem es uns an weltliche Güter bindet, vom spirituellen Leben und seinen Früchten wie Tugend, Weisheit und Ruhe fernhält.
Gesunder Ehrgeiz ist meist individuell befähigend und sozial konstruktiv, während ungesunder Ehrgeiz hemmend und destruktiv ist und eher der Gier ähnelt.
Seit ich im Studium 1977 Reik’s Buch gelesen hatte, habe ich mich bemüht, diese besondere Fähigkeit zu lernen und anzuwenden. In der HAKOMI-Arbeit begegnete mir diese wieder in der Technik des „Spurenlesens“.
Dort hieß es:
,,Spurenlesen“ heißt, daß man nach Anzeichen der gegenwärtigen Erfahrung des anderen Ausschau hält. Der Blick ist dabei aufmerksam, ,,weich“ und unfokussiert, ohne etwas Bestimmtes sehen zu wollen.
Die innere Haltung ist entspannt, zurückgelehnt und empfänglich. Offen und neugierig stellt man sich die Frage: Was ist das für ein Mensch? Wie geht es diesem Menschen gerade?
„Spuren“ sind dabei subtile Zeichen, wie feine Veränderungen von Tonlage, Ausdruck, Atem und Hautfarbe beim Gegenüber oder die Art, wie der Klient sein „Problem“ schildert.
Drei Wochen später saß der Anrufer für ein 3-h-Coaching mir gegenüber. Rainer D. 42 Jahre, Orchestermusiker, ledig, keine Kinder.
„Ihre Nachfrage damals, wessen Hoffnung es sei, dass aus mir etwas Außergewöhnliches werden solle, hat mich nicht losgelassen. Ich glaube, ich verlange das selbst von mir. Wenn ich aber auf mein Leben schaue, hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Weder beruflich noch privat. Überall bin ich nur durchschnittlich.“
„Sie scheinen damit zu hadern, dass Sie sich durchschnittlich finden“, wollte ich mich vergewissern.
„Natürlich, durchschnittlich ist doch nichts Besonderes. So ist doch jeder“, antwortete der Klient.
„Ich bin Geiger beim Orchester in B. Das ist eine Stadt mit 190.000 Einwohnern. An die tollen Angebote von großen Häusern wie Berlin, München, Hamburg komme ich doch nie dran. Vom Ausland ganz zu schweigen.“
„Worauf haben Sie denn verzichtet, um nicht an die großen Häuser zu kommen?“ fragte ich Rainer D.
„Wieso verzichtet?“, war sein erstaunter Kommentar.
„Na, Sie haben auf die Ochsentour verzichtet.“
Jeder kann Politiker werden.
Immer wenn die Diäten der Politiker erhöht werden, kocht die Volksseele. BILD schreibt dann: „Die Diäten unserer Bundestagsabgeordneten werden erhöht. Erstmals verdienen die Politiker über 10 000 Euro im Monat!“
Man achte auf das Ausrufezeichen. In früheren Jahren wurde die Meldung den geringen Renten oder dem Mindestlohn gegenüberstellt.
Ich verstehe diese Empörung nicht: Jeder kann doch heute Politiker werden! Und profitiert dann auch von jeder Diätenerhöhung. Um Politiker zu werden, braucht man kein Abitur, auch kein Studium. Man muss noch nicht mal in einem Beruf gearbeitet haben. Das geht!
Aber: Sie müssen bereit sein, jahrzehntelang die „Ochsentour“ zu machen.
Am besten schon als Jugendlicher bei den Jusos oder der Jungen Union mitmachen. Dann sich weiter engagieren in Orts- oder Kreisverbänden. Das bedeutet, jahrelang jedes Wochenende opfern, um beim Schützenverein oder der örtlichen Kerwe eine Rede zu halten. Von dort aus arbeiten Sie sich langsam in der Parteihierarchie nach oben. Doch Ihr Aufstieg ist nicht garantiert. In der Politik ist es wie im Sport oder in der Musik: Ganz weit nach oben kommen nur die Besten, die, die genügend Machtwillen, Talent, Ausdauer und eine gewisse Skrupellosigkeit mitbringen.
„Wie sah denn Ihre Laufbahn aus?“, fragte ich den Klienten.
„Also, eine Ochsentour war es nie. Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Meine Engagements bekam ich immer über Beziehungen, weil jemand hörte, dass da eine Stelle frei war. Dann habe ich mich beworben und bekam sie auch meistens.“
„Das heißt, Sie wollten auch nie ernsthaft an eines der großen Häuser?“
„Doch schon“, protestierte der Klient, „es hat sich eben nicht ergeben.“
„Nicht ergeben?“ fragte ich zurück.
„Ich glaube, Sie wollten es nie wirklich. Ihnen genügte das Träumen, aber Sie waren nicht bereit, den Preis dafür zu zahlen.“
„Eigentlich war es auch nie meine Idee, Geiger zu werden, sondern der Traum meines Vaters“, sagte Rainer D.
Wenn Eltern ihre Wünsche an Kinder delegieren.
1978 besuchte ich als Psychologiestudent die legendären Mittwochs-Vorlesungen von Helm Stierlin. Dort sprach er immer wieder über das Konzept der „Delegation“, was mich ungeheuer faszinierte. Ursprünglich hatte er das Konzept von Lymann Wynne adaptiert.
Delegation stellt in der Familientherapie nach Stierlin einen Auftrag seitens eines Elternteiles an das Kind dar, der den eigenen unbewussten Wünschen der Eltern entspricht. Demnach übernehmen Kinder häufig die von den Eltern nicht ausgelebten Wünsche und Träume und somit nicht gelösten Konflikte.
Mit Delegation sind Aufträge und Vermächtnisse gemeint, die oft über Generationen hinweg wirksam werden. Kernelement der Delegation ist eine starke Loyalität, die den Delegierenden und Delegierten miteinander verbindet.
Eine Delegation kann auch positiv sein, als richtungweisend erlebt werden. Schwierig wird es, wenn die Aufträge nicht mit den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Delegierten übereinstimmen oder aber unterschiedliche Delegationen in Konflikt geraten.
Ich überlegte, ob gerade der letzte Punkt bei meinem Klienten eine Rolle spielen könnte.
„Wie kamen Sie überhaupt zur Musik?“, wollte ich von Rainer D. wissen.
„Das war mir wohl schon in die Wiege gelegt“, war die Antwort. „Meine Mutter war Opernsängerin, mein Vater Kapellmeister. Schon mit vier Jahren bekam ich von ihm Klavierunterricht. Mit sieben Jahren wechselte ich zur Geige. Mein Vater unterrichtete mich, lobte und förderte mich. Mit vierzehn gab er mich zu einem anderen Lehrer, damit ich es auf dem Instrument mal weit bringen möge. Das Geigenspiel gefiel mir, nur das Üben fand ich schon immer anstrengend und langweilig.“
„Und wie ist es für Sie heute, Geiger zu sein?“, wollte ich wissen.
„Ehrlich gesagt, es ist für mich ein Job wie jeder andere. Die einen gehen ins Büro, sitzen am PC, unterhalten sich in der Pause mit Kollegen. Genauso ist es bei mir. Statt ins Büro gehe ich ins Konzerthaus. Unsere Projekte sind eben neue Aufführungen oder Gastspielreisen. Der einzige Unterschied ist, wir haben keine Meetings. Was der Dirigent bestimmt, wird gemacht.“
All das berichtete Rainer D. recht emotionslos, um nicht zu sagen, gelangweilt. Ich wurde innerlich unruhig. Mit zweiundvierzig Jahren seit über zwanzig Jahren in einem Beruf, der ihm wenig Freude machte? War es wirklich nur der fehlende Ehrgeiz oder steckt noch etwas anderes dahinter?
Mir fiel auf, dass mein Klient ziemlich müde wirkte, etwas leblos. Er sprach auch irgendwie gehemmt, gleichförmig.
Einer Intuition folgend fragte ich:
„Haben Sie eigentlich Schlafprobleme?“
„Ja, schon seit fünfzehn Jahren“, gab Rainer D. zur Antwort.
„Und haben Sie Antriebsprobleme, also, kommen Sie morgens schwer in die Gänge?“
„Ja, schon. Da kommt mir entgegen, dass die Proben erst gegen elf Uhr morgens anfangen, weil wir ja oft abends spielen.“
„Und hatten Sie mal Suizidgedanken in Ihrem Leben?“, war meine letzte klärende Frage.
„Nicht direkt, aber ich meide Brücken und hohe Türme. Und manchmal denke ich beim Autofahren, was eigentlich passieren würde, wenn ich jetzt mal für fünf Sekunden die Augen zumachen würde.“
Ich war etwas alarmiert.
Denn die letzten drei Fragen benennen die drei wichtigsten Symptome für eine Depression. Als ich Rainer D. fragte, ob er schon mal daran gedacht hätte, dass er eine Depression haben könnte, bejahte er.
„Wie hing das alles zusammen?“, fragte ich mich.
Wenn man die Last eines fremden Lebens trägt.
In Familien kann es passieren, dass jemand etwas von Vorgängern (Eltern, Großeltern usw.) übernimmt. Es kann eine Aufgabe oder Pflicht sein, aber auch eine Schuld u.a. Dies geschieht natürlich unbewusst durch die Liebe des Kindes und seinen Wunsch, nicht aus der Familie, der Sippe, ausgestoßen zu werden.
Dass Kinder einen Beruf mit „Altlasten“ übernehmen, ist nicht selten. In Familien, in denen Tradition einen hohen Wert hat, geschieht das besonders oft. Das Kind hört schon von klein auf immer wieder den Satz:
- „Unser Wirtshaus ist schon seit dem 17. Jahrhundert im Besitz der Familie.“
- „Dein Ururgroßvater hat diesen Wald gepflanzt, von dem wir alle leben.“
- „Alle Frauen in meiner Familie waren Schneiderinnen.“
- „Diese Landarztpraxis wird niemals aufgegeben. Sie ist Teil dieses Dorfes.“
Aber auch ungelebte Träume eines Elternteils oder des Elternpaars können bewusst oder unbewusst delegiert werden.
- „Wenn es den Krieg nicht gegeben hätte, wäre ich heute Inhaber eines Lebensmittelladens.“
- „Ich wollte damals Jura studieren, aber meine Eltern wollten, dass ich den Hof übernehme.“
- „Du musst auf jeden Fall studieren! Du sollst dich nie so plagen wie ich täglich in der Bäckerei.“
Übernimmt ein Kind einen solchen Auftrag, stärkt das einerseits die Bindung, vor allem, wenn der empfohlene Beruf den persönlichen Neigungen und Wünschen entspricht. Ist dies jedoch nicht der Fall, kann aus der Bindung eine Verstrickung entstehen.
Dies schien mir bei Rainer D. der Fall zu sein.
Jedes Verhalten hat eine positive Absicht.
Diese Grundannahme aus dem NLP wende ich auch in meiner Arbeit an. Denn diese Sichtweise öffnet sofort den Blickwinkel auf ein ansonsten meist problematisch eingeschätztes Verhalten.
Dazu gehört, dass man als Coach möglichst wertfrei zuhören kann und nicht mit seinen eigenen Wertvorstellungen den Klienten beeinflusst. Das gelingt natürlich nicht immer. Aus dieser Haltung heraus fragte ich den Klienten:
„Sie haben vorhin gesagt, dass Sie schon öfter Suizidgedanken hatten. Was versprechen Sie sich eigentlich davon? Was wäre so gut daran für Sie, wenn Sie tot wären?“
Rainer D. überlegte kurz und sagte dann:
„Dann hätte ich endlich meine Ruhe. Dann könnte niemand mehr etwas von mir wollen.“
Voilà, da war sie, die positive Absicht hinter dem Selbsttötungswunsch.
Gleichzeitig verriet mir diese Aussage des Klienten viel darüber, was er zu wenig in seinem Leben bisher erlebt hatte oder für sich gestalten konnte: Selbstbestimmung und die Freiheit, sein Leben nach seinen Wünschen zu gestalten.
Es wurde Zeit, in der Sitzung ein Experiment zu machen, um Rainer D. zu ermöglichen, auch emotional seinen inneren Konflikt zu erkennen.
Dazu verwende ich im Coaching oft die Technik des leeren Stuhls.
Alle wichtigen Menschen in unserem Leben internalisieren wir als innere Objekte. Deshalb wissen wir ziemlich genau, was sie denken, sagen und wie sie reagieren. Für den emotionalen Zugang in einer Coachingsitzung lasse ich daher oft den Klienten den passenden Elternteil in einem Stuhl sich vorstellen.
Ich zog einen Stuhl heran und bat den Klienten, sich seinen Vater in dem Stuhl sitzend vorzustellen, den Vater von heute.
Als Rainer D. nickte, dass er seinen Vater „wahrnehmen“ konnte, schlug ich ihm einen Satz vor, von dem ich annahm, dass er ihn nicht ohne weiteres sagen konnte, da damit unmittelbar sein Konflikt und sein Lebensthema berührt werden würde. Ich sagte zu ihm:
„Ich bitte Sie, mal zu Ihrem Vater den Satz zu sagen:
„Geiger zu werden war dein Lebenstraum, nicht meiner.“
Die Reaktion des Klienten passierte sofort – und war wie erwartet, negativ.
„Das kann ich ihm nicht sagen“, flüsterte er tonlos.
„Das würde ihn fürchterlich enttäuschen. Das kann ich ihm nicht antun.“
„Ich verstehe, was Sie meinen“, sagte ich.
„Aber um Ihren Vater nicht zu enttäuschen, haben Sie einen hohen Preis gezahlt,“ gab ich zu bedenken.
„Welchen Preis?“
„Den Preis, einen Beruf auszuüben, an dem Ihnen nichts liegt. Und darüber ziemlich depressiv zu werden.“
Das Coaching mit Rainer D. war für mich anstrengend, weil es so zäh war. Der Klient berichtete nicht von sich aus, was in ihm vorging, sondern antwortete meist nur auf Fragen. Und außer seiner tonlosen Reaktion auf den Satz war auch kaum ein Gefühl zu spüren. Verheimlichte er etwas?
„Sie sind nicht verheiratet, haben keine Kinder, was machen Sie eigentlich in Ihrer Freizeit?“ fragte ich ins Blaue hinein, da mich der Prozess irritierte.
„Nichts Besonderes“, gab er zur Antwort.
Wieder kam die Antwort so ausweichend, dass ich mir sicher war, dass Rainer B. etwas Wichtiges noch nicht gesagt hatte. Und ich probierte einen Überraschungs-Coup.
„Nichts Besonderes? Ich glaube, Sie wollen etwas Wichtiges verheimlichen.“
Er wurde plötzlich ganz rot im Gesicht und merkte das selbst.
„Sie müssen es nicht sagen“, baute ich ihm eine Brücke, „Sie sind hier nicht im Beichtstuhl.“
Und dann rückte er mit seinem Geheimnis heraus.
„In meiner Freizeit zeichne ich … Frauen … ich meine … nackte Frauen …“
Ich war jetzt nicht geschockt, eher überrascht, weil ich ihm das nicht zugetraut hätte und wollte wissen:
„Und wo finden Sie die Frauen, die Ihnen Modell stehen?“
„In einschlägigen Clubs oder im Bordell.“
Jetzt war ich doch verblüfft über diese Wendung. Ein unehrgeiziger Orchestermusiker ging dreimal die Woche in schräge Etablissements, um nackte Frauen zu malen? Wie passte das zusammen?
Rainer D. musste mir meine Ratlosigkeit angesehen haben, denn er fragte:
„Sagt Ihnen der Name Toulouse-Lautrec etwas?“
„Natürlich, das war ein kleinwüchsiger Maler in Paris, der bevorzugt das Nachtleben, vor allem im „Moulin Rouge“ malte. Seine Lieblingsmotive waren Frauen aus der Halbwelt des Montmartre wie Tänzerinnen oder Prostituierte.“
Ich hatte früher einiges über diesen Maler gelesen, weil ich selbst viel gezeichnet habe und ein Plakat von ihm in meiner Studentenbude hängen hatte. Und plötzlich verstand ich den Zusammenhang.
„Sie fühlen sich Toulouse-Lautrec sehr nah, stimmt’s?“
Der Klient nickte stumm.
„Weil er es gewagt hat, aus dem herrschaftlichen Milieu seines Elternhauses auszubrechen. Statt wie sein Vater als reicher Grandseigneur auf die Jagd zu gehen und sich mit Pferden und Hunden zu beschäftigen, zog es ihn auch in die halbseidene Welt.“
Jetzt war Rainer D. ganz wach und schaute mich etwas ängstlich an.
„Sie leben äußerlich den Geiger-Traum Ihres Vaters – und heimlich folgen Sie Ihrer eigenen Leidenschaft, dem Zeichnen. Sie führen ein Doppelleben.“
Und nach einer Pause fuhr ich fort:
„Lautrec war durch seine Knochenschwäche behindert, Sie behindern sich aber selbst, indem Sie die Last, den Traum Ihres Vaters zu leben, ihm nicht zurückgeben.“
Kinder übernehmen in den frühen Lebensjahren, in der Phase, in der ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit am größten ist, viele Gefühle aus der Familie, die ihr Leben ganz entscheidend beeinflussen können.
Übernommene Gefühle schlummern lange Zeit im Verborgenen. In der Regel bemerken wir sie nur dann, wenn sie mit unserer eigenen Lebensplanung in Konflikt geraten. Zum Beispiel, wenn wir unserem Bedürfnis nach beruflicher Verwirklichung nicht nachgehen, obwohl das eigentlich möglich wäre.
Mein Klient zahlte dafür den Preis eines ungelebten Lebens und hatte als Folge davon immer wieder depressive Einbrüche. Aber vor allem hielt er seine Leidenschaft und seinen Ehrgeiz unter Verschluss.
„Und wie gebe ich diese Last meinem Vater zurück?“, war die etwas hilflose Frage.
„Er ist vor drei Monaten gestorben. Obwohl ich in seinen letzten Stunden bei ihm war, habe ich es nicht gewagt, ihm die Wahrheit über mich zu sagen.“
„Das können Sie immer noch tun. Die Übernahme eines elterlichen Auftrags und die Rückgabe sind ja immer symbolische Handlungen. Das geht auch nach dem Tod.“
„Aber wie? Ich verstehe nicht.“
Ich spürte, dass Rainer D. wirklich etwas verstanden hatte – und einen Ausweg suchte.
„Was machen Sie mit einem Paket, das von der Post ausgeliefert wurde, aber nicht Ihnen gehört?“, fragte ich.
„Ich gehe hin, gebe das Paket zurück und sage: Das gehört mir nicht, ich gebe es zurück in Ihre Zuständigkeit.“
„Genauso macht man das.“
„Aber ich habe ja keinen Gegenstand. Der Auftrag meines Vaters war ja immateriell.“
„Dann machen Sie daraus etwas Materielles, etwas, das schwer wiegt, fast so schwer wie das Gewicht, das Sie bisher ein Leben tragen.“
Ein Dreivierteljahr hörte ich nichts von Rainer D. Weil ich mir immer mal Sorgen um ihn machte, überlegte ich, ob ich ihn anschreiben sollte. Doch er kam mir zuvor.
Nach unserem Coaching sei er erstmal in ein Loch gefallen, weil ihm bewusst geworden wäre, wie wenig er bisher wirklich sein Leben gelebt habe und immer versucht hätte, es anderen recht zu machen.
Außerdem habe er lange Zeit keine Idee gehabt, wie er den väterlichen Auftrag materiell machen könnte. Bis er eines Tages bei dem Steinmetz, der den Grabstein gestaltet hatte, sah, dass dieser auch andere Gegenstände aus Stein schuf.
Tags darauf habe er ihm den Auftrag gegeben, aus Granit eine kleine Geige zu gestalten. Nach drei Wochen sei sie fertig gewesen und er habe sie auf das Grab seines Vaters gelegt. Den Satz, dass er damit ihm den Lebenstraum zurückgäbe, hätte er aber nicht aussprechen können, sondern nur in Gedanken zu ihm sagen können.
Er hoffe aber, dass ihm das in der nächsten Zeit noch gelingen möge.
In meiner Antwort beglückwünschte ich Rainer D. zu seiner kreativen Idee und der Ausführung. Und schlug ihm vor, mal auf Anzeichen zu achten, an denen er merken würde, dass er jetzt sein Leben führen würde.
Bis heute kam aber keine Antwort darauf.
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