Die Naturgesetze geben uns die Gewissheit, dass auf eine Handlung eine zu erwartende Reaktion erfolgt. Wir drücken den Lichtschalter oder die Klospülung. Stellen ein Buch ins Regal und einen Monat später steht es immer noch da. Es sei denn, etwas ist kaputt oder es gibt eine andere logische Ursache.
Das gibt uns eine nicht zu unterschätzende Sicherheit. Doch nicht alles in unserem Leben läuft so. Und wenn mal etwas nicht nach unseren Erwartungen oder Vorstellungen läuft, erleben wir das schnell als Kränkung und reagieren mit Zorn, Enttäuschung oder Wut.
- Die Mitarbeiterinnen einer insolventen Drogeriemarkt-Kette demonstrieren für eine umfangreiche Hilfe des Staates.
- Weil er sich unfair benotet fühlte, tötete ein 23-Jähriger seinen ehemaligen Mathelehrer mit mehreren Messerstichen
- „Das ist der Ausgleich“, erklärt Michael Schumacher seinen überraschenden 3. Platz nach monatelangen Misserfolgen in der Formel 1.
- Nachdem sein Chef ihm die geforderte Gehaltserhöhung verweigert hatte, lässt der Mitarbeiter sich zwei Wochen krank schreiben.
- Als der Kontrolleur die Personalien des Schwarzfahrer in der Straßenbahn aufnimmt,bemerkt ein älterer Herr: „Kleine Sünden bestraft der Hergott sofort.“
- Laut Deutschlandtrend von dimap beklagen 51 Prozent der Deutschen im Januar 2012 mangelnde Gerechtigkeit im Land.
- „Weil mich mein letzter Freund schnöde betrogen hat“, antwortet die 45jährige Klientin, als ich sie frage, warum sie ledig sei. Das sei zwar schon 15 Jahre her aber sie müsse immer wieder daran denken.
Warum Kränkung so verbreitet ist.
Was verbindet die Menschen oben in der Aufzählung? Es ist der Glaube – oder die Hoffnung, dass es auf der Welt gerecht oder fair zugehen möge.
Was aber ist „gerecht“ oder „fair“?
Als „gerecht“ bezeichnet jemand eine Situation oder eine Entscheidung die seinen ganz persönlichen rechtlichen Überzeugungen und moralischen Grundsätzen entspricht. Ein wahrgenommener Widerspruch wird als „ungerecht“ interpretiert.
„Gerecht“ oder „ungerecht“ sind somit Eigenschaften einer Situation, die jeder Beurteilende für sich ganz persönlich festlegen kann und die sich nicht mit den Beurteilungen anderer decken müssen.
So hält die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, eine Einkommensgrenze für 40.000 für gerecht.
Der Attentäter von Oslo bezeichnete seine Taten, so wörtlich, „als barbarisch, aber gerechtfertigt“, will aber nicht als psychisch krank verurteilt werden.
Schon kleine Kinder können einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn sie Kränkung erleben, weil sie glauben, an Weihnachten weniger Geschenke als ein Geschwister bekommen zu haben.
Ein Mann findet es nicht gerecht, dass seine Frau weniger Lust auf Sex hat als er. Eine Frau findet es unfair, dass ihr Mann sie nach zwanzig Jahren für eine Jüngere verlässt.
Die Beispiele sind zahllos. Da es eine Gerechtigkeit, mit der alle zufrieden sind, nicht geben kann, ist es wichtiger, wie wir mit den Gefühlen, die Ungerechtigkeit oder mangelnde Fairness nach sich ziehen, umgehen.
Kränkung und Rache: „Das wirst du mir büßen!“
Wer hat nicht schon diesen Satz jemandem zugerufen oder zumindest sich heimlich geschworen. Fühlen wir uns schlecht behandelt, wollen wir zumindest eine ausgleichende Gerechtigkeit oder ergehen uns in brutalen Rache- oder Wiedergutmachungsphantasien.
Manche werden durch den Frust über ihren Chef gar zum Buchautor. Gründen eine Bürgerinitiative oder finden sich einfach damit ab, dass das Leben kein Ponyhof ist.
Doch viele verlieren sich im Labyrinth des Haderns, des Jammerns und Beklagens.
In meine paartherapeutische Praxis kommen immer wieder Erwachsene, die sich gegenseitig vorwerfen, was der andere vor zwanzig Jahren gesagt, getan, unterlassen oder vergessen hat.
