Wenn ein wichtiger Mensch stirbt, müssen wir Abschied nehmen. Wir trauern eine Zeitlang und danach wenden wir uns wieder dem Leben zu. Doch manche Menschen können den Verstorbenen nicht loslassen, sondern halten intensiven Kontakt zu ihm. Lesen Sie hier, wie meiner Klientin das Abschiednehmen doch gelang und welche Rolle dabei Snoopy spielte.
„Verpassen Sie mir bloß keine Diagnose, davon habe ich schon genug. Das hilft mir null weiter,“ sagte die Frau im Online-Coaching. Ihre Stimme war etwas schrill, vermutlich weil sie ärgerlich war.
„Was haben Sie denn schon für Diagnosen bekommen?“, erkundigte ich mich.
„Ich war in zwei Kliniken und einer Reha. Die Diagnosen waren meistens irgendwas mit Depression, aber auch eine Anpassungsstörung hätte ich im Angebot.“, war die muntere Antwort der Klientin, Stefanie S., 39 Jahre, ledig.
Ich mag Klientinnen mit Humor. Aber wer weiß, was dahintersteckt. Vielleicht war es Galgenhumor. Also eine vorgetäuschte Heiterkeit, mit der jemand versucht, einer unangenehmen oder verzweifelten Lage, in der er sich befindet, zu begegnen.
„Weswegen gingen Sie denn in die Kliniken?“ fragte ich.
„Ich ging nicht, ich wurde gegangen. Meine Mutter starb vor zehn Jahren durch einen Verkehrsunfall. Ein betrunkener Autofahrer hat sie über den Haufen gefahren. Wir waren sehr eng miteinander und ihr plötzlicher Tod war ein Wahnsinnsschock für mich. Seitdem ist vieles sinnlos für mich geworden.“
Die Geschichte der Klientin erinnerte mich an einen Film mit Jack Nicholson, den ich 2004 im Kino sah: About Schmidt.
Darin spielt Nicholson einen 66-jährigen Versicherungsangestellter, dessen Leben in kurzer Zeit auch durch einen Verlust schwer erschüttert wird. Muss er doch nach jahrzehntelanger Tätigkeit in seinem Unternehmen feststellen, dass seine Mitarbeiter ihn schnell vergessen haben. Außerdem stirbt plötzlich seine Frau an einem Schlaganfall. Doch die Trauer um sie hält nicht lange an, sondern verwandelt sich ihn rasende Wut, als er Liebesbriefe von ihr an seinen besten Freund findet. Alles, was er für gut und wahr ansah, zerbricht, zusammen mit der Identität, die ihn bisher durchs Leben getragen hat. Er sucht einen neuen Sinn, den er schließlich in Ndugu findet, einem 6-jährigen Jungen aus Afrika, den er adoptiert und bei dem er seinen Kummer anvertrauen kann.
Hier einige Filmausschnitte mit diesem großartigen Schauspieler.
Warum fällt Abschiednehmen manchen Menschen so schwer?
Menschen reagieren auf Verluste ganz unterschiedlich. Doch unterliegen Fachleute wie Laien oft der Tendenz, schnell ein Verhalten eines anderen als normal oder abnormal zu bezeichnen. So erging es mir auch mit Stefanie S., als sie mir ihre Geschichte erzählte.
„Ihre Mutter ist vor zehn Jahren gestorben und seitdem besuchen Sie ihr Grab jeden Tag?“, fragte ich ungläubig.
„Finden Sie das etwa auch seltsam?“ fragte die Klientin etwas argwöhnisch.
„Ehrlich gesagt, ja“, erwiderte ich. „Aber Sie werden Ihre Gründe haben, warum Sie das tun.“
„In der Klinik sagten mir die Therapeuten, dass ich an einer abnormen Trauerreaktion leide. Aber ich leide gar nicht. Ich besuche nur gerne meine Mutter.“
Abwehrmechanismen sind allgegenwärtig. Sigmund Freud ging davon aus, dass sie dazu dienen, dass unangenehme, schmerzhafte, inakzeptable und bedrohliche Impulse und Affekte, wie z.B. Angst, Schuldgefühle, Aggressionen usw. nicht ins Bewusstsein dringen.
- Die Wortschöpfung „alternative Fakten“ kann man auch als Verleugnung interpretieren.
- „Ich bin kein Alkoholiker“, sagte der Mann, „ich trinke nur eben gern viel Bier.“
- „Mir geht es nicht um Macht, sondern um die Gestaltungsmöglichkeiten“, sagt der Kanzlerkandidat und bedient sich der Rationalisierung.
- „Man tritt den Hund und meint den Chef“, charakterisiert die Verschiebung.
Kann man richtig trauern und Abschied nehmen?
Ich bin generell misstrauisch gegenüber Beschreibungen von pathologischer Trauer oder sogar Beschreibungen von sogenannter normaler Trauer. In über dreißig Jahren meiner therapeutischen Arbeit habe ich gesehen, dass Menschen auf Verlust auf ganz unterschiedliche Weise reagieren und von Verstorbenen Abschied nehmen.
Es gibt Menschen, die ein Jahr oder mehrere Jahre mit dem Verlust eines geliebten Menschen ringen. Im Gegensatz dazu habe ich Menschen in langen Ehen gesehen, die nach dem Verlust des Partners scheinbar recht gut weiterlebten. War deren Beziehung nicht so tief oder gar schlecht? Manche Menschen suchen sich vielleicht sofort einen anderen Partner. Sind diese oberflächlich oder wollen sie die Trauer nicht zulassen? Andere beschließen nach einem Verlust, sich nie wieder an einen Partner zu binden. Ist das normal oder seltsam?
Diagnosen suggerieren, dass es eine richtige Art gibt, sich zu verhalten. Wenn viele sich ähnlich verhalten, wird das schnell zu einer Norm. So ist bei uns der Tod und die Beerdigung des Verstorbenen eine ernste Sache. Mit trauriger Musik und vielen Tränen. In anderen Ländern wie beispielsweise in Indonesien ist die Beerdigung dagegen ein Freudenfest.
So oder so, solange die Menschen sich wohlfühlen mit ihrem Tun und es als stimmig für sich erleben, bin ich zurückhaltend, etwas zu bewerten. Wichtiger ist mir die Bedeutung, die das Verhalten für den Betreffenden hat.
Aber natürlich gibt es Theorien, wie der richtige Trauerprozess abläuft:
- Trauer folgt einem bestimmten Muster.
- Die Erfahrung von Trauer ist endlich.
- Trauer läuft in Phasen ab.
- Lang anhaltende Trauer ist abnormal.
- Das „Durcharbeiten“ des Trauerprozesses ist notwendig.
Doch bergen solche Modelle die Gefahr, dass Menschen mit ihrer Trauerreaktion pathologisiert werden. Entweder, weil sie zu viel Emotion zeigen oder zu wenig. Zu lange trauern oder nicht lange genug.
Wann ist ein Verstorbener wirklich tot?
„Relativ bald werde ich sterben. Vielleicht in 20 Jahren, vielleicht morgen, das spielt keine Rolle. Wenn ich einmal tot bin und jeder, der mich kannte, auch stirbt, wird es sein, als hätte ich nie existiert. Welchen Unterschied hat mein Leben für irgendjemanden gemacht? Keinen, den ich mir vorstellen kann. Überhaupt keinen.“
(Aus dem Film „About Schmidt“ (2004)
Die meisten Klienten sind ambivalent, wenn sie Unterstützung suchen. Ein Teil leidet und will etwas daran ändern. Ein anderer Teil leidet auch, will aber nichts ändern, weil er den Aufwand scheut.
Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, als Coach möglichst eine neutrale Haltung einzunehmen, für die beide Alternativen in Ordnung sind. Favorisiert man die Position der Veränderung („Sie müssen unbedingt etwas ändern!“) bekommt man schnell viele Argumente, warum das nicht geht. Plädiert man für die Position des Nicht-Änderns („Aber Sie kommen doch irgendwie zurecht.“) bringt der Klient viele Gründe, warum es so nicht weitergehen kann. Diese Ambivalenz zeigte auch die Klientin.
„Eigentlich wollte ich gar nicht zu Ihnen kommen“, sagte Stefanie S.
„Und trotzdem sind Sie hier.“
„Ja, meine beste Freundin hat mich geschickt. Sie hat mir mit dem Ende unserer Freundschaft gedroht, wenn ich nicht mit Ihnen mal rede.“
Mit einem „Hmm“, kommentierte ich das seltsame Zustandekommen unseres Coachings.
„Wieso denken immer alle Menschen, dass ich ein Problem habe, nur weil ich jeden Tag meine Mutter auf dem Friedhof besuche? Denken Sie das auch?“, wandte sich die Klientin an mich.
„Schwer zu sagen, ob Sie ein Problem haben“, antwortete ich ausweichend.
„Viel interessanter finde ich die Frage, warum Sie das Grab Ihrer Mutter täglich besuchen.“
„Ich besuche nicht das Grab, ich besuche meine Mutter“, korrigierte mich die Klientin etwas spitz.
„Die dort begraben ist?“, forschte ich nach.
„Ihr Körper ist dort begraben aber ihre Seele ist lebendig. Das spüre ich jeden Tag.“
Damit ein Coaching gelingt, muss die Klientin Vertrauen zu mir fassen. Deswegen bemühe ich mich, alles, was von ihr kommt, erst einmal zu akzeptieren anstatt dagegen zu argumentieren. Ich nehme die Einstellung eines Völkerkundlers ein, der die Sitten und Gebräuche eines fremden Volkes zu verstehen sucht.
Dazu ist es wichtig, seine Meinungen, Kenntnisse und Bewertungen möglichst auf die Seite zu schieben und sich vorbehaltlos der Weltsicht und der Wahrnehmung der Klientin zu öffnen.
„Wie spüren oder erleben Sie das, dass dort am Grab Ihrer Mutter ihre Seele ist?“, wollte ich wissen.
„Ich spüre ihre Nähe, höre innerlich ihre warme Stimme, fühle mich glücklich, weil sie um mich herum ist.“
„Spüren Sie das auch zu Hause oder nur an ihrem Grab, dass da ihre Seele ist?“, wollte ich wissen.
„Zuhause habe ich einen kleinen Altar mit zwei Bildern von ihr, da spüre ich ihre Seele auch ganz deutlich. Da ist meine Mutter für mich ganz lebendig. Ich habe mal gelesen, jemand ist erst dann richtig tot, wenn er vergessen wurde.“
„Sie meinen, durch Ihre täglichen Besuche halten Sie Ihre Mutter am Leben?“ versuchte ich eine Deutung.
„Ja, ich glaube, so ist es.“
„Aber vielleicht halten Sie damit ja auch sich am Leben?“
Komplizierte Trauer: Wenn Abschiednehmen nicht gelingt.
Nicht immer läuft der Trauerprozess in den oben beschriebenen Phasen ab. Etwa zehn bis zwanzig Prozent der Hinterbliebenen „rutschen“ in eine komplizierte Trauer, die mal als chronische, gesteigerte Trauerreaktion beschreiben kann.
Queen Victoria, Regentin von Großbritannien und Irland, ging als „Witwe von Windsor“ in die Annalen ein. Als ihr Mann Albert im Alter von 42 Jahren starb, begann für die Königin eine Trauerzeit, die bis zu ihrem eigenen Tod vierzig Jahre später dauerte. Sie trug fortan Witwentracht, ließ Alberts Schlafzimmer in Windsor völlig unverändert und ordnete an, seine Bett- und Handtücher regelmäßig zu wechseln. Am Esstisch war stets für den Verstorbenen mitgedeckt.
Anzeichen für eine komplizierte Trauer sind meist:
- Alles ist auf den Verlust konzentriert.
- Die Erinnerung an den geliebten Menschen wird wachgehalten und belebt.
- Der Tod wird nicht akzeptiert, sondern „mystisch“ verklärt.
- Der Mensch lebt nicht im Hier und Jetzt, sondern nur im Damals.
- Sozialer Rückzug, Gefühle der Sinnlosigkeit, Reizbarkeit und Unruhe können auftreten.
- Andere Menschen werden gemieden.
- Schwierigkeiten, den gewohnten Alltag aufrechtzuerhalten, treten auf.
- Eine starke Sehnsucht nach dem Verstorbenen ist beobachtbar.
Es ist normal und menschlich, den Tod eines geliebten Menschen zu bedauern. Dabei spielt uns die Sehnsucht nach ihm oft einen Streich. Wir glauben, auf der Straße ihn von hinten am Gang zu erkennen. Das Handy klingelt und wir haben die verrückte Idee, dass er es ist. Beim Nachhausekommen hoffen wir, dass er wie immer in seinem Sessel sitzt.
Das Betrauern ist wichtig, weil es hilft, die starken Gefühle über den Verlust zu verarbeiten und zu integrieren. Mit der Zeit macht das Trauern frei, auch wenn das unterschiedlich lange dauern kann, weil es die sehnsüchtigen Reflexe reguliert, bis sie meist ganz verschwinden.
Betrachtet man das Verhalten von Stefanie S. diagnostisch, kann man es als komplizierte Trauer verstehen.
Charakteristisch dafür ist, dass die Trauernde zwischen den einzelnen Stadien der Trauer (siehe oben) hin- und herspringen. Gehirnscans zeigen, dass Menschen mit einer komplizierten Trauerreaktion den Verlust eines geliebten Menschen anders verarbeiten als „normal“ Trauernde. Die starke Sehnsucht nach dem verlorenen Menschen und das Nichtwahrhabenwollen seines Todes scheint sie daran zu hindern, den Trauerprozess gut zu verarbeiten.
Kompliziert Trauernde halten den Sehnsuchtsprozess durch ihre Gewohnheiten am Leben. So wie meine Klientin erinnern sie sich an die Vergangenheit und füllen ihr gegenwärtiges Leben mit Gewohnheiten, die mit dem Verstorbenen verbunden sind. Diese angenehmen Erinnerungen wirken auf das Belohnungszentrum im Gehirn und können regelrecht süchtig machen.
Ob jemand in eine komplizierte Trauer rutscht, hängt unter anderem von der Bindung zur Mutter in der frühen Kindheit ab. Wenn sie oder eine andere enge Bezugsperson nicht feinfühlig auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht, kann die Bindung unsicher werden. Das erhöhe die Gefahr für komplizierte Trauer, betont Hansjörg Znoj.
„Wie sieht ein normaler Tag bei Ihnen aus?“, fragte ich Stefanie S.
„Gleich nach dem Aufwachen spreche ich ein Gebet für sie, obwohl ich gar nicht so gläubig bin und auch nicht denke, dass meine Mutter im Himmel ist.“
Die Klientin lebte schon seit zwanzig Jahren vom Erbe ihrer Mutter und musste nicht arbeiten. Nach einer kurzen enttäuschenden Ehe hält sie sich von den Männern fern. Kinder hatte sie nie gewollt.
„Dann frühstücke ich mit meiner Mutter, so wie die letzten zwölf Jahre, als sie vor ihrem Tod zu mir zog. Ihr Stuhl mit Ihrer Lieblingsdecke, in dem sie immer saß, steht mir gegenüber. Es ist ein ganz vertrautes Gefühl, auf das ich mich jeden Morgen freue.“
Mir war ein wenig unheimlich, wie selbstverständlich Stefanie S. davon sprach, mit ihrer toten Mutter zu frühstücken. Das Ganze erinnerte mich daran, dass viele Kinder in bestimmten Situationen imaginäre Freunde haben.
Imaginäre Freunde sind wichtige Ressourcen in Notlagen.
Unsichtbare Freunde begleiten viele Kinder in bestimmten Zeiten ihres Lebens. Mal sind sie in Menschengestalt, mal Tiere oder Fabelwesen. Noch während meines Psychologiestudiums in den 80er-Jahren hielt man dieses Verhalten für eine Kompensation von mangelndem Kontakt zu anderen Kindern oder wertete es als erstes Anzeichen einer psychischen Störung.
Erst durch die Arbeiten von Marjorie Taylor wurde das Phänomen genauer untersucht. Experten schätzen, dass etwa ein Drittel aller Kinder einen Fantasiefreund hat – manchmal für längere Zeit, manchmal nur kurz. Diese Freunde können Tröster, Beschützer, Komplize und auch Sündenbock sein.
Die Psychologen Dorothy und Jerome Singer von der Yale University kamen in ihren Arbeiten sogar zu dem Schluss, dass ein unsichtbarer Freund ein Zeichen für ein kreatives Kind ist, das einen Weg gefunden hat, sich und seine Gefühle zu regulieren.
Könnte es sein, dass auch bei meiner Klientin ihre Mutter die Rolle so einer imaginären Freundin spielte? Da mir die Idee während der Coachingsitzung kam, wollte ich kurz darüber nachdenken und vereinbarte eine Pause von zehn Minuten mit Stefanie S.
So bestechend die Idee klang, verwarf ich sie aber gleich nach ein paar Minuten. Denn die Klientin war kein Kind mehr und die Phase mit ihrer Mutter dauerte ja nicht ein paar Monate, sondern schon zehn Jahre.
Kein Coaching ohne Auftrag.
Eigentlich wollte die Klientin gar nicht kommen, hatte sie zu Beginn verkündet. Auch hörte oder spürte ich keinen Leidensdruck von ihr. Sie war gekommen, weil sie sonst den Kontaktabbruch ihrer Freundin befürchtete. Doch zum Coachen braucht man immer einen Auftrag vom Klienten, sonst geht die Sache schief. Warum?
Sie kennen das selbst. Sie sitzen am PC und schreiben eine eMail. Jemand kommt herein und sagt: „Aber du musst doch nicht immer ‚Sehr geehrte Frau …‘ schreiben. Dafür gibt es doch Tastaturkürzel. Schau mal, das geht ganz einfach so …“ und will Ihre Tastatur übernehmen.
Warum ärgern sich jetzt die meisten Menschen? Der andere will Ihnen doch nur helfen, etwas schneller zu erledigen?
Weil es Hilfe ohne Auftrag ist. Weil der andere Ihnen einen Tipp geben will, ohne dass Sie danach gefragt haben. Selbst wenn es mit bester Absicht geschieht, reagieren Sie selten mit Dankbarkeit. Warum?
Weil der andere mit seinem unerbetenen Hilfsangebot die Augenhöhe mit Ihnen verlassen hat. Die andere Person geht davon aus, dass sie etwas besser weiß als Sie. Das mag sogar stimmen, aber Sie wollten keine Hilfe und empfinden das Hilfsangebot als Übergriff und Einmischung.
Schon Kinder reagieren darauf empfindlich. Ein Junge müht sich sichtlich ab, seine Jacke zuzuknöpfen. Sie springen hilfreich bei mit einem „Komm, ich helfe dir.“ Das Kind wehrt ärgerlich ab: „Nein, selber machen!“
Deshalb ist die Auftragsklärung ein wichtiger Bestandteil im Coachingprozess.
„Sie sagten vorhin, dass Sie eigentlich nicht dieses Coaching wollten. Andererseits unterhalten wir uns jetzt fast eine Stunde. Aber ich weiß immer noch nicht genau, was Sie hier eigentlich wollen“, sagte ich zu Stefanie S.
„Schwer zu sagen, ich weiß es nicht genau. Vielleicht hätte ich gern ein bißchen mehr Freiheit.“
„Freiheit wovon?“
„Na, ja. Seit zehn Jahren gehe ich jeden Tag zum Grab. Deswegen kann ich auch nicht in Urlaub fahren. Höchstens einen Tagesausflug mache ich, damit ich abends noch meine Mutter besuchen kann. Es ist fast wie ein Zwang.“
„Oder wie eine Sucht“, gab ich zu bedenken.
„Wieso eine Sucht?“ , fragte die Klientin irritiert.
„Sie schrieben im Vorbereitungsbogen, dass Ihre Mutter als Sie klein waren, oft weg war und sich wenig um sie kümmerte. Dagegen schildern Sie Ihr heutiges Leben mit Ihrer toten Mutter mit sehr positiven Empfindungen. Wenn Sie jetzt realisieren könnten, dass Ihre Mutter weg ist und nie mehr wiederkommt, weil sie schon lange tot ist, würde es Ihnen vermutlich sehr schlecht gehen. Wie einem Junkie, der keinen Stoff mehr hat.“
„Sie sind ja verrückt!“, reagierte die Klientin erregt.
Das Symptom ist die Lösung.
Dieser seltsame Satz ist der Kern meines Ansatzes im 3-h-Coaching. Er besagt, dass hartnäckige Probleme oft nicht Ausdruck von zu wenig Wissen oder mangelnden Fähigkeiten sind. Sondern das „symptomatische“ Verhalten – hier also Besuchen des Grabs der Mutter – der unbewusste Versuch ist, einen inneren Konflikt zu lösen.
Auf der einen Seite gibt Stefanie S. an, kein Problem zu haben. Dennoch hat sie mich aufgesucht und das Anliegen formuliert, etwas mehr Freiheit in ihrer Lebensgestaltung zu bekommen. Doch auf die naheliegende Idee, nur noch einmal pro Woche oder noch seltener das Grab zu besuchen, kam Stefanie S. bisher nicht. Warum?
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt die Hypothese, dass die Klientin mit ihren Friedhofsbesuchen und dem gemeinsamen Frühstück etwas nachholen wollte. Sie wollte die Nähe zu ihrer Mutter spüren, die sie als Kind nie hatte. Heute ging das, denn die Mutter konnte nicht mehr weglaufen. Wenn das Verhalten der Klientin auch ein Suchtverhalten war, um sich gute Gefühle mit ihrer Mutter nachträglich zu verschaffen, wurde klar, warum sie nicht einsehen konnte, dass ihre Mutter tot war.
Betrachtet man die Friedhofsbesuche als Versuch, einen inneren Konflikt zu lösen, also hier die früher entbehrte Liebe der Mutter nachzuholen, kann das weiter führen. Doch diese theoretischen Überlegungen würde der Klienten nicht helfen.
Veränderung passiert nicht durch Einsicht. Es braucht dazu eine starke emotionale Erfahrung zu dem Thema. Deshalb kreiere ich für meine Coachingklienten kleine Experimente in Achtsamkeit, bei denen er/sie den inneren Konflikt erleben können.
Ich bat Stefanie S., es sich bequem zu machen, achtsam zu werden und folgenden Satz laut auszusprechen:
„Liebe Mama,
du bist tot und ich lebe noch ein bisschen.“
Ein ersticktes Schluchzen war die Reaktion.
„Das kann ich nicht sagen“, sagte die Klientin, „damit stoße ich sie ja von mir weg!“
„Nein, mit dem Satz lassen Sie sie los. Mit dem Satz lösen Sie sich von ihr. Mit dem Satz werden Sie wieder frei.“
„Aber der Satz ist so traurig.“
„Und der Satz ist wahr – und das wissen Sie auch.“
„Aber ich hasse den Satz.“
„Das ändert nichts an dem, was er aussagt.“
„Das kann ich nicht akzeptieren. Nein, das will ich nicht akzeptieren.“
Die Klientin steckte fest. War gefangen in ihrem Engpass. Ihr Verstand wusste, dass Leugnen von Tatsachen nichts an den Tatsachen ändert. Aber mit ihren Gefühlen wünschte sie sich etwas anderes.
Wie kann man als Coach einem Klienten helfen, den Engpass zu verlassen?
Es ist wie bei einem Stau auf der Autobahn. Man muss dem Klienten Zeit lassen, sich an die für ihn erschreckende Wahrheit zu gewöhnen. Manchmal schlage ich dann vor, den Satz nicht auszusprechen, sondern nur zu denken. Mit der Zeit kann man dann versuchen, den Satz ganz leise zu flüstern, wie ein Geheimnis. Mit diesen „Verdünnungstechniken“ kann sich die Klientin der „Wahrheit“ schrittweise in ihrem Tempo nähern.
Aber mit Stefanie S. probierte ich etwas anderes. Ich versuchte es mit Humor und fragte sie:
„Kennen Sie eigentlich den Comic über das Sterben zwischen Charlie Brown von den Peanuts und seinem Hund Snoopy?“
„Ich kenne zwar die Comicfiguren aber nicht diesen Comic“, antwortete die Klientin.
„Okay, ich erzähle ihn Ihnen kurz“, fuhr ich fort. „Charlie Brown ist mal wieder ganz depressiv und murmelt vor sich hin:
»Eines Tages werden wir alle sterben.«
Darauf antwortet Snoopy:
»Das stimmt, eines Tages werden wir alle sterben – aber an all den anderen Tagen nicht.“
Ein halbes Jahr später etwa schrieb mir Stefanie S. eine Mail. Es ginge ihr gut und sie müsse fast jeden Tag an den Satz denken, den ich ihr gegeben habe. Dass ihre Mutter tot sei und sie noch ein bisschen lebe. Aber unmittelbar danach tauche in ihr das Bild von dem fröhlichen Snoopy auf mit seiner Erkenntnis, dass wir an allen anderen Tagen unseres Lebens nicht sterben.
Sie habe verstanden, dass sie all die Jahre mit einem Bein im Grab ihrer Mutter gestanden habe, um mit ihr irgendwie verbunden zu sein. An manchen Tagen heute habe sie keine Lust, auf den Friedhof zu gehen, dann hole sie ihre Mutter in ihr Herz.
All das wäre nicht leicht, aber sie erinnere sich, dass ich ihre Trauer eine Sucht genannt hätte. Sie habe sich mal das Rauchen abgewöhnt, das wäre auch kein einfacher Entzug gewesen. Und jetzt mache sie eben einen Trauerentzug.
Ich schrieb zurück, dass Ihr Herz ein viel besserer Platz für die Seele ihrer Mutter sei als das Grab. Und außerdem viel leichter zu erreichen.
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