Ist das Harvard-Modell des Verhandelns wirklich überholt?

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EFFEKTIVER FÜHREN / Methoden

Ein früherer SEK-Einsatzleiter lehrt hartes Verhandeln.

Anscheinend ist gerade die Werbeabteilung des Econ-Verlags aktiv, denn innerhalb Wochenfrist lese ich zwei Artikel über das Buch von Matthias Schranner Teure Fehler: Die 7 größten Irrtümer in schwierigen Verhandlungen“.

In der FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG Nr. 13 klingt das ziemlich martialisch:

„Das Ideal der Win-Win-Situation ist unrealistisch. Die Gegenseite will gewinnen. Gegen Sie.“

„Ein Kompromiss funktioniert nur, wenn beide Seiten fair spielen. Sobald einer mit überhöhten Forderungen einsteigt, wird es schwierig.“

Damit widerspricht der Autor den Prinzipien des Harvard-Modells, das seit den achtziger Jahren prägend für einen nicht-konfrontativen Verhandlungsstil steht. Hier die fünf Prinzipien dieses Konzepts:

  1. Unterscheiden Sie zwischen dem Verhandlungsgegenstand und der Beziehung zwischen den Verhandlungspartnern. Das bedeutet, Beziehungsprobleme zu erkennen und diese getrennt von Sachproblemen zu behandeln. Zudem sollte die Beziehung zum Verhandlungspartner auf Vertrauen, Akzeptanz und einer guten Kommunikation beruhen. Beziehungsstörungen sollten daher zuerst geklärt werden, bevor man sich an die Sachprobleme macht.

  2. Nicht auf auf Positionen, sondern auf die dahinter liegenden Interessen konzentrieren. Daraus folgt, die eigenen Interessen offenzulegen, ohne Position zu beziehen. Außerdem die Positionen der Gegenseite auf die dahinterliegenden Interessen hinterfragen. Günstig ist auch, gemeinsam Optionen zu entwickeln, die den Interessen beider Partner gerecht werden könnten.
  3. Interessenskonflikte sollen  durch Einbringen objektiver Kriterien gelöst werden. Das können allgemeingültige Normen, Werten, Rechtsgrundsätzen sein, denn diese sind von den subjektiven Interessen der Beteiligen unabhängig. Zudem können Sie von den Verhandlungspartnern als gültig und verbindlich anerkannt werden.
  4. Zuerst möglichst viele Optionen entwickeln, erst später entscheiden.Sich also nicht mit der erstbesten Lösung zufrieden geben, sondern mittels Brainstorming nach weiteren Möglichkeiten suchen. Vor allem Lösungen, die die Interessen der Gegenpartei erfüllen. Erst wenn keine Optionen mehr denkbar sind, zu Entscheidungen kommen.
  5. Vergleichen Sie eine mögliche Entscheidungsoption mit Ihrer persönlich besten Alternative.Das bedeutet immer, nach der bestmöglichen Übereinkunft suchen. Auch prüfen, ob der Verhandlungspartner zu einer vorgeschlagenen Verhandlungslösung keine bessere Alternative hat.

Doch für Schranner sind das nur Zeichen einer allzu weichen, konfliktvermeidenden Einstellung. Denn für ihn ist ein Kompromiss die bequemste Lösung – aber nicht das beste Verhandlungsergebnis.

Diese harten Töne sind kein Wunder. Verhandelte der Autor doch fünf Jahre lang in einer Sondereinheit der bayrischen Polizei mit Schwerverbrechern. Sein Buch spiegelt diese Erfahrungen wider, bei denen er versucht, diese auch auf Verhandlungen im Geschäftsleben zu übertragen.

Aber geht das?

Sicher, die Wirtschaftskrise hat fast überall den Druck erhöht. Und schon 1993 wurde ein gewisser Herr Lopez bei VW mit seiner kompromisslos harten Verhandlungsführung gegenüber Zulieferfirmen unrühmlich bekannt.

In einer Leserbefragung  der Zeitschrift „managerseminare mit 160 Menschen gibt die Mehrheit an, mit Verhandlungsstrategien, die das Harvard-Modell empfiehlt, zu arbeiten.

Auch auf der Website von Schranner unter dem Stichwort „Philosophie“ klingt es ziemlich so, als wäre das ganze Leben ein Kampf:

„Es gibt immer einen Sieger – im Sport, im Business und in der Politik. Wir glauben, dass es auch in einer Verhandlung einen Sieger und einen Verlierer gibt und eine „Win-win“ Verhandlung nicht möglich ist. Mit unserer Unterstützung werden Sie ein Verhandlungssieger. Sie bleiben fair und glaubwürdig und werden zudem konsequent, sehr konsequent.