In jeder Partnerschaft passieren unschöne Dinge, entstehen Missverständnisse oder Verletzungen. In einer funktionierenden Beziehung werden solche Konflikte geklärt, indem beide darüber reden, ihre Meinungen und Gefühle darüber austauschen und irgendwann sich verzeihen oder die Sache vergessen.
Doch manche Menschen hängen in ihrer Verletztheit und Wut so fest, dass er oder sie nicht mehr herauskommt. In Ihrem Buch „The Tools“ schreiben die Autoren Barry Michels und Phil Stutz:
Wir nennen diesen Zustand das Labyrinth: Je tiefer man ins Innere vorgestoßen ist, umso schwieriger wird es, einen Ausweg daraus zu finden.
Der Gedanke an die Person, die uns „unrecht getan“ hat, wird zur Obsession. Es ist, als hätte dieser Mensch von unserem Kopf Besitz ergriffen, und wir würden ihn nicht mehr los.
Wir verfluchen ihn, wir hadern mit ihm, wir sinnen auf Rache. Wenn wir uns in diesem Zustand befinden, wird der andere zu unserem Kerkermeister, der uns im Labyrinth unserer eigenen, sich unaufhörlich im Kreis drehenden Gedanken festhält.
Kennen Sie diesen Zustand?
Schließen Sie einen Moment die Augen und achten Sie darauf, was in Ihnen auftaucht, wenn Sie sich Folgendes vorstellen:
- Eine Situation, in der Sie sich ungerecht behandelt fühlten?
- Über wen oder was regen Sie sich immer wieder auf?
- Auf wen oder was sind Sie häufig wütend?
Eine Möglichkeit ist es, Situationen oder Menschen, die Ihnen nicht gut tun, auszuweichen. Aber manchmal können oder wollen Sie nicht ausweichen. Was dann?
Wie Sie das Labyrinth der Kränkung verlassen.
Dazu sind zwei Dinge wichtig. Sie müssen erstens verstehen, warum Sie im Labyrinth Ihrer negativen Gefühle feststecken. Und zweitens brauchen Sie etwas, das stärker ist als Ihre Wut und Ihr Stolz.
1. Sie stecken im Labyrinth von Wut oder Kränkung fest, weil Sie erwarten, dass die Welt Sie fair behandeln müsste. Das muss die Welt aber nicht. Aber Sie können diesen kindlichen Glauben aufgeben, wenn Sie weiter kommen wollen.
Das Leben insgesamt ist nicht gerecht. Es ist gar nicht gegen Sie persönlich gerichtet. Eigentlich wissen Sie das, aber Ihr Festhalten an Gerechtigkeit und Fairness ist eine narzisstische Illusion, dass es doch bitteschön für Sie eine Ausnahme geben soll.
2. Es gibt nur eine Kraft, die stärker ist als Ihre Kränkung. Und das ist – die Liebe.
Das kennen Sie doch schon. Warum geben Sie Ihr Kind nicht zur Adoption frei, obwohl es einen Haufen Geld kostet und Sie manchmal tierisch nervt? Weil Sie es lieben.
Warum lassen Sie Ihren Hund nicht einschläfern, obwohl er alt und krank ist und alles vollsabbert? Weil Sie ihn lieben.
Warum trennen Sie sich nicht von Ihrem Partner, obwohl er einen Bauch, Cellulite, Schlupflider hat, schnarcht, dauernd redet etc. Weil Sie ihn lieben.
Nur die Liebe lässt uns mit Unangenehmen versöhnen und unseren Frieden machen. Doch manchmal spüren wir diese Liebe nicht. Nicht weil sie nicht da wäre, sondern weil Sie, wenn Sie sich verletzt oder wütend fühlen, es Ihrer aktiven Anstrengung bedarf, die Liebe in sich zu wecken.
Hier ein Video der Autoren:
httpv://www.youtube.com/watch?v=xkU4sKjFUm8
Gegen Kränkung hilft das Werkzeug „Aktive Liebe“
1. Stellen Sie sich vor, dass Sie in wärmendes strömendes Licht eingehüllt sind, das unendlich liebevoll ist. Lassen Sie davon Ihr Herz öffnen und weit werden. Konzentrieren Sie sich auf die Energie in Ihrer Brust.
2. Stellen Sie sich den Menschen vor, der Sie wütend macht. Wenn das zu schwierig ist, stellen Sie sich seine Anwesenheit vor, eventuell auch ohne Gesicht, wenn es das leichter macht.
Übertragen Sie all die Liebe in Ihrer Brust während des Ausatmens.
