Der demografische Wandel ist schon da. Aber wir halten fest an einer verfehlten Politik der Einwanderung.
Langfristige Entwicklungen haben einen großen Nachteil. Sie geben kein schnelles Feedback über mein Handeln in der Gegenwart. Und bieten deshalb wenig Anreiz, etwas zu verändern.
Wer beim Nageleinschlagen den Daumen getroffen hat, setzt die folgenden Schläge genauer, treffsicherer oder lässt ganz davon ab. Andere schädliche Verhaltensweisen bieten leider keine so schnelle Rückkopplung. Wenn man bei Bluthochdruck, Rauchen, zu wenig Bewegung oder zu viel Fernsehen sich gleich danach schmerzverzerrt am Boden krümmen würde, wären unsere Krankenkassenbeiträge längst niedriger.
So ist es auch mit bestimmten globalen Entwicklungen. Egal ob Hunger in der Welt, Klimaveränderung oder der demografische Wandel in Deutschland. Da unser heutiges Verhalten keine unmittelbare negative Reaktion zeigt, glauben wir, dass die Effekte erst sehr viel später eintreffen werden. Insgeheim hoffen wir: vielleicht nie. Oder zumindest nicht zu unseren Lebzeiten.
Was den demografischen Wandel angeht, ist dieser Irrtum gefährlich nah:
- Der Hightech-Verband Bitkom beklagt den Mangel an 20.000 IT-Experten.
- Schon in fünf Jahren würden Unternehmen mehr Jobs anbieten, als sie dann noch besetzen könnten, sagt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey voraus.
- Bis 2050 wird es elf Millionen Bundesbürger weniger geben (Berlin-Institut für Bevölkerung u. Entwicklung)
- Die Geburtenrate liegt hierzulande seit Jahren bei 1,4. Um die Bevölkerungszahl in Deutschland stabil zu halten, wäre eine Rate von 2,08 nötig. Lesen Sie hier über die Hintergründe …
dieser schwund liesse sich nur durch zuwanderung ausgleichen.
Um den Verlust der Bevölkerung um mehr als zwölf Millionen zu verhindern, müssten jährlich 200.000 Zuwanderer jährlich nach Deutschland kommen. Und zwar ab sofort. Aber auch nicht irgendwelche, sondern möglichst hochqualifizierte.
Jetzt dürfen Sie zweimal raten:
- Wie viele Ausländer haben 2009 die Niederlassungserlaubnis für High Potentials genutzt?
- Wie viele meist gut ausgebildete Deutsche haben 2009 unser Land verlassen?
Na, was schätzen Sie? Ich vermute, bei der ersten Frage liegen Sie zu hoch, Bei der zweiten zu niedrig. So ging es mir auch, als ich die Zahlen las:
nur 689 Ausländer kamen nach Deutschland während 160.000 Deutsche die Heimat verließen.
Das hat für uns alle gravierende Folgen, jetzt und noch mehr in Zukunft. Und wird enorme, unbequeme Anpassungsleistungen von uns fordern. U.a. werden immer weniger Arbeitskräfte immer mehr Kosten für Krankenkassen und Rentenversicherung für immer mehr Ältere finanzieren müssen. Zudem hinterlassen die 160.000 deutschen Emigranten statistisch betrachtet rund 40 Milliarden Euro Staatsschulden.
Wir Deutsche tun uns schwer mit der Zuwanderung.
Die weit verbreitete Angst vor Überfremdung wischt alle rationalen Argumente hinweg, was man an den Initiativen gegen die Errichtung von Moscheen sehen kann. Aber auch viele Politiker handeln wenig klug:
- „Kinder statt Inder!“ war im Jahr 2000 der populistische Ausrutscher von Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.
- Auch die „Greencard-Initiative“ von Ex-Kanzler Schröder wurde von fast allen Seiten heftig angefeindet.
- Eine Zuwanderungsaktion der EU 2008 blockierte Wolfgang Schäuble damals mit dem populären aber blödsinnigen Argument, „die deutsche Wirtschaft solle erst einmal unter den drei Millionen Arbeitslosen jene Arbeitskräfte finden, die sie braucht.“
Kein Wunder, dass die Mehrheit heute im Land überwiegend gegen den Zuzug von Ausländern ist, sogar von hochqualifizierten Bewerbern, wie eine Umfrage der letzten Woche zeigt:
68 % der Befragten sind gegen eine Förderung des Zuzug von Spezialisten aus dem Ausland. Nur 30 % sind dafür.
Ein Teil dieser Ablehnung ist wohl auch der gut gemeinten aber letztlich problematischen Politik der Einwanderung und Integration von Ausländern zuzuschreiben.
Ursprünglich wurden mit den „Gastarbeiter“ für die schlechtesten Jobs vor allem gering Qualifizierte ins Land geholt. „Ein solcher familiärer Hintergrund ist auch für die zweite und dritte Generation aufstiegshemmend“ (Berlin-Institut). Davon kann jeder Lehrer in bestimmten Wohngebieten von Großstädten ein trauriges Lied singen. Und auch Thilo Sarrazin streut ja mit seinen Provokationen immer wieder Salz in die Wunde der Deutschen, die so gerne gut sind. Wer sich für sachliche Argumente interessiert, hier eine 95-Seiten-Studie.
Andere Länder regeln die Zuwanderung klüger.
Leider wurde bei der obigen Umfrage nicht erhoben, wie die Deutschen zum Zuzug unqualifizierter Ausländer stehen. Diese Frage wäre wohl politisch nicht korrekt gewesen. Andere Länder sind bei ihren Zuzugsregeln erfolgreicher.
In Kanada zählen 99 % der Einwanderer zu den Hochqualifizierten. In Dänemark erhalten Einwanderer bis zu 75 Prozent Nachlass auf die Einkommenssteuer. In den USA gibt es Überlegungen, künftig jedem Ausländer, der ein Studium abschließt, eine Greencard anzubieten.
Zum Glück kehrt ein Teil der deutschen Emigranten nach ein paar Jahren zurück. Jedenfalls gilt das für Wissenschaftler (FAS, S. 47, Nr. 33) Diese nutzen den Auslandsaufenthalt als Zwischenstation, um ihren Horizont zu erweitern und Erfahrungen zu sammeln. Nur rund ein Fünftel bleibt länger als fünf Jahre im Ausland.
Wie müsste eine entsprechende deutsche Politik aussehen?
In der neuesten SPIEGEL-Ausgabe 32/2010 steht dazu:
‣ Politik und Gesellschaft müssen sich klar dazu bekennen, dass Einwanderung erwünscht und auf Dauer angelegt ist;
‣ die Anforderungen an die künftigen Einwanderer müssen klar definiert, Kontingente festlegt werden;
‣ Bildungs- und Berufsabschlüsse anderer Länder müssen leichter anerkannt werden;
‣ Deutschland benötigt ein einheitliches Einwanderungsrecht;
‣ mit Erleichterungen im Aufenthaltsrecht und bei der Einbürgerung muss auch Familienangehörigen eine dauerhafte Perspektive gegeben werden;
‣ bereits hier lebende Migranten und ihre Kinder müssen besser gefördert und qualifiziert werden;
‣ der Staat und die Unternehmen müssen aktiv im Ausland für das Einwanderungsland Deutschland werben.
Und wie steht es mit Ihnen?
Ich selbst hatte in verschiedenen Phasen meines Lebens die Idee, auszuwandern. New York war einer meiner Träume, aber auch das Leben in einem Häuschen in Griechenland oder Spanien konnte ich mir vorstellen. Letzteres ist ja mittlerweile auch finanziell durch die gesunkenen Häuserpreise durchaus realistisch.
Doch was mich hält, ist das, womit auch zurückgekommene Auswanderer ihren Rückweg erklären: die Heimat. Bei mir eine seltsame Mischung aus Vollkornbrot, Liebe der deutschen Sprache und Kultur, die Nähe zu Freunden und das schwer zu beschreibende Gefühl, wenn ich wieder im Flughafen oder auf der Autobahn deutschen Boden unter mir spüre.
hier meine Frage an sie:
Angenommen, Sie könnten ohne Probleme Ihren Beruf im Ausland ausüben oder dort sonstwie ihren Lebensunterhalt verdienen:
- Was würde Sie dazu veranlassen, Deutschland zu verlassen?
Was wäre Ihr Wunschland? Und warum? - Warum würden Sie Deutschland trotzdem nicht verlassen?
Ich bin gespannt auf Ihre Antworten.
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