Zwiegespräche – besser als Wohngemeinschaft, Viagra oder Scheidungsanwalt.

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Methoden / Partnerschaft
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Warum Zwiegespräche für jedes Paar wichtig sind.

In meiner Arbeit in Seminaren und Coachings, wo es meist um berufliche Themen geht, stoße ich häufig auf Probleme im Privatleben.

Sei es dass ein Paar ständig streitet, und der Mann deswegen lieber dringende Überstunden im Büro ableistet.

Oder dass seit der Geburt der Kinder die ganze Fürsorge deren Wohl gewidmet ist, und als Folge eines eingeschlafenen Sexuallebens das Paar mehr einer Wohngemeinschaft ähnelt. Und Mami und Papi ihre ganze Leidenschaft ökologischen oder schulischen Fragen widmen – anstatt die selbe Energie der Paarbeziehung zuzuführen.

Klassisch ist auch der erfolgreiche Manager 40+ mit Zweitwagen, Zweitwohnung und heimlicher Zweitfrau.

Frage ich diese Menschen nach ihrer Erklärung für diese Entwicklung, kommen meist die üblichen Antworten (auseinander gelebt, zu wenig Gemeinsamkeiten, stressiger Job). Bei denen, die das Nebeneinanderher-Leben bedauern und noch eine Portion Verbundenheit, Interesse oder Liebe da ist, empfehle ich, Zwiegespräche zu führen.

Da dabei immer wieder Unklarheiten auftauchen, will ich dazu in diesem Beitrag die wesentlichen Fragen beantworten.

 

Wann sind Zwiegespräche sinnvoll?

Geht es Ihnen in Ihrer Partnerschaft auch so wie in diesem Video?
Der eine will über was reden, der andere will nur seine Ruhe.

Zwiegespräche sind etwas ganz anderes als „normale“ Gespräche. Sie brauchen Zeit, haben eine feste Struktur und sind vor allem in diesen Fällen sinnvoll:

  • Wenn Sie als Paar sich immer wieder in fruchtlose Machtkämpfe verstricken.
    Sie kennen schon die Argumente des anderen – und sie wissen auch schon, was Sie sagen werden.
  • Wenn Sie zu einem Thema unterschiedliche Auffassungen haben und eine gemeinsame Entscheidung brauchen.
    (Urlaubsziel, Finanzen, Kindererziehung etc.)
  • Wenn Sie Ihre Beziehung vertiefen wollen.
    Wenn Ihre Kommunikation hauptsächlich der Alltagsorganisation dient und Sie gar nicht mehr wissen, was den anderen beschäftigt.
  • Wenn Sie sich in der Beziehung v.a. als Rollenträger/in fühlen und selten als Mensch fühlen.
    Rollen wie Ernährer, Mädchen für alles, Sündenbock für alles, Dienstbotin etc.
  • Wenn Sie sich nicht trauen, konflikthafte Themen anzusprechen.
    Konflikte sind normal. Bei einer schlechten Streitkultur werden notwendige Auseinandersetzungen aber eher gemieden, weil zumindest ein Partner glaubt, dass er ohnehin die schlechteren Karten hat.
  • Wenn Sie Leichtigkeit, Lust und Spaß in der Beziehung vermissen.
    Nehmen die Pflichten überhand, wird das Leben mit der Zeit freudlos und langweilig. Das Beziehungsmodell „Wohngemeinschaft“ zur Kinderaufzucht und Hypothekentilgung ist zwar über lange Zeit oft erstaunlich stabil – solange nicht einer außerhalb der Ehe entdeckt, dass er zu lange nur funktioniert hat und plötzlich lebendig wird.
  • Wenn sexuelle Lustlosigkeit sich über lange Zeit hinzieht.
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    Ich glaube nicht, dass der Grund dafür in unserer übersexualisierten Welt liegt oder dass die Medien schuld sind oder dass es die emanzipierten Frauen, die uns Männer unter Druck setzen …Vielmehr betrachte ich nicht-organisch bedingte Impotenz oder weibliche Lustlosigkeit meist nicht als das eigentliche Problem. Sondern für eine kreative – unbewusste – Lösung für einen Konflikt.
    Statt einem Nicht-Können ein Nicht-Mehr-Wollen.
    Also ein nicht angekündigter Streik. Und Streik ist die Waffe derer, die sich hilfloser fühlen (nicht sind). Deswegen sind Viagra und Co. auch nur ein Mittel, damit „er“ (man) wieder funktioniert. Konkreter: Impotenz ist kein Viagra-Mangel auch wenn es hilft. So wie ja auch Kopfweh keinen Aspirinmangel anzeigt, auch wenn eine Tablette oft hilft.
    Mit Zwiegesprächen kann man nach einer Weile an den wahren Streikgrund rühren. Doch das braucht länger.

