Die „Broken-Windows-Theorie“ der Polizeiarbeit besagt: Ist in einem Stadtteil ein Fenster eingeschlagen und wird es nicht in kürzester Zeit repariert, ist schon bald ein weiteres Fenster kaputt.
Kreisförmig wie ein Geschwür kann sich die Verwahrlosung weiter ausbreiten. Menschen entsorgen ihren Müll auf der Straße, Graffiti-Schmierereien tauchen auf. Betrunkene lungern herum und so weiter. Jetzt dauert es meist nicht lange, bis die erste Straftat geschieht. Der Stadtteil ist in Gefahr, zum Problemfall zu werden.
Was die Römer schon vor 2000 Jahren wussten, als sie warnten: „Wehret den Anfängen!“ entwickelte sich zu einer Theorie, die vielerorts zu einer Null-Toleranz-Politik gegenüber kleinsten „Vergehen“ wurde.
Nun, ein schlechtes Beispiel kann sehr schnell Schule machen, wenn es nicht sofort geahndet wird. Aber das Gegenteil stimmt auch. Gute Taten sind auch ansteckend. Zwar klingt die Broken-Windows-Theorie erst mal einleuchtend ist aber mittlerweile empirisch auch äußerst umstritten.
Dennoch ist sie für bestimmte Phänomene und Gewohnheiten durchaus überzeugend.
- Übergewicht entsteht nicht über Nacht sondern entwickelt sich langsam Kilo für Kilo.
- Das Chaos in der Wohnung eines Messie entsteht durch das jahrelange Vermeiden, Ordnung zu schaffen.
- Ein auffälliges Ansteigen von Burn-Out-Erkrankungen in einer Abteilung kann ein Hinweis auf zu viel Stress sein.
- Viele Krankheiten werden dadurch begünstigt, dass frühe Warnsignale nicht bemerkt oder falsch interpretiert werden.
- Ein Paarforscher hat die ersten Warnzeichen schlechter Kommunikation die „4 Apokalyptischen Reiter“ genannt.
Jenseits aller Studien aus der Psychologie, die das Gegenteil aufzeigen wollen, kann also auf einer persönlichen Ebene die Theorie der „kaputten Fenster“ durchaus Sinn machen.
Meine kaputten Fenster (Gewohnheiten).
Die „zerbrochenen Fenster“ verstehe ich als Auslöser, die ungünstiges Verhalten nach sich ziehen, die zu Unordnung, Überlastung und Kontrollverlust führen können.
Ich habe das bei mir selbst festgestellt. Meine „kaputten Fenster“, die häufig zu negativen Konsequenzen führen, sind zum Beispiel:
- Wenn in meinem eMail-Posteingang mehr als zehn Einträge sind und ich sie nicht abarbeite, sind es bald zwanzig bis dreißig Einträge.
- Wenn auf meinem Nachttisch mehr als zwei Zeitschriften liegen, die ich noch lesen will, sammelt sich innerhalb kurzer Zeit noch mehr Lesestoff.
- Wenn auf der Stuhllehne meine Kleidung länger als einen Tag hängt, habe ich leicht die Tendenz, noch mehr draufzuhängen.
- Wenn ich den Termin für die jährliche Steuererklärung missachte, schiebe ich die lästige Arbeit gern weiter auf – Monat für Monat.
Sie mögen mich jetzt für einen zwanghaften Ordnungsfanatiker halten, der nach der Devise lebt: „Spontanität will gut geplant sein“.
Aber es geht hier nicht um mich. Von Klienten und Seminarteilnehmern, mit denen ich manchmal diese Idee bespreche habe ich noch mehr Beispiele erfahren, welches Verhalten andere ungünstige Gewohnheiten nach sich ziehen können:
- An einem Tag allzu lange im Schlafanzug, Morgenmantel oder Trainingsanzug herumsitzen.
- Lebensmittel, direkt aus der Verpackung zu esse anstatt sie auf einem Teller anzurichten.
- Kleine und größere Wäscheberge an verschiedenen Stellen der Wohnung oder vor der Waschmaschine aufhäufen.
- Schmutziges Geschirr in der Küche oder im Spülbecken ansammeln.
- Rauchen während des Essens.
- Ungemachte Betten.
- Kleidung tragen, an der ein Knopf fehlt, die fleckig oder zerrissen ist.
- Regelmäßig unpünktlich sein.
