„Habe ich mit 35 schon eine Midlife crisis?, fragte die Frau im Coaching.

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Irgendwann im Leben fragt sich jeder von uns: Worin liegt eigentlich der Sinn meines Lebens? Was habe ich erreicht, welche Ziele verfolge ich und wie werde ich glücklich? Wenn ab dem 30. Lebensjahr die Antworten darauf einen unzufrieden machen, kann man schnell in eine Midlife crisis kommen. Statistisch geschieht das am häufigsten bei Männern ab vierzig. Doch Frauen erleben das oft schon früher. Woran Sie das erkennen und was eine Gans in der Flasche damit zu tun hat, lesen und hören Sie in meinem neuen Fallbericht.

„Sie sind ja über siebzig Jahre. Hatten Sie auch schon einmal eine Midlife crisis?“ wollte die Frau im Online-Coaching wissen.
„Ja, sogar mehrmals in meinem Leben. Gott sei Dank!“ antwortete ich.
„Sie scheinen darüber eher erfreut zu sein?“, konstatierte erstaunt meine neue Klientin, Stephanie L., 35 Jahre, Redakteurin bei einer Frauenzeitschrift.
„Na ja, im Nachhinein bin ich erfreut, denn Krisen zeigen einem immer, dass es etwas zu korrigieren gibt im Leben. Aber wenn man mittendrin steckt, ist es nicht so erfreulich.“

Sollten Therapeuten oder Coaches auf solche persönliche Fragen antworten? Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Analytisch geprägte Behandler tendieren dazu, möglichst wenig persönlichen Kontakt zuzulassen. Sie beachten die Abstinenzregel mehr oder weniger strikt.

In einem analytischen Setting macht das viel Sinn. Ich erinnere mich, dass ich mal meine Analytikerin nach den Sommerferien fragte, wo sie in Urlaub gewesen sei. Statt einer Antwort fragte sie: „Was denken Sie?“. Das ärgerte mich zuerst, aber dann ließ ich meinen Phantasien freien Lauf, denn es hat natürlich mit mir zu tun, ob ich glaube, dass sie im Urlaub eine Schwarzwaldwanderung machte oder zwei Wochen in einem Luxushotel verbracht hatte.

Ich handhabe persönliches Fragen von Coachees je nach Situation. Denn in meinem 3-h-Coaching will ich keine Störungen auf der Beziehungsebene auslösen, indem ich eine Antwort auf eine Frage verweigere. Ohnehin ist es besser, wenn der Coach der Fragende ist und nicht der Coachee.

„Wir kommen Sie darauf, dass Sie eine Midlife crisis haben könnten?“, fragte ich.
„Ich stelle mir unheimlich viele Fragen, grübele herum, suche im Internet nach Antworten, komme aber nicht weiter.“
„Haben Sie mal mit Ihren Freundinnen darüber gesprochen?
„In meinem Freundeskreis gibt es mehrere Frauen zwischen dreißig und vierzig. Die haben entweder total viel im Job zu tun oder haben Kinder und sind dementsprechend stark eingespannt. Wenn ich mit denen rede, dass ich vieles in meinem Leben hinterfrage, verstehen die mich gar nicht.“
„Die haben vermutlich keine Zeit für solche Fragen“,
vermute ich.
„Kann schon sein, aber das sind doch wichtige Fragen“, entgegnete Stephanie L.
„Wenn es Sie so beschäftigt bestimmt. Was sind das denn für Fragen, die Sie umtreiben?“

Fragen sind das das wichtigste Werkzeug im Coaching, denn sie helfen, den Denkstil, die Hypothesen über die Probleme der Klienten und ihre Gefühle näher kennenzulernen. Den Klienten ermöglicht es, zu reflektieren, eine neue Perspektive einzunehmen und sich über die eigenen Ziele klarer zu werden.

„Ich denke ständig darüber nach, welche Fehler ich möglicherweise in der Vergangenheit gemacht hat. War es richtig, meinem Mann nach Hamburg zu folgen, obwohl ich aus Süddeutschland stamme? Mich beschäftigt, ob ich Kinder will oder nicht und ob wir uns hier eine Wohnung kaufen sollten? Solche Fragen und was jeweils die Folgen wären bei jeder Entscheidung. Ich denke auch, dass ich längst beruflich, finanziell und persönlich weiter sein sollte.“

„Das heißt, Sie hadern viel mit sich und mit Ihren bisherigen Entscheidungen“, forschte ich nach.
„Ja, das trifft es. Ich hadere. Und gleichzeitig macht mich das unsicher in Bezug auf jetzige oder künftige Entscheidungen. Mir wird klar, dass ich nicht mehr die lebensfrohe, positiv denkende Frau von Mitte zwanzig bin, die vor keiner Herausforderung zurückschreckte. Mit jeder Entscheidung wird mein Leben enger. Ich kann nicht nochmal dreimal den Beruf wechseln. Wenn ich ein Kind will oder eigentlich zwei, bin ich bis zu meinem Lebensende Mutter.“

Jetzt wurde mir der Zwiespalt von Stephanie L. deutlicher.
„Sie hadern auch mit der Eigenschaft von Entscheidungen, dass wenn man A gewählt hat, nicht auch noch B und C und D haben kann.“

Im Coaching ist es wichtig, mit den Gefühlen des Klienten in Kontakt zu kommen. Und gleichzeitig ist es hilfreich, die eigenen Gefühle, die die Klientin in einem auslösen, wahrzunehmen und zu bewerten.

Im Kontakt mit Stephanie L. nach einer halben Stunde Kontakt merkte ich, das mein innerer Elternteil sich aufgerufen fühlte. Ich spürte den Impuls, ihr zu erklären, dass man sich im Leben immer entscheiden muss. Und dass dabei die anderen Optionen erstmal nicht mehr zur Wahl stehen. Und dass man sich aber auch nicht nicht entscheiden kann. Denn wenn ich nicht eine Option wähle, entscheide ich mich zwangsläufig für den Status quo.

Ich überlegte, warum ich plötzlich innerlich in so eine Elternrolle schlüpfte und kam zu dem Schluß, dass ich wohl auf einen kindlichen Anteil in der Klientin reagierte. Ich entschloss mich, durch eine intelligente Frage Stephanie L. wieder in den Erwachsenenmodus zu holen.

„Was ist denn gut am Hadern?“, fragte ich etwas provokant.
„Daran ist überhaupt nichts gut“, war die sofortige Antwort, die ich auch so erwartet hatte.
„Wenn Ihnen das Hadern nichts bringt, dann könnten Sie ja auch sofort damit aufhören, denn es macht Ihnen ja keine guten Gefühle“, schlug ich vor.
„Stimmt eigentlich. Ich muss nachdenken. Also, wenn ich hadere, macht mich das vorsichtig, neue Entscheidungen zu treffen.“
„Clevere Strategie!“

„Wie sehen Sie denn Ihre bisherigen Entscheidungen im Berufs- und Privatleben“, forschte ich nach.
„Ich habe das Gefühl, einen großen Teil meines Lebens vergeudet zu haben und dass ich diese Zeit nie wieder zurückbekommen.
Manchmal befürchte ich, dass viele der Entscheidungen, die ich in den letzten Jahren getroffen habe, eine völlige Verschwendung meiner Lebenszeit waren. Vielleicht wäre mein Leben ganz anders verlaufen, wenn ich nur einen anderen Weg eingeschlagen hätte … das ist der schlimmste Gedanke, der sich in meinem Kopf wie in einer Dauerschleife abspielt. Aber jetzt ist es zu spät und ich kann die vergeudete Zeit nicht mehr zurückholen.“

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In meinen 3-h-Coachings geht es vor allem darum, unbewusste Konflikte, die zu Denk- und Verhaltensweisen führen, die für die Klienten ungünstig sind, zu erkennen. „Ungünstig“ ist meine wertfreie Beschreibung eines wiederholten Tuns der Klientin, das sie selbst eher verurteilt:

„Ich weiß, dass das bescheuert ist, über verschüttete Milch zu jammern. Niemand kann die Zeit, die vergangen ist, zurückholen. Und trotzdem verliere ich mich manchmal stundenlang in Phantasien, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich statt Marketing vielleicht Medizin studiert hätte. Oder wenn ich meinem Freund nicht nachgezogen wäre, sondern wir beide in eine andere Stadt gezogen wären.  Oder ich mich damals für einen anderen Mann entschieden hätte. Deswegen tue ich mir ja so schwer, neue Entscheidungen zu fällen, weil ich nicht weiß, ob ich sie hinterher nicht genauso bereue.“

 

Ein einziges Wort verrät den inneren Konflikt.

Ich versuche im Coaching, den unbewussten Konflikte zu identifizieren und zu benennen. Die Klientin hält ihr Tun zwar für „bescheuert“, fühlt sich aber außerstande, sich anders zu verhalten. Dafür muss es einen guten Grund geben.

„Das klingt so, als könnte jede Entscheidung, die Sie treffen, die falsche sein“, wunderte ich mich laut.
„Prinzipiell ist es ja auch so. Und das Schlimme dabei ist, manche Entscheidungen sind unumkehrbar oder ziemlich schwer zu ändern. Wenn ich mich für ein Kind entscheide, lege ich mich für die nächsten zwanzig Jahre fest. Wenn ich einen Beruf wähle, selbst wenn mit die Arbeit gefällt, muss ich das dann für immer machen. Ich bin darin gefangen.

Der Engpass der Klientin wurde mir nun deutlich. Eine Entscheidung erlebte sie nicht als einen Weg der Wunscherfüllung, sondern als Falle mit dem Druck, damit „für immer“ leben zu müssen. Woher hatte sie diese Einstellung?

„Mich würde noch etwas interessieren, Frau L. Wenn Sie mit Freunden in einem Restaurant essen gehen, wie wählen Sie von der Speisekarte aus, was Sie essen wollen?“
„Na, ich spüre nach, worauf ich Lust habe und bestelle mir das“,
gab die Klientin verwundert zurück.
„Also, Sie haben dann nicht nach der Bestellung das Gefühl, dass Sie das jetzt auch essen müssen, was Sie bestellt haben?“
„Nein, ich freue mich darauf.“
„Und Sie schauen auch nicht auf die Teller der anderen und denken, dass Sie besser das bestellt hätten?“
„Nein, ich weiß ja, was ich wollte und habe es bekommen. Aber warum fragen Sie das?“
wollte Stephanie L. wissen.
„Weil Sie in diesen Situationen Ihrem Gefühl folgen und dann ist das Entscheiden für Sie ganz leicht. Und auch ganz ohne Hadern.“
„Ach so“
, die Klientin wurde nachdenklich.
„Ja aber, da geht es ja um verhältnismäßig unwichtige Entscheidungen. Wenn ich mal die falsche Pizza bestelle, ist das ja trotzdem kein Weltuntergang.“

Als Coach achte ich auf gefühlsmäßige Indikatoren beim Klienten, die auf unbewusste Konflikte hindeuten könnten. Das kann eine bestimmte Geste sein, ein besonderer Tonfall oder wie in diesem Fall eine spezifische Wortwahl, die mir auffällt. Hier frage ich dann die Klientin, was ihr dazu einfällt. Das klappt am besten mit Menschen, die nicht zu sehr verstandesmäßig funktionieren, denn die antworten meistens mit „Dazu fält mir nichts ein!“ Zum Glück hatte Stephanie L. aufgrund ihrer ausgeprägten Phantasie, was alles passieren könnte, einen guten Zugang zu ihren Gefühlen.