Wir sind getrieben von der Idee, jeder Verhandlung zum Sieg zu verhelfen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir mit einer strategischen und taktischen Vorgehensweise auch aussichtslos erscheinende Situationen meistern können. Wir haben uns über viele Jahre ein Netzwerk mit Experten aufgebaut, das einzigartig ist. Und das alles mit einem Ziel: Ihre Verhandlung zum Erfolg zu führen.

Chuck Norris lässt grüßen.

Auch die Rezensionen bei Amazon über ein früheres Buch von ihm  sind fast durchweg begeistert. Doch sein neues Buch klingt zum Glück an vielen Stellen weniger martialisch. Hier ein Auszug.

Vor allem seine 10 strategischen Spielregeln der Verhandlungsführung sind zum einen nicht wirklich neu aber dennoch sehr brauchbar.

So empfiehlt er, immer mit einer Agenda in die Verhandlung zu gehen und häufig zu signalisieren, dass man am anderen und seiner Position interessiert ist. Dass Ratschläge zu vermeiden und Definitionen zu hinterfragen sind, hat Schranner nun vermutlich nicht von Verhandlungen mit Bankräubern gelernt.

Klug ist auch, sich nicht frühzeitig festzulegen und im Konjunktiv zu sprechen, denn wer sich zu früh festlegt, muss dies dann auch tun, sonst verliert er Glaubwürdigkeit. Überhaupt ist der Autor ein Meister der Deeskalation, was ich auch für eine wesentliche Eigenschaft von klugen Verhandlungsführern ist.

Dazu rät er, Forderungen konziliant abzulehnen, Also kein deutliches „Nein“, sondern eher weiche Formulierungen à la: „Gerne würde ich zustimmen, sehe dann aber das Problem, dass wir …“

Besonders gefällt mir seine Haltung zum Thema „Schlagfertigkeit“. In meinem Artikel hier im Blog habe ich ja solche übertriebenen Reaktionen als „Potenzgeprotze“ kritisiert. Schranner meint, dass wer schlagfertig reagiere, emotional handle, unvorbereitet sei und nicht strategisch denke. Besser wäre es, zu agieren statt zu reagieren.

Meine Meinung:

Nicht nur in der Mode gibt es wiederkehrende Muster. Egal ob die Rocklänge bei Frauen, oder die Hemdenfarbe bei Männern, alles kommt nach ein paar Jahren wieder und wird als neu verkauft.

So ist es auch bei Managementbüchern. Jahrzehntelang waren die Kommunikationsregeln von Schulz von Thun prägend für unsere Gesellschaft. Ich-Botschaften, Wertequadrat usw. waren ja damals ihrerseits eine Reaktion auf eine Kommunikationskultur der fünfziger Jahre, die von der Kriegszeit und dem entsprechenden Überlebenswillen geprägt war, in der die Unterscheidung von richtig und falsch wichtig war.

Einen guten Überblick über diese Moden in der Kommunikation gibt Schulz von Thun in seiner Abschiedsvorlesung:

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Und mittlerweile schwingt möglicherweise das Pendel vom weichen, akzeptierenden Stil und der Win-Win-Position auf die andere Seite des unbedingt Siegen-Wollens nach dem Motto: Es kann nur einen Sieger geben.

Doch man braucht nur in die Welt oder die Politik zu schauen, um zu begreifen, dass nur in einem geschlossenen System solche Strategien greifen können. Und ein Banküberfall mit Geiseln ist ein geschlossenes System.

Aber die Atomwaffendrohung des Irans, die globale Umweltzerstörung, der Nahost-Konflikt oder auch die Explosion der Kosten im hiesigen Gesundheitssystem sind Konflikte in offenen Systemen, wo die Maxime „Es kann nur einen Sieger geben“ nicht weiter hilft. Ganz einfach, weil es starke gegenseitige Abhängigkeiten gibt, die es auszutarieren gilt.

Nach der Lektüre von Schranners Buch finde ich deshalb, dass die Berichte über seine Arbeit und seine Website kompromissloser klingen als es viele seiner Strategien sind. Bei seiner Berufsbiographie verkauft sich wohl das Image eines harten Hundes besser.

kommentar Welchen Verhandlungsstil bevorzugen Sie? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

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Fotos: © istock.com, www.schranner.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.