Ihre Wahrnehmung der Welt ist eine Phantasie, die mit der Realität übereinstimmt.

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Neurobiologie / Persönlichkeit

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Jedem Menschen kommt es so vor, dass er die Realität, also die physische Welt einfach und direkt wahrnehmen kann. Und genau das ist eine Illusion unseres Gehirns.

In seinem Buch „Wie unser Gehirn die Welt erschafft“ schreibt Chris Frith:

„Selbst wenn all unsere Sinne völlig intakt sind und unser Gehirn normal funktioniert, haben wir keinen direkten Zugang zur physischen Welt. Es fühlt sich vielleicht so an, als hätten wir diesen direkten Zugang, doch das ist eine Illusion unseres Gehirns.“

Auf der nächsten Party können Sie das mit einem berühmten Trick demonstrieren. Sie brauchen dazu nur einen Gummiarm und einen Schirm aus Pappe.

Dann bitten Sie einen Gast, seinen linken Arm auf den Tisch zu legen und verdecken diesen für ihn mit dem Schirm. Den Gummiarm legen Sie so, als ob er zu dem Gast gehört und dieser ihn sehen kann. Dann streichen Sie mit zwei Pinseln mehrmals gleichzeitig über den Arm des Gastes und den Gummiarm. Dieser spürt anfangs die Berührung auf seinem Arm und sieht den Pinselstrich auf dem Gummiarm.

Jetzt kommt’s: nach einigen Minuten verschwindet mit der Zeit das Berührungsgefühl aus dem linken Arm. Es ist jetzt im Gummiarm. Das Gefühl ist auf magische Weise aus dem Körper in einen ganz anderen Teil der realen Welt gewandert. Hier ein Video dazu.

Wie schafft das Gehirn das?

Mit seltenen Ereignissen oder großen Zahlen können wir schlecht umgehen.

Unser Gehirn arbeitet wie ein Bayes-Computer. Das berühmte Bayes-Theorem gibt an, wie sehr man seine Überzeugung über einen bestimmten Sachverhalt (A) der Wirklichkeit angesichts neuer Information x verändern soll.

Das Bayes-Theorem zeigt, dass wir Ereignisse schlecht einordnen können, wenn es um seltene Ereignisse und große Zahlen geht. So zeigten Wolfe et. al., dass Mitarbeiter bei der Gepäckdurchleuchtung am Flugzeug gefährliche Gegenstände wie Messer oder Sprengstoff gut entdeckten, wenn diese häufig auftraten. Waren die Zielobjekte aber selten – was gottseidank ja der Fall ist – sank ihre Erkennungsrate drastisch.

Deshalb sind Terrorwarnungen hierzulande zwar gut gemeint, verändern aber unser Verhalten in Wirklichkeit nicht. Müssten wir fast täglich damit rechnen, dass in unserer Umgebung eine Bombe explodiert – wie im Irak – würden wir uns mit Sicherheit anders verhalten.

Genau wie ein Bayes-Computer macht unser Gehirn Vorannahmen aufgrund mentaler Landkarten, wie etwas auszusehen hat. Mithilfe dieses Modells kann das Gehirn voraussagen, welche Signale unsere Sinne empfangen sollten. Diese Annahmen werden mit den tatsächlichen Signalen aus der Wirklichkeit verglichen und dabei gibt es natürlich Fehler.

Aufgrund dieser Unterschiede lernt das Gehirn, sein Modell mit der Zeit zu verbessern. Wenn auch nicht bei allen Menschen.

Käse ist zum Beispiel für Franzosen lebendig. Sie würden ihn nie  pasteurisieren oder in den Kühlschrank legen. Für Amerikaner ist Käse tot. Deshalb kann man ihn auch in Folie einschweißen.

Cola verbinden wir mit brauner Farbe. Eine neue Variante von Cola, die bei identischem Geschmack von grüner Farbe wäre, hätte es beim Verbraucher schwer.Auch der grüne Ketchup konnte sich trotz identischem Geschmack beim Verbraucher nicht durchsetzenn.

Deswegen werden ja auch bei teuren Weinen immer noch richtige Korken verwendet, obwohl ein Drehverschluss aus Metall viel vorteilhafter wäre. Das Problem liegt im Modell des Konsumenten, der guten Wein auch in der heutigen Zeit mit einem richtigen Korken verbindet.

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Woher kommen unsere mentalen Modelle der Realität?

Etliche davon durch Millionen Jahre Evolution. Gewisse Fakten über die Welt verändern sich kaum und werden zu starken Vorannahmen. Dass zum Beispiel aufgrund der Schwerkraft Gegenstände nach unten fallen. Oder dass Sonnenlicht von oben kommt. Aus den daraus entstehenden Schatten schließen wir auf die Lage von Gegenständen.

Wenn Ihr Gehirn jedoch ein falsches Vorwissen hat, werden auch Ihre Sinne getäuscht. Sie nehmen etwas wahr, was gar nicht da ist. Das kann man gut an einer Hohlmaske demonstrieren. Unser Gehirn hat über Gesichter die Hypothese, dass die Nase hervorsteht. Aber jetzt schauen Sie mal genau hin, wie wenig Sie hier Ihren Augen trauen können:

Wenn Sie bei Sekunde 0.19 das Video anhalten, müssen Sie zugeben, dass Sie etwas sehen, was nicht so ist. Sie wissen, dass die Nase bei der Hohlmaske nach außen gewölbt ist. Sie „sehen“ aber etwas anderes. Ihr Gehirn korrigiert Ihre reale Sinneswahrnehmung. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Unsere Wahrnehmung wird also durch unsere Erwartung bestimmt. Die tatsächliche Wahrnehmung entsteht erst in uns. Sie wird durch Erwartungen und Erfahrungen aktiv verändert.

Deswegen funktionieren auch viele optischen Täuschungen. was ist realität und warum wir sie nicht warhnehmen könnenWenn also zwei unterschiedliche Objekte in der äußeren Realität dieselben sensorischen Informationen liefern. Da das Gehirn keinen Grund hat, eine Version zu bevorzugen, sehen Sie in dem Bild entweder einen Totenschädel oder zwei Frauen. Ihre Wahrnehmung springt hin und her, weil beide Eindrücke gleich plausibel sind.
Tipp: Stellen Sie sich das gleiche Bild mit geschlossenen Augen vor. Was passiert jetzt?

Noch ein Beispiel.

Ob eine Tomate rot ist, hat wenig mit der Tomate zu tun. Die Wellenlänge des Lichts bestimmt die Farbe eines Objekts. Wird eine Tomate mit weißem Licht bestrahlt, sehen wir sie rot, weil die Tomate rotes Licht reflektiert.

Wenn wir eine Tomate mit blauem Licht anstrahlen, kann sie kein rotes Licht reflektieren. Sehen Sie dann eine blaue Tomate? Nein. Unser Gehirn korrigiert unsere Wahrnehmung sofort und liefert uns die korrekte rote Tomatenfarbe.

Was lernen wir daraus?

Die Schlussfolgerungen sind einigermaßen bestürzend. Was Sie täglich als real wahrnehmen, ist eben nicht die objektive Welt. Sondern Sie nehmen die Modelle Ihres Gehirns wahr, die dieses von der Welt kreiert. Anders gesagt: Ihre Wahrnehmungen sind Phantasiebilder, die sich mit der Realität einigermaßen decken.

Unser Wissen um die physische Welt ist also höchst subjektiv. Was wir über die reale Welt zu wissen glauben, kommt von einem Modell unseres Gehirns, das dieses aufgrund von Vorannahmen und sensorischen Daten geschaffen hat.

Aber woher wissen wir, dass unser Modell von der Welt, das unser Gehirn entwirft, richtig ist?

Die Antwort ist einfach: wenn das Modell für uns funktioniert. Können wir uns damit „richtig“ verhalten und den nächsten Tag erleben? Das Problem der „Richtigkeit“ oder „Wahrheit“ taucht erst auf, wenn zwei Gehirne miteinander kommunizieren und man feststellt, dass das Modell unseres Gegenübers sich von dem unsrigen unterscheidet.