„Was ich verstehe, ist, dass kleine Entscheidungen dazu beitragen können, dass man das Gewünschte bekommt und sich darüber freut. Und andere Entscheidungen können einem Weltuntergang gleichkommen“, fasste ich die letzte Gesprächssequenz zusammen. „Was fällt Ihnen denn zu Weltuntergang ein?“

Stephanie wurde plötzlich ganz bleich und sagte erschrocken: „Meine Mutter fällt mir da ein. Ich wollte mal wissen, ob ich ein Wunschkind gewesen sei. Da war ich zehn Jahre alt. Und unter Tränen gestand sie mir, wie geschockt sie über den positiven Schwangerschaftstest war, denn sie war damals erst siebzehn. Das sei wie ein Weltuntergang für Sie gewesen, zumal sie wusste, dass einer Abtreibung ihre religiösen Eltern niemals zustimmen würden. Alle ihre Träume vom Leben hätten sich in einer Sekunde auf die andere in Luft aufgelöst.“

Stephanie L. kämpfte eine Weile mit den Tränen, bis sie in ein heftiges Schluchzen verfiel. Als Sie sich etwas beruhigt hatte, sagte ich:

„Jetzt wissen wir wohl, woher Ihre Angst vor Entscheidungen kommt. Dass sie Ihnen unumkehrbar vorkommen und sie einem Weltuntergang gleichkommen können.“
„Es geht noch weiter“, sagte die Klientin dann, „für meinen Vater ging auch eine Welt unter. Er war damals zwanzig Jahre, hatte gerade mit dem Kunststudium begonnen und musste auf Druck beider Eltern das Studium aufgeben und bekam einen Job als Montagehelfer in den FORD-Werken. Nach sieben Jahren trennten sie sich. Meine Mutter musste arbeiten gehen und mein Vater bedauert heute noch, dass er kein Künstler werden durfte.“

„Das scheint tief in Ihnen drinzustecken, diese Erfahrung Ihrer Eltern. Dass entscheiden gefährlich sein kann. Was geht Ihnen denn durch den Kopf, wenn Sie heute über verschiedene Möglichkeiten in Ihrem Leben nachdenken.
Welche Gedanken speziell lösen Ihre Ängste vor einer Entscheidung aus?“

Im Coaching unterscheide ich normale Fragen und intelligente Fragen. Auf normale Fragen kann die Klientin sofort eine Antwort geben. Die Antwort, die wie ein Textbaustein schon x-mal benutzt, gedacht oder gesagt wurde. Solche Antworten sind wenig hilfreich. gute Frage!“. Und dann müssen sie erst mal nach der Antwort suchen.

Stephanie L. dachte eine Weile über meine Frage nach und sagte dann:
„Es sind vor allem zwei Fragen, die dann schnell in mir auftauchen. »Hast du dir das gut überlegt?« und »Woher willst wissen, dass das die richtige Entscheidung ist?«
Ich schwieg und wartete.
Nach einer Weile sagte die Klientin: „Und die beiden Sätze habe ich früher oft von meiner Mutter gehört. Zum Beispiel als ich mit Volleyball anfangen wollte oder mit fünfundzwanzig als Au Pair nach England wollte.“
„Und was ist aus Ihren Plänen geworden?“, fragte ich nach.
„Da ich darauf keine wirklich befriedigende Antwort geben konnte, habe ich beides sausen lassen.“
„Sie haben sich das Wünschen ja richtig abtrainiert“,
schloß ich.

Warum habe ich diese Midlife crisis?

In meinen Coachings geht es einerseits darum, den unbewussten Konflikt aufzuspüren, der mit dem heutigen Problem zusammenhängt. Aber das ist nur der erste Schritt. Genauso wichtig ist es herauszufinden, wie die Klientin – meist unbewusst – dazu beiträgt, dass der Konflikt auch heute noch in ihr aktiv ist.