  • Wenn sich das gemeinsame Leben deutlich ändert.
    Phasenübergänge sind immer kritische Zeiten. Das erste Kind, Krankheiten, Umzüge, älter werden, Auszug der Kinder, Pensionsgrenze. Wenn man nicht mehr weiter machen wie bisher, hilft es, miteinander über das Erlebte zu sprechen.

Wer kann Zwiegespräche führen?

In diesem Beitrag richte ich mich vor allem an Paare. Doch die Methode ist nicht auf Mann und Frau beschränkt. Ich habe Zwiegespräche schon in ganz unterschiedlichen Situationen empfohlen. Zum Beispiel für:

  • Erwachsene mit den eigenen Eltern oder auch Schwiegereltern.
    Gerade in dieser Beziehung spielen ja oft die Themen Abgrenzung, Einmischen, Loslassen u.a. eine große Rolle, die schnell zu Grundsatzfragen aufgebauscht werden („In meiner Generation„, „Früher galt …“ „Wir meinen es nur gut“). Muss von jedem die andere Meinung vor allem abgewehrt werden, bleibt das gegenseitige Verständnis, warum der andere so handelt, auf der Strecke.
  • Eltern mit heranwachsenden Kindern.
    Die Pubertät ist v.a. eine Zeit, wo unterschiedlichen Werte, Normen und Verhaltensweisen aufeinander prallen. Drohungen und Sanktionen greifen nicht mehr oder sind unangemessen. Was jetzt übrig bleibt, ist die Beziehung – und die gemeinsame Kommunikation.Da in der Pubertät Identitätsfragen und Trennungsthemen unbewusst mitschwingen, sind die Gefühle aller Beteiligten stark und hoch ambivalent. Zwiegespräche ermöglichen zuweilen den Weg zu einem gegenseitigen Verständnis bzw. Respekt, wenn man dasselbe entgegen gebracht bekommt.
  • Führungskraft und Mitarbeiter
    Das braucht natürlich einen Vorgesetzten, der sich nicht hinter seiner hierarchisch übergeordneten Rolle verstecken muss. Und es braucht einen Mitarbeiter, der bereit ist, sein Feindbild (Idiot, Menschenschinder, Technokrat) mal eine Weile auf die Seite zu stellen, um vielleicht zu erkennen, dass sein Chef (seine Chefin) auch ein Mensch mit Gefühlen und Empfindlichkeiten ist.
  • Mitarbeiter in einem Team.
    Zwiegespräche kann man auch verstehen als Mediationgespräch – ohne Mediator. Oder als Schlichtung ohne Schlichter. Die Funktion des Dritten und die dadurch oft eintretende Beruhigung oder Versachlichung der Parteien übernimmt bei Zwiegesprächen die feste Struktur und die Disziplin der Beteiligten, sich an diese Struktur zu halten.

Wie führt man ein Zwiegespräch?

Die Grundregeln sind einfach aber wirkungsvoll. Ich empfehle daher, sie strikt einzuhalten. Dass man Zwiegespräche „braucht“, ist ja ein Zeichen dafür, dass man das, was durch die Regeln bewirkt wird, so spontan im Gespräch nicht tun kann.

  • Mindestens einmal in der Woche eine Stunde Zeit.
    Wer im Urlaub ist, kann es auch öfter tun. Aber die Regelmäßigkeit ist wichtig. Zu oft bringt auch nichts. In den Zeiten zwischen den Gesprächen wirkt das Gesagte und Gehörte nach.
  • Einander gegenübersetzen.
    Nicht im Freien, nicht beim Spaziergang. All dies lenkt zu sehr ab und stört den intimen Raum.
  • A spricht, B hört zu.
    Jeweils zehn Minuten spricht A und B hört zu. Nach zehn Minuten Wechsel. Dann spricht B und A hört zu. In einer Stunde kommt also jeder dreimal dran mit Sprechen und Zuhören.
    Sprechen heißt, von sich sprechen. Am besten als Antwort auf die selbstgestellte Frage: „Was mich zur Zeit stark beschäftigt.“A spricht darüber, wie er sich, den anderen, die Beziehung und sein Leben erlebt. A muss nicht die ganze Zeit sprechen. Das Schweigen und Spüren, was A im Schweigen erlebt (Unruhe, Unwohlsein, Druck, Ruhe, Orientierungslosigkeit) kann A äußern.B hört zu. B überlegt also nicht, was er darauf erwidern könnte. B denkt nicht darüber nach, was ihn zur Zeit stark beschäftigt. B ist beim anderen – und bei sich.
    B urteilt und wertet nach Möglichkeit nicht. B hat die innere Haltung eines Völkerkundlers, der die Ansichten und Gebräuche eines fremden Volkes kennenlernen will („Ist ja interessant!“)
  • Keine Fragen, keine Kommentare.
    Beides ist nicht erlaubt, auch keine nonverbalen Kommentare wie hörbares Ausatmen, Augenverdrehen, Kopfschütteln.
    Das ist überhaupt das Heilsame der Struktur der Zwiegespräche, das mir immer wieder berichtet wird. Jeder kann sprechen ohne unterbrochen, kritisiert, angegriffen zu werden. Und jeder darf zuhören, ohne gleich eine Meinung dazu haben zu müssen.
  • Jeder spricht, worüber er/sie sprechen möchte.
    Zwiegespräche sind keine Beichte, haben keinen Offenbarungszwang. Jeder ist so offen, wie er sein möchte. Jeder ist frei in der Wahl seines Themas. Wenn A in seiner Sprechsequenz über Thema X spricht, muss B in seiner Sequenz nicht darauf antworten. Er kann es aber tun.
  • Nach dem Zwiegespräch kein Nachkommentieren.
    Am besten, man trennt sich für eine Weile, lässt das Erlebte in sich wirken, schreibt etwas auf. Ein Zwiegespräch ist ein Spiegelbild der Beziehung. Offen, unfertig, voller Möglichkeiten – ein immerwährender Prozeß. Mit einem Ziel aber ohne ein Ende.