Das passiert ja nun jeden Tag. Politisch, beruflich wie privat:

  • Welches ist die beste Werbestrategie für das neue Haarshampoo?
  • Sind 5 Euro mehr für Hartz 4 Empfänger eine Erhöhung oder ein Witz?
  • Sollte man Vorsätze an Silvester fassen? Und wenn ja, welche?
  • Wann ist die Wohnung unaufgeräumt? Und wann ordentlich?
  • Sind jetzt Glühlampen oder Energiesparlampen richtig?

Warum wir Vorurteile brauchen.

Das Gehirn braucht für seine Modelle „Vorurteile“. Der Begriff ist negativ belegt, doch unser Gehirn braucht solche Vorannahmen. Mit ihnen wird der Kreislauf von Vermutungen und Vorhersagen in Gang gesetzt, durch den unser Modell der Welt immer präziser wird. Deswegen lernt man ja auch mehr aus Fehlern als aus Erfolgen.

Den ersten Hinweis über einen anderen Menschen und sein mögliches Verhalten gibt uns das vermutete Geschlecht. Schon Dreijährige haben entsprechende Stereotypen über Geschlechter verinnerlicht.

Ihr Gehirn kann zum Beispiel aus nur 15 tanzenden Punkten eine menschliche Figur erkennen. Kann erkennen, ob die Figur weiblich oder männlich ist. Nervös oder entspannt. Glücklich oder traurig. Wohlgemerkt nicht aus einem Bild, sondern aus weißen Punkten auf einer schwarzen Hintergrund! Probieren Sie es hier aus.

Vielleicht erklären die Thesen hier auch das überraschende Ergebnis einer Studie, nachdem ein Placebo bei Patienten mit Reizdarmsyndrom selbst dann wirkte, wenn man den Menschen sagte, dass es ein Placebo sei. Das Gehirn könnte also trotzdem eine Wirkung erschaffen.

Wie unser Gehirn die Welt erschafft
Mit anderen Worten: Ihr Gehirn erschafft die Welt. Das ist auch der Titel des Buches von Chris Frith, aus dem ich hier einiges beschrieben habe. Absolut lesenswert!

Das bedeutet aber auch: Sogar unser „Ich“ ist ein Konstrukt unseres Gehirns. Eine beeindruckende Erfahrung, dass das „Ich“ konstruiert ist, und dass es noch etwas anderes in uns Menschen gibt, das Selbst, können Sie mit den Anleitungen in diesem Buch erfahren.

Mein Fazit:

Das Thema fasziniert mich auch deshalb, weil es meine Arbeit direkt berührt. Denn wer seine Persönlichkeit besser kennenlernen oder sein Verhalten ändern will, muss herausfinden, mit welchem Modell von sich oder dem jeweiligen Verhalten sein Gehirn bisher arbeitet.

In einigen Artikeln dieses Blogs habe ich das genauer beschrieben:

Oder anders gesagt: wenn Sie etwas verändern wollen, müssen Sie erst mal herausfinden, wie Sie das unerwünschte Verhalten produzieren. Also mehr über das real angewandte Modell herausfinden, das Ihr Gehirn zu diesem Thema bis jetzt gespeichert hat und als Grundlage für Ihr Verhalten benutzt.

Die gute Nachricht: Wenn Sie sich bewusst gemacht haben, welche Landkarte von der Welt Sie bisher benutzen, können Sie diese auch aktualisieren. Manche dieser Modelle von der Welt, haben Sie schon als kleiner Junge oder kleines Mädchen gebildet.

Aber mit einem Stadtplan, der dreißig, vierzig Jahre oder noch älter ist, würden Sie doch niemals eine lange Reise antreten, oder?

kommentar Welche Schlüsse ziehen Sie persönlich aus all dem?

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Foto: © Xenia Luise Fotolia.com

 

Letzte Aktualisierung am 27.04.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.