Meist hat das mit nicht geglückten Ablösungsthemen zu tun. In dem Buch „Holes in Roles“ beschreibt Albert Pesso, den ich selbst auf einem Workshop in den 80er Jahren erleben durfte, dass ein Kind lebenslang versuchen wird, seine defizitären Eltern zu beeltern, um sie so zu den erwachsenen Eltern reifen zu lassen, die es als Kind so dringend gebraucht hätte.

Kinder haben die angeborene Anlage, jede von den Eltern benötigte Rolle für diese zu übernehmen, selbst wenn sie in bestimmten Stadien ihres Lebens noch nicht reif genug sind, solche erwachsenen Aufgaben zu übernehmen. Diese aus Mitgefühl und Loyalität übernommene Aufgabe entzieht dem Kind aber Energie, die es für sein eigenes Leben bräuchte.

Um diese theoretischen Überlegungen für die Klientin erlebbar zu machen, verwende ich Experimente in Achtsamkeit. Dabei können Menschen beobachten, wie sie wichtige Informationen „verzerrt“ wahrnehmen und so ihren inneren Konflikt aufspüren.

Ich bat Stephanie L., es sich bequem zu machen und folgenden Satz zu sagen:

„Mein Leben gehört mir.“

Die Klientin hatte schon etwas Erfahrung mit Achtsamkeit und konnte deshalb ihre spontanen inneren Reaktionen auf den Satz gut wahrnehmen.

„Mein Magen zieht sich zusammen und ich bekomme Schuldgefühle“, schilderte sie ihre Reaktion.
„Aha, interessant“, bemerkte ich, denn ich hatte so eine ähnliche Reaktion erwartet.
„Inwiefern Schuldgefühle? Wem gegenüber?“

Auf diese Frage reagiert Stephanie L. nicht gleich, sondern wartete, welche Antwort aus ihrem Inneren emporstieg.

„Ich muss an meine beiden Eltern denken und wie durch meine Geburt ihrer beider Lebenspläne von einem Tag auf den anderen zerstört wurden. Da kommt mir der Satz, dass mein Leben mir gehört, so vor, als würde ich sie wegstoßen und über sie triumphieren.“

 

Erkennen, wie man sich blind macht.

Wir waren an einer entscheidenden Stelle, wo deutlich werden wurde, wie die Überzeugung des „begabtenKindes“, die Eltern unterstützen und retten zu müssen, dazu führte, dass Stephanie L. viele wichtigen Entscheidungen, die ihr eigenes Leben betragen, aufschob oder verweigerte. Diese Verstrickung galt es aufzulösen, deshalb sagte ich zu ihr:

„Wenn Sie sich mal vorstellen, Sie würden diesen Satz »Mein Leben gehört mir« zu Ihren Eltern sagen. Wie würden die darauf reagieren?“

Die Klientin musste nicht lange überlegen. „Sie würden mir beipflichten und sagen: Ja natürlich gehört Dein Leben Dir, wem sonst? Und mach was daraus!“ würde mein Vater noch sagen.

„Aha, interessant!“ sagte ich darauf. „Das heißt ja, Ihr Konflikt, dass Sie glauben, dass Ihr Leben nicht Ihnen gehört, ist nicht zwischen Ihnen und Ihren Eltern. Die haben damit kein Problem, wenn Sie Ihr Leben leben.“

In meinen Coachings wollen wir genau diesen wesentlichen Unterschied zwischen äußerer und innerer Realität die Klientin erleben lassen. Natürlich weiß die Klientin verstandesmäßig, dass ihr ihr Leben gehört. Aber mit dem in Achtsamkeit gesagten Satz erfuhr sie, dass sie emotional noch an ihre Eltern gebunden ist. Und zwar auf eine ungute Weise.

„Wir probieren noch mal etwas“,
„Ich bitte Sie, nochmal achtsam zu werden, den Satz »Mein Leben gehört mir« zu sagen und sich dabei vorzustellen, dass Ihre Eltern dabei Sie ganz freundlich anschauen. Meinen Sie, dass das geht?“
„Ich versuche es.“

Nachdem Sie das zweite Experiment durchgeführt hatte, berichtete sie:
„Es war schwer. Ich konnte den Satz nur ganz leise sagen. Als wäre er eine Sünde. Aber als meine Eltern weiter mich freundlich anschauten, ging es etwas besser.“

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„Und hat das jetzt etwas mit einer midlife crisis zu tun? Und wenn ja, wie komme ich da wieder heraus?“, fragte Stephanie L.

„Ich denke schon, denn Sie versuchen ja bisher, wichtige Lebensentscheidungen, die jetzt anstehen, aufzuschieben. Kind, Wohnung und so weiter. Stattdessen beschäftigen Sie sich mit der Vergangenheit und hadern mit den Entscheidungen von damals. So geben Sie Ihr Leben weg. Ganz damit beschäftigt, nur keinen erneuten Weltuntergang auszulösen.“

Die Klientin nickte unmerklich und sagte:
„Ich beginne langsam zu verstehen.  Aber wie kriege ich das Gefühl weg, dass mein Leben nicht mir gehört?“

Statt einer Antwort erzählte ich ihr noch die Geschichte von der Gans in der Flasche, einem alten Zen-Koan, die ich zuerst bei Bhagwan (Osho) gehört hatte, dem ich in den 70er Jahren einige Zeit folgte.

Ein Schüler bat einmal den Zen-Meister, ihm das alte Koan von der Gans ist in der Flasche zu erklären. Das tat dieser: „Eine kleine Gans wird ein eine Flasche gesteckt und darin gefüttert und gemästet. Die Gans wird immer größer und größer und füllt bald die ganze Flasche aus. Jetzt ist sie zu groß, sie passt nicht mehr durch den Flaschenhals. Der Flaschenhals ist zu eng.
Wie kannst du die Gans aus der Flasche rausholen, ohne die Flasche kaputtzumachen und ohne die Gans zu töten?“

In der Zen-Geschichte wird das Rätsel so aufgelöst: Tagein, tagaus meditiert der Schüler angestrengt. Aber so sehr er die eine oder andere Möglichkeit abwägt, er findet keinen Weg. Das Rätsel ist auf normalem Weg nicht zu lösen. Er ist müde und völlig erschöpft.

Da kommt ihm plötzlich die Offenbarung. Plötzlich versteht er, dass es dem Meister gar nicht um die Flasche oder die Gans gehen kann. Er muss etwas anderes meinen.

Die Flasche ist der Verstand und du bist die Gans. Und wenn du dich nur mit dem Verstand identifizierst, fängst du an zu glauben, dass du drinsteckst. So wie die Gans in der Flasche.

Er rennt zum Meister, um zu sagen, dass die Gans raus ist. Und der Meister sagt: “Du hast es begriffen. Jetzt lass sie draußen! Sie war nie drin!“

Da meine Klientin nicht gleich dieselbe Offenbarung erlebte, schaute sie ziemlich verwirrt gegen Ende des Coachings drein.


 

Nach acht Wochen bekam ich eine Mail. Die blöde Geschichte von der Gans habe sie nicht losgelassen. Sie hätte einige Bücher über Zen gelesen, um einen klareren Hinweis auf ihr Problem zu bekommen. Aber vergeblich. Aber eines Morgens, als sie in der Schlange beim Bäcker stand, wäre es ihr plötzlich klar geworden. Die Gans war ihr Leben, von dem sie bis jetzt geglaubt hatte, es wäre in der Flasche eingeschlossen. Aber ob und wann ihr Leben ihr gehöre, entscheide sie ja selbst!

Ich schrieb zurück: „Eine kluge Gans!“

 


 

Hier lesen Sie weitere Fallberichte aus meiner Coaching-Praxis:

Business-Coachings

Life-Coachings

PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.


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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.