Erfahren Sie, wie Sie mit einer Depression in der Beziehung umgehen können:
- Wenn Mitgefühl zur Falle wird.
- Wie Depression anstecken kann.
- Betrachten Sie die Depression als den schwarzen Hund.
- Warum wohlwollende Beharrlichkeit besser ist als Schonung.
Ralph, 35 Jahre, Verkäufer in einem großen Autohaus. kommt über eine Empfehlung in mein 3-h-Coaching. Er wirkt angespannt und belastet.
„Ehrlich gesagt, ich bin am Ende meiner Kräfte. Meine Partnerin leidet seit etwa zwei Jahren an einer Depression. Anfangs dachte ich, das sei nur eine vorübergehende Phase, aber es wurde immer schlimmer. Sie liegt oft den ganzen Tag im Bett, zeigt kaum Interesse an gemeinsamen Aktivitäten und wirkt manchmal, als wäre sie innerlich völlig leer. Ich versuche alles, um sie zu unterstützen. Übernehme den Haushalt, die Einkäufe, sage Treffen mit Freunden ab … Aber ich habe das Gefühl, dass nichts hilft. Im Gegenteil, es scheint eher bergab zu gehen. Langsam spüre ich, wie das alles auch an mir zehrt. Manchmal frage ich mich, ob unsere Beziehung das überhaupt überleben kann.“
„Das klingt nach einer enormen Belastung für Sie beide. Ich höre heraus, dass Sie sich viele Gedanken machen und wirklich versuchen, das Richtige zu tun. Gleichzeitig wirken Sie erschöpft und unsicher, ob Ihr Weg der richtige ist. Ich möchte gern wissen: Wie zeigt sich denn die Depression Ihrer Partnerin im Alltag konkret?
Klinische Begriffe wie Narzissmus, Burnout, Depression sind durch die sozialen Medien weit verbreitet. Umso wichtiger sind für mich im Coaching Fragen nach dem Erleben des Klienten, was er genau damit meint.
„Morgens ist es besonders schwierig. Sie kommt kaum aus dem Bett, obwohl sie manchmal bis zu zwölf Stunden geschlafen hat. Früher war sie immer die Erste, die wach war. Jetzt muss ich sie regelrecht überreden, überhaupt aufzustehen. Aber wenn ich sie zu sehr dränge, wird sie gereizt oder bricht in Tränen aus. Also lasse ich sie oft einfach in Ruhe und erledige alles selbst.“
„Das ist ja eine arges Dilemma für Sie, denke ich mir. Sie wollen helfen und Ihre Partnerin motivieren, scheitern aber bis jetzt mit ihren Angeboten.“
„Ja genau! Hinzu kommt, dass sie ständig über ihre Symptome spricht. Wie müde sie ist, wie leer sie sich fühlt, dass nichts mehr Freude macht. Ich höre ihr jeden Tag stundenlang zu und versuche, Verständnis zu zeigen. Aber manchmal denke ich insgeheim: „Es ist jeden Tag die gleiche Jammerei.“
Neben der Fürsorge, die der Klient für seine Partnerin empfindet, tritt jetzt auch etwas anderes zutage: aufkommender Ärger.
„Was mich auch belastet: Sie hat fast alle sozialen Kontakte abgebrochen. Bei Einladungen von Freunden rufe ich oft an und sage ab. Manchmal erfinde ich sogar Ausreden, weil es mir peinlich ist, immer wieder abzusagen. Ich glaube, viele verstehen nicht, was bei uns los ist.“
Wenn Mitgefühl zur Falle wird: Der schmale Grat zwischen Hilfe und Chronifizierung
Menschen, die mit einem depressiven Partner zusammenleben, gehen oft über ihre persönlichen Grenzen. Gleichzeitig versuchen sie, das Ganze nicht nach außen dringen zu lassen. Hauptsache, die Fassade stimmt.
