Soll man mit 74 Jahren noch mal Vater werden?

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Und soll man mit 66 Jahren noch Mutter werden?

Medizinisch gesehen geht beides. Jean Pütz, der Wissenschaftsjournalist und langjährige Leiter der „Hobbythek“, verkündet es gerade über die Medien. Kein später Kinderwunsch, denn er hat schon Sprößlinge. Einen Sohn, der zehn ist. Der andere ist fünfzig (!) Jahre alt.

Wie begründet der Spätberufene die Sache?

“ Ich bin eben ein kleiner Lustmolch. Und meine Frau verträgt die Pille nicht.“ Seit 2004 ist er mit seiner zweiten Frau Pina (42 Jahre) verheiratet. … „Meine Frau macht so schöne Kinder, das wollten wir noch mal ausnutzen.“ … „Natürlich hat man in meinem Alter gewisse Skrupel, aber ich habe immer gesund gelebt, daher hoffe ich, dass ich meine Tochter mindestens bis zum 20. Lebensjahr (!) begleiten kann.“ (Zitate aus BILD).

Nun ja, mangelnde Zukunftsplanung kann man Herrn Pütz nicht vorwerfen.

Mit so einer späten Vaterschaft ist Pütz in guter (?) Gesellschaft. Pablo Picasso wurde mit 68 Jahren Vater, Karel Gott ebenfalls, Clint Eastwood nur 67, und Anthony Quinn sogar 81 Jahre. Der vor kurzem mit 71 Jahren verstorbene Opernstar Luciano Pavarotti hinterlässt eine vierjährige Tochter. Bergsteiger Luis Trenker führt hier die Spitze an – mit 96 Jahren. Und wer weiß, wenn Lothar Matthäus in zwanzig Jahren mit der elften Ehefrau endlich die richtige gefunden hat. Und überhaupt, was macht eigentlich Johannes Heesters …?

Sie merken schon an meinem ironischen Ton: ich bin dagegen.
Und zwar aus zwei Gründen:

1. Alte Väter haben schlechteres Erbgut.

Dänische Wissenschaftler der Universität Aarhus haben in einer Studie (102.879 Paare und deren Kinder) herausgefunden:
  • Das Sterblichkeitsrisiko bei Kindern, deren Väter älter als 45 Jahre alt sind, ist doppelt so hoch wie bei jenen, die Väter zwischen 25 und 30 Jahren alt sind.
  • Kinder älterer Väter etwa doppelt so häufig an Komplikationen während der Geburt und an Erbkrankheiten wie Herzfehlern und deformierten Wirbelsäulen.
  • Verletzungen und Vergiftungen traten doppelt so häufig auf.
  • Die Sterblichkeitsrate bei Kindern junger Väter (25 bis 30 Jahre) liegt bei 0,68 Prozent , bei über 45-Jährigen erhöht sich die Rate auf 1,2 Prozent.
  • Kinder, die von älteren Männern gezeugt wurden, sind laut einer neuen Studie weniger intelligent als Kinder jüngerer Väter.
  • Auch Zwergenwuchs und Gesichtsdeformationen treten überzufällig bei später Vaterschaft auf.

„Das habe ich ganz ohne Viagra geschafft!“ brüstet sich Jean Pütz im Interview. Doch wie oft im Leben ist entscheidend, was hinten rauskommt. In diesem Fall also vorne. Und das sind bei alten Männern schlechtere Spermien.  Denn mit fortschreitendem Alter treten in den männlichen Keimzellen verstärkt Mutationen auf.

