Die Bedeutung von Zuwendung, Nähe und Berührung in der Wirtschaftskrise.

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Emotionale Intelligenz / Gesundheit / Methoden

Finanzkrise trifft uns alle
Die Wirtschafts- und Finanzkrise trifft uns alle. Kaum eine Branche bleibt verschont. Egal, ob Angestellter oder Selbständiger oder Beamter, direkt oder in vielen Fällen indirekt trifft es uns alle.

Und das nicht nur national sondern auf der ganzen Welt, wie der lesenswerte Artikel im Stern beschreibt.

Viele haben Angst um ihren Job, wie diese aktuelle Statistik zeigt.

Wie gehen Sie bisher mit der Krise und ihren Folgen um?

In diesem Beitrag plädiere ich dafür, neben einigen anderen Empfehlungen sich Zuwendung, Nähe und Berührung in der Partnerschaft und Ihrem Freundeskreis zu suchen. Warum?

Die meisten vollmundigen Erklärungen unserer Regierungsvertreter mit ihren Rettungsplänen, Konjunkturprognosen oder Durchhalteparolen rufen selten eine wirkliche Zuversicht in uns hervor. Und selbst wenn jetzt die Mehrwertsteuer halbiert werden würde und viele von uns etwas mehr konsumieren würden, könnte das doch beim Einzelnen kaum einen dauerhaften Stimmungswandel bewirken.

Nein, für unsere Gefühlslage oder genauer, wie wir die Realität betrachten und einschätzen, sind wir in erster Linie selbst verantwortlich. Und da spielen eben Zuwendung, Nähe und Berührung von anderen eine entscheidende Rolle.

„Die Berührung ist zehnmal intensiver als der verbale oder emotionale Kontakt und sie wirkt sich auf nahezu alle unsere Aktivitäten aus. Kein anderes Sinnesorgan stimuliert uns so sehr wie der Fühl- oder Tastsinn. Das war schon immer bekannt, aber wir haben uns nie bewusst gemacht, dass es dafür eine biologische Grundlage gab.

Wenn sich die Berührung nicht gut anfühlte, gäbe es keine Artenvielfalt, keine Eltern, kein Überleben. Eine Mutter würde den Körperkontakt zu ihrem Baby nicht suchen, wenn sie keine Freude daran hätte. Wenn uns das Berühren und Erkunden des anderen nicht gefielen, gäbe es keinen  Sex. Tiere, die instinktiv mehr Körperkontakt hatten, zeugten Nachkommen, die überlebensfähiger waren und mehr Energie besaßen; auf diese Weise vererbten sie die Neigung zum Körperkontakt, die sich dadurch immer stärker ausprägte.
Wir vergessen, dass die Berührung nicht nur ein grundlegendes Bedürfnis, sondern der Schlüssel für das Überleben unserer Art ist.“ (Saul Schanberg, 1995)

Berührung lässt uns spüren, dass wir nicht allein sind sondern verbunden und anderen nah sein können. Berührung ist elementar. Ohne Berührung stirbt man zwar nicht gleich, aber man verkümmert, zuerst emotional, danach körperlich.

In meinem Psychologiestudium haben mich dazu unter anderem die Experimente von Harry Harlow (1961)  fasziniert. Er baute für kleine Rhesusaffen zwei verschiedene „Ersatz-Mütter“. Die eine aus Draht aber mit einer Vorrichtung aus der Milch kam. Die andere ohne Milch aber mit einem weichen Kuschelfell.

Harlow konnte deutlich zeigen, dass das Affenkind zuerst die „Milch-Mama“ aufsucht, obwohl aus Draht und ziemlich unbequem – und dann die „Kuschel-Mama“. Hier das Video dazu …

Harlow wies auf diese Weise nach, dass soziale Bindungen für die emotionale Entwicklung der Primaten extrem wichtig sind. Auch der britische Psychoanalytiker und Psychiater John Bowlby hielt Harlow zugute, dass er die Bindungstheorie „gerettet“ und alle Welt davon überzeugt habe, wie wichtig die Eltern-Kind-Beziehung sei.

