Zu perfektionistisch? Das lässt sich nicht einfach wegtrainieren.

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Da fehlt doch eine!

Wer perfektionistisch ist, dem hilft die Pareto-Regel nicht.

In der neuen Ausgabe des Weiterbildungsmagazins „Managerseminare“ geht die Titelgeschichte über das Thema „Karrierefalle Perfektion“. Darin behauptet die Autorin, Simone Janson, dass 80-prozentiger Einsatz oft nicht nur ausreichend sondern sogar besser sei als ein 110-prozentiger.

Die Pareto-Regel – auch als 80/20-Regel besagt, dass viele Dinge nicht gleichmäßig verteilt sind, sondern nach diesem Verhältnis. Achtzig Prozent der Weltbevölkerung lebt beispielsweise in zwanzig Prozent der Städte. Mit zwanzig Prozent ihrer Kunden macht eine Firma 80 Prozent ihres Umsatzes. Zwanzig Prozent der Kunden machen aber auch achtzig Prozent des Ärgers.

Dazu bringt sie  – gut zu wissen für Menschen, die perfektionistisch sind – nachdenklich machende Erkenntnisse und Studien über die Grenzen der Genauigkeit:

  • In zwanzig Prozent der Arbeitszeit werden 80 Prozent der Ergebnisse erzielt.
  • Für penible Kontrollen, die kaum Verbesserungen bringen und Wartezeiten bei Anschlussprozessen zur Folge haben, werden die restlichen achtzig Prozent der Zeit gebraucht.

Natürlich gibt es Bereiche, wo Null-Fehler-Toleranz notwendig ist und ein entsprechender Aufwand gerechtfertigt ist. Aber das sind die Ausnahmen.

Hinzu kommt, dass auch unser Gehirn gar nicht für perfektes Arbeiten angelegt ist. Das zeigt eindrucksvoll folgendes Experiment:

Zweihundert Studenten sollten Matheaufgaben lösen, wobei man gleichzeitig ihre Gehirnaktivität maß. Für einen ersten Durchgang gab man ihnen die realistische Vorgabe von einer Viertelstunde. In einem zweiten Durchgang gab man ihnen für eine Rechenaufgabe mit gleichem Schwierigkeitsgrad eine halbe Stunde Zeit und empfahl, die Zeit voll auszunutzen, um mögliche Fehler schon vorher auszumerzen.

Das Ergebnis:
Durch die doppelte Zeit verbesserten sich die Rechenergebnisse nicht. Doch konnte man feststellen, dass beim zweiten Durchgang die Gehirne viel aktiver waren. Außerdem gaben die Studenten an, dass sie die Aufgaben im zweiten Durchgang schwerer fanden.


Kann man das ändern, weniger perfektionistisch zu sein?

Simone Janson schreibt ganz richtig, dass Menschen die Supergenauigkeit früh im Elternhaus lernen. Entweder durch das Vorbild der Eltern. Oder durch deren Antreiben zu immer besseren Leistungen. Ein gutes Zeugnis darf keine einzige Zwei enthalten, enthält es nur noch Einser, wird man angehalten, diesen Einsatz auch beim Klavierspielen zu zeigen. Hat man im Schwimmwettbewerb den zweiten Platz geholt, ist die Reaktion, man müsse noch mehr üben.

Daraus folgert die Autorin, dass man Perfektionsdrang wegtrainieren könne und schreibt:

„Dass Perfektionismus ein durch Erfahrung herausgebildete Disposition ist, bedeutet aber auch, dass er wieder verlernt werden kann. …
Wer zum Beispiel dazu neigt, sich endlos mit bestimmten Aufgaben zu beschäftigen, sollte sich klare Verhaltensregeln auferlegen: wenn ich das Meeting-Protokoll verfasst habe, lese ich es nur noch zweimal durch, bevor ich es dem Chef weiterleite. Oder: Das Preisangebot rechne ich lediglich einmal nach und schicke es dann unverzüglich dem Kunden.
Der Schlüssel zum Erfolg bei solchen Verhaltensübungen, ist – wie bei jedem Training – Disziplin und Ausdauer.“

Hier kommt mein entschiedener Widerspruch gegen den ansonsten guten Zeitschriftenartikel. Bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen lassen sich eben gerade nicht durch Disziplin und Ausdauer einfach „wegtrainieren.“

Ähnlich kurz greifen die gut gemeinten Vorschläge des „Anti-Perfektionismus-Programms“ der Autorin:

1.  Entspannen Sie sich.
2. Rechnen Sie mit Fehlern.
3. Rechnen Sie mit Kritik.
4. Analysieren Sie weniger.
5. Disziplinieren Sie sich selbst.

