Loslassen: warum es manchmal schwierig ist und wie es gelingt.

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Allgemein / Methoden

Jeder kennt das, dass wir an etwas festhalten, das verloren oder vergangen ist. Gemeint ist hier nicht nur das schmerzlich-liebevolle Erinnern an Schönes oder das man etwas aufhebt und in Ehren hält, was einem wichtig ist.

Vielmehr geht es hier vor allem um Situationen, in denen wir hilflos oder krampfhaft an etwas festhalten und spüren, dass uns dies schadet – wir aber nicht in der Lage zu sein scheinen, dieses Festhalten zu beeinflussen.

Von Freunden, die es gut meinen, und entsprechenden Ratgebern erfährt man die Empfehlung, doch endlich loszulassen. Sich damit abzufinden, dass etwas nicht zu ändern oder vergangen ist. Doch das weiß der Betreffende selbst.

WARUM GELINGT DAS LOSLASSEN NICHT?

Die Antwort ist einfach: weil wir festhalten. Meist jedoch nicht bewusst, denn man wünscht sich ja nichts sehnlicher als das Unangenehme oder Verletzende loszulassen. Und dennoch zeigt sich gerade darin, dass man immer dieselben gedanklichen Schleifen geht, das innere Festhalten.

Binde eine Kokosnuss an einen Baum, höhle sie aus und gebe etwas Reis hinein. Das Loch in der Kokosnuss soll gerade so groß sein, dass ein Affe seine Pfote hindurchschieben kann. Der Affe greift den Reis, doch ist seine Hand jetzt so groß geworden, dass er sie nicht mehr herausziehen kann. Er will aber um jeden Preis den ganzen Reis festhalten und ist daher gefangen.

Anleitung aus Indien, wie man einen Affen fängt

Die entscheidende Erkenntnis ist: Wir halten unbewusst an Dingen fest, weil wir etwas befürchten, wenn wir loslassen würden.

Diese Angst gilt es zu identifizieren. Das ist nicht leicht, denn alle möglichen Gründe werden Ihnen einfallen, dass Sie gar keine Angst zu haben brauchen.

Hier eine bewährte Methode, wie Sie mit dem Loslassen beginnen können.

  1. Identifizieren Sie die Sache oder das Ereignis oder das Gefühl, das unerwünschterweise immer wieder nach oben kommt.
    Es kann etwas sein, das lange zurück liegt, vielleicht sogar in Ihrer Kindheit oder Jugend. Aber es kann auch etwas sein, das erst kürzlich passierte.
    Vielleicht ist es ein einzelnes Ereignis oder  eine Sache, die Ihnen immer wieder begegnete oder es ist eine bestimmte Zeit in Ihrem Leben.
  2. Spüren Sie achtsam nach, was genau Sie an dieser Sache so belastet und schreiben Sie das auf.
    – Das Aufschreiben ist ein zentraler Punkt, dasselbe nur im Kopf zu tun hat nicht dieselbe Wirkung, weil das Schreiben befreit. Vor allem wenn Sie ungefiltert schreiben, leerte das Ihren „Sorgen- und Gefühlsspeicher“ ziemlich schnell. Machen Sie es so:
    – Schreiben Sie alle Punkte auf, die Sie bei der Sache beschäftigen, es kann eine ganze Liste daraus werden.
    – Vor allem schreiben Sie einfach drauflos … ohne lange zu überlegen … alles was Ihnen gerade einfällt … es muss keinen Sinn ergeben … einfach alles drauflos schreiben … was Sie an dieser Sache beschäftigt … Gedanken … Gefühle … Erlebnisse … einfach alles hintereinander aufschreiben.
    – Schreiben Sie so lange weiter, bis Sie spüren, dass Sie eine neue Klarheit, eine besondere Form von innerer Ruhe erreicht haben.
  3. Schauen Sie nach einer Weile noch mal Ihre Liste von Punkt 2 an.
    Jetzt geht es darum, den inneren Konflikt zu erkennen, warum Sie diese Sache bisher nicht losgelassen haben.
    Dahinter steckt meist eine Angst, was passieren könnte, wenn Sie loslassen oder eine Tatsache, die Sie bisher nicht akzeptieren konnten. Beispiele kommen weiter unten.
  4. Woran werden Sie merken, dass Sie die Sache losgelassen haben?
    – Schreiben Sie wieder auf, was Sie tun werden, wenn Sie diesen Gedanken, diese Sorge, dieses Ereignis losgelassen haben.
    – Denn durch das Loslassen entsteht wieder ein größerer Freiraum. In Ihrem Denken, in Ihren Gefühlen, in Ihrem Handeln, in Ihrem Leben.
    – Was würden Sie gerne mit diesem Freiraum anfangen? Schreiben Sie das auf.

Loslassen kann man nicht erzwingen. Und beim Loslassen müssen Sie etwas hergeben. Jedoch oft nicht das, was Sie glauben, verloren zu haben. Sondern Sie müssen dafür den Grund Ihres Festhaltens loslassen. Doch dazu müssen Sie ihn erst einmal erkennen.

Welche Ängste können das Loslassen blockieren?

Wenn wir an etwas festhalten, was unwiederbringlich verloren ist, dann hat das fast immer einen guten Grund, mit dem wir etwas in uns schützen wollen.

Diesen Grund gilt es zu finden.

Ein Selbständiger im Coaching berichtet mir, dass er vor fünfzehn Jahren pleite ging und seitdem einen ungeliebten, schlecht bezahlten Angestelltenjob hat. Er habe zwar wieder gute Ideen, ein neues Geschäft aufzumachen aber sowie er sich damit beschäftige, kämen sofort die Gedanken an die damalige Pleite hoch und er verliert jeden Mut.

Beim Aufschreiben kam er dem tieferen Grund seines Festhaltens näher. Er glaubte,
– dass seine Pleite bewiesen habe, dass er unfähig zur Selbständigkeit sei,
– dass er seine Chance im Leben gehabt habe und sich jetzt bescheiden müsse,
–  dass man das Schicksal nicht noch einmal herausfordern dürfe, und wenn doch die Strafe folgen würde,
– dass seine Eltern, die ihn immer gewarnt hatten, doch Recht gehabt hatten,
– dass er doch genug zum Leben habe und mehr Geld auch nicht glücklich mache.

loslassen, Nachdem er diese Gründe, die ihm bislang unbekannt waren, aufgeschrieben hatte, konnte er sie aus der Distanz beurteilen. Er fand, dass sie alle eine merkwürdig strafende Qualität hatten und erinnerte sich an seine strenge katholische Erziehung.  Als ihm dieser Hintergrund seines Festhaltens klar wurde, konnte er seine Ängste rationaler betrachten und sie als unangemessen klassifizieren.

Ein halbes Jahr machte er sich mit einer neuen Idee selbständig.

Noch einmal, weil es wichtig ist:

Unser Festhalten an unsinnigen Gedanken, übertriebenen Befürchtungen, unerwünschten Erlebnissen hat eine Funktion, einen tieferen Grund. Meist versuchen wir damit eine Angst in Schach zu halten oder wollen eine unangenehme Wahrheit nicht akzeptieren.

Hier ein paar Beispiele aus meinen Persönlichkeitsseminaren oder Coachings:

  • Ein Elternpaar bewahrt das Zimmer des Sohnes im Originalzustand, der vor dreißig Jahren verstorben ist. 
    Hier ist es oft die Angst vor überwältigenden Schuldgefühlen, die dann auftauchen würden.
    Vielleicht gibt sich ein Elternteil die Schuld, dass er den Tod hätte verhindern können. Manchmal ist es auch eine überstarke Loyalität, die einen fühlen lässt, dass es ein Verrat an dem Verstorbenen wäre, wenn man selbst wieder ins normale Leben zurückkehrte oder gar zufrieden und glücklich lebte.
  • Immer wieder tauchen Schuldgefühle in Ihnen wegen einer Sache auf, von der sie verstandesmäßig wissen, dass Sie nichts dafür konnten.
    Hier ist meist ein starkes Über-Ich oder ein gnadenloser innerer Kritiker am Werk, der Ihnen Ihre Verfehlung bis in alle Ewigkeit vorhalten will. Sich die Sache zu verzeihen oder zu sehen, dass Sie gar keine Schuld tragen, kommt Ihnen wie eine billige Ausrede vor.
  • Eine Führungskraft hadert immer wieder mit sich, warum sie nach dem Studium nicht ins Ausland ging und so heute bessere Karrierechancen hätte.
    Derjenige wollte nicht akzeptieren, dass er eben damals seinem Sicherheitsdenken den Vorzug gab und eben nicht gern Risiken eingeht. Als ich ihm vorschlug, er könne ja heute noch immer etwas wagen, zeigte sich, dass sich an seinem Sicherheitsdenken nichts geändert hatte.
  • Eine Frau verharrt in einer unbefriedigenden Ehe, die nur noch auf dem Papier besteht.
    Ihre Angst war, dass sie keinen besseren Mann finden würde, weil sie keinen Besseren verdient hätte. Weil sie ihn in der Anfangszeit mal betrogen hatte, glaubte sie, dass sie dies nun mit ihm büßen müsse.
  • Ein Fehler, den Sie vor Jahren gemacht haben, verfolgt Sie immer wieder in Gedanken.
    Hier ist es oft der Konflikt, dass jemand glaubt, dass nur normale Menschen Fehler machen, man selber aber irgendwie besser sei als andere und deshalb fehlerlos sein müsse. Sich diesen Fehler zu verzeihen, wird dann nicht erleichternd erlebt, sondern ist der Beweis, dass man auch nicht besser ist als alle anderen Menschen.
  • Ein Vierzigjähriger hebt seit vielen Jahren alle Zeitungen, Illustrierten und Magazine auf, die er bezogen hat. Er kann sie gar nicht alle lesen und bezieht deshalb alle paar Jahre eine größere Wohnung.
    Auch hier steckt der Versuch, der Endlichkeit nicht ins Auge blicken zu müssen, dahinter. Ihm wurde klar, dass wenn er einen fünf Jahre alten Zeitungsstapel wegwerfen würde, diese nie mehr in seinem Leben besitzen könnte.
  • Ein Mann kann den Tod seiner Partnerin, der zehn Jahre zurück liegt, nicht verwinden und verharrt in einer dumpfen Resignation.
    Den Tod eines geliebten Menschen zu akzeptieren, berührt auch immer die eigene Sterblichkeit. Das Wissen darum, dass alles im Leben begrenzt ist.
    Wenn man glaubt, dies nicht ertragen zu können, verweigert man oft die Teilhabe am Leben, weil es einem nichts wert zu sein scheint angesichts eines sicheren Endes.

Loslassen heißt, etwas zu akzeptieren.

Um vergangene Kümmernisse, alte Verletzungen, verflossene Lieben, gescheiterte Versuche usw. endgültig loszulassen, muss man meistens etwas akzeptieren. Die Weigerung, dies zu akzeptieren, führt zum Festhalten, das sich in endlosen Grübeleien oder quälenden Gedankenschleifen zeigt.

Wenn Sie den Grund Ihres Festhaltens, die Bedeutung, die Sie der Sache bisher gaben durch das oben beschriebene Aufschreiben erkundet haben, werden Sie vermutlich auch den Schlüssel finden, wie Sie das Ganze loslassen können.

Aus meiner Erfahrung mit vielen Menschen über die Jahrzehnte ist der Preis dafür, dass Sie etwas akzeptieren. Meist geht es dabei um diese Dinge:

  • Akzeptieren, dass das Leben ungerecht sein kann.
  • Akzeptieren, dass etwas schlimm war und keinen verborgenen Sinn hatte.
  • Akzeptieren, dass das Leben, das Schicksal oder Gott nicht straft.
  • Akzeptieren, dass es nicht immer nach Ihrem Kopf geht und Sie nicht immer Recht haben.
  • Akzeptieren, dass alles im Leben begrenzt ist und erst dadurch seinen Wert bekommt.
  • Akzeptieren, dass Sie kein besonderer Mensch sind, der vom Leben bevorzugte Behandlung erwarten kann.
  • Akzeptieren, dass es im Leben Leid gibt.
  • Akzeptieren, dass es „gut“ und „böse“ nicht gibt, sondern das dies immer eine Sache der Perspektive ist.
  • Akzeptieren, dass es „falsch“ und „richtig“ nicht gibt, sondern das dies immer eine Sache der Perspektive ist.

Manchmal steht vor dem Gewinn der Verzicht. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir dafür etwas hergeben. Dass das nicht einfach ist, habe ich selbst erlebt, als ich mich von über tausend meiner Bücher trennte.

Doch Festhalten scheint zuweilen einfacher zu sein als loszulassen.

Hören Sie hier dazu den Podcast.

kommentar Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Loslassen?

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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.