2. Alte Väter bieten in vielem keine gute Identifikation.

Keine Frage – alte Väter haben auch Vorteile für Kind und Ehefrau. Sie sind meist finanziell abgesichert und vor allem haben sie viel Zeit. Denn im Großväter-Alter ist meist die aktive Berufszeit mit ihren Zwängen vorbei. Wie das aussehen kann, kann man hier nachlesen …

Aber es hat auch Nachteile. Angefangen von Kameraden in Kindergarten und Schule, die den Jungen die ersten Male mit dem Spruch: „Dein Opa holt dich ab!“ informieren, dass sein Vater da ist. Wenn Jungen untereinander die Berufe der Väter austauschen („Was macht denn deiner?“) kommt es wohl wenig cool an, wenn ein Junge sagt: „Mein Papa ist Rentner.“

Jungen wollen auch mit dem Vater raufen, herumtollen, Fußball spielen. Wer da als 74-jähriger noch fit ist, kann wohl eine Weile mithalten. Aber wenn das Knie knirscht oder die Bandscheibe sich meldet oder der Vater beim Rennen aus der Puste kommt, merkt der Junge unmittelbar, dass sein Vater nicht nur ziemlich alt aussieht.

Der Gehirnforscher Gerald Hüther verrät in einem FAZ-Interview, wie Väter als Vorbild sein sollten.

Natürlich sterben auch junge Väter. Aber die Wahrscheinlichkeit mit 74 oder 82 Jahren ist eben ungleich höher.

Doch ich will nicht jammern.

Natürlich müssen wir in Deutschland mit einer seit Jahren sinkenden Geburtenrate um jedes Neugeborene froh sein. Oder wie es der unvergleichliche Franz Beckenbauer (mit 57 Jahren) ausdrückte: „Es gibt doch nichts Schöneres als einem Menschen das Leben zu schenken.“ Ja, so sind sie, die älteren Väter, lebensklug und so gütig.

Damit wir uns recht verstehen, ich habe nichts gegen alte Männer. Ich bin mit meinen 61 Jahren selbst einer und werde nicht an dem Ast sägen, auf dem ich auch sitze.Auch ist mir klar, dass es immer auf den Einzelfall ankommt, auf die Partnerschaft. Und natürlich in einer alternden Gesellschaft müssen wir uns bald nicht nur von der Rente mit 67 verabschieden, sondern auch davon, dass mit fünfzig die Elternphase im Großen und Ganzen abgeschlossen ist.

Wenn das Beispiel Schule macht, werden wir uns umstellen müssen. Das bietet auch Chancen für die Wirtschaft:

  • Babykostfirmen wie Hipp und Alete können neue Produkte herausbringen: „Dieser Brei schmeckt Baby und Vater.“
  • Kinderwagenfirmen erfinden ein neues Gefährt, eine Kombination zwischen Buggy und Rollator („Buggalator“)
  • Pampers könnte Doppelpackungen herausbringen: Ein Teil für Babys, der andere in XXL.

Aber ich werde schon wieder ironisch.

Wenn es immer weniger Grenzen gibt, müssen wir uns selbst  begrenzen.

Was mich auch an der Sache stört, ist die Botschaft des „Anything goes!“ Alles, was machbar ist, wird auch gemacht. Man tut so, als gäbe es keine Grenzen. Und wir leben in einer Zeit, in der auf vielen Gebieten die Grenzen immer weiter hinaus geschoben werden. Das bringt viele Vorteile. Ist aber auch mit der Konsequenz verbunden, dass wir immer mehr bestimmte Grenzen selbst finden und setzen müssen. Nur ein Beispiel:

  • „Früher“ war die Arbeitszeit begrenzt durch Verträge und die persönliche Anwesenheit am Arbeitsplatz. Durch Internet und Mobilfunk kann heute  jeder rund um die Uhr für Chef, Kollegen und Kunden erreichbar sein. Wer hier auf die Dauer nicht ausbrennen will, muss von sich aus Laptop und Handy ausschalten – und dies möglicherweise noch vor anderen rechtfertigen.

Doch Grenzen sind per se nicht Einschränkungen. Das kann man so erleben. Aber Grenzen bieten auch Orientierung, Schutz, Sicherheit. Und den Raum innerhalb der Grenze – und der ist ja auch groß.

Also: Ich bin einfach nur dagegen, dass 74-jährige noch mal Vater werden.

Und Papst oder Bischof sollten sie in dem Alter auch nicht mehr werden.

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Haben Sie Erfahrung mit einem alten Vater?

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Fotos: © istock.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.