Schon in meinem ersten Artikel zu diesem Thema habe ich Erkenntnisse eines Systemforschers dargelegt. In der brandeins vom Febr. 09 ist wieder ein interessanter Beitrag dazu erschienen.
Die Erkenntnisse zweier Organisationsexperten über das Zustandekommen von Krisen , Karl E. Weick und Charles Perrow werden hier zusammengetragen.
In diesem Beitrag versuche ich, das ziemlich komplexe Denken auf alltägliche und lebenspraktische Situationen zu übertragen.
Der wichtigste Lehrsatz lautet:
Wirkliche Krisen informieren über realisierte Risiken, genauer gesagt: über einen riskanten Umgang mit vergangenen Risiken.
Beim jährlichen Hochwasser in Deutschland kann man das immer wieder beobachten. Kommt es mal wieder besonders schlimm, taucht immer das Problem der fortschreitenden Flussbegradigung und die Forderung nach Überschwemmungsgebieten auf. Auf deutsch: damit ein Fluss nicht über die Ufer tritt, braucht er bei höherem Wasserstand mehr Fläche, um sich auszubreiten. Fehlt das, gibt es Hochwasser.
Die Hochwasserkrise informiert uns also im Nachhinein über den riskanten Umgang mit dem vergangenen Risiko, das jedoch jetzt seine Folgen zeigt. Dass also Gemeinden anstatt Hochwassergebiete auszuweisen eine Wette mit Mutter Natur eingegangen sind nach dem Motto: „Wird schon gut gehen!“ Das Hochwasser zeigt, dass man in diesem Jahr, wo das Hochwasser da ist, wieder unerwartet, die Wette verloren hat.
Wer zu fett isst und sich wenig bewegt, viel raucht und Stress hat und entsprechend der Mahnung seines Hausarztes irgendwann einen Herzinfarkt erleidet, bekommt von seinem Körper ein klares Feedback, wie er mit vergangenen Risiken umgegangen ist.
Der Katastrophenforscher Charles Perrow nennt auf dem Hintergrund der Erkenntnisse von Karl E. Weick fünf Merkmale, wie wir Krisen vorbeugen können.
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Lose Kopplung.
Die Stabilität eines Systems entsteht nicht durch starre, sondern durch lose Kopplung abzugrenzender Teilsysteme.
Was heißt das? Beim Dominoeffekt (starre Kopplung) kann man sehen, was passiert, wie das Umfallen eines Steins alles bewirkt. Wenn eine Bank wie die Hypo Real Estate so starr mit anderen Banken verbunden ist, dass ihre Pleite das gesamte Bankensystem beschädigen könnte, muss der Staat eben viele Milliarden hineinpumpen, um das zu verhindern.
Übrigens: Für die Firma Opel gilt das nicht! Autokäufer würden eben auf andere Marken ausweichen. Für die arbeitslosen Beschäftigten gibt es die Arbeitslosenversicherung, die besten Konstrukteure und Techniker würden abgeworben werden. -
Redundanz.
So ist zum Beispiel unser Gehirn aufgebaut. Fällt ein Bereich zum Beispiel durch einen Unfall aus, können andere Bereiche dies ausgleichen oder ersetzen.
Wer alles auf eine Karte setzt, ist in Krisenzeiten oft aufgeschmissen. Früher hatten Unternehmen große Lager, mit der sie den Materialfluss sicherstellen konnten, weil sie von jedem Teil mehrere Exemplare auf Lager hatten. Durch die Just-in-time-Methode wurde immer nur das bestellt und durch LKW’s geliefert, was für die Produktion gerade gebraucht wird. Zu Produktionsausfällen kommt es regelmäßig dann, wenn ein Zulieferer bestreikt wird oder pleite geht oder die LKW’s mehrere Tage im Stau stehen.
Wer als Selbständiger 80 Prozent seiner Aufträge von einem Unternehmen erhält, gilt nicht nur als Schein-Selbständiger, sondern riskiert mitunter auch seine Geschäftsgrundlage, wenn dieser Auftraggeber wegbricht.
Organisationen, die Krisen vorbeugen wollen, brauchen diese Redundanzen – beim Kapital, bei den Zulieferern, bei Produktionskapazitäten, um Krisen zu begegnen. -
Dezentralisierung.
Überall kann man den Trend zur Zentralisierung beobachten. Ob Einkaufsketten, Buchverlage etc.. Ein großes Unternehmen wird per se als besser angesehen. Die behaupteten Gründe sind immer dieselben. Kostenersparnis und die angeblichen Synergieeffekte. Damit wurde ja auch die Elefantenhochzeit von Daimler und Chrysler damals begründet.
Auch das Zusammenlegen von kleinen Dörfern (Gemeindereform) wie auch von einst unabhängigen Staaten (z.B. UDSSR) wird so argumentiert. Doch der Preis ist oft hoch. Einerseits ist es der Verlust von Identität, denn auch eine kleine Gemeinde von 8.000 Einwohnern hat eine Identität, die sie nur ungern aufgibt. Zum anderen geht meist auch die Aufgabe von Selbstverantwortung damit einher. Man starrt dann auf die große „Mutter Zentrale“ und erhofft und fordert von ihr die Rettung.
Auch in Krisen wir meist mit dem Mittel der Zentralisierung reagiert. Einer muss doch den Überblick behalten. Eine Oberbehörde, die alles überwacht und kontrollieren soll. Doch lose gekoppelten Systemen wird immer lokal repariert und gelernt. In einer guten Fußballmannschaft helfen eben die Stürmer auch hinten aus, wenn es in der Verteidigung eng wird. In einer schlechter spielenden Mannschaft sind sich die Stürmer dafür zu schade und denken: „Nicht mein Job!“ -
Intransparenz
Die erste Regel bei Krisenanzeichen lautet: Ruhig bleiben und die Lage beobachten. Denn sonst passiert leicht das, was geschehen kann, wenn das Gerücht über die Insolvenz eines Unternehmens die Runde macht: durch den Effekt der selbst erfüllenden Prophezeiung kann genau die Pleite einer Firma eintreten, wie zum Beispiel im Fall des früheren Medienunternehmers Leo Kirch.
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Beobachtung zweiter Ordnung
Unter Beobachtung erster Ordnung versteht man die direkte Beobachtung der Umwelt, um Informationen zu gewinnen. Doch bringt das bei bestimmten Erscheinungen zu wenig.
Beobachtung zweiter Ordnung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Beobachter sein eigenes Beobachten reflektiert, also sich selbst beim Beobachten beobachtet.
Bei der Entstehung der Finanzkrise hätten die beteiligten Bankmanager also nicht durch den amerikanischen Immobilienmarkt beobachten dürfen. Es hätte ihnen auch auffallen müssen, wie sie den Markt beobachten. Nämlich mit der Brille, dass Hypotheken gleich Hypotheken sind, dass Hauskauf gleich Hauskauf ist. Dass es aber in Amerika gängig ist, ein Haus fast ohne Eigenkapital zu finanzieren, entging ihnen dabei.
Dass irgendwann die Autokäufer weltweit kapieren werden, dass viel Benzinverbrauch teuer ist, hätte ein proaktives Automobilunternehmen in seiner Modellpolitik berücksichtigen können.
Charles Perrow empfiehlt, dass Manager sich mehr dafür sensibilisieren müssen, wie man das nicht Beobachtbare beobachten kann. Allzu häufig passiert, dass Unternehmenslenker und Politiker mehr auf das Beobachtbare reagieren.
Was heißt das jetzt für den persönlichen Bereich?
Nun, wenn wir die fünf Empfehlungen auf den privaten Bereich anwenden wollen, fällt mir dazu Folgendes ein.
1. Lose Kopplung
Je mehr das eigene Leben durch voneinander unabhängige Bereiche gekennzeichnet ist, umso mehr ist man beim Zusammenbruch eines Systems nicht völlig am Ende.
- Bei der privaten Altersvorsorge heißt das, möglichst nicht alles Geld in eine Anlageart stecken. In der Zeitung las ich, wie ein Freiberufler auf Anraten seiner Bank sein ganzes Vermögen in einen Lehmann-Brother Fond steckte.
- Wer sein Selbstwertgefühl nur aus dem Beruf und der Karriere zieht, kann erleben, dass er nach der Pensionierung in ein tiefes Loch der Sinnlosigkeit fällt.
2. Redundanz
- Wer neben seiner Partnerbeziehung auch seinen eigenen Freundeskreis pflegt, ist bei einer Ehekrise nicht völlig abhängig vom anderen.
- Wer als Mutter sich auch darum kümmert, seine eigene Berufsperspektive nicht aus den Augen zu verlieren, ist bei einer Trennung nicht völlig aufgeschmissen.
3. Dezentralisierung
- Unzählige Selbsthilfeprojekte, ob im Verein, der Nachbarschaftshilfe oder wie bei einer weltumspannenden Organisation wie Amnesty International“ zeigen täglich, dass in lose gekoppelten Systemen oft schneller und effektiver gehandelt werden kann, als wenn eine große Organisation mit entsprechendem Bürokratieaufwand sich anschickt, etwas zu regeln.
- In patriarchalischen Partnerbeziehungen dominiert der Mann. Das verleiht enorme Macht aber auch Verantwortung. In einer gleichberechtigten Beziehung muss man nicht alles wissen, ist nicht für alles verantwortlich, sondern kann sich auch mal vom anderen führen lassen oder sich anvertrauen.
4. Intransparenz
- Gelassen bleiben bei Krisen, indem man sich bewusst macht, was oder wer eigentlich bedroht ist, hilft ungemein. Die derzeitige aus meiner Sicht ansteckende Hysterie, in der viele sich überbieten, genau zu wissen, wie sich die Wirtschaft entwickelt und damit einer galoppierenden Unsicherheit Vorschub leisten, finde ich schlicht verantwortungslos.
Das ist genauso, als wenn einem der Arzt bei einer Krebsdiagnose die noch verbleibende Lebenszeit auf den Monat genau zusagen würde. Selbst wenn er Recht behalten würde, was nützt mir diese Information? Wäre es nicht besser, er würde mir konstruktive Hilfen anbieten und ansonsten mir Mut machen?
5. Beobachtung zweiter Ordnung
- Selbsterkenntnis ist ein Beobachten der zweiten Ordnung. Die „Innere Achtsamkeit“, auf die ich in diesem Blog und in meinen Persönlichkeitsseminaren immer wieder verweise, bietet die Möglichkeit, seine eingefahrenen Muster im Denken, fühlen und Handeln unmittelbar zu beobachten.
- Zwiegespräche sind als Paar eine Möglichkeit, miteinander die Beziehung zum Thema zu machen und so aus einer Metaperspektive heraus sich über das gemeinsame Leben zu verständigen.
- Beobachtung zweiter Ordnung ist nicht leicht, da es ein Heraustreten aus dem gewohnten Bezugsrahmen ist. Man reagiert nicht mehr unmittelbar auf eine Situation, sondern reflektiert darüber, wie und warum man auf die Situation so und nicht anders reagiert.
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