Die Landkarte ist nicht die Landschaft. Gott sei Dank.

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Neurobiologie

Dieser Grundsatz des Konstruktivismus beschreibt ein Dilemma des Lebens. Dass wir uns nämlich nicht direkt auf die Realität beziehen können, sondern uns immer innere Bilder (Landkarten) von der Realität machen.

Landkarten sind das Modell der Welt, das wir in unserem Gehirn zusammenfügen und recht bald für die wirkliche Welt halten. Die Landkarte ist unsere Interpretation der Realität, dessen, was wir sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken. Damit erschaffen wir unsere Möglichkeiten und im gleichen Maße auch unsere Grenzen. Das heisst, während wir die Welt wahrnehmen, erschaffen wir eine Landkarte der Welt in unserem Kopf. Was wir für unsere individuelle Psyche halten, ist im wesentlichen die Landkarte der Beziehungserfahrungen unseres Lebens.

Die meiste Zeit über ist das ein sehr nützlicher Prozess. Wir erhalten mit dieser Landkarte eine vereinfachte Abbildung der Welt. Und wenn wir Glück haben, dann sind die wesentlichen Faktoren abgebildet und die anderen weggelassen, sodass wir es leichter haben, uns in dieser Umwelt zu orientieren und zu organisieren (wie zum Beispiel bei einem Stadtplan).

Probleme treten meist dann auf, wenn wir unsere Landkarte von der Welt für die Realität halten. Das bedeutet: es gibt zwar vermutlich) eine objektive Welt, doch wir interpretieren sie ständig. Wir interpretieren alles, was uns widerfährt. Wir reagieren und handeln eher auf dem Hintergrund unserer Landkarten als darauf, was wirklich geschieht, weil wir häufig Landkarte und Landschaft miteinander verwechseln.

Ein paar Beispiele:

  • Ob es draussen regnet, lässt sich noch objektiv feststellen. Doch je nachdem, was Sie heute vorhaben, empfinden Sie das Wetter gut (zum Angeln) oder schlecht (zum Wandern).
  • Die monatliche Arbeitslosenstatistik lässt sich in objektiven Zahlen mitteilen. Ob dies ein Erfolg der neuen Arbeitsmarktpolitik ist oder das völlige Versagen der Regierung hängt vom Beobachter ab.
  • Eine Gehaltserhöhung von 150 € ist eine objektive Grösse. Je nach Ihren Erwartungen und Ihrem bisherigen Gehalt interpretieren Sie denselben Betrag als eine freudige Überraschung oder als einen schlechten Scherz.
  • Wenn Sie keine Ahnung von Diamanten haben (= keine Landkarte), können Sie billiges Glas nicht von echten Steinen unterscheiden.
  • Wer bei einer Wahl wieviele Stimmen gewonnen hat, ist zweifelsfrei. Doch meist haben nach einer Wahl alle gewonnen, indem sie ihr Ergebnis in einen anderen Kontext stellen.

Richtige Landkarten (Strassenkarten, Atlanten etc.) werden jährlich erneuert, weil sich die „Landschaft” geändert hat. Mit unseren inneren Landkarten tun wir das viel seltener – und unwilliger. („Neumodischer Kram das” … „Früher war alles einfacher…”).

Wollen wir unser Verhalten ändern, ist es notwendig, erst mal nötig, die eigene innere Landkarten zu dem Thema zu untersuchen. Denn Probleme entstehen nicht aufgrund der Wirklichkeit („Die Wirklichkeit ist wie sie ist”), sondern aufgrund unserer mangelnden Flexibilität, mit der Wirklichkeit umzugehen. Wir hätten es bisweilen gerne, dass unsere Landkarte die Landschaft bestimmt.

Wie sieht z.B. Ihre innere Landkarte aus zu …

  • Ihrem Vorgesetzten?
  • Ihrem Unternehmen?
  • Ihren Fähigkeiten?
  • Ihrem schwierigsten Kunden/Mitarbeiter/Kollegen?
  • zum Thema „Sinn des Lebens”?

Ihre Landkarten, die Sie nicht kennen, können Sie nicht ändern. Sie werden nach ihnen leben. Dann halten Sie Ihre Landkarte für die Landschaft.

Aber die Landkarte ist nie die Landschaft.

 

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.