- Nicht gehaltene Versprechen gegenüber sich selbst oder anderen.
Die ganzen Gewohnheiten haben auch vermutlich etwas mit dem „Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik“ zu tun. Der meint kurz gefasst:
„Alles wird von allein schlechter!“
In der populären Version besagt dieser Satz, dass die Unordnung immer größer wird, wenn man keine Energie aufwendet, um die Ordnung aufrecht zu erhalten.
- Jeder Garten verwildert, wenn man ihn nicht pflegt.
- Im Kinderzimmer kann man das graduelle Entstehen von Chaos hautnah beobachten.
- Alles wird von allein unordentlich, wenn man nicht dauernd aufräumt.
- Der Körper verliert an Muskelkraft, wenn wir nicht trainieren.
- Die Milch verteilt sich im Kaffee ganz ohne unser Zutun.
Doch ist auch dieser physikalische Grundsatz gilt – wie die „Broken-Windows-Theorie“ nicht zwangsläufig. Neue Strukturen und neues Verhalten entstehen mitunter aus dem „Nichts“. Und auch zerstörte Ordnungen können manchmal in den Köpfen der Menschen erstaunlich langlebig sein, wie uns radikale Bewegungen rechter oder linker Gesinnung täglich beweisen.
Und wie ist das bei Ihnen?
Mir geht es hier nicht um wissenschaftliche Streitfragen. Sondern darum, wie Sie durch den Aufbau besserer Gewohnheiten Verhalten kultivieren können, um zufriedener und stressfreier leben zu können. Für mein kommendes Video-Seminar dazu stieß ich wieder auf die Theorie der kaputten Fenster.
Vermutlich kennen Sie das ja aus Ihrem Leben auch.
Ein bisschen „Unordnung“ kann zu noch mehr Unordnung führen.
Letztlich geht es dabei ja immer um das Übertreten einer Regel, die entweder andere oder man sich selbst gesetzt hat. Und wenn eine bestimmte Grenze überschritten wird, kommt es leicht zu dem Punkt, dass man denkt: „Jetzt ist es auch egal!“
Viele Menschen, die neue Gewohnheiten entwickelt haben, kennen diese ersten Schritte in den Rückfall. Jemand hat schon ein Dreivierteljahr mit dem Rauchen augehört. Oder eine bestimmte Diät über Wochen gut durchgehalten. Oder war dreimal die Woche laufen oder im Fitnessstudio.
Und dann wird man krank oder oder irgendetwas Unvorhergesehenes bringt einen dazu, seine bisherigen guten Gewohnheiten auszusetzen.
Das kann das „kaputte Fenster“ sein, das dann zu den beliebten Ausreden führt:
- „Jetzt habe ich so lange durchgehalten, da habe ich mir einen kleinen Ausrutscher verdient.“
- „Schon sieben Kilo von den geplanten zehn abgenommen – da macht es nichts, wenn ich jetzt mal sündige.“
- „Meine Fitness geht ja nicht schlagartig zurück, wenn ich jetzt mal ein paar Tage aussetze.“
Natürlich gibt es da keine automatische Gesetzmäßigkeit à la „Wenn A, dann B.“
Aber ich habe festgestellt, dass es schwerer ist, zu bestimmten guten Gewohnheiten zurückzukehren, wenn man mal die Routine unterbrochen hat.
Das gilt vor allem dann, wenn es sich um Gewohnheiten handelt, die ich noch nicht jahrelang verinnerlicht habe. Habe ich mal spät nachts nach einer Einladung keine Lust mehr zum Zähneputzen, hat das keine großen Auswirkungen. Ich putze trotzdem danach weiter meine Zähne.
Doch die Aufforderung meiner Mentorin im Cartoon-Zeichenkurs, wirklich jeden Tag zu zeichnen, war da schon schwerer als Routine umzusetzen. Und es war viel einfacher, ein paar kreative Ausreden zu erfinden, warum es heute beim besten Willen nicht geht.
Wie ist das bei Ihnen?
Unsere „kaputten Fenster“ scheinen so etwas wie Schlupflöcher zu sein, durch die unsere gut gemeinten Vorsätze und Absichten sich dünn machen.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Schreiben Sie mir und meinen Lesern doch hier im Kommentarfeld.
Was sind Ihre „kaputten Fenster“?
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Bild: © www.cartoon4you.de