Doch jetzt zu unserem Thema.

Was brauchen Lebewesen vor allem, wenn Sie Angst haben oder in Panik sind?

In einem zweiten Experiment bastelte Harlow aus Blech ein furchterregendes Monster, das mit fletschenden Zähnen einen Höllenkrach machte. Wohin würde sich das Affenkind flüchten, wenn es damit konfrontiert werden würde? Was würde es bei großer Angst instinktiv mehr brauchen? Nahrung oder Berührung?

Sehen sie selbst: [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=fg9QCeA4FJs[/youtube]

Natürlich sind Experimente von Affen nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar. Aber dass eine tröstende Berührung oder eine liebevolle Umarmung uns manchmal mehr helfen als gut gemeinte Worte, hat wohl jeder schon einmal erlebt.

Was heißt das jetzt für uns in der Wirtschaftskrise?

Natürlich sind politisch gute Entscheidungen und angemessene finanzielle Hilfen wichtig. Doch was jeder Einzelne vielleicht auch braucht, ist das Gefühl, nicht allein und ausgestoßen zu sein, sondern als Mensch verbunden und im Kontakt mit anderen Menschen.

Das können Politiker (auch nicht die wöchentliche Video-Botschaft der Kanzlerin) oder Firmeninhaber nicht leisten. Das kann nur in der Partnerschaft oder in der Familie geschehen.

Für viele Männer gehört es zur maskulinen Identität, keine Angst zu haben bzw. sie zumindest nicht zu zeigen. Und sich und anderen mit tapferen Durchhalteparolen „Ich schaff‘ das schon!“ Mut zu machen. In meinen Coachings höre ich immer wieder, dass Männer Herabstufungen im Job oder Gehaltseinbußen zu Hause verschweigen, um nicht als Schwächling dazustehen oder die Ängste ihrer Partnerin nicht aushalten zu müssen.

Nun, die Auswirkungen und Folgen der Finanzkrise sind für niemanden absehbar. Was klar ist, dass sich vieles verändern wird. Der schöne Spruch „Krisen sind auch Chancen“ betont gern die Möglichkeiten, die darin liegen, wenn sich Grundlegendes ändert.

Aber allzu oft liegt darin doch die menschliche Strategie „Aus der Not eine Tugend machen.“ Wer erlebt, dass sein Wertpapierdepot innerhalb weniger Monate um disich e Hälfte reduziert, hätte wohl liebend gern auf die darin liegenden „Chancen“ verzichtet.

Was kann man tun?

Ich finde, dass Krisen vor allem eine Möglichkeit bieten, die eigene Situation und die persönlichen Werte zu reflektieren und zu überprüfen. Hierzu ein paar Anregungen:

  • Sprechen Sie mit Ihrem Partner über Ihre Ängste und Sorgen.© Lisa F. Young - Fotolia.com
    Manche Menschen glauben, dass das Sprechen über Sorgen und Ängste sie krank oder depressiv machen könne und versuchen einen verzweifelten „Und-dennoch-Optimismus“.
    Das merke ich zuweilen, wenn ich jemanden frage: „Wie geht’s?“ und zur Antwort bekomme: „Es muss ja!“
    Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Nicht Gefühle wie Angst, Wut oder Trauer – angemessen erlebt und kommuniziert – machen krank. Sondern das Unterdrücken der Gefühle kann eine Depression oder psychosomatische Beschwerden begünstigen.
  • Überlegen Sie gemeinsam, was Sie aktiv tun können.
    Krisen und die damit verbundenen Sorgen und Ängste sind besonders dann quälend, wenn man das Gefühl hat, völlig hilflos und ausgeliefert zu sein. Doch wirklich ohnmächtig ausgeliefert ist man selten.
    Überlegen Sie ganz konkret, wie Sie zusätzliche Einkommensquellen erschließen können (Sachen verkaufen, Zusatzverdienst usw.) und vor allem: wie Sie wo und was sparen können.
    In der öffentlichen Diskussion hört man immer wieder, dass wir „auf hohem Niveau“ klagen. Das hängt natürlich immer von der Betrachtungsperspektive und dem zugrunde liegenden Maßstab ab. Aber für viele von uns trifft es auch tatsächlich zu. Eine gründliche Überprüfung laufender Ausgaben (Abonnements, Einkaufsgewohnheiten, Preisvergleiche etc.) kann Ihnen helfen, Ihre Ausgaben zu begrenzen. Getreu der alten Kaufmannsregel: „Was Sie nicht ausgeben, müssen Sie nicht verdienen.“
  • Schauen Sie gemeinsam auf das, was Sie haben.
    In der Börsenpsychologie ist bekannt, dass hundert Euro Kursgewinn sich auf die Stimmung von Menschen weniger auswirken als einhundert Euro Kursverlust. Eigentlich seltsam, denn der Betrag ist ja gleich aber wir trennen uns schwerer von dem, was wir zu besitzen glauben. 