„Danke für Ihr Vertrauen und Ihre ehrlichen Antworten. Jetzt kann ich mir eine besseres Bild von Ihrer Situation machen. Was Sie beschreiben, sind typische Merkmale für das Leben mit einem depressiven Menschen. Sie wollen Ihrer Partnerin helfen, erleben aber, dass egal, was Sie versuchen, alles falsch zu sein scheint. Aber nichts zu tun, fühlt sich auch nicht richtig an. Das ist wirklich eine schwierige Situation, die Sie sehr mitnimmt.“
Es ist mir wichtig, erst einmal Verständnis für Ralph zu zeigen und die Beziehung zu mir zu stärken. Auch ist mir noch noch nicht ganz klar, was sein Anliegen an mich ist.
„Ja, genau. Manchmal sagt sie, meine Partnerin heißt Inge, dass ich sie doch einfach in Ruhe lassen soll. Aber ich weiß, dass dann gar nichts passiert. Deshalb versuche ich, Ihre Passivität auszugleichen und ihr das Leben etwas zu erleichtern.“
Im 3-h-Coaching will ich das Lebensthema des Klienten schnell erfassen. Dazu bekommt jeder Klient vorab einen Fragebogen mit acht Punkten. Zusätzlich lasse ich ihn ein Bild über die drei wichtigsten Lebensbereiche zeichnen. Vor allem aus dem Bild bekomme ich oft wichtige Informationen, die meistens vorher nicht erwähnt wurden, aber wichtig sind für den Gesamteindruck der Situation, in der der Mensch feststeckt.
Auf dem Bild über seine aktuelle Lebenssituation fällt mir eine Parallele zu der Darstellung seiner Herkunftsfamilie auf. In beiden Zeichnungen liegt jemand im Bett und eine Person steht traurig daneben. Als ich Ralph darauf anspreche, ist er überrascht.
„Stimmt, das ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Mein Vater war Alkoholiker und an manchen Tagen lag er einfach im Bett, um seinen Rausch auszuschlafen. Meine Mutter und wir Kinder mussten dann ganz leise sein. Das ging viele Jahre so.“
„Wie war das für Sie?“, frage ich.
„Irgendwie schrecklich. Es hat ja auch nichts genützt. Es gab oft Streit zwischen meinen Eltern wegen seiner Trinkerei. Eines Tages haute er einfach ab, weil er eine andere Frau kennengelernt hatte. Da war ich zwölf. Meine Mutter gibt sich heute noch die Schuld, dass unsere Familie zerbrach, denn danach hat sie sich nie mehr einem anderen Mann zugewandt.“
Während Ralph dies erzählt, werden seine Augen feucht und seine Stimme verändert sich. Als ich ihn auf die aufsteigende Traurigkeit anspreche, lenkt er ab. Das seien eben damals schwierige Zeiten für alle gewesen und seine Mutter habe immer ihr Bestes getan.
Da ich das ja gar nicht bestritten habe, wundert es mich, dass er hier das Vermeidungsverhalten seiner Mutter so verteidigt. Gleichzeitig sehe ich die Parallele zu der heutigen Situation mit seiner depressiven Partnerin und will das vorsichtig ansprechen.
Freundliche Beharrlichkeit statt Schonung
„Ich weiß, dass Sie das Beste in dieser schwierigen Situation versuchen, indem Sie Ihrer Partnerin das Leben erleichtern wollen. Genauso wie Ihre Mutter damals das gemacht hat. Aber ich möchte Ihnen dazu etwas Wichtiges sagen: Manchmal können gut gemeinte Hilfsangebote ungewollt dazu führen, dass eine Depression länger anhält oder chronisch wird.“
„Das verstehe ich nicht“, reagiert Ralph erschrocken. „Ich versuche doch nur, ihr zu helfen und Verständnis zu zeigen. Was mache ich denn falsch?“
„Es geht nicht um falsch oder richtig. Depression ist eine komplexe Erkrankung, und der Umgang damit ist für alle Betroffenen nicht einfach. Es gibt zwei typische Wege, wie Angehörige ungewollt zur Verfestigung einer Depression beitragen können.“
„Da bin ich mal gespannt“, antwortet Ralph, „davon habe ich noch nie was gehört.“
Der skeptische Unterton lässt mich vermuten, dass er sich gerade kritisiert fühlt und ich meine Worte sorgfältig wählen muss.
„Wie gesagt, das sind typische Verhaltensweisen, in die man als Partner ungewollt reinrutschen kann. Einfach, weil man helfen will. Erstens, und darüber haben Sie ja auch gesprochen, indem Sie das ungünstige Verhalten Ihrer Partnerin unterstützen. Also zum Beispiel langes Schlafen oder ausgiebiges Klagen über Symptome. Wenn Sie Ihrer Partnerin stundenlang zuhören, wenn sie über ihre Depression spricht, lenken Sie die Aufmerksamkeit noch stärker auf die Symptome.“
Der Klient schweigt und senkt seinen Blick. Ich vermute, dass er die unerwartete Information erst verdauen muss.
„Die zweite typische Verhaltensweise von Angehörigen ist, dass sie die Verhaltensdefizite des depressiven Partners zulassen. Etwa wenn Sie Ihrer Partnerin alle Verantwortung abnehmen und soziale Kontakte für sie absagen. Das führt dazu, dass sie sich noch nutzloser und abhängiger fühlt.“
„Oh, das habe ich so noch gar nicht nicht betrachtet. Aber was soll ich denn tun? Soll ich sie zwingen aufzustehen? Oder ihr sagen, sie soll aufhören zu jammern? Das scheint mir herzlos.“
„Hmm, herzlos sollten Sie nicht handeln. Der Schlüssel liegt in der Balance. Im Gleichgewicht zwischen Verständnis und behutsamer Aktivierung. Ähnlich, wie wenn Sie einem ängstlichen Kind das Fahrradfahren beibringen wollen.
Praktisch bedeutet das: Zeigen Sie zunächst Verständnis für den Zustand Ihrer Partnerin: „Ich sehe, dass du heute wenig Energie hast und dich schlecht fühlst.“ Dann erklären Sie ihr, warum Aktivität trotzdem wichtig ist: „Aber wenn du im Bett bleibst, wird die Depression tendenziell schlimmer.“ Anschließend machen Sie konkrete Vorschläge für Aktivitäten.“
Ralph denkt nach. Nach einer Pause sagt er: „Das klingt nachvollziehbar. Aber erfahrungsgemäß lehnt Inge alle Vorschläge ab. Egal, was ich vorbringe – ob Spaziergang, Kino oder Freunde treffen – sie will nicht.“
„Genau hier braucht es Ihre freundliche Beharrlichkeit. Bleiben Sie zugewandt, aber bestimmt. Erklären Sie ihr, dass Aktivität für den Heilungsprozess wichtig ist, aber lassen Sie Ihre Partnerin aussuchen.
Sie könnten sagen: „Ich verstehe, dass du wenig Energie hast. Aber es ist wichtig, dass wir heute etwas unternehmen. Wir könnten spazieren gehen, ins Kino gehen Deine Freundin besuchen – du kannst entscheiden, was dir am ehesten möglich erscheint.“
Ich bin erleichtert, dass der Klient bis jetzt sich meine Vorschläge ruhig anhört. Timing und eine ruhige Sprechweise sind hier wichtig, damit Ralph sich nicht gedrängt fühlt. Nach einer Weile schaut er mich wieder an und ich sage zu ihm:
„Auf diese Weise bevormunden Sie sie nicht, sondern stärken eher die Entscheidungskraft Ihrer Partnerin. Die Botschaft lautet: „Du bist mir wichtig, und ich möchte, dass es dir besser geht.“ Bieten Sie Unterstützung an, ohne die Dinge vollständig für sie zu übernehmen.“
Und mein Vorschlag brachte noch eine andere Problematik zu Tage.
„Das werde ich versuchen“, antwortete Ralph. „Aber ehrlich gesagt, manchmal bin ich selbst so erschöpft und niedergeschlagen, dass mir die Kraft für diese beharrliche Unterstützung fehlt. Ihre pessimistische Stimmung überträgt sich auf mich. Abends liege ich oft wach und grüble, ob ich jemals meine fröhliche Inge zurückbekomme.“
Kann eine Depression ansteckend sein?
Was Ralph beschreibt, ist ein bekanntes Phänomen: Emotionale Ansteckung“.
Emotionale Ansteckung bedeutet, dass Menschen dazu tendieren, unbewusst die Gefühle anderer Menschen zu übernehmen. Wir imitieren Mimik, Gestik, Körperhaltung usw. von anderen Menschen und empfinden schließlich dieselbe Emotion wie unser Gegenüber.
Wie emotionale Ansteckung funktionieren kann, erfahren Sie hier:
Die richtige Information kann oft helfen, Ängste zu reduzieren. Deshalb erkläre ich Ralph, dass emotionale Ansteckung gerade bei Menschen mit einem depressiven Partner nicht selten ist.
„Das beruhigt mich irgendwie. Ich dachte schon, mit mir stimmt etwas nicht, weil ich so anfällig für ihre Stimmungen bin.“
„Nein, diese Reaktion ist völlig normal. Und es erklärt auch, warum in etwa vierzig Prozent aller Fälle die Partner von depressiven Menschen selbst depressiv werden. Nicht weil sie von vornherein eine Neigung dazu hatten, sondern weil die Sorgen, Belastungen und Lebensveränderungen im Zuge der Depression des anderen zu viel werden.“
„Moment – Sie sagen 40 Prozent? Das ist ja fast die Hälfte! Das macht mir jetzt Angst. Ich merke ja jetzt schon, wie ich manchmal tagelang selbst kaum aus dem Gefühlstief herauskomme.“
„Diese Sorge kann ich gut verstehen. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie als Partner ein gesundes Maß an Selbstfürsorge betreiben. Das ist nicht egoistisch, sondern notwendig – sowohl für Sie als auch indirekt für Ihre Partnerin. Eine Studie der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zeigt, dass 73 Prozent der Angehörigen Schuldgefühle entwickeln und sich für die Erkrankung und Genesung verantwortlich fühlen. Und dieses Verantwortungsgefühl kann überwältigend werden.“
„Ja, diese Schuldgefühle kenne ich gut. Ich frage mich ständig, ob ich etwas falsch gemacht habe oder nicht genug für sie tue. Gleichzeitig bin ich manchmal wütend – und fühle mich dann sofort schuldig wegen dieser Wut.“
Von der „Ich-Krankheit“ zur „Wir-Erkrankung“
Diese widersprüchlichen Gefühle sind häufig. Eine Depression belastet die Partnerschaft enorm. Prof. Guy Bodenmann führte dazu 2022 mit seinem Team eine Studie zur Emotionsregulation mit Paaren durch. Dabei fand man heraus, dass das richtige Maß an empathischer Reaktion entscheidend ist. Das wollte ich Ralph erklären.
„Wenn Sie im Gespräch mit Ihrer gestressten Partnerin komplett ruhig bleiben, also weder schneller noch höher oder lauter sprechen, könnte sie sich unverstanden fühlen und noch angespannter werden.
Wenn Sie hingegen mit Ihrer eigenen Stimme ein wenig „mitgehen“ und so zeigen, dass Sie mitfühlen, können Sie sie emotional abholen, und Sie beide werden dann ruhiger.“
„Das ist interessant, was Sie sagen. Denn bisher mache ich das Gegenteil. Ich versuche oft, betont ruhig zu bleiben, weil ich denke, dass ich so einen Gegenpol zu ihrer Aufgewühltheit bieten kann. Aber Sie sagen, dass ein gewisses Mitgehen besser wäre?
„Genau. Völlige Unberührtheit kann als Gleichgültigkeit missverstanden werden. Ein gewisses Maß an emotionalem Mitschwingen signalisiert: „Ich verstehe dich und nehme deine Gefühle ernst.“
Ralph war sichtlich damit beschäftigt, die neuen Informationen zu verarbeiten und zu überlegen, wie er das in das gemeinsame Leben integrieren könnte.
„Ich verstehe, was Sie sagen und finde es auch wichtig. Aber manchmal bin ich jetzt schon überfordert, besonders wenn ich einen stressigen Tag hatte. An solchen Tagen schaffe ich es kaum, geduldig zu bleiben.“
„Gut, dass Sie das sagen. Denn genau diese Selbsterkenntnis ist wichtig, dass Sie auch bei sich auf eine Balance von Geben und Nehmen achten. Was würde Ihnen denn an solchen Tagen helfen, um wieder Kraft zu tanken?“
„Früher bin ich regelmäßig joggen gegangen, das hat mir immer gutgetan. Aber seit Inges Depression traue ich mich kaum noch, das Haus zu verlassen. Ich habe ständig Angst, dass etwas passieren könnte, während ich weg bin.“
„Ich verstehe Ihre Sorge – und hier gilt es, glaube ich, bewusst gegenzusteuern. Eine gesunde Selbstfürsorge ist für Angehörige enorm wichtig. Sie brauchen auch jemanden, der Ihnen zuhört und sollten sich ohne schlechtes Gewissen Freiräume schaffen, Momente der Freude gönnen und Ihren Hobbys nachgehen. Das Joggen könnte genau solch ein Freiraum sein.“
„Es fällt mir so schwer, an mich selbst zu denken, wenn es ihr schlecht geht. Aber ich merke, dass ich so nicht weitermachen kann.“
Das Bild, das Ralph von seiner Situation berichtet, wird deutlicher. Er spürt, welchen Preis es ihn gekostet hat, seine Partnerin über viele Monate zu unterstützen.. Ich muss wieder an die Ähnlichkeit der Zeichnung in der Herkunftsfamilie und heute denken. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang, der noch nicht zur Sprache kam.
„Ist Ihre Partnerin eigentlich in therapeutischer Behandlung?“, frage ich.
„Ja, sie geht seit einigen Monaten zu einer Therapeutin. Aber ich wurde nie eingeladen oder einbezogen. Manchmal frage ich mich, ob die Therapeutin überhaupt weiß, dass es mich gibt.“
*“Hmm, das ist leider ein häufiges Problem. In vielen Praxen dominieren die Einzeltherapien. Es kommt sogar vor, dass die Beziehung in den Sitzungen überhaupt nicht thematisiert wird. Doch bei Problemen in Partnerschaften ist die Einbeziehung beider Partner sehr wichtig.“
Eine Studie belegt, dass das gemeinsame Bewältigen einer Krise die Beziehungszufriedenheit entscheidend beeinflusst. Je mehr beide eine Erkrankung gemeinsam als Paar zu bewältigen versuchen, desto mehr profitieren sowohl Patienten als auch ihre Partner. Prof. Bodenmann spricht in diesem Zusammenhang von einer „Wir-Erkrankung“.
Ralph war die ganze Zeit sehr aufmerksam. Auf seinem Gesicht und seiner Körperhaltung kann ich die unterschiedlichen Stimmungen, die unser Coaching in ihm auslöst, ablesen. Jetzt hellt sich sein Gesicht auf.
„Eine „Wir-Erkrankung“? … Das gefällt mir. Es nimmt den Druck, als müsste ich als der „Gesunde“ die „Kranke“ retten.“
„Genau. Diese Rollenaufteilung – hier der gesunde Partner, der helfen soll, dort die kranke Person, um die man sich kümmern muss – ist problematisch. Sie stoßen ja ebenfalls an Ihre Grenzen und brauchen Unterstützung.“
In meinen Coachings bin ich weniger aktiv als hier mit Ralph. Aber manchmal geht es auch um wichtige Informationen, die notwendig sind.
„Das beruhigt mich etwas. Ich dachte schon, es liegt an mir, dass Inge sich unverstanden fühlt. Was mich aber beunruhigt: Die Studie sagt ja auch, dass bei fünfundvierzig Prozent der Betroffenen die Depression zu einer Trennung führt. Die Zahl macht mir Angst.“
„Ihre Sorge kann ich nachvollziehen. Es stimmt, Depression stellt Beziehungen auf eine harte Probe. Aber es gibt auch eine hoffnungsvolle Zahl: Sechsunddreissig Prozent der Betroffenen berichten, dass die Depression ihre Beziehung sogar vertieft und gefestigt hat. Ähnlich wie eine große Aufgabe, zum Beispiel Umzug in ein anderes Land oder ein Hausbau kann das gemeinsame Überstehen einer Krankheit wie die Depression, ein Paar auch stärken.“
Die Depression ist „der schwarze Hund“.
„Ich merke, dass ich viel über Depression lernen muss, damit wir das beide gut durchkommen“, sagte der Klient.
„Haben Sie vielleicht noch einen konkreten Rat, wie wir als Paar mit dieser Situation umgehen können?“
Eine sehr hilfreiche Methode ist es, die Depression zu externalisieren – sie also als etwas Drittes, von außen Kommendes zu betrachten. Charlie Chaplin und Winston Churchill, die selbst unter Depressionen litten, haben ihre Erkrankung als „schwarzen Hund“ bezeichnet, um auf Distanz zu ihr zu gehen.
Dieses Bild kann Paaren helfen, die Depression als etwas Bedrohliches zu verstehen, das zwischen beide getreten ist und ihnen das Leben schwer macht. Wie einen Einbrecher oder einen Wasserschaden im Keller. So kann sich die erkrankte Partnerin mit ihren gesunden Persönlichkeitsanteilen mit dem Partner verbünden, um diesen „ungebetenen Eindringling“ gemeinsam zu bewältigen.
„Die Idee mit dem schwarzen Hund gefällt mir. Wir sind nämlich beide Katzenfreunde und finden Hunde schrecklich“, lacht Ralph.
„Dann passt das Symbol ja gut. Mir fällt noch eine Sache ein, was Sie beide konkret tun können.“
Im 3-h-Coaching mache ich selten Vorschläge.
Wenn doch wie in diesem Fall, achte ich darauf, ob der Klient mir dafür einen Auftrag gibt. Deswegen mache ich nach dem letzten Satz eine Pause und nenne nicht gleich den Vorschlag. Stattdessen warte ich auf die Reaktion des Klienten. Denn ich will die Zustimmung des Unbewussten des Klienten.
Spricht der Klient von etwas anderem, verstehe ich das als unbewusstes Signal, dass mein Vorschlag gerade nicht passt.
Früher habe ich noch mal nachgehakt mit „Wollen Sie den Vorschlag hören?“, habe aber damit keine guten Erfahrungen gemacht. Denn die wenigsten Klienten trauen sich hier, nein zu sagen.
Mit Ralph war es anders.
„Welche Sache wäre das denn?“, fragte er sofort.
„Sorgen Sie für positive Erfahrungen als Paar. Organisieren Sie eine verlässliche „Paarzeit“, wenigstens einmal pro Woche, in der Ihre Partnerin bestimmen kann, was in dieser Zeit geschieht. Vielleicht reicht die Energie nur, um gemeinsam auf dem Sofa zu sitzen und Musik zu hören. Vielleicht können Sie ein paar Schritte spazieren gehen, etwas im Garten arbeiten oder ins Kino gehen. Wichtig ist die Regelmäßigkeit und die Verbindlichkeit. Denn bei all der Schwere, die sie beide durch die Depression erleben, können Sie dadurch erleben, dass es auch immer noch Positives gibt, das Sie beide verbindet.“
„Das klingt nach etwas, das wir tatsächlich umsetzen könnten. Nicht zu anspruchsvoll, aber wichtig.“
Warum Stärken auch Schwächen sein können.
In der dritten Stunde des Coachings arbeiteten wir noch an dem Lebensthema von Ralph. In seinen Zeichnungen der Herkunftsfamilie und seiner privaten Situation war mir ja eine Gemeinsamkeit aufgefallen.
„Sie erwähnten zu Beginn, dass Sie zwölf Jahre alt waren, als Ihr Vater die Familie verließ. Wie war das denn für Sie?“
„An dem Tag war meine Kindheit vorbei. Meine Mutter musste wieder arbeiten gehen und kam erst abends völlig fertig nach Hause. Als Ältester musste ich mich nach der Schule um meine beiden jüngeren Geschwister kümmern. Nur einmal in der Woche kam meine Oma zum Helfen.“
„Das heißt, Sie haben früh lernen müssen, sich um andere zu kümmern und eigene Bedürfnisse zurückzustellen“, sage ich. „Das Gute daran ist, dass Sie das auch über lange Zeit sehr gut können, einfach weil Sie ein loyaler Mensch sind und gerne helfen.“
„Das stimmt! Ich helfe gern. Auch im Job. Ich bin derjenige, der einen Kalender mit allen Geburtstagen der Kollegen führt. Und raten Sie mal, wer dann reihum das Geld einsammelt und das Geschenk besorgt.“
„Da komme ich nie drauf. Ihr Vorgesetzter?“, frotzele ich.
Der humorvolle Ton an dieser Stelle verdeckt das ernste Lebensthema, das Ralph damals als Überlebensstrategie entwickelte. Das ihn einerseits heute zu einem verlässlichen Partner an der Seite seiner depressiven Partnerin macht. Und andererseits sein Muster verstärkt, mit dem er dazu tendiert, über seine Grenzen zu gehen.
Im 3-h-Coaching entwickle ich früh eine Hypothese, was der Engpass des Klienten sein könnte. Also welche innere Erlaubnis ihm fehlt, anders auf die Situation zu reagieren. Dazu mache ich ein Experiment, in dem ich dem Klienten einen Satz vorschlage, den er laut ausspricht und achtsam dabei beobachtet, welche spontanen Reaktionen in ihm auftauchen.
An dieser Stelle fordere ich Ralph auf, es sich in seinem Stuhl bequem zu machen, seine Augen zu schließen:
„Bitte sagen Sie mal den Satz:
„Ich muss nicht immer stark sein.“
Wenn der Satz auf das von mir vermutete Lebensthema trifft, erleben Klienten immer eine emotionale Abwehrreaktion. Der Bauch zieht sich zusammen oder eine innere Stimme meldet sich mit „Schön wär’s!“
Bei Ralph löst der Satz nach ein paar Sekunden ein tiefes Schluchzen aus, das in ein längeres Weinen übergeht.
An diesen schmerzlichen Punkt im Coaching zu kommen, ist wichtig. Einsicht allein verändert nichts. Erst eine starke emotionale Beteiligung macht dem Klienten deutlich, wo sein Engpass ist. Bei Ralph die Tendenz, sich zu überfordern, um anderen zu helfen. Dieses Verhalten hatte er entwickelt, als er mit zwölf Jahren plötzlich „erwachsen“ sein musste. Und auf Überlebensstrategien, die wir in der Kindheit brauchten, greifen wir auch als Erwachsene oft unbewusst zurück.
Im weiteren Verlauf arbeiten wir noch daran, wie es aussehen könnte, seine Frau zu unterstützen und gleichzeitig seine eigenen Interessen nicht zu vernachlässigen.
„Ich bin sehr dankbar für diese Einsichten“, bemerkt Ralph. Jetzt verstehe ich vieles besser. Ich glaube, ich hatte bisher zu wenig Wissen über Depression und habe daher manchmal falsch reagiert – aus Liebe, aber trotzdem nicht immer hilfreich.“
Diese neue Sichtweise ist ein wichtiger erster Schritt für Angehörige. Depression ist eine komplexe Erkrankung, und niemand kann intuitiv wissen, wie man am besten damit umgeht. Da der Klient noch emotional aufgewühlt ist, fasse ich auf seinen Wunsch zusammen, was wir besprochen haben:
1. Die Balance zwischen Verständnis und sanfter Aktivierung ist wichtig – wohlwollende Beharrlichkeit statt kompletter Schonung.
2. Die Depression ist eine „Wir-Erkrankung“, die gemeinsam bewältigt werden sollte, ohne in starre Rollen von „gesund“ und „krank“ zu verfallen.
3. Selbstfürsorge ist nicht egoistisch, sondern notwendig – sowohl für Sie als auch indirekt für Ihre Partnerin.
4. Regelmäßige Paarzeit kann die Verbundenheit stärken, auch während der Depression.
5. Liebe allein heilt nicht – informieren Sie sich weiter über die Erkrankung.
Der Vorteil des Online-Coachings ist, dass ich auf Wunsch die gesamte Sitzung aufnehmen und dem Klienten überspielen kann. Trotzdem war für Ralph meine Zusammenfassung hilfreich.
„Diese Zusammenfassung hilft mir sehr. Der Weg wird sicher nicht einfach, aber ich fühle mich jetzt besser gerüstet, mit der Situation umzugehen. Und es tut gut zu wissen, dass wir nicht allein sind mit diesen Herausforderungen.“
„Sie sind definitiv nicht allein“, bestärke ich den Klienten. „Viele Paare durchleben ähnliche Krisen und finden einen Weg hindurch – manchmal sogar mit einer gestärkten Beziehung als Ergebnis.
Denken Sie daran: Der Weg durch eine Depression ist selten geradlinig. Es wird gute und schlechte Tage geben. Wichtig ist, dass Sie beide daran glauben, dass Besserung möglich ist, und dass Sie als Team daran arbeiten – jeder mit seinen Möglichkeiten. Und – lassen Sie von sich hören, wenn Sie möchten.“
Nach vier Wochen bekomme ich eine Mail von Ralph.
Er habe die Aufzeichnung unseres 3-h-Coachings mit seiner Partnerin angeschaut. Sie sei sehr betroffen gewesen, wie ihre Depression ihn doch belastet habe. Daran habe sie gar nicht gedacht. Und dass sie auch Aufgaben übernehmen könne, fand sie gut, wusste aber nicht, was sie da machen könne. Sie hätten dann vereinbart, dass sie ja die Katze füttern könne, was bisher er übernommen hatte. Mittlerweile kümmere sie sich um alles, was die Katze angehe.
Das habe sie motiviert, auch andere leichte Aufgaben im Haushalt zu übernehmen, was ihn sehr entlaste. Und die Paarzeiten würden sie regelmäßig einhalten. Beide würden jetzt zuversichtlicher auf ihre Situation und die Zukunft schauen.
Ich schrieb zurück, dass dies ein erster wichtiger Schritt für Sie beide sei. Und dass es gut wäre, auf die Anzeichen zu achten, die die Depression eher fördern. Und – gemeinsam seien Sie stärker als der schwarze Hund.
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PS: Alle Fallgeschichten sind real, aber so verfremdet, dass ein Rückschluss auf meine Klienten nicht möglich ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt.
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