Mit über 1.000 Artikeln und 400 Podcasts aus 18 Jahren. — — Von Roland Kopp-Wichmann. Aber Vorsicht: Lesen kann Ihr Herz berühren, Ihre Augen öffnen und Ihr Leben beeinflussen.
Warum es gut ist, auch seine Feinde zu respektieren.
„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“
Stimmen Sie dem zu?
Nun, das Zitat ist schon etwas älter. Es stammt von Sokrates, 400 v. Chr. Aber jeder Lehrer oder viele Eltern würden diese Aussage bestätigen. Auch der Erfolg der TV-Serie „Super-Nanny“ zeigt ja, dass fehlender Respekt der Kinder für viele Eltern ein Riesenproblem ist.
Interessanterweise kriegt die Diplom-Pädagogin die entgleiste Situation meist schnell in den Griff. Sie hat die Einstellung, dass es Problemkinder nicht gibt – nur schwierige Situationen. Und Eltern, die Hilfe brauchen.
Im Wesentlichen macht sie bei den meisten Familien dasselbe:
Sie führt klare Regeln für Kinder und Eltern ein.
Sie hält alle an, einander zu respektieren.
Sie arbeitet mit den Eltern an deren Konflikten miteinander.
Respekt hat ja heutzutage bei vielen Menschen keinen guten Klang. Es erinnert viele an überholte Vorstellungen von Gehorsam, Klappe halten und Unterwerfung. Und Respekt wird oft mehr gefordert als gewährt. Alte verlangen Respekt von den Jungen. Die Oberen von den Unteren.
„Doch Respekt kommt in seinem lateinischen Ursprung von „respectus“, bedeutet also soviel wie „Zurücksehen“ und „Berücksichtigen“. Hat also weniger mit Gehorsam und Unterordnung zu tun als mit Begriffen wie Höflichkeit, Anerkennung, Würde, Achtsamkeit, Rücksichtnahme und Fairness“, schreibt Wolf Lotter in seinem lesenswerten Beitrag in brandeins.
Er schreibt, dass vor allem Menschen mit einer „narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ oft einerseits Respekt von anderen fordern. Umgekehrt es ihnen jedoch schwer fällt, diesen anderen zu erweisen.
hat ein grandioses Verständnis der eigenen Wichtigkeit (übertreibt etwa Leistungen und Talente, erwartet ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden)
ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe
glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder hochgestellten Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen
benötigt exzessive Bewunderung
legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d. h. hat übertriebene Erwartungen auf eine besonders günstige Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen
ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d. h. zieht Nutzen aus anderen, um eigene Ziele zu erreichen
zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht bereit, die Gefühle oder Bedürfnisse anderer zu erkennen/anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn / sie
zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten
Ob Berlusconi, van Gaal oder von Guttenberg – der Glaube an die eigene Gottähnlichkeit macht das Eingestehen von Fehlern unmöglich. Deshalb können aufgedeckte Verhaltensweisen in deren Augen auch nur mediale Schmutzkampagnen entspringen.
Vielleicht ist Ihnen jetzt auch jemand aus Ihrem Berufs- oder Privatleben eingefallen, dessen Verhalten Sie schon immer störte. Aber vielleicht erkennen Sie sich auch selbst etwas in den Beschreibungen wider.
Horizontaler Respekt
entsteht auf der Grundlage wahrgenommener Gleichwertigkeit. Er drückt sich darin aus, dass man einen Anderen als prinzipiell gleichwertiges Gegenüber behandelt und daher dessen Wünsche und Wahrheitsdefinition im eigenen Handeln stets berücksichtigt.
Horizontaler Respekt gilt unbedingt oder absolut: Entweder man erkennt einen Anderen als gleichwertiges Gegenüber an oder man tut es nicht. Das setzt die Einsicht voraus, dass Menschen gleichwertig (nicht gleich) sind. Somit kann horizontaler Respekt erlernt werden.
Vertikaler Respekt
entsteht auf der Grundlage wahrgenommener positiv bewerteter Differenz. Dem Anderen werden besonderes oder größeres Wissen, besondere oder größere Fähigkeiten, besondere oder größere Leistungen oder besondere oder herausragende Eigenschaften zugeschrieben.
Vertikaler Respekt drückt sich darin aus, dass man einem Anderen freiwillig und gerne folgt, zumindest in den Bereichen, in denen diese positive Differenz wahrgenommen wird.
Vertikaler Respekt gilt bedingt oder graduell: In dem Maße, in dem man beim Anderen besondere, größere oder bessere Ausprägungen in Wissen, Fähigkeiten, Leistung oder Eigenschaften wahrnimmt, wird dieser Andere respektiert.
Vertikaler Respekt ist in Firmen oder Organisationen wichtig, denn dadurch funktionieren sie reibungsloser. Durch vertikalen Respekt wird signalisiert, dass man sich freiwillig unterordnet.
In Konflikten verlieren viele den Respekt.
Ein Konflikt entsteht, wenn zwischen mindestens zwei Parteien, die miteinander zu tun haben, unvereinbare Unterschiede zwischen sich oder Bedrohungen ihrer Mittel, Bedürfnisse oder Werte wahrgenommen werden.
Erst dann stellt sich die Frage ob der Andere im eigenen Handlungskalkül als gleichwertig berücksichtig wird. Die Aussage: „Ich respektiere jeden, solange er mit mir übereinstimmt, oder mich nicht stört“ hat dementsprechend nichts mit Respekt zu tun.
Keine der beiden Arten des Respekts kann man erzwingen. Die implizierte Gleichwertigkeit der Menschen im horizontalen Respekt muss selbst eingesehen werden. Die implizierte Differenz im vertikalen Respekt muss anerkannt und für richtig befunden werden.“ (Ende des Zitats)
Respekt vor dem Andersdenkenden kann man als ein Zeichen menschlicher Reife sehen. Erfordert es doch das Hintanstellen des eigenen Egos und das Akzeptieren andersartiger Meinungen, Werte und Handlungen.
Im Gegensatz zu Anerkennung muss man Respekt nicht erst verdienen. Respekt kann man nicht einfordern, sondern sich nur dafür entscheiden und im eigenen Denken und Handeln verankern. Respektvolles Verhalten kommt aus der inneren Haltung.
Hier eine gute Radiosendung über Respekt zum Anhören.
Das fällt fast allen Menschen auf unterschiedlichem Gebiet schwer. Denn das Beharren auf dem eigenen Standpunkt als „Wahrheit“ oder „objektiver Sichtweise“ stützt die eigene schwache Identität. Wer innerlich gefestigt ist, kann Andersdenkenden ihre Ansicht lassen.
Doch das fällt vielen Menschen, aber auch Völkern oder Religionen schwer. Hier ein Beispiel von Dieter Nuhr:
httpv://www.youtube.com/watch?v=4Tf8mZ5geEc
Was bedeutet Respekt konkret?
Der Autor und Berater Fritz Simon sieht es ganz nüchtern:
„Je pragmatischer wir mit Respekt umgehen, desto besser. Ich behandle andere Leute, weil ich möglicherweise morgen was von ihnen brauche oder sie heute schon was haben, das für mich von Interesse ist. Es ist einfach unklug, respektlos zu sein.“
In einer globalen Welt, in der wir immer mehr einander und voneinander brauchen, ist das sicher ein weiser Rat. Egal ob es um Rohstoffe, Arbeitskräfte, Wissen etc. geht. Kein Land ist heute eine selbstversorgende Insel mehr.
Verdienen auch unsere Feinde Respekt?
Das kann man moralisch beantworten. Doch kann sich auch hier eine respektvolle Haltung auszahlen, vor allem dann, wenn der Feind etwas besitzt, das man haben möchte. Zum Beispiel eine bestimmte wertvolle Information.
In seinem Artikel„Wie Sie Ansehen selbst bei Todfeinden gewinnen“zeigt René Borbonus am Beispiel des Verhörs Gefangener im Irak-Krieg, wie wichtig Respekt in der Kommunikation auch mit Menschen sein kann, die man lieber hassen oder verachten möchte.
Der amerikanische Verhörspezialist Matthew Alexander (Pseudonym), der Mitglied eines Spezialteams der US-Armee auf Anti-Terror-Mission im Irak war, hat in seinem Buch How to Break a Terrorisgenau das getan.
Mit überraschendem Ergebnis: Respekt ist seinen Erfahrungen nach effektiver als Folter. Alexander erreichte damit, was seinen Kollegen zuvor misslungen war. So erhielt er bei seinen Vernehmungen die Informationen, die im Sommer 2006 die Ausschaltung des irakischen al-Qaida-Führers Abu Musab al Zarqawi ermöglichten.
Muss man auch die Eltern respektieren?
In meinen Persönlichkeitsseminaren geht es manchmal bei einem Teilnehmer um das Thema „Ablösung“. Jemand hasst seine Eltern so sehr, dass er schon seit Jahren den Kontakt völlig abgebrochen hat oder sich sonstwie emotional distanziert hat.
So verständlich derlei Reaktionen sein mögen – man bleibt dadurch gebunden. Die Ablösung geschieht auch hier über den Respekt. Um das Anerkennen des anderen, egal wie der andere war oder was er getan hat.
Wurde jemand als Kind oder Jugendliche von einem Elternteil verprügelt oder missbraucht, fällt das immer schwer. Ein Mann berichtete, dass er angesichts seines stets betrunkenen Vaters sich als Zehnjähriger schwor, „nie so ein Mann zu werden wie mein Vater“.
Doch das Verweigern des Respekts, der Achtung macht einen nicht frei, sondern bindet einen an den vermeintlichen Feind. Darüber, wie man sich ablöst, gibt es zwei Videos von mir: „Ein Mann braucht den Frieden mit seinem Vater.“
Mit dem Respekt kann man es aber auch übertreiben.
Als im Konzert des Jazzpianisten Keith Jarrett in Berlin jemand hustete, hielt dieser eine Rede über die Welt draußen und ihren Mangel an Konzentration. Dann unterbrach der Maestro das Konzert, weil ein Ton ihm nicht sauber gestimmt erschien.
Ein Klavierstimmer musste unter Lachen und Jubel der zweitausendvierhundert Besucher auf die Bühne. Als dann ein Fan fotografierte, unterbrach Jarrett wieder und verlangte, dass er die Kamera über den Gang hinweg einem anderen gebe.
Manche Narzissten wollen eben nicht nur Applaus und Bewunderung, sondern freiwillige Unterwerfung.