    Doch wenn Sie Ihren Blick auf das wenden, was Sie alles haben (Dach über dem Kopf, Freunde, Gesundheit, Familie etc.) werden Sie eine lange Liste zusammenstellen können. Das Tückische daran ist nur: Sie haben sich längst daran gewöhnt und deshalb zählt es in Ihrer Zufriedenheitsbilanz weniger.
    Erst wer sich mal den rechten Arm gebrochen hat oder eine ernsthaftere Krankheit hat, lernt den Wert von Gesundheit besser schätzen. Wer die Schmerzen einer Trennung durchlebt, spürt deutlich, wie kostbar eine „einigermaßen gute“ Paarbeziehung sein kann.

  • Rücken Sie enger zusammen und berühren Sie sich mehr.
    Das meine ich ganz ernst. Und zwar wortwörtlich und nicht nur im übertragenen Sinn. Sorgen und Existenznöte lassen sich leichter bewältigen, wenn Ihre Stimmung gut ist.
    Und Zuwendung, Nähe und Berührung mit Ihnen nahe stehenden Menschen ist das „billigste“ Mittel, um sich und dem Anderen gute Gefühle zu verschaffen. Und ganz ohne Nebenwirkungen im Gegensatz zu allen anderen Stimmungsaufhellern.

Wie, Sie haben niemanden, den Sie einfach mal so in den Arm nehmen könnten?

Kein Problem, das funktioniert auch mit Fremden, wie die seit einigen Jahren bekannten Kuschelparties zeigen, die es mittlerweile in einigen deutschen Städten gibt.
Und es geht noch einfacher. Malen Sie sich ein Pappschild, gehen Sie in die Fußgängerzone und bieten Sie den Passanten „Gratis-Umarmungen“ an.

Das geht nicht? Dann schauen Sie hier:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=vr3x_RRJdd4[/youtube]

„Ja, gut!“ sagen Sie jetzt. „Das geht vielleicht in Amerika.“ Da haben Sie ein bisschen recht. Die Amerikaner sind in manchen Dingen pragmatischer und probieren aus, was funktioniert, wo der Deutsche erst einmal fragt, ob man nicht eine Erlaubnis vom Bürgermeisteramt braucht, wenn man auf der Straße wildfremde Leute umarmen will.

Aber haben nicht viele von uns bei der Wahl Obamas und seiner Rede zur Amtseinführung jene Amerikaner ein wenig beneidet, wie offen sie ihre Gefühle auf der Straße zeigen können und mit anderen Menschen in schweren Zeiten den Kontakt suchen?

Vielleicht könnten wir davon in Deutschland ein wenig lernen. Nicht nur anklagen, demonstrieren, jammern oder in Fatalismus erstarren.

Probieren Sie es doch mal für eine Woche aus. Vielleicht gleich heute.

Diesen Beitrag können Sie sich hier als Podcast anhören:

Wie gehen Sie emotional mit der Finanzkrise um?

Was tun Sie für Ihre Stimmung?

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Dieser Beitrag wurde angeregt durch den Hinweis von Petra Fiderer auf das „Free-Hug-Video. Vielen Dank!

Fotos: ©© Lisa F. Young – Fotolia.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.