Alles, was im Deutschen mit der Vorsilbe „Psych…“ anfängt, ist vielen Menschen immer noch höchst suspekt.
Nur so ist zu erklären, dass die Witwe von Robert Enke auf der Pressekonferenz des Vereins zum Selbstmord ihre Mannes sagte: „Er hat seine Krankheit geheim halten wollen, um sein Privatleben zu schützen und seine Karriere als Fußball-Profi nicht zu gefährden.“
Dieser Satz ist verständlich und gleichzeitig erschreckend. Offenbart er doch wie die Depression – immerhin die häufigste seelische Erkrankung – trotz viel Aufklärung und einer langsam wachsenden Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung noch weitgehend tabuisiert ist.
Noch stärker wirkt vermutlich nur die ebenfalls tabuisierte Vermutung, dass es auch im beliebtesten deutschen Sport rein statistisch homosexuelle Fußballer geben muss. Ich habe aber noch nie von einem gehört. Man kann zwar mittlerweile hierzulande als schwuler Mann Bürgermeister der Hauptstadt oder Außenminister werden – aber im Fußball darf man weder homosexuell noch depressiv sein.
Das hat wohl auch damit zu tun, dass die nicht-medikamentöse Behandlung von seelischen Störungen, die Psychotherapie, noch mit vielen Vorurteilen und falschen Einstellungen zu kämpfen hat.
Zwar darf man beispielsweise als US-Präsident wie damals Ronald Reagan sich von einer Astrologin beraten lassen. Aber ein Politiker, der zugäbe, öfters einen Psychotherapeuten aufzusuchen, könnte gleich sein Rücktrittsgesuch bzw. den Rentenantrag stellen.
In meiner Praxis höre ich von Klienten manchmal diesbezügliche Ängste:
- „Bin ich jetzt verrückt, wenn ich zu Ihnen komme?“
- „Mein Mann/meine Frau weiß nicht, dass ich hier bin.“
- „Mein Arbeitgeber darf nie erfahren, dass ich hier mit Ihnen rede.“
Die gleichen Menschen hätten keine Probleme zu sagen, dass sie beim Internisten, Angiologen oder Orthopäden waren. Dass sie beim Proktologen waren, würden sie vermutlich in gleicher Weise verschweigen. Aber durch den entsprechenden Buch-Bestseller werden langsam auch diese „Feuchtgebiete“ gesellschaftsfähiger.
Nur mit der Psychotherapie, der Psychoanalyse, der Psychiatrie, dem Psychologen – eben all diese Sachen mit „Psych“ davor, wird es wohl noch länger dauern. Da hilft nur permanente Aufklärung und konsequente Medienarbeit.
Sarah Kuttner hat das ja dankenswerter Weise mit ihrem Buch „Mängelexemplar“ gemacht. In Interviews hat sie aber abgestritten, dass das Buch eigene Erfahrungen schildere. Das belegt einerseits vielleicht ihre enorme Einfühlsamkeit in einen depressiven Menschen oder andererseits den erfahrenen Rat ihres Lektors – wer weiß?
Jede noch so kleine Entdeckung in der Krebsforschung, die eine wirksame Behandlung möglich scheinen lässt, wird in fast allen Medien sofort verbreitet. Mit den psychotherapeutischen Methoden ist das anders. Deshalb will ich diesen Blog nutzen, um eine wichtige berufsspezifische Meldung zu verbreiten, die helfen kann, auch bislang skeptische Menschen von der Wirksamkeit psychotherapeutischer Arbeit zu überzeugen:
Die Wirkung von Psychoanalyse wurde im Gehirn nachgewiesen.
Und zwar nicht bei Mäusen, sondern bei Menschen. Genau gesagt, bei Menschen mit einer Depression.
„Auch wenn wir erst am Anfang stehen, zeigen die ersten Befunde, dass der Erfolg der Therapie beim Patienten messbar ist“, erklärte Prof. Anna Buchheim, Psychologin an der Universität Innsbruck. Psychoanalyse behandelt seelische Leiden nicht mit Medikamenten, sondern versucht, die Ursachen der Krankheit im Unterbewussten der Patienten aufzudecken und zu behandeln. Die Wirksamkeit dieser Therapieform ist zwar längst bewiesen und Millionen von Patienten könnten das wohl auch bezeugen. Aber wir sind eben wissenschaftsgläubig und erst wenn man etwas schwarz auf weiß sieht, sind wir geneigter, unsere Vorurteile vielleicht zu überdenken.