Wie geht man mit Hindernissen um?

Aus meiner Praxis mit Klienten kommen häufig diese Fragen:

  • Was tun, wenn einer Zwiegespräche will und der andere nicht?
    Es ist nützlich, die Widerstände zu untersuchen. Dabei helfen Rationalisierungen wenig weiter („Ich rede nicht gern, ich mache lieber.“ „Was soll uns dieses Psychogelaber bringen.“) Vielmehr müssen die dahinterliegenden Ängste gespürt und geäußert werden. Die beste Form dafür wäre – paradoxerweise – ein Zwiegespräch.
    Manchmal steht hinter einer Weigerung, zumal wenn keine bessere Alternative genannt wird, bereits die indirekt geäußerte Botschaft, nichts mehr investieren zu wollen. Das kann man ansprechen.
  • Wir finden einfach keine Zeit für gemeinsame Zwiegespräche.
    Das ist eine Ausrede. Oder die besser klingende Aussage, dass einem alles andere wichtiger ist. (Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.) Wenn Sie sich das Bein brechen würden, hätten Sie auch die Zeit, ins Krankenhaus zu gehen.
  • Wir schaffen es nicht, die Zeiten einzuhalten.
    Das zeigt, wie schwer es Ihnen fällt, Grenzen zu respektieren und einzuhalten. Nehmen Sie einen Kurzzeitwecker dazu.
  • Ich kann nicht nur zuhören und unterbreche dann meinen Partner.
    Hieraus können Sie ersehen, wie schwer es Ihnen fällt, andere Meinungen und Standpunkte stehen zu lassen und dass sie wenig inneren Raum für Verschiedenheit haben. Im Zwiegespräch können Sie lernen, dass Ihre Weltsicht nur eine von Milliarden anderer ist und Sie nicht Recht haben (müssen). Wenn es nicht anders geht: Halten Sie sich den Mund zu – um sich ganz auf’s Zuhören zu konzentrieren.
  • Ich kann nicht offen sprechen, wenn mein Partner mich anschaut.
    Zwiegespräche können trotz der distanzierenden Struktur eine neue Nähe zwischen dem Paar ermöglichen. Manchmal, wenn man den Anderen vor allem als Projektionsfläche für eigene abgewehrte Gefühle braucht, kann der Anblick des Anderen – und dessen Reaktionen – für einen hinderlich sein. Probieren sie aus, sich Rücken an Rücken zu setzen.

Es ist immer dasselbe Muster.

Hinter jeder gescheiterten Beziehung steht dasselbe Muster: ein Totalverlust an emotionaler Bindung und Nähe.

Diese Entfremdung passiert nicht über Nacht, sondern früh in den Gesprächen zwischen den Partnern. Dann werden Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten weniger, dann wird der Sex weniger. Dann ist es schon ziemlich spät.

Diese emotionale Entfremdung führt oft zum Fremdgehen. Man lernt zufällig jemand kennen und die Woge an Interesse, Zuwendung und Aufmerksamkeit des anderen überrollt den Menschen, der in der Partnerschaft schon lange vor sich hintrocknet.

Die auf eine Affäre oft folgende Trennung ist somit kein spontaner Entschluss. Schon lange vorher gibt es unzählige Anzeichen, dass etwas nicht stimmt.

Kann man das Fremdgehen verhindern?

Ja und nein.

Ich habe ein eBook geschrieben mit dem Titel „Fremdgegangen – Wege aus dem Chaos“. Darin beschreibe ich auf 145 Seiten, was man tun kann, wenn der Seitensprung schon passiert ist. Und was ein Paar tun kann, dass es gar nicht so weit kommt.

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kommentar Wie geht es Ihnen mit Ihrer Kommunikation als Paar?

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© Marin Conic – Fotolia.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.