Eine ungehaltene Rede an Eltern und Jugendliche in sozial benachteiligten Familien.

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 rhetorik, rede, vortrag, seminar

Liebe Eltern,
liebe Jugendliche,
liebe Kinder,

ich weiß, dass sich diese internationale Wirtschaftskrise auf fast alle Menschen in unserem Land auswirkt aber dass es die sozial schwachen Familien wirtschaftlich besonders hart trifft. Dasselbe gilt für die Gesundheit, die Aufstiegschancen und die Wahrscheinlichkeit, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Es gibt diese Barrieren.

Aber was es jetzt braucht, ist dasselbe, was es auch in früheren Zeiten brauchte, um solche Barrieren zu überwinden. Dieselbe Verpflichtung. Dasselbe Gefühl für Dringlichkeit.  Dieselben Opfer.  Denselben Geist von Gemeinschaft.  Dieselbe Bereitschaft, unseren Teil für uns selbst und für andere zu tun.


Ja, wenn man ein HartzIV-Empfänger, keine Arbeit hat, oder sonstwie benachteiligt ist, egal ob Deutscher oder Ausländer, dann ist die Chance größer in einer Bande zu landen oder kriminell zu werden. Und ja, wenn man in einem armen Viertel lebt, dann muss man andere Schwierigkeiten bewältigen, als jemand der in Wohlstand lebt. Aber das ist kein Grund für schlechte Schulnoten, das ist kein Grund die Schule zu schmeißen. Niemand hat das Schicksal für dich geschrieben. Dein Schicksal liegt in deinen Händen – vergiss das bitte nicht.

An die Eltern: wir können nicht zu unseren Kindern sagen, seid gut in der Schule und sie dann nicht zu unterstützen, wenn sie nach Hause kommen.  Das Elternsein kann man nicht kündigen. Es ist unsere Verantwortung, als Eltern  ihnen zu helfen zu lernen. Das bedeutet, dass Sie die Xbox oder den PC wegräumen und dafür sorgen, dass Ihre Kinder zu einer vernünftigen Zeit ins Bett gehen. Das bedeutet, an den Elternabenden teilzunehmen und ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen.

Und außerdem, das heißt auch, dass wir auch für die Söhne und Töchter unserer Nachbarn da sein müssen. Wir müssen zurück in die Zeit, zurück zu dem Tag, an dem wir Eltern jemanden auf der Strasse herumlungern sahen – und  es war nicht Ihr Kind, aber sie haben trotzdem mit ihm geredet.  Oder zumindest dafür gesorgt, dass Sie es seinen Eltern sagen werden und die es tun werden. Das ist nämlich der Sinn von Gemeinschaft. So können wir wieder die Kraft und die Entschlossenheit und die Hoffnung finden, die uns so weit gebracht hat.

Schulmaedchen, lernen,   © Anja Greiner Adam - Fotolia.comEs bedeutet auch, unsere Kinder mehr anzuspornen, ihre Ziele ein wenig höher zu setzen. Ich möchte, dass Ihre Kinder nach dem Ziel streben, Wissenschaftler und Ingenieure, Ärzte und Lehrer zu werden und nicht nur Draufgänger und Rapper. Ich möchte, dass sie nach dem Ziel streben, zum Beispiel Bundeskanzler zu werden.

Ich möchte, dass ihr Horizont nicht begrenzt ist. Sagen Sie ihren Kindern nicht, dass Sie etwas nicht tun können. Geben Sie ihnen nicht das Gefühl,  dass wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts irgendetwas nicht  erreichen können.

Diese Rede stammt natürlich nicht von mir.

Ich habe sie nur ein wenig angepasst. Aber von wem dann? Welcher deutsche Politiker hätte den Mut – und die Glaubwürdigkeit – so Tacheles zu reden?

Den Mut, unangenehme Dinge anzusprechen, muss man sich ja oft als Politiker früh abtrainieren. Allzu schnell bekommt man sonst das Fallbeil der Parteidisziplin zu spüren, wird der Illoyalität bezichtigt oder schlicht für unfähig gehalten, seinen Job verantwortungsvoll und im Dienste der Parteiräson zu tun.

Peer Steinbrück ist einer der wenigen, die sich trauen, eine eigene Meinung deutlich zu sagen (Beispiel: Rentenerhöhung). Auch Wirtschaftsminister von Guttenberg hat mit dem Amtseid nicht gleich die Fähigkeit mit abgelegt, einen eigenen Standpunkt zu vertreten, z. B. in der Diskussion um OPEL. Auch Wolfgang Clement wurde u.a. gerügt, weil er den Widerspruch seiner SPD in der Zusammenarbeit mit der Linken Partei nicht nachvollziehen konnte. Ex-Kanzler Helmut Schmidt war auch dafür bekannt, unbequeme Konflikte nicht auszusitzen, sondern – auch gegen öffentliche Meinungen – durchzuziehen.

Argumentiert wird das Risiko abweichender Meinungen ja meist damit, dass man dem Bürger bzw. dieses Jahr dem Wähler soviel Unterschiedlichkeit in den Meinungen nicht zumuten könne. Aber vielleicht ist der Wähler gar nicht so dumm und honoriert sogar ehrliche, wenn auch unbequeme Worte.

Jedenfalls zeigt das Politbarometer vom Juli 2009, was das Wahlvolk von den Versprechungen auf Steuersenkungen hält: nichts. Und in der Skala der beliebtesten Politiker folgt nach Kanzlerin Merkel auf Platz zwei Wirtschaftsminister Guttenberg, dann Steinmeier, und gleichauf schon Steinbrück.

Dass der Fluch der Ausgewogenheit – oder auch der Mittelmäßigkeit – keine Erfindung unserer Zeit ist, erkennt man an diesem Gedicht:

An das Publikum

Oh hochverehrtes Publikum,
sag mal:
bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht: »Das Publikum will es so!«
Jeder Filmfritze sagt: »Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!«
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
»Gute Bücher geh’n eben nicht!«

Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?

So dumm, dass in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung droh’n?

Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte …

Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
Ja, dann …

Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser –?

Ja, dann …
Ja, dann verdienst du’s nicht besser.

Das Gedicht stammt von Kurt Tucholsky und wurde unter seinem Pseudonym ‚Theobald Tiger“ in der Zeitschrift ‚ Die Weltbühne‘ veröffentlicht. Im Juli 1931(!)

Und von wem stammt nun obige Rede?

Vielleicht haben Sie es schon erraten. Es ist ein Auszug aus einer Rede, die US-Präsident Barack Obama gestern vor der Bürgerrechtsorganisation “National Association for the Advancement of Colored People” gehalten hat. Darin verlangte er von seinen farbigen Landleuten , weniger zu jammern und mehr eigene Anstrengungen zu unternehmen.
(Hier der komplette Text seiner Rede)

Ein delikates Thema, auch für Obama, aber er scheute sich nicht, zu versuchen, seine farbigen Landsleute aufzurütteln und aus ihrer Lethargie zu reißen. Dabei hilft ihm natürlich seine Biographie, die glaubhaft macht, dass es nun nach bald 200 Jahren auch ein Schwarzer schaffen kann, ganz nach oben zu kommen.

Das ist nicht das Ende der Diskriminierung, auch nicht in den USA. Besser wird es vermutlich erst, wenn der nächste US-Präsident eine Frau ist. Und lesbisch. Wir sind da schon ein bisschen weiter mit unserer weiblichen Kanzlerin. Und über den nächsten schwulen Kanzler wird ja schon debattiert.

kommentar Wie fänden Sie es, wenn so eine Rede in Deutschland gehalten werden würde?
Wen halten Sie dafür geeignet?

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Foto: © Digital Zombie, Anja Greiner Adam – Fotolia.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.