Wer perfektionistisch ist, weiß das alles.

r weiß, dass Fehler menschlich sind und Kritik immer möglich. Aber er „kann“ nicht danach handeln.

Wer perfektionistisch ist, weiß verstandesmäßig, dass er das Meeting-Protokoll schon zweimal durchgelesen hat und dass es okay ist. Aber bevor er es wegschickt, liest er es eben noch einmal durch – und verändert noch eine Kleinigkeit. Und beim vierten Durchlesen findet er noch eine winzige Sache, die man verbessern könnte.

Er weiß auch, dass dem Empfänger seine Verbesserungen gar nicht auffallen werden. Fragt man ihn aber, warum er es nicht nach dem zweiten Lesen gleich wegschickt, antwortet er, dass er das nicht kann. Warum? Weil er sich nicht gut fühlt, wenn er es nicht nochmal durchgelesen hat usw.

Wenn das wegzutrainieren wäre, hätten viele Perfektionisten ihr zwanghaftes Verhalten ja schon längst abgelegt. Aber es klappt eben so selten. So wie es auch nicht hilft, einem Menschen, der sich unbegründete Sorgen macht, zu sagen, er solle sich keine Sorgen machen. Oder jemand, der etwas faul ist, zu sagen, er müsse sich eben mehr anstrengen.

So wie es ja auch nichts hilft, Menschen, die über Zeitnot klagen, ein Buch mit Zeitspartipps zu schenken. Oder Menschen, die an Streß leiden, eine CD mit einer Entspannungsmethode.


Perfektionistisch handeln ist oft eine Abwehr gegen Ängste und Scham.

Die Werkzeuge sind nicht schlecht, aber den Menschen helfen sie oft nicht, weil das gezeigte Verhalten immer eine positive Funktion erfüllt, die demjenigen aber unbewusst ist.  Deswegen weiß er verstandesmäßig, dass das penible Kontrollieren nichts bringt, die unbewusste positive Funktion bringt ihn aber dazu, es trotzdem zu tun.

In meinen Persönlichkeitsseminaren treffe ich viele Perfektionisten. Von ihnen habe ich über die Jahre gelernt, welchen unbewussten Nutzen diese Verhaltensgewohnheit haben kann. Oft ist es

  • der Wunsch, sich gegen Kritik von außen zu wappnen, indem man alle mögliche Kritik schon vorweggenommen hat.
  • der Glaube, man würde nur respektiert und geliebt werden, wenn man makellos und unfehlbar ist.
  • die Angst vor Unsicherheit und Versagen. Das Schwarz-Weiß-Denken (entweder ich bin perfekt oder ein totaler Versager) nimmt den Raum für alle 80/20-Lösungen, in denen ein „gut genug“ reichen würde.

Um Perfektionismus zu verändern, ist es deshalb aus meiner Sicht notwendig, bei sich herauszufinden, welche Funktion das Verhalten für einen selbst erfüllt. Das herauszufinden ist nicht leicht. Hilfreich ist oft die Frage, nach den befürchteten Konsequenzen:

Was könnte denn Ihrer Meinung nach Schlimmes passieren, wenn Sie das Meeting-Protokoll nach dem zweiten Durchsehen wegschicken?“
Antwort: „Es könnte noch ein kleiner Fehler enthalten sein.“
„Und was wäre daran schlimm?“
Antwort: „Man könnte denken, ich bin für den Job nicht geeignet.“

Meist kommt im Verlauf eines solchen Dialogs eine solche völlig überzogene Befürchtung. Und die ist ein Hinweis auf die befürchtete Konsequenz, die man mit dem perfektionistischen Verhalten zu verhindern sucht.

Diese befürchtete Konsequenz hat jetzt aber oft nichts mit der realen Situation zu tun, sondern ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Also Beziehungserfahrungen in Kindheit und Jugend, wo es eben „nie gut genug“ war und tatsächlich schlimme Folgen wie Abwertung, zynische Kritik, Liebesentzug erlebt wurden.

Hat man als Perfektionist diese Zusammenhänge einmal erkannt, ist man die zeitraubende Gewohnheit noch nicht los, aber man weiß, wo man wirklich ansetzen muss.

kommentar Wie gehen Sie damit um, perfektionistisch zu sein?

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Foto: © Patrick Pirker, © bilderbox  – Fotolia.com

 

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.