In diesem Fall aber nicht „schwarz auf weiß“ sondern mehr „grau auf weiß“. Denn für die Studie wurden 20 chronisch Depressive aus Bremen zum Anfang ihrer Therapie in einen Kernspintomographen gelegt, der die Aktivität ihrer Gehirne sichtbar macht. „Wir zeigten ihnen individuell auf ihr Krankheitsbild zugeschnittene Reize“, erläuterte Buchheim. Das seien zum Beispiel Bilder oder Schlüsselsätze gewesen, die die Patienten mit ihren unbewussten Konflikten konfrontierten. Nach sieben und nach 15 Monaten wurde die Kernspinuntersuchung wiederholt.
Das Ergebnis ist deutlich: Zu Anfang der Behandlung war die Aktivität in Regionen des Gehirns, die für Ängste und Furcht zuständig sind, viel höher als bei den späteren Messungen. „Schon nach sieben Monaten war eine deutliche Minderung dieser Hyperaktivität zu beobachten“, berichtete Buchheim. Zwar seien Depressionen viel zu komplex, als dass ihre Erklärung auf die Aktivität von Gehirnregionen beschränkt werden könne. Dass die Therapie aber tatsächlich biologische Prozesse im Gehirn konkret beeinflusst, sei bisher ohne Beweis gewesen. Frau Buchheim schließt mit der Vision: „Aber vielleicht ist es eines Tages möglich, dass Analytiker ihre Therapien mit Hilfe der Hirnforschung optimieren.“
Das wäre natürlich revolutionär. Statt sich zur Behandlung auf die Couch zu legen würden die Patienten in die Röhre des CT geschoben. Und der Psychoanalytiker könnte die Wirkung seiner Interventionen gleich auf dem Gehirnbild des Patienten nachprüfen. (Kleiner Scherz!
Das Ganze ist eine Folge der Neuroplastizität unseres Gehirns.
Kurz gesagt: Unser Gehirn ist nicht festgelegt , sondern ändert sich ständig je nach Gebrauch des Benutzers. Bei häufigem Nichtgebrauch größerer Bereiche passiert dasselbe wie bei unseren Muskeln: If you don’t use it, you loose it. Oder positiver ausgedrückt: das, womit wir uns täglich viel beschäftigen, hinterlässt deutliche Spuren in unseren Gehirnen. Es wird gebahnt und wir verhalten uns tendenziell immer wieder so, weil diese Bahnen wie eine breite sechsspurige Autobahn in unserem Gehirn wirken.
Das hat zur zur Folge, dass wir bestimmte Fähigkeiten trainieren können:
- Wer sich lange Zeit mit Wein beschäftigt, erwirbt die Fähigkeit, schon am Geschmack die Herkunft und vielleicht sogar die Rebsorte zu erkennen.
- Wer jahrelang nachmittags bestimmte Fernsehprogramme verfolgt, wird ein Spezialist für Gerichtsshows oder den Diskussionsstil von arbeitslosen Unterschichtsangehörigen.
- Wer mal ins Fernsehen zu „Wetten dass“ will, braucht dafür in seinem Gehirn auch eine Spezialbegabung, die er sich antrainieren kann. Da lernt man dann, eine Kuh am Schmatzen zu erkennen, Frauen den BH mit Essstäbchen zu öffnen oder Zungenbrecher rasend schnell und fehlerlos aufzusagen:
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Bei denjenigen, die sich nun längere Zeit im Rahmen einer Psychotherapie mit ihren Ängsten auseinandersetzen, die ja meist mit unbewältigten Konflikten aus der Herkunftsfamilie und Biografie zusammenhängen, hinterlässt diese Tätigkeit eben auch Spuren im Gehirn.
Die zitierte Untersuchung ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Anerkennung von Psychotherapie und zu einem hoffentlich entspannteren Verhältnis bezüglich seelischer Problemen und deren Behandlung.
Wenn Sie sich über Psychoanalyse informieren wollen, hier eine gute Website oder hier…
Was die Gesellschaftsfähigkeit von Psychotherapie angeht, sind uns die Amerikaner etwas voraus. Oder könnten Sie sich vorstellen, dass Minister Seehofer mit seiner Frau so etwas verraten würden …
Welche Einstellung haben Sie zu Psychotherapie?
Wie würden Ihr Partner, Freunde, Kollegen, Chef reagieren, wenn Sie eine Psychotherapie machten?
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