Rezension des Buches „Ich denke, also spinn ich.“
Das hätte sich vermutlich René Descartes nicht träumen lassen, dass sein Satz mal eine solche Verbreitung erfahren würde. Descartes quälte sich ja mit der Beweisbarkeit der eigenen Erkenntnisfähigkeit. Und als unbezweifelbares Fundament fand er eben diesen Satz: „„Da es ja immer noch ich bin, der zweifelt, kann ich an diesem Ich, selbst wenn es träumt oder phantasiert, selber nicht mehr zweifeln.“
Doch irrte er sich. Denn wie Rudolf Carnap nachwies, steckt in dem Übergang von „ich denke“ zu „ich existiere“ ein logischer Fehler. Streng genommen folgt aus „ich denke“ nicht „ich bin“, sondern „es gibt etwas Denkendes“.
Insofern galt der Titel des neuen Buches von Jochen Mai und Daniel Rettig „Ich denke, also spinn ich“ auch schon für diesen Philosophen des 17. Jahrhunderts.
Viele Menschen halten sich ja für rationale Wesen. Auch die Volkswirtschaft hat das Modell des „Homo oeconomicus“ erfunden, nach dem wir Menschen vor allem rational denken, danach trachten, den eigenen Nutzen zu maximieren.
Das wirkliche Leben sieht jedoch ganz anders aus.
Unser Verhalten, unsere Entscheidungen sind enorm beeinflussbar – durch andere Menschen oder Situationen. Das Unheimliche daran ist: in der Regel wissen wir gar nicht, durch was wir beeinflusst werden.
Doch schon Sigmund Freud wusste, wenn wir etwas Unbewusstes uns bewusst machen, haben wir eine gewisse Chance, uns rationaler zu verhalten. Diese dankenswerte Aufgabe des Aufklärens verfolgen schon seit langem Jochen Mai und Daniel Rettig, beide bei der Wirtschaftswoche beschäftigt, auf ihren Blogs.
123 interessante und verblüffende Einflüsse auf unser Verhalten haben sie nun in ihrem neuesten Buch zusammengefasst. Es umfasst alle Bereiche unseres Lebens:
Wie wir leben.
- Der Peltzman-Effekt erklärt beispielsweise, warum technischer Fortschritt und vermehrte Sicherheitsvorschriften nicht für weniger Unfälle sorgen. Denn durch die vermeintliche Sicherheit verleitet dies viele Autofahrer zu einem riskanteren Fahrstil.(Dasselbe Phänomen muss wohl auch bei der derzeitigen Bewältigung der Schuldenkrise eine Rolle spielen.)
- Der Barnum-Effektverdeutlicht, warum beispielsweise viele Leute etwas mit Horoskopen anfangen können. Sie beziehen die allgemein gültigen Aussagen auf sich und suchen im Heuhaufen der Binsenaussage nach der dazu passenden Begebenheit oder Charaktereigenschaft.(„Achtung: Heute wird Ihnen ein Kollege etwas unfreundlich begegnen.“ „Im Strassenverkehr heute erhöhte Unfallgefahr.“)
Wie wir fühlen
- Nach dem Pratfall-Effektsteigen unsere Sympathien für einen als kompetent eingestuften Menschen, wenn dieser ab und zu einen Fehler macht.(Herr von Guttenberg wollte sich das zunutze machen, hat aber wohl übertrieben.)
- Der Luzifer-Effektuntergräbt unseren Glauben, dass wir natürlich gut sind und nur die anderen böse. Es braucht nur etwas Macht und die richtige Umgebung, damit diese schlimme Seite in uns herauskommt.(Monsieur Strauss-Kahn aber auch das Milgram-Experiment zeigen das.)
- Gemäß dem Macbeth-Effekt lassen sich Entscheidungszweifel und Rechtfertigungsdrang ganz einfach wegspülen – indem Sie Ihre Hände waschen.
Wie wir lieben
- Der Romeo-und Julia-Effekt erhellt das liebessüchtige Verhalten mancher Menschen (hier ein Artikel von mir): Je aussichtsloser die Romanze, desto mehr kann sie die Leidenschaft entfachen.
- Der Valins-Effektillustriert, dass Aufregung oft dazu führt, dass wir den anderen als besonders erotisch attraktiv empfinden. Bekommen Männer beim Betrachten von Frauenfotos ihren Herzschlag zurückgemeldet, hat das einen großen Einfluss darauf, wie sie die Frauen finden. Hier das Experiment:httpv://www.youtube.com/watch?v=OF1s_VcAxEs&feature=player_embedded#at=65(Ihr nächstes Rendezvous könnten Sie also auf einer schwankenden Hängebrücke oder an der Leitplanke der A5 verabreden.)
Neben so wichtigen Themen, wie wir konsumieren, denken, entscheiden, lernen, kooperieren oder gewinnen, für die in dem Buch Studienergebnisse aufgelistet werden, interessierte mich besonders das Gebiet:
Wie wir arbeiten
- Der Watercooler-Effekt plädiert dafür, weniger Meetings abzuhalten und stattdessen Räume zum Tratschen einzurichten. Denn das sorgt für besseren Informationsfluss, für mehr Solidarität und Produktivität in Teams.
- Das Tina-Prinzip(There-is-no-alternative) hilft Ihnen, wenn Ihnen die Ideen ausgegangen sind und Sie Ihre Strategie als „alternativlos“ bezeichnen.(Nachdem die Kanzlerin es zur Begründung der Griechenlandhilfe verwendet hatte, wurde es leider 2010 zum Unwort des Jahres gewählt.)
- Der Jetzt-ist-es-auch-egal-Effekt rettet Sie und Ihr Team, wenn der Termin für die Projektabgabe überschritten wurde. Alle arbeiten jetzt viel entspannter – und oft ist das Ergebnis auch viel besser.
- Die 72-Stunden-Regel stammt ursprünglich vom Management-Guru Peter Drucker: „Was alle Erfolgreichen miteinander verbindet, ist die Fähigkeit, den Graben zwischen Entschluss und Ausführung äußerst schmal zu halten.“Konkret heißt das: was Sie sich vornehmen, sollten Sie innerhalb von 72 Stunden in Angriff nehmen.(Andernfalls sind Sie vermutlich ein Aufschieber und brauchen das hier …)
Mein Fazit:
Ein unterhaltsames Buch für den Nachttisch oder die lange Bahnfahrt, das an vielen Beispielen aus dem Alltag deutlich macht, welche unbewussten Kräfte und Motive uns oft leiten.
Diese Hintergründe werden in dem Buch selten aufgezeigt. Als Psychologe finde ich natürlich genau diese interessant. Wem es auch so geht – unten habe ich ein paar weiterführende Bücher dazu aufgelistet.
Können Sie diese Effekte bestätigen?
PS: Wenn Ihnen dieser Beitrag gefiel, dann sagen Sie es doch bitte weiter: auf Facebook, Twitter oder per Email.
… oder schreiben Sie einen Kommentar.
… oder abonnieren Sie neue Beiträge per Email oder RSS.
Foto: © MMchen photocase.com
„Ich denke, also spinn ich“ – so so. Einige der beschriebenen Effekte finde ich durchaus stimmig, wusste aber bislang gar nicht, dass sie so hübsch benannt werden.
Zum Thema Denken bevorzuge ich für meinen Teil die Ansicht, dass es nicht wirklich klar ist, dass ich denke, sondern eher, dass e s i n m i r denkt.
Bisher konnte wissenschaftlich noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, wo im Körper genau gedacht wird. Was denkt es in mir?
Sich dessen bewusst zu werden, ist elementar.
‚Descartes Irrtum‘ habe ich u.a. einst auch als Aha-Buch verschlungen, ‚bewies‘ es bzw. die Wissenschaft doch, dass Fühlen viel mehr unser Handeln bestimmt.
Seitdem ich mich mit Philosophie beschäftige, hab ich kapiert, was das Revolutionäre, das Neue an Descartes „Ich denke, also bin ich.“ war:
Er hat ‚tabula rasa‘ mit allen damaligen ‚Sicherheiten‘ gemacht, also den Mut gehabt, ALLES und JEDES in Frage zu stellen.
War für Aristoteles noch der COSMOS das Maß aller Menschendinge, war/ist für die Gläubigen Gott, Mohamend, Buddha das Maß aller Dinge – also etwas, das ÜBER einem ist/steht, leitete Descartes die Epoche des modernen Humansimus ein, indem sie den MENSCHEN SELBST zum Maß aller Dinge bestimmte.
Dass er das Denken in den Vordergrund stellte und z.B. nicht das Fühlen: Pech oder Glück, wer weiß. Uns modernen Menschen ist mittlerweile klar, das beides zum Menschsein gehört.
Was vielen nicht klar ist, sind die weitreichenderen Folgen von Descartes Sichtweise, nämlich, dass Mensch sich zunehmend verloren fühlt, da nix ‚über einem‘ einen noch trägt, Orientierung gibt, Maß vorgibt, Richtung gibt, Halt gibt – und somit auch Ein-Halt gebietet, z.B. in Form einer allgemein akzeptierten Ethik. Wobei wir dann bei Banken und Politik wären…
Herzliche Grüße
Maria Ast
danke für die rezension, das buch habe ich schon „lange“ auf meiner wunschliste. wichtig für mich ist auch der verweiss auf die weiterführenden bücher.
eins davon besitze ich bereits als hörbuch und ein anderes hatte schon lange vorgemerkt. die übrigen schaue ich mir auch noch an. „ich denke…“ ziehe ich dann als grundlage vor und lese die anderen um drauf aufzubauen.
auch hier nochmal ein dickes danke für die tips.