3. Sehen und spüren Sie, wie Ihre Liebe in den anderen Menschen einströmt. Werden Sie auf diese Weise für einige Momente eins mit ihm.
Ich weiß, das klingt ziemlich abgefahren. Und es löst vermutlich jede Menge Widerstand in Ihnen aus – den Menschen, den Sie auf den Mond schießen könnten mit Liebe umfangen?
Halt! Missverständnis!
Sie machen die Übung nicht für den anderen. Sie machen sie nur für sich selbst. Sie stecken ja fest. Der andere nicht.
Weitere Anwendungsmöglichkeiten
Das Tool „Aktive Liebe“ ist vor allem gut geeignet, wenn Sie aktuell über jemanden sehr wütend werden und Ihr Ärger Ihnen unverhältnismäßig zum Anlass erscheint oder Sie Ihren Ärger einfach nicht mehr los werden.
Wichtig ist der Dreierschritt zwischen
1. Konzentration: Sie sammeln die Liebe in Ihrem Herzen
2. Übertragung: Sie öffnen sich für eine universelle Liebe
3. Einströmen: Sie verbinden sich in Liebe mit der anderen Person.
Das Ganze funktioniert aus meiner persönlichen Erfahrung deshalb so gut, weil man in diesem Moment die Ungerechtigkeit voll akzeptiert und hinter sich lässt. Anders gesagt: in dem Moment, wo Sie sich mit dem anderen verbinden, lassen Sie Ihre Erwartung, dass der andere sich hätte anders verhalten sollen, los. Kurz: Sie verzichten darauf, Recht zu haben.
Darüber hinaus ist das Tool gut geeignet, um:
- Ihre Selbstkontrolle zu verbessern.
Manche Mitmenschen sind wie Landminen. Ein winziger Auslöser – und sie explodieren. Manchmal erklären sie das mit ihrem cholerischen Temperament. Andere finden das nur nervig und anstrengend.
Wenn Sie das Tool regelmäßig anwenden, wenn Sie sich provoziert fühlen, verbessern Sie mit der Zeit Ihre Selbstkontrolle. - Ihr Selbstbewusstsein zu steigern.
Wer schüchtern oder sehr zurückhaltend ist, schluckt seinen Ärger meist. Und bekommt mit der Zeit Angst vor der jahrelang gestauten Wut.
Wenn Sie lernen, Ihre Wut mit dem Tool regulieren zu können, trauen Sie sich, Ihren Standpunkt bestimmt und sicherer zu vertreten. - Andere mehr zu akzeptieren.
Manchmal kann man Menschen, die man nicht mag, ausweichen. Doch oft geht das nicht. Chefs, Kollegen, Kunden, Eltern, Schwiegereltern, Kinder – niemand ist vollkommen, hat Macken, die uns stören und dennoch müssen wir mit ihnen auskommen.
Um Ihre Ressentiments und die damit verbundenen störenden Gefühle zu regulieren, hilft Ihnen dieses Tool.
Am besten, Sie wenden es schon vorher an, wenn Sie in Kontakt kommen mit der Person oder ahnen, dass er/sie sich gleich wieder so verhalten wird.
Mein Fazit:
Vielleicht ist es seltsam für Sie, Blogbeiträge über „Aktive Liebe“ von jemand zu lesen, der sein Geld v.a. als Führungskräftetrainer und Coach verdient. Ich bin da sehr pragmatisch. Alle hier vorgestellten Werkzeuge klingen auf den ersten Blick schräg. Das ging mir genauso.
Am besten, Sie probieren die Tools aus und bilden sich Ihr eigenes Urteil. Denn im Leben zählt immer nur die praktische Erfahrung, nicht die Theorie. Dass Sie sich nicht vorstellen können, dass etwas nicht klappen kann, sagt nichts darüber aus, ob es nicht doch funktioniert.
Schreiben Sie mir doch Ihre Erfahrungen.
Wie gehen Sie mit Ihrer Kränkung um?
Ich habe alle Methoden aus dem Buch „The Tools“ auf diesem Blog vorgestellt.
Hier die Links dazu: 2. Tool, 3. Tool, 4. Tool, 5. Tool.
PS: Wenn Ihnen dieser Beitrag gefiel, dann sagen Sie es doch bitte weiter: auf Facebook, Twitter oder per Email.
… oder schreiben Sie einen Kommentar.
… oder abonnieren Sie meine Sonntagsperlen im Formular oben links..
Bilder: © – kallejipp – photocase.de, Thomas Perkins, wenani -Fotolia.com