Wer aufmerksam eigene Gespräche oder die zwischen anderen Menschen verfolgt, kann unschwer feststellen, wie wenig Menschen in Gesprächen zuhören können.
Das erlebt man im Beruf bei Besprechungen, im Geschäft, wenn man etwas umtauschen will und natürlich auch mit den eigenen Kindern und dem Partner.
Die Regel ist eher, dass man selbst oder andere einen unterbrechen, um etwas richtigzustellen, zu kritisieren, zu bewerten. Oft merkt man schon am Gesichtsausdruck des anderen dessen geistige Abwesenheit. Auch bei sich selbst kann man feststellen, dass man beim Sprechen des Gegenübers oft nur auf ein Stichwort wartet, um seinen eigenen Gesprächsbeitrag – entweder gleich oder später – anzubringen.
Vor allem in Talkshows ist zu beobachten, dass viele Gäste gar nicht auf die Frage des Moderators antworten, sondern eine vorher zurechtgelegte Antwort loswerden wollen. Auch bei kontroversen Positionen folgt fast nie eine Nachfrage, die Neugier oder die Suche nach Verständnis des anderen zeigen würde. Insofern sind solche „Gespräche“ selten Dialoge, sondern wechselseitige Monologe – in Anwesenheit anderer.
Doch Gespräche zum Austausch von Meinungen und unterschiedlicher Standpunkte sind enorm wichtig – in beruflichen wie privaten Beziehungen. Jeder kennt zum Glück auch Situationen, wo ein anderer tatsächlich zuhört, den Gesprächsfaden aufgreift und vertieft, sich wirklich interessiert für den anderen. Wie wohltuend, wie bereichernd für beide Seiten – und wie selten.
Warum ist Zuhören so schwierig?
Hierzu einige Überlegungen, was beim Zuhören alles berührt wird und welche Fähigkeiten es erfordert.
Beim Zuhören trifft unsere Landkarte auf die Landkarte des anderen.
Im Gespräch begegnen wir der Welt des anderen, genauer gesagt, seinem Bild – seiner Landkarte – von der Welt, das er sich zu einem bestimmten Thema gemacht hat. Dass dies nur die Landkarte über ein Stück Welt, jedoch nicht die Wirklichkeit an sich darstellt, ist den meisten Menschen nicht bewusst. Deshalb verteidigen sie ihre Landkarte auch mit passenden Argumenten, mit zum Teil heftigen Gefühlen und entsprechenden Wertungen des „Richtig“ „Falsch“, des „Gut“ und „Schlecht“.
Wenn man nun mit der eigenen Landkarte stark identifiziert ist – wie die meisten Menschen – fällt es naturgemäß schwer, einem Menschen mit einer anderen Landkarte zuzuhören, geschweige denn, sich dafür zu interessieren, wie dieser – vermutlich auch intelligente Mensch – zu einer ganz anderen Landkarte – gekommen ist. Doch das erfordert eine ziemliche Reife oder anders ausgedrückt, die Einsicht in die subjektive Beschränktheit der eigenen Sichtweise.
Doch für das wirkliche Zuhören ist genau dies erforderlich. Geligtg dies nicht – und das ist die Regel – kommt es zu gemeinsamen Monologisieren und gegenseitigen Bekämpfen des Standpunkt des anderen.
Was heißt das jetzt konkret?
Welche Fähigkeiten braucht es zum Zuhören?
Aus meiner Sicht sind es acht grundlegende Fähigkeiten:
1. Die Fähigkeit, die eigene Meinung zurückstellen zu können.
„Also, das sehe ich ganz anders“ ist die Lieblingsreplik von Menschen, die zu allem, was jemand sagt, gleich ihre Meinung äußern müssen. Einem Gespräch ist dieser Reflex selten zuträglich. Denn meist bestreitet dann der eine den überwiegenden Teil des Gesprächs, weil der andere sich ärgert und zunehmend verstummt. Oder beide müssen dauernd ihre unterschiedlichen Standpunkte loswerden und kämpfen um die Worthoheit.
Die Fähigkeit, seine Meinung – zumindest eine Weile – nicht zurückstellen zu können, hängt auch mit der Angewohnheit mancher Menschen zusammen, immer recht haben zu müssen. Sie erleben das Miteinandersprechen dann nicht als eine Gelegenheit, etwas Neues zu erfahren, sondern fühlen sich schnell dominiert. (Das mag etymologisch vom Wortstamm „hören – horchen – gehorchen“ herrühren.)
Wem es schwer fällt, seine Meinung zurückzuhalten, kann dies kommunikativ so lösen, dass er zwar andeutet, anderer Meinung zu sein, sich aber erst mal die Meinung des anderen hören will. Also indem er/sie sagt:
„Ich bin zwar anderer Meinung aber mich interessiert, wie Sie zu Ihrem Standpunkt über … kommen.“
„Ich finde es zwar falsch, was du sagst, will aber mal hören, wie du das begründest.“
2. Die Fähigkeit, Unterschiede tolerieren zu können.
In der Regel fühlen wir uns mit Menschen, die recht ähnliche Interessen, Meinungen und Werthaltungen haben, deutlich wohler. Ganz gleich, ob das jetzt politische, religöse oder kulturelle Überzeugungen sind. Auch Menschen mit dem gleichen Hobby (Hundezucht, Schachspielen oder Fußball) bringen wir erst mal Sympathie entgegen.
Doch auch hier gilt: Unterschiede beleben das Gespräch und können zum Wissenszuwachs und Erkenntnisgewinn beider beitragen. Wenn zwei Fußballfans über ihren Sport begeistert reden, erfahren sie meist wenig Neues. Das ist in Ordnung. Doch begegnen sich ein begeisterter Fußballer uns ein ambitionierter Golfer wird es oft beim Thema „Sport“ schnell kritisch, weil beide vehement ihre Sportart verteidigen.
Auch in der Paarbeziehung ist die Bereitschaft und Fähigkeit, Unterschiede in der Wahrnehmung und Interpretation von Dingen und Ereignissen tolerieren oder ertragen zu können, eine Kernkompetenz in der Beziehungsgestaltung.
3. Die Fähigkeit, Gefühle und Intuition miteinbeziehen.
Die Gefühle des anderen wie auch die eigenen Empfindungen während eines Gesprächs sind neben den sachlichen Aspekten wichtige Informationsquellen. Diese angemessen anzusprechen, ist oft hilfreich und für das Gespräch vertiefend.
Beispiele:
„Sie schauen ganz interessiert, während ich Ihnen … zeige.“
„Ihre Stimme klingt gedrückt, wenn Sie darüber sprechen.“
„Sie sehen nachdenklich aus.“
„Du wirst ganz ganz aufgeregt, wenn du davon erzählst.“
4. Die Fähigkeit, etwas nicht gleich verstehen müssen.
Wir Menschen sind keine rationalen Wesen. Wir handeln zumeist aus einer bunten Mischung von Motiven, Empfindungen, Ängsten und Erwartungen heraus. Oft wissen wir selbst nicht, warum wir etwas so und so sehen und vertreten.
Höre ich von meinem Gegenüber öfters Feststellungen wie „Das ist doch völlig unlogisch!“ oder „Das verstehe ich nicht, ich würde ganz anders handeln“ kann das die Distanz zwischen den Gesprächsteilnehmern verstärken. Das mag für die eigene Abgrenzung wichtig sein, doch zur gegenseitigen Verständigung führt es nicht.
Sie tun sich leichter, wenn Sie sich erlauben, das vom anderen Gesagte nicht gleich verstehen zu müssen. Trotzdem können Sie in Kontakt mit ihm bleiben, indem Sie beispielsweise sagen:
„Du scheinst selbst noch hin und her gerissen zu sein.“
„Irgendwie verstehst du selbst noch nicht, warum du so handelst.“
„Es hört sich für mich widersprüchlich an aber für dich scheint es doch Sinn zu machen.“
5. Die Fähigkeit, weiterführende Fragen stellen.
Soll aus einem Gespräch nicht nur ein Wiederholen bereits bekannter Inhalte werden, bedarf es interessierter und intelligenter Fragen. Damit sind Fragen gemeint, die der andere nicht sofort beantworten kann, weil er erst nachdenken muss:
„Was gefällt Ihnen an der Sache so?“
„Warum haben Sie sich gerade für x entschieden?“
„Was bedeutet es für Sie, als … zu arbeiten?“
6. Die Fähigkeit, negative Wertungen zurückzustellen.
Von klein auf werden wir darauf getrimmt, Dinge, Ereignisse, andere Menschen und uns selbst zu bewerten. Gut, richtig, gesund, schlecht, pfui, unbrauchbar usw. In vielen Kontexten sind Bewertungen durchaus sinnvoll.
In einem Gespräch sind zu frühe Bewertungen meist Gesprächskiller. Sie bringen den anderen entweder dazu, seinen Standpunkt zu verteidigen und zu rechtfertigen. Oder er zuckt zurück, wird einsilbig und verstummt womöglich ganz.
Wertungen tragen auch kaum etwas zum Inhalt und zur Erzählweise bei. Denn unser Gesprächspartner will uns ja etwas mitteilen, er hat selten den Wunsch nach einer Bewertung. Zuweilen bringt der Sprechende selbst Bewertungen ein:
„Das interessiert Sie sicher nicht.“
„Ich habe da eine Idee – aber die ist sicher unsinnig.“
Hierzu gehört auch, wenn einem etwas nicht gefällt, nicht gleich gekränkt oder beleidigt zu sein. Das kann fürchterlich schwer sein, weil die eigenen Gefühle einen völlig überfluten können. Doch dann ist es immerhin noch besser, das angemessen zu äußern oder eine kurze Gesprächspause zu vereinbaren.
7. Die Fähigkeit, möglichst wenig zu unterbrechen.
Viele Gespräche ähneln Wettkämpfen. Wer hat die besseren Argumente, wer kann den anderen übertrumpfen? Das geschieht oft, indem man den anderen unterbricht. Das ist mitunter notwendig und kann belebend wirken, doch oft leidet unter der Hitze des Gefechts der Gesprächsinhalt.
Damit sich ein Gespräch entwickeln kann – und nicht nur ein Abspulen bekannter Floskeln wird – braucht es Raum und Zeit. Es braucht Pausen, in denen beide das Gesagte und Gehörte verdauen und nachklingen lassen können. Diese Pausen kann der Sprecher nur dann machen, wenn ihm der andere diese Pause auch lässt. Je weniger man den anderen unterbricht, umso ruhiger und tiefer kann ein Gespräch werden.
8. Die Fähigkeit, auszudrücken, was Sie verstanden haben.
Für einen selbst mag es genügen, nur zuzuhören. Doch der Sprechende weiß erst mal nicht, ob Sie ihm zuhören – vor allem wenn Sie ihn nicht anschauen. Er weiß vor allem nicht, was Sie gehört bzw. was und wie Sie das Gehörte verstanden haben.
Deshalb ist es wichtig, an bestimmten Punkten dem Sprecher zurückzumelden, dass Sie zuhören – und was Sie verstanden haben. Oft geht es auch ja nicht nur darum, was gesagt wurde, sondern was gemeint wurde. Also jene Anteile des Gehörten wiederzugeben, die der Sprecher aus welchen Gründen auch immer nur angedeutet hat. Dabei handelt es sich oft um Gefühle, Überzeugungen, Werte, Bedürfnisse oder Wünsche.
Als Zuhörer können Sie sich fragen:
Was empfindet mein Gesprächspartner gerade?
Was ist ihm an dem, was er gerade sagt, so wichtig?
Worum geht es ihm? Was wünscht er sich?
Der Einstieg für Ihre Rückmeldung könnte dann heißen:
„Aha, du meinst also …“
„Dir ist also wichtig, dass…“
„Du möchtest gerne …“
„Du bist frustriert, weil…“
„Du denkst … , weil …“
Wenn Ihnen etwas unklar ist, können Sie sagen:
„Könnte es sein, dass …“
„Ist es möglich, dass …“
„Meinen Sie damit, dass …“
Und welche Erfahrungen haben Sie mit Zuhören gemacht?
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