„Meine Frustrationstoleranz war schon immer ziemlich gering“, sagte der Mann im Lebensthemen-Coaching.

Kommentare 8
Allgemein
frustrationstoleranz, kopp-wichmann, lebensthemen-coaching, persoenlichkeits-blog,

Bild: tommaso79 iStock.com

Frustrationstoleranz braucht jeder Mensch, um die vielen Widrigkeiten des Lebens zu ertragen, mit Rückschlägen fertigzuwerden und in schwierigen Situationen nicht sofort aufzugeben. Aber was passiert, wenn man nur eine geringe Frustrationstoleranz hat? Dann ergeht es einem so wie meinem neuen Klienten in diesem Fallbericht.

„Bei Ihnen muss man ja ewig auf einen Termin warten. Dreimal wollte ich schon den Termin heute absagen“, begann der Klient im 3-h-Online-Coaching.
„Aber irgendwas hat Sie dann doch davon abgehalten und Sie sind hier“, antwortete ich.
„Das war eine frühere Freundin, die meine geringe Frustrationstoleranz kennt, die hat mich bestärkt, doch zu Ihnen zu kommen. Aber die lange Warterei fiel mir sehr schwer“, gestand Leon A., 38 Jahre, ohne Beruf, verwaltet die Immobilien seiner Mutter, alleinlebend.
„Warum eigentlich?“, erkundigte ich mich.
„Zum einen ärgert es mich, wenn ich irgendwo lange warten muss. Zum anderen denke ich, dass es vermutlich nicht das Richtige ist, wenn es nicht gleich klappt.“
„Ach, dass Sie länger warten mussten, nehmen Sie persönlich?“
„Verstehe ich nicht.“
„Nun, dass man bei mir auf einen Termin ein paar Wochen warten muss, hängt einfach damit zusammen, dass es mehr Anfragen gibt als ich freie Termine habe. Aber Sie vermuten dahinter eine geheime Botschaft für Sie.“
„Eine geheime Botschaft?“
„Ja, dass das lange Warten bedeutet, dass es nicht das Richtige für Sie ist.“
„Ja, das denke ich oft.“
„Deshalb halten Sie es wohl auch nicht lange bei einer Firma aus, schrieben Sie.“
„Ja, immer wenn es schwierig wird, lass ich es sein. Wenn es in Arbeit ausartet.“
„Aha.“
„Weil, ich ich habe irgendwo mal den Spruch gelesen. Such dir eine Arbeit, die du liebst und du musst nie wieder im Leben arbeiten.“
„Ach, der alte Spruch vom großen Konfusius.“
„Heißt der nicht Konfuzius?“
„Doch natürlich. Ich nenne ihn nur so, weil durch den Spruch viele Menschen eher konfus wurden statt klarer.“
„Inwiefern konfus?“
„Na, indem man den Spruch so verstehen kann, dass man sich nie wieder im Leben anstrengen muss, wenn man das Richtige gewählt hat.“
„Aber das glaube ich ganz fest. Auch in Liebesbeziehungen handle ich so.“
„Ich sag ja, Konfusius.“

Was versteht man eigentlich unter Frustrationstoleranz?

Damit ist die Fähigkeit gemeint, die psychischen Spannungen, die beim Verfolgen eines Ziels auftreten können, auszuhalten und zu überwinden. Da können äußere Frustrationen sein wie Rückschläge, Benachteiligungen oder enttäuschte Erwartungen. Aber auch innere Frustrationen wie Ärger, Ungeduld, Wut oder Verzweiflung.

Eine geringe Frustrationstoleranz führt dazu, dass diese Menschen Aufgaben rasch abbrechen, wenn sich unerwartete Widerstände in den Weg stellen oder der angestrebte Erfolg nicht gleich eintritt. Eine geringe Frustrationstoleranz soll auf eine Ich-Schwäche hindeuten.Doch was fängt man mit dieser Information in der Praxis an?

Ist Frustrationstoleranz ein guter Indikator für das spätere Leben?

Jahrzehntelang glaubte man das. Denn der Marshmallow-Test gehört zu den bekanntesten Experimenten der Psychologie. Mischel et al. (1989) boten in den Jahren 1968 bis 1974 vierjährigen Kindern Marshmallows an mit der Option, diese sofort zu essen oder nach einer gewissen Wartezeit ein zweites Marshmallow zu bekommen, wenn sie der Versuchung widerstehen konnten.

Sehen Sie hier, wie verschiedene Kinder sich mit dieser schwierigen Aufgabe herumschlugen:

Einigen Kindern gelang das ganz gut, anderen hingegen nicht. Das heißt, ihre Frustrationstoleranz, also die Fähigkeit, die Belohnung aufzuschieben, war unterschiedlich. Doch jetzt kommt’s!

Als man die Kinder dreizehn (!) Jahre nach dem Versuch nochmals überprüfte, gab es enorme Unterschiede. Jene, die schon im Vorschulalter hatten warten können, waren als junge Erwachsene zielstrebiger und erfolgreicher in Schule und Ausbildung. Außerdem steckten sie Enttäuschungen und Rückschläge besser weg. Sie wurde auch als sozial kompetenter beurteilt und waren seltener drogenabhängig als jene, die dem Marshmallow damals nicht hatten widerstehen können.

Klingt gut – stimmt aber leider so nicht.

Eine neue Studie zeigte: Wenn Kinder einer süßen Versuchung nicht widerstehen können, sagt das nicht viel aus. Und wenn, dann stecken dahinter keine höheren Strategien der Selbstkontrolle.

Was steckt hinter einer niedrigen Frustrationstoleranz?

Frage ich Klienten, was sie glauben, was zu ihrem Problem beiträgt oder es sogar verursacht, erklären sie das oft mit psychologischen Begriffen. Mangelndes Selbstbewusstsein, übertriebener Ehrgeiz, irrationale Ängste, kein Urvertrauen usw. höre ich dann.

Doch alle diese Begriffe erklären nicht viel. Außerdem kann es sein, dass der Klient unter dem Begriff etwas ganz anderes versteht als ich. Deshalb halte ich es für wichtig, im Coaching die mit dem Problem verknüpfte Erfahrung des Klienten zu erfragen.

„Wie zeigt sich denn in Ihrem Leben diese geringe Frustrationstoleranz, von der Sie sprechen?“, fragte ich Leon A.
„Sie zieht sich eigentlich durch mein ganzes Leben. Ich erreiche nie die Ziele, die ich mir setze. Entweder weil ich sie unklar formuliere oder weil ich zu früh aufgebe.“
„Haben Sie ein Beispiel?“
„Ich fing in der Schule an, Gitarre in einer Band zu spielen, auch wegen den Mädels. Mit ein paar Akkorden ging das ganz gut, aber mich mit Noten oder Harmonielehre zu befassen, das war mir zu anstrengend. Später stieg ich auf Schlagzeug um, weil da gibt’s ja keine Noten und all das. Aber natürlich muss man auch da üben und zwar regelmäßig. Aber das kriege ich nicht hin. Vor etlichen Jahren mit siebenundzwanzig wollte ich Keyboard lernen. Ein paar Wochen habe ich durchgehalten, da war ich schon stolz, aber dann habe ich es wieder sausen lassen.“
„Und wie zeigt sich das heute?“
„Schauen Sie mich an! Ich wiege mindestens dreißig Kilo zu viel, mache keinen Sport, hänge mit meinen Freunden rum, wo wir überwiegend Bier saufen und zocken. Ich weiß, dass das alles ungesund ist, aber ich kann mich zu nichts aufraffen. Und wenn mich doch mal was mehr interessiert und ich mich eingehender damit befasse, taucht mit Sicherheit ein Problem auf – und dann ist es aus. Dann kapituliere ich und lass die ganze Sache sausen.“

Mit Diagnosen halte ich mich im Coaching generell zurück.
Auch wenn sie vom Klienten „angeboten“ werden. Vermutlich könnte man hinter der Problembeschreibung von Leon A. eine depressive Tendenz, eine abhängige Persönlichkeit oder eine Suchtstruktur vermuten. Doch was wäre damit gewonnen?

Meist erhofft man sich von einer Diagnose ja ein Set von empfehlenswerten Behandlungsschritten. Die Praxis zeigt jedoch, dass es so klare Maßnahmen entweder gar nicht gibt oder der Klient nichts damit anfangen kann oder will. Zudem werden Diagnosen von manchen Klienten dazu benutzt, das Problem auf das diagnostizierte Verhalten zu schieben. („Die Sucht hat mich im Griff“ oder „Dass ich morgens nicht aus dem Bett finde, kommt von der Depression.“)

Stattdessen konzentriere ich mich im 3-h-Coaching auf das Auffinden und Klären des inneren Konflikts, für den die beschriebenen Verhaltensweisen für Leon A. die bisher beste Lösung darstellen.

frustrationstoleranz, kopp-wichmann, lebensthemen-coaching, persoenlichkeits-blog,

Wo und wann erlernt man Frustrationstoleranz?

Im Grunde schon am Anfang des Lebens. Das Baby is hungrig, der Vater muss aber erst noch das Breigläschen erwärmen. Beim Stuhlkreis im Kindergarten muss das Kind lernen, kurz zu warten, Kompromisse zu schließen oder gar damit umzugehen, seine Ziele nicht durchsetzen zu können. Immer besteht dabei der wichtige Lernprozess darin, den hierbei entstehenden Frust auszuhalten und zu bewältigen.

„Wie sah denn Ihre Erziehung aus? Mussten Sie da nicht auch lernen, mal auf etwas zu warten oder sogar zu verzichten?, fragte ich den Klienten.
„Hm, eine richtige Erziehung habe ich gar nicht gehabt. Meine Eltern trennten sich, da war ich fünf. An meinen Vater habe ich kaum Erinnerungen. Meine Mutter sah ich auch wenig, weil sie zwei Jobs hatte, um uns durchzubringen. Fast die ganze Zeit lebte ich bei meiner Oma. Das war eine herzensgute Frau, die mir nichts abschlagen konnte und alles durchgehen ließ.“
„Hm, da haben Sie ja einige wichtige Regeln des Lebens nicht mitgekriegt. Das ist Ihnen augenscheinlich nicht so gut bekommen.“

„Was meinen Sie damit?“, fragte Leon A.
„Na ja, die Schwierigkeiten im Leben, mit denen Sie kämpfen. Wenn etwas nicht gleich läuft, verlieren Sie schnell das Interesse. Wenn Sie nicht bekommen, was Sie wollen, belohnen Sie sich mit etwas anderem, meistens Alkohol und Essen. Projekte, die vielleicht schwierig werden könnten, beginnen Sie erst gar nicht. Und Sie haben immer viele Erklärungen, warum etwas in Ihrem Leben nicht klappt. Genug Beispiele?“
„Das klingt ja deprimierend, wenn Sie das so aufzählen“
, sagte der Klient etwas zerknirscht .
„Stimmt, Sie verplempern halt Ihr Leben.“
„Aber wie soll ich das denn ändern?“ seufzte Leon A. etwas theatralisch.
„Im Grunde müssten Sie nur eine einzige Ihrer Gewohnheiten ändern.“
„Und welche wäre das?“
„Wenn’s irgendwo schwierig wird, nicht gleich davon laufen, sondern darauf zugehen.“

Im Leben muss man oft zwischen zwei Schmerzen wählen.

Ich weiß nicht mehr, von wem ich diesen Satz vor vielen Jahren hörte, aber er begleitet mich seitdem durch mein Leben. Die zwei Schmerzen sind der Schmerz der Disziplin und zweitens der Schmerz der Konsequenzen.

Damit ist gemeint, dass wenn wir uns dem, was ansteht im Leben, nicht mit Disziplin annehmen,
sondern uns davor drücken wollen, wir unweigerlich später die Konsequenzen dafür tragen müssen.

Entweder die Disziplin des täglichen Zähneputzens wählen – oder irgendwann später die Konsequenzen beim Zahnarzt. Wenn wir uns etwas wünschen, was unser normales Budget übersteigt, müssen wir die Disziplin des Sparens aufbringen. Tun wir das nicht, tragen wir die Konsequenz eines Kleinkredits oder den Schmerz, dass wir das Gewünschte nicht bekommen.

Dieses simple Prinzip kennt eigentlich jeder. Doch die meisten Menschen handeln im Leben nicht nach dem, was sie wissen, sondern nach dem, wie sie es gerne hätten. 

„Das stimmt, was Sie sagen, wenn es irgendwo in meinem Leben schwierig wurde, bin ich weggelaufen. Als ich in der Oberstufe im Gymnasium in Mathe nicht mehr mitkam, ging ich ab und fing eine Lehre als Schaufensterdekorateur an. Aber die notwendigen Schreinerarbeiten und im Winter die Kälte in den Fenstern törnten mich ab und ich brach die Lehre nach einem Jahr ab. Dann fing ich einen Job als Versicherungsvermittler an. Das lief ganz gut, nicht viel Arbeit und guter Verdienst. Aber dass man vor allem abends die Kunden daheim besuchen musste, missfiel mir mit der Zeit. Immerhin zwei Jahre habe ich das durchgehalten. Und mit Partnerschaften ist es dasselbe.“
„Wieso, wie sieht Ihr Privatleben denn aus?“
„Die längste Beziehung dauerte zwei Jahre, aber das ist schon eine Weile her. Mittlerweile dauern meine Beziehungen nur ein paar Monate. Denn dann gibt es meistens die ersten Meinungsverschiedenheiten oder Streits und das wird mir dann zu schwierig. Muss denn alles im Leben irgendwann schwierig werden?“
„Überhaupt nicht. Sie können auch als Leuchtturmwächter oder Straßenbahnfahrer arbeiten. Da halten sich die Veränderungen in Grenzen.“

Die Sitzung dauerte jetzt schon etwa eineinhalb Stunden und ich wusste immer noch nicht, was Leon A. eigentlich von mir wollte. Das ist nicht ungewöhnlich, denn das Formulieren eines klaren Anliegens enthält ja oft schon die ersten notwendigen Schritte, die man gehen muss. Also stellte ich meine Anliegenfrage:

„Was wollen Sie denn jetzt genau hier?“
„Ich will bei schwierigen Situationen nicht so schnell aufgeben. Und zwar beruflich wie privat.“
„Oh, das ist aber ein großes Vorhaben!“
„Ja, und?“
„Ich meine, das haben Sie ja bis jetzt noch nie geschafft. Wie soll das gehen?“
„Ja, deswegen bin ich ja hier im Coaching. Das sollen Sie mir sagen.“
„Hm, ich glaube, so einfach geht das nicht. Ich glaube, davor müssten Sie erst mal genauer verstehen, wie Sie das machen, dass Sie bei Schwierigkeiten so schnell aufgeben.“
„Na ja, ich gebe eben auf, was gibt’s da noch zu verstehen?“

frustrationstoleranz, kopp-wichmann, lebensthemen-coaching, persoenlichkeits-blog,

Bildnachweis: lama-photography / photocase.de

Höhere Frustrationstoleranz ist fast immer von Schmerz begleitet.

Egal ob Sie ein Musikinstrument oder eine Fremdsprache lernen wollen,  ob Sie eine neue Wohnung suchen, im Fitnessstudio anfangen oder ein neues PC-Programm ausprobieren – Sie müssen sich erst einmal auf etwas Unbekanntes einlassen, viele Male dasselbe tun und aushalten, dass es nicht gleich klappt. Das ist der Schmerz.

Deshalb bleiben wir alle oft lieber im bekannten Umfeld der Komfortzone, das wir unter Kontrolle haben. Dort ist es kuschelig und gemütlich – auch wenn wir wissen, dass wir uns das oft nur vormachen.

Etwas Neues zu lernen bedeutet, Risiken eingehen.

Dieses Prinzip gilt sowohl für einzelne Menschen als auch für GruppenTeamsUnternehmen und sogar Länder haben ihre Komfortzone:

  • Nach einem Rockkonzert will der 16jährige Gitarre lernen. Nachdem ihm das regelmäßige Üben zu anstrengend ist, hört er nur noch Musik auf dem Smartphone.
  • Nach dem Meeting am Kaffeeautomaten stöhnen alle darüber, wie langweilig die Sitzung war und das Wesentliche wieder nicht angesprochen wurde.
  • Ein Land lebt jahrzehntelang über seine Verhältnisse, wehrt sich aber mit großen Straßendemonstrationen  gegen notwendige Sparauflagen. 
  • Die Weltgemeinschaft ist seit Jahrzehnten dabei,  die Lebensgrundlagen und die Ressourcen der Erde zu erschöpfen. Auf jeder internationalen Klimakonferenz werden Mini-Beschlüsse gefasst, weil etliche Länder nicht bereit sind, ihren komfortablen Lebensstil zu ändern und die direkten Auswirkungen zwar sichtbar und messbar sind, aber noch gut erträglich.

Es ist ja immer gut, einen Schuldigen zu haben.
Also gut: Schuld ist Ihr Gehirn. Jedenfalls ein bestimmter Teil davon, dort wo der Autopilot sitzt. Der sorgt dafür, dass wir uns immer in gewohnten Bahnen bewegen, weil sich das sicher anfühlt.

Und wir leben heute in einer Gesellschaft, in der es uns leicht gemacht wird, es uns in der Komfortzone gemütlich zu machen.

Vor Zehntausenden Jahren mussten wir bei Hunger beispielsweise Früchte suchen oder einen Bären jagen. Wer dazu keine Lust hat oder sich dabei ständig ablenken ließ, hatte irgendwann noch größeren Hunger oder starb. Damals hing das Überleben von planvollem, konzentriertem Handeln ab. Heute fahren wir mit dem Auto zum Supermarkt, gehen abends zum Kühlschrank oder ordern an der Drive-in-Theke ein komplettes Menü.

Es sind vor allem zwei Einstellungen in unserer Gesellschaft, die uns bei vielem die Vorzüge der Komfortzone vorgaukeln:

  1. Wir wollen etwas ohne Anstrengung.
    „Nichts ist unmöglich.“ „Schlank im Schlaf.“
    „Leben Sie, wir kümmern uns um die Details“
  2. Und wir wollen nicht lange warten, sondern sofortige Belohnung.
    „Heute kaufen – morgen bezahlen.“
    „Null Anzahlung und 36 bequeme Monatsraten“
    „Sofort herunterladen!

Doch Ihre Komfortzone begrenzt Ihr Leben.

In der Komfortzone ist es, wie schon der Name verrät, komfortabel. Wir kennen die Umstände, haben uns an das, was fehlt, gewöhnt, wir fahren ganz gut mit dem Gewohnten. Doch die Komfortzone setzt unserem Leben auch enge Grenzen.

Erst wenn Sie den Schmerz, der mit einer Veränderung einhergeht, bejahen, öffnen sich neue Freiräume:

Viele Menschen suchen jetzt nach einem Trick, einem Schlupfloch, um dieses „Naturgesetz“ zu umgehen.

Geben sich der narzisstischen Illusion hin, dass das Leben doch gerecht sein müsse. Oder zumindest in ihrem Fall eine Ausnahme machen könne. Weil man etwas Besonderes sei. Ein heimlicher Prinz oder eine Prinzessin. Weil man schon genug Pech im Leben gehabt habe und jetzt es mal verdient habe, dass alles ein bisschen leichter sein solle.

Und vieles ist ja tatsächlich leichter geworden. Wäsche waschen, die Wohnung heizen, in eine entfernte Stadt reisen … Technologien haben uns vieles einfacher gemacht. Aber die Waschmaschine, die Gasrechnung, das Auto – all das muss man sich auch leisten, und schon ist der Schmerz der Anstrengung wieder in unser Leben eingekehrt.

Innerhalb der Komfortzone erscheint einem der Schmerz riesengroß und unerträglich. Die Komfortzone zu verlassen, ist leichter, wenn man sich das Schmerzparadox bewusst macht:

Das Schmerzparadox:
Wenn Sie auf den Schmerz zugehen, nimmt er ab.
Wenn Sie vor ihm zurückschrecken, nimmt er zu.

Wenn Sie starke Flugangst haben, werden Sie bestimmte Länder nicht besuchen oder auf Bahn und Auto ausweichen. Wenn Sie in einem entsprechenden Seminar erleben, dass Sie die Gefühle aushalten können und danach öfter fliegen, verringert sich Ihre Angst. Sie ist nicht komplett weg, aber Sie können damit umgehen.

Wenn Sie eine unliebsame Aufgabe immer wieder aufschieben, wird sie dadurch unangenehmer und lästiger. Wenn Sie erst mal angefangen haben, merken Sie meist nach ein paar Minuten, dass es halb so schlimm ist.

Wenn Sie immer nett sein wollen, sich aber ärgern, dass Ihr Lieblings-Metzger regelmäßig die Verpackung mitwiegt, entwickeln Sie jede Menge Horror-Szenarien, was passieren würde, wenn Sie ihn darauf hinweisen. Bis Sie den Mut finden, es zu tun.

Doch was hindert uns, die Komfortzone zu verlassen, wenn wir doch wissen, dass wir daran nicht sterben werden?

frustrationstoleranz, kopp-wichmann, lebensthemen-coaching, persoenlichkeits-blog,

Bildnachweis: nagelbett lebanmax, istock

„Erst wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst.“

Dieser Satz von Moshe Feldenkrais meint, dass viele unserer Handlungen unbewusst ablaufen. Erst wenn wir uns diese automatisch ablaufenden Gewohnheiten im Denken und Handeln bewusst gemacht haben, können wir auch etwas verändern. Dieses Bewusstmachen ist kein rationaler Denkvorgang, sondern die achtsame Erforschung der eigenen Selbstorganisation.

Bei Leon A. würde das bedeuten, dass er genauer kennenlernt, was zwischen der Erfahrung einer schwierigen Situation und seinem „Aufgeben“ in ihm abläuft. Also, welche Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen passieren.

Weil der Vorgang des „Aufgeben“ größtenteils unbewusst abläuft, passiert das so schnell, dass Leon A. bisher kaum mitkriegt, was davor in ihm passiert. Deswegen arbeite ich im Coaching an dieser wichtigen Stelle mit einem Experiment, das die Chance bietet, dass der Klient beobachten kann, was in ihm passiert.

Der Klient machte es sich in seinem Stuhl bequem, schloss die Augen und gab mir ein Zeichen, dass er bereit war. Dann sagte ich zu ihm:

„Ich bitte Sie, mal den Satz zu sagen:
„Schmerz, komm her!“

Normalerweise nehme ich für den Satz eine Aussage, die eine Tatsache darstellt. Siehe die Fallberichte hier und hier. Doch bei Leon A. dachte ich, dass es einen stärkeren Impuls brauchte, um ihn zu erreichen.

„Das meinen Sie jetzt nicht ernst“, reagierte er ärgerlich.
„Was meinen Sie?“
„Dass ich den Schmerz einlade, herzukommen. Ich will ja, dass er weggeht!“
„Welchen Schmerz meinen Sie jetzt?“
„Na ja, den Schmerz, dass ich meine Ziele nie erreiche.“
„Die werden Sie auch nicht erreichen, solange Sie in die falsche Richtung laufen.“
„Verstehe ich nicht. Mal für Normalsterbliche formulieren.“

Der etwas herablassende Ton des Klienten verstärkte in mir den Eindruck, dass bei ihm auch eine narzisstische Thematik beteiligt war. Entschloss mich aber, das jetzt nicht zu anzusprechen, weil es wohl nicht weiterhelfen würde.

„Sie haben erzählt, dass Sie aufgeben, wenn es irgendwo schwierig wird, richtig?“
„Korrekt.“
„Dann versuchen Sie ja, der Schwierigkeit zu entkommen, indem Sie vor dem Schmerz der Anstrengung, die die Aufgabe verlangt, weglaufen.“
„Ja, aber das ist doch ein natürlicher Impuls. Das macht doch jeder. Wer will sich denn schon anstrengen?“
„Sie haben völlig Recht, das macht fast jeder.“

Schmerzen zu vermeiden ist eine starke Gewohnheit. Weil, wenn Sie etwas Schmerzhaftes aufschieben, bekommen Sie die Belohnung – keinen Schmerz – sofort. Aber Sie zahlen langfristig einen Preis: nämlich das Bedauern über ein verschwendetes Leben. Doch da die Folgen erst weit in der Zukunft eintreten, ist die Motivation, sich jetzt dem Schmerz zu stellen, nicht leicht zu finden.

„Nach Ihrem Anliegen zu Beginn gefragt, sagten Sie: Ich will bei schwierigen Situationen nicht so schnell aufgeben. Und zwar beruflich wie privat. Wollen Sie das immer noch?“
„Ja sicher doch.“
„Das wird Sie aber etwas kosten.“
„Und das wäre?“
„Dass Sie sich dem Schmerz stellen – anstatt ihm auszuweichen.“
„Hm, und wie soll das gehen?“

Ich war noch nicht überzeugt, das Leon A. wirklich etwas ändern wollte. Die meisten Menschen, die ins Coaching kommen, sind ja ambivalent. Ein Teil von ihnen will etwas ändern – und ein anderer Teil will das nicht, denn sonst hätten sie das Problem ja schon gelöst. Der zweite Teil, der nichts ändern will, hat Angst vor dem Schmerz der Veränderung.

Genau da muss man ansetzen, aber das ist nicht leicht. Deswegen arbeite ich manchmal mit einer Technik aus dem Buch „The Tools“ der US-Therapeuten Phil Stutz und Barry Michels. Das erste Tool heißt „Umkehrung des Verlangens“. Dabei geht es darum, das Vermeiden von unangenehmen oder schmerzhaften Gefühlen bezüglich einer Sache umzudrehen. Da Leon A. ja zumindest neugierig war, erklärte ich ihm die Methode.

1. Stellen Sie sich dem Schmerz!
Konzentrieren Sie sich auf den Schmerz, den Sie vermeiden. Sehen Sie ihn als Wolke vor Ihnen auftauchen.
Schreien Sie dann lautlos: „Schmerz, komm her!“
Rufen Sie nach dem Schmerz, weil er einen großen Wert für Sie hat.

2. Gehen Sie auf den Schmerz zu!
Schreien Sie leise: „Ich liebe Schmerzen!“ während Sie sich weiter vorwärts bewegen.
Gehen Sie so tief in den Schmerz hinein, dass Sie eins mit ihm sind.

3. Freiheit
Fühlen Sie, wie die Wolke Sie ausspuckt und sich hinter Ihnen schließt.
Sagen Sie innerlich: „Schmerz macht mich frei!“
Wenn Sie die Wolke verlassen, spüren Sie, wie Sie in ein Reich des reinen Lichts vorwärts getrieben werden.

Zugegeben, die Methode klingt ziemlich seltsam, wirkt aber erstaunlich. Ich habe selbst damit gute Erfahrungen beim Joggen gemacht, wenn ich nach einer Weile müde wurde und die Beine anfingen, wehzutun. Auch beim Aufschieben der jährlichen Steuererklärung hilft sie mir. Ich sehe die vielen hundert Belege auf dem Schreibtisch, spüre meinen Widerwillen, mich damit zu befassen und zische dann in Richtung Schreibtisch: „Schmerz, komm her!“

Und obwohl ich die Technik schon oft angewendet habe, wirkt sie jedes Mal. Sie nutzt sich nicht ab. Vermutlich, weil ich den Frust und die Wut, dass ich der Steuererklärung ja doch nicht entkommen kann, in eine positive Energie umwandle.

„Also, wenn ich Sie richtig verstehe, soll ich genau das Gegenteil von dem machen, was ich mein Leben lang gemacht habe? Statt schnell aufgeben, wenn’s schwierig wird, dranbleiben und mich durchbeißen?“, sagte Leon A.
„Sie haben’s erfaßt.“
„Aber das habe ich ja noch nie gemacht. Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
„Ich glaube, das hängt davon ab, ob Sie etwas ändern wollen in Ihrem Leben. Was die Konsequenz ist, wenn Sie versuchen, dem Schmerz auszuweichen, wissen Sie ja zur Genüge.“
„Das ist aber kein schöner Schluss. Auf den Schmerz zugehen. Gibt’s nicht noch einen anderen Weg?“
„Gute Frage.“


Erst nach über einem Jahr hörte ich wieder etwas von Leon A.
Nach unserer Sitzung sei er sehr enttäuscht und unzufrieden gewesen und habe keinen Weg gesehen, etwas Positives daraus für sich zu ziehen. Nach einem Abend, wo er mit Freunden und viel Alkohol wieder völlig versackt sei, habe er nachts einen Alptraum gehabt. Eine schwarze Wolke habe ihn verfolgt und gerufen. „Du kriegst mich nicht!“ Da habe er sich im Traum umgedreht und die Worte geschrieen „Schmerz, komm her!“ und da hätte sich die Wolke aufgelöst.
Der Traum habe ihn noch tagelang beschäftigt, so dass er sich entschloss, diese komische Übung mal auszuprobieren. Er habe sich in einem Fitnessstudio angemeldet und bei einem Online-Abnehmprogramm. Dort sei er natürlich schnell an den Punkt gekommen, wo er beides wieder kündigen wollte, weil es zunehmend mühsam und anstrengend wurde. Dann habe er sich an den Traum erinnert und gedacht, dass es ein klügeres Ich in ihm geben müsse, dass ihn zum Durchhalten motiviere. Und dieser inneren Stimme folge er jetzt öfters und sei immer wieder ganz erstaunt, dass es danach tatsächlich leichter werde. Das müsse dieses Schmerzparadoxon sein, von dem ich gesprochen hätte.

Ich schrieb zurück, dass ich mich über seine positive Erfahrung freue und dass er ja dumm sein müsse, künftig nicht öfter auf sein klügeres Ich zu hören.


Hier lesen Sie weitere Fallberichte aus meiner Coaching-Praxis:

Business-Coachings

Life-Coachings

PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.


Haben Sie auch ein Problem, das Sie bisher nicht lösen konnten?

Dann buchen Sie auch ein 3-h-Coaching oder buchen Sie mein Online-Seminar „Lebensthemen klären“. Wir finden die Lösung dort, wo Sie noch nie gesucht haben. Versprochen!

Hier alle Infos zum Persönlichkeitsseminar „Ihr Lebensthema klären“.

Sind Sie Coach oder arbeiten Sie intensiv mit Menschen und wollen lernen, so zu coachen?
Dann lesen Sie hier …

kommentarWie hoch ist Ihre Frustrationstoleranz?

PS: Wenn Ihnen dieser Beitrag gefiel, dann sagen Sie es doch bitte weiter: auf Facebook, Twitter oder per Email.

… oder schreiben Sie einen Kommentar.
oder abonnieren Sie oben links meine „Sonntagsperlen“.

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

8 Kommentare

  1. Andrea sagt

    Toller Artikel, hat mir vieles klarer gemacht.

  2. Birgit Kraxner sagt

    Wie immer sehr hilfreich.
    Meine Frustrationstoleranz ist hoch…ich liebe Veränderungen, denn das ist das einzige Beständige im Leben ,auch wenn es momentan einige große Herausforderungen sind, die ich zu bewältigen habe.
    Aufgeben ist keine Option. 😃💃🙏💜

  3. just happy sagt

    Funktioniert diese Methode auch mit „Angst“ (anstelle „Schmerz“)?
    Danke für Ihre Auskunft und viele Grüße! 🙂

  4. Katharina Schmidt sagt

    Tolle Arbeit! Machen Sie weiter so, ich höre Ihnen sehr gerne zu!
    🥰👍🏻🌹🫶🏻

  5. Sebastian Schmidt sagt

    Toll, deine Lebensthemen.

  6. Sonja Mannhardt sagt

    Herzlichen Dank für dieses wunderbare Beispiel, das es auch zuhauf in meiner Praxis gibt. Ich werde gleich eines davon posten, wenn Sie erlauben.
    Danke🌺

  7. Petra Beuthel sagt

    Wieder ein sehr interessanter Beitrag, Danke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert