Natürlich sind Sie einzigartig. Und ich auch. Und Ihr nerviger Nachbar auch. Trotzdem finde ich es interessant, darüber nachzudenken, zu welcher gesellschaftlichen Schicht man eigentlich gehört – bzw. man sich selbst zählt. Denn entscheidend dabei sind jene Werte, die Ihnen im Leben wichtig sind.
Dabei meine ich jetzt nicht so abstrakte Werte wie Freiheit, Unabhängigkeit oder Liebe. Sondern jene praktischen Werte, nach denen Sie Ihr Kreuz auf dem Wahlzettel machen, welches Auto Sie fahren, welche Musik Sie mögen oder wo Sie Ihre Lebensmittel kaufen.
Für Politiker, Marketingexperten und Gemeinderatsmitglieder einer Stadt sind das wichtige Fragen. Denn sie versuchen, ihr „Produkte“ (Wahlversprechen, Konsumartikel oder ein städtebauliches Konzept) an der Bevölkerung – und den verschiedenen Gesellschaftsschichten – auszurichten.
Auf das Thema wurde ich aufmerksam durch eine Diskussion in der Lokalpresse meiner Heimatstadt (Rhein-Neckar-Zeitung), ob Heidelberg in seiner beschaulichen Altstadt einen zusätzlichen „Magneten“ braucht, womit ein hochwertiges Kaufhaus oder Markthalle usw. gemeint ist. Hintergrund ist die auch zu beobachtende Ausbreitung von Kettenläden und Ramsch-Shops und die statistisch erfasste Abwanderung wichtiger Käuferschichten nach Mannheim oder in ein nahe gelegenes Einkaufzentrum in Viernheim.
Durch den Artikel wurde ich auf eine die ansässige Firma Sinus Sociovision aufmerksam. Die Sozialforscher dort verknüpfen in ihren Studien Analysen zur sozialen Lage mit Einstellungen und Lebensstilen in unterschiedlichen Milieus.
Spannend fand ich nun, dass dort zehn verschiedene Lebensstile definiert werden, die nach sozialer Lage in Schichten, auf der Grundlage von Bildung, Beruf und Einkommen und nach der Werteorientierung von traditionell bis postmodern unterscheiden.
Hier in einer Kurzfassung die zehn von dem Unternehmen definierten Lebensstile:
Traditionsverwurzelte:
- Die Traditionsverwurzelten sind die sicherheits- und ordnungsliebende Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Ihre Wurzeln haben sie entweder in der kleinbürgerlichen Welt oder in der traditionellen Arbeiterkultur. Sie verstehen sich als die Bewahrer der traditionellen Werte Pflichterfüllung, Disziplin, Bescheidenheit und Moral.
- Inzwischen sind die meisten Rentner oder Pensionäre, nach einem Arbeitsleben in der unteren Mitte der Gesellschaft (kleine Angestellte und Beamte, Arbeiter, Bauern).
Konservative:
- Die Konservativen repräsentieren das alte deutsche Bildungsbürgertum. Sie pflegen die bewährten Traditionen, eine humanistisch geprägte Pflichtauffassung und gehobene Umgangsformen. Entsprechend leiden sie unter dem „Verfall der Werte und guten Sitten“. Sie legen großen Wert auf Abgrenzung durch die Betonung ihrer gehobenen Stellung in der Gesellschaft.
- Heute sind viele im Ruhestand, nach einer erfolgreichen, verantwortungsbewussten Berufskarriere. Ihr Engagement richtet sich inzwischen – noch mehr als früher – auf ehrenamtliche Tätigkeiten.
- Familie und familiärer Zusammenhalt sind den Konservativen sehr wichtig. Vom Zeitgeist und dessen Folgen distanzieren sie sich kritisch.
DDR-Nostalgische:
- Die DDR-Nostalgischen (sie stellen fast ein Viertel der ostdeutschen Bevölkerung) sehen sich als Verlierer der Wende. Das führt zu einer gewissen Verklärung der Vergangenheit und Verbitterung gegenüber der Gegenwart.
- Früher waren sie oft Führungskader in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur, heute haben sie einfache Berufe oder sind arbeitslos. Diese Situation verstärkt die Verbitterung und den Rückzug aus der „westlich“ geprägten Welt.
- Sie führen ein – zum Teil demonstrativ – einfaches Leben, konzentriert auf Familie, gleichgesinnte Freunde und Vereine. Die Betonung der alten Werte des Sozialismus (Gerechtigkeit, Solidarität) paart sich mit Kritik am „Turbo-Kapitalismus“.
Konsum-Materialisten:
- Gerade wegen seiner sehr beschränkten finanziellen Mittel zeigt dieses Milieu einen ausgeprägten Konsum-Materialismus. Viele Milieuangehörige konzentrieren sich ganz auf das Hier und Jetzt, auf spontanen und prestigeträchtigen Konsum, um zu beweisen, dass sie mithalten können.
- Sie möchten als „normale Durchschnittsbürger“ gelten, haben aber häufig das Gefühl, in der Gesellschaft benachteiligt zu sein. Ihre Wünsche von einem komfortablen Leben und ihre Träume vom plötzlichen Reichtum stehen oft im krassen Kontrast zur Realität.
- Ihre beruflichen Chancen sind häufig eingeschränkt durch mangelnde Ausbildung und ungünstige persönliche Rahmenbedingungen. Der Anteil der Arbeitslosen ist hoch.
Bürgerliche Mitte:
- Lebensziel der bürgerlichen Mitte ist es, in gut gesicherten, harmonischen Verhältnissen zu leben. Cocooning im gepflegten Ambiente, umgeben von gleichgesinnten und gleichsituierten Freunden prägt ihren Lebensrahmen.
- Sie zeigen Leistung und Zielstrebigkeit. Beruflicher Erfolg, eine gesicherte Position und die Etablierung in der Mitte der Gesellschaft sind ihnen wichtig. Manchmal sind sie geplagt von Abstiegsängsten.
- Sie wollen sich einen angemessenen Wohlstand erarbeiten, sich leisten können, worauf sie Lust haben. Dabei bleiben sie aber flexibel und realistisch.
Etablierte:
- Die Etablierten sind die gebildete, gutsituierte und selbstbewusste Elite. Sie haben hohe Exklusivitätsansprüche und zeigen entsprechende Kennerschaft. Damit grenzen sie sich bewusst von anderen ab („die feinen Unterschiede“).
- Beruflicher Erfolg ist ihnen wichtig. Dabei verfolgen sie klare Karrierestrategien. Sie übernehmen Verantwortung und Führung, und sie sind sicher, ihre hohen Ziele zu erreichen.
- Sie haben eine pragmatische Lebensphilosophie, reagieren mit Flexibilität auf neue Situationen und engagieren sich in Vereinigungen, Verbänden und Clubs – nicht zuletzt, um auch soziale Ziele zu fördern.
Postmaterielle:
- Die Postmateriellen sind überwiegend hochgebildet, kosmopolitisch und tolerant. Gewöhnt, in globalