„Delegieren traue ich mich einfach nicht. Ich bin gut in meinem Job aber ich kann nicht alles alleine machen. So kann es nicht weitergehen!“
Mit diesem Stoßseufzer betrat die 38jährige Führungskraft, Frau T., meinen Coachingraum. Jurastudium mit Auszeichnung, MBA Uni St. Gallen, jetzt Marketingdirektorin bei einem namhaften Lebensmittelhersteller. Eine 70-Stunden-Woche, ledig, keine Kinder, aber einen Hund, den meistens der Nachbar betreute.
Natürlich hatte sie die wichtigsten Bücher über „Richtiges Delegieren“ durchgearbeitet. Mit anderen Führungskräften aus einem Frauennetzwerk gesprochen. Sogar mit zwei Business-Coaches einige Stunden gearbeitet.
Doch heraus kamen immer nur dieselben „Diagnosen“ und Vermutungen:
- Eigentlich wolle sie doch alles lieber selber machen, weil sie zu perfektionistisch sei und es ihr niemand rechtmachen könne.
- Dass sie Delegieren als Schwäche interpretiere und gerade als weibliche Führungskraft meint, doppelt so gut sein zu müssen wie ihre männlichen Kollegen.
- Dass sie zu wenig vertraue. Einmal den Mitarbeitern, ob sie die Aufgabe wirklich bewältigen können. Und andererseits sich selbst, ob sie nicht dauernd den Mitarbeiter kontrollieren würde.
- Ob Sie es vielleicht genieße, dass sie anderen gern helfe und diese mit vielen Fragen immer wieder zu ihr kommen. Und sie damit ein privates Defizit an Kontakt ausgleiche.
Über alle diese Punkte hatte sie gründlich nachgedacht und auch einiges gefunden, was teilweise zutraf. Aber die klugen Analysen und die damit verbundenen Appelle (Pareto-Regel, Wer delegiert ist stark, etliche Vertrauens-Affirmationen usw.) hatten ihr nicht geholfen.
Eine Führungskraft aus einem früheren Unternehmen hatte mich mit den Worten empfohlen: „Der hat einen ganz anderen Ansatz als die üblichen Coaches.“
Mein ganz anderer Coaching-Ansatz.
Ich betrachte Verhaltensschwierigkeiten – wie hier das mangelnde Delegieren – nicht als Informations- oder Fähigkeitsproblem. Deshalb mache ich auch zu Beginn keinen MBTI-Test, erhebe kein REISS-Profil etc.
Stattdessen gehen wir erstmal eine Dreiviertelstunde spazieren. Denn nach teils langen Anfahrt im Zug oder Auto, die der Klient hinter sich hat, tut ein bißchen Bewegung gut. Außerdem spricht es sich beim nebeneinander Hergehen leichter, wenn man einem Fremden seine persönlichen Nöte und Sorgen erzählen will.
Auf dem Spaziergang frage ich danach, warum jemand zu mir kommt und wie bisher sein Leben verlief. Beruflich wie privat. Denn ich bin auf der Suche nach Lebensthemen des Klienten. Also Überzeugungen, Glaubenssystemen und Strategien, die sich jemand im Lauf des Lebens durch seine Erfahrungen angeeignet hat.
Natürlich sind ihm die in der Regel nicht bewusst.
[bctt tweet=“Der Fisch ist der Letzte, der das Wasser entdeckt. Für das, was uns täglich umgibt, sind wir blind. Coaching klärt diesen blinden Flecken.“ username=“RKoppWichmann“]Deshalb höre ich genau zu, frage viel nach – auch nach Familienregeln – und bilde Hypothesen, welcher innere Konflikt, welches Lebensthema zu dem mitgebrachten Anliegen passen könnte.
Die Marketingleiterin erzählte: „Meine Eltern hatten einen großen Bauernhof in Ostpreußen. Zusammen mit meinen beiden älteren Brüdern kamen wir 1944 hierher und fanden in einem bayerischen Dorf eine Bleibe bei einem Bauern. Dort haben sich meine Eltern durch ihre tatkräftige Hilfe mit den Jahren unentbehrlich gemacht. Auch wir Kinder mussten in den Ferien immer mithelfen. Als der Bauer durch einen Unfall mit dem Traktor starb, vermachte die kinderlose Bäuerin meinen Eltern den Hof.“
Wo man geboren wird und aufwächst, hat großen Einfluss auf die inneren Einstellungen und Glaubenssysteme.
So ist zum Beispiel auf dem Land oder einer Kleinstadt die soziale Kontrolle meist höher. Was bedeutet, dass ein Kind dort von klein auf öfter den Satz hört: „Was sollen denn die Leute denken!“ So kann sich schnell ein entsprechender Antreiber entwickeln.
Menschen mit einem „Mach’s allen recht!“ Antreiber fühlen sich dafür verantwortlich, dass andere sich wohl fühlen, fantasieren jedoch häufig nur, was sich der Andere eigentlich wünscht. Sie stellen ihre Bedürfnisse hinten an, richten sich danach, was andere erwarten und kommen dabei oft selbst zu kurz.
Sie möchten beliebt sein und haben nicht gelernt, „Nein!“ zu sagen. Gleichzeitig erwarten sie auch von anderen, dass sie Rücksicht auf sie nehmen, ohne dass sie aber ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche klar und deutlich aussprechen. So wirken sie manchmal unsicher. Kennzeichnend für diesen Antreibertyp sind die klaglose Übernahme von Verantwortung und Aufopferung für andere. Weitere Kennzeichen sind Verbindlichkeit, Bescheidenheit, Loyalität und Selbstlosigkeit.
„Wie wurde denn Ihre Familie auf dem Dorf aufgenommen?“ wollte ich von Frau T. wissen.
„Ziemlich reserviert, von einigen auch versteckt feindselig und neidisch,“ antwortete sie. „Vor allem als der Hof durch den unermüdlichen Einsatz der Familie prosperierte. Der Bauer konnte Felder dazu kaufen und erhöhte den Bestand an Kühen. Sogar ein Hofladen wurde eröffnet. Das war ja auch der Grund, warum meine Eltern dann den Hof nach dem Tod des Vaters vererbt bekamen.“
Ich frage immer auch nach den Beziehungen der Familie untereinander, nach Großeltern und wie es den Geschwistern heute geht. Über die beiden Brüder berichtete sie, dass der Ältere auf dem Hof geblieben war, sich dort mit der Arbeit aber nicht so wohl fühlt. Der jüngere Bruder „wollte auf keinen Fall Bauer werden“. Er machte eine Tischlerlehre, überwarf sich aber mit dem Meister, was sich auch in zwei anderen Betrieben wiederholte. Er lebe heute in Berlin und jobbe in einem Restaurant.
Solche Informationen sind für mich sehr wichtig. Denn in den ersten zehn bis zwölf Jahren bilden sich unsere „Landkarten“. Also unsere Überzeugungen über die Welt, das Leben, die Menschen und über uns selbst. Diese Landkarten gehen zum Beispiel darum:
- Was für ein Ort ist diese Welt? (Sicher, unsicher, gefährlich, langweilig, spannend …)
- Worauf kommt es an im Leben? (Dass man kämpft, sich einordnet, seinen Spaß hat …)
- Wie ist das mit den Menschen? (Kann man vertrauen, einige lieben oder ist man allein …)
- Und wie bin ich selbst? (Was kann ich gut, was habe ich für ein Wesen, wie soll ich sein?)
Angeblich soll das zweite Wort, das ein Baby bei uns lernt, „Auto“ sein. In einem tibetischen Dorf ist das bestimmt anders. Das heißt, diese inneren Landkarten entstehen aus dem, was man täglich beobachtet und erlebt.
- Wer hat das Sagen?
- Wie kann man streiten?
- Wofür wird Geld ausgegeben, wofür nicht?
- Worauf kommt es im Leben an? Was passiert, wenn jemand sich ärgert, gekränkt oder verletzt ist?
- Was sind häufige Sprüche, die jemand sagt?
- Wie zufrieden sind die Eltern mit ihrem Leben? Welche Werte leben sie?
Als ich Frau T. zu Ihrem Vater befragte, sagte sie: „Er hat es nie verwunden, dass sie aus ihrer Heimat Ostpreußen vertrieben wurden und hier als Fremde ankamen und nie richtig akzeptiert wurden. Mein Vater war immer hilfsbereit, sogar Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr und er machte jedes Jahr ein Erntedankfest auf dem Hof und lud das halbe Dorf ein.“
An so einem Abend fand ich ihn mal ganz traurig am abgeräumten Tisch sitzen und erkundigte mich, was los sei.
»Wir gehören hier nicht her. Sie trinken mein Bier und essen meine Wurst, aber die Einheimischen sitzen beieinander und schneiden mich. Wir gehören hier nicht her, und das wird sie auch nie ändern.«
Wenn Lebensthemen übernommen werden.
Wir können nicht neutral leben. In jedem Moment, wo wir wach sind, müssen wir handeln und Entscheidungen treffen. Und das tun wir aufgrund von Gewohnheiten, die sich bewährt haben oder die wir für wahr halten.
Ob wir das Leben als einen Kampf erleben, als ein Spiel begreifen oder es eine Schule betrachten, in der es immer etwas zu lernen gibt, ist keine philosophische Frage. Sondern eine ganz praktische, die unsere Wahrnehmung, unsere Einstellung und vor allem unser Verhalten maßgeblich bestimmt.
Zum Beispiel, wenn Ihnen jemand die Vorfahrt nimmt. Oder Sie auf die falsche Aktie gesetzt haben. Sie eine schwere Krankheit bekommen. Was bedeutet das jetzt? Wie reagieren Sie? Ist das Leben Kampf, Spiel oder Schule?
Lebensthemen sind Überzeugungen und Einstellungen, die wir nicht hinterfragen, weil wir sie für wahr halten. Und oft haben wir sie von unseren Eltern übernommen oder das Kind in uns hat in Notsituation entschieden, dass es so und so ist.
Ich fragte Frau T, seit wann sie in der Firma sei und wie es ihr dort ginge.
„Mein Chef hatte mich vor zwölf Jahren auf einer Messe bei einem Vortrag kennengelernt und mich als Marketingleiterin eingestellt. Das gab am Anfang etwas böses Blut, weil zwei andere Mitarbeiter sich Hoffnungen gemacht hatten, diese Position zu bekommen. Mittlerweile ist die Stimmung in der Abteilung aber ganz gut. Probleme gibt es immer mal wieder.“
„Fühlen Sie sich denn zugehörig zu Ihrer Abteilung?“ wollte ich wissen.
Als ihr Tränen in die Augen schossen, wusste ich, dass ich auf der richtigen Spur war.
„Nicht wirklich,“ antwortete sie mit zitternder Stimme. „Formal schon, ich werde auch respektiert. Aber wirklich dazugehören – nein, das tue ich nicht.“
„Fällt Ihnen was ein dazu?“ fragte ich sie.
Als sie verneinte, sagte ich: „Es erinnert mich daran, was Ihr Vater damals sagte: »Wir gehören hier nicht her – und das wird sie auch nie ändern.« Ich glaube, Ihre Schwierigkeiten zu delegieren, hängen damit zusammen, dass Sie sich gar nicht als Abteilungsleiterin fühlen.“
Die Hypothesen über den wesentlichen inneren Konflikt teste ich immer mit dem Klienten. Das geht so, dass ich den passenden Satz die Klientin sagen lasse. Dazu ist Achtsamkeit notwendig, im Alltagsbewusstsein funktioniert es nicht.
Ich bat sie, nachdem sie die Augen geschlossen hatte und achtsam wurde, den Satz zu sagen: „Ich bin hier die Chefin.“
Die Reaktion war wie von mir erwartet: Frau T. schüttelte den Kopf und lachte belustigt auf. Außerdem hatte sie noch den Gedanken beobachtet: „Das bin ich nie und nimmer.“
Wirksames Coaching muss immer den Engpass aufspüren.
Darüber habe ich hier auf dem Blog geschrieben. Denn Einsicht allein hilft nicht. Dass Delegieren notwendig ist und Sie als Vorgesetzte Arbeiten abgeben kann, wusste Frau T. natürlich. Interessant wird es immer dann, wenn ein Klient sagt: „Ich weiß, dass ich das und das tun müsste – aber ich kann es nicht.“
Dann steckt fast immer ein innerer Konflikt dahinter, den es zu identifizieren und bearbeiten gilt. Das ist nicht leicht, denn diese lebensprägenden Konflikte sind unbewusst. Der Klient kann sie uns nicht berichten, aber dem erfahrenen Coach verrät er sie durch Sprache, Mimik und Verhaltensmuster.
Im weiteren erarbeiteten wir dann noch einen Satz, der zuerst auch auf inneren Widerstand traf, aber in der emotionalen Wirkung für Frau T. noch „unglaubwürdiger“ war. Der Satz lautete: „Ich gehöre hierher!“
Mit dieser „neuen“ Information konnte sie schon am nächsten Tag erfolgreich einige leichtere Aufgaben delegieren. In den folgenden Wochen erinnerte sie sich immer wieder an den Satz und sprach ihn für sich aus, wenn sie überlegte, ob sie etwas delegieren sollte oder besser nicht.
Nur durch eine 3-h-Sitzung eine solche Veränderungsschub erreicht zu haben, zeigt, wie wichtig es ist, im Coaching nicht an der Oberfläche zu bleiben, wo man Tipps und Ratschläge gibt.
Erst das gefühlsmäßige Erleben des inneren Konflikts zeigt dem Klienten, warum sein bis dato „unsinniges“ Verhalten (nicht delegieren können) aus der Perspektive der Lebensthemen sehr wohl Sinn macht. Und auch auf diesem Weg aufzulösen ist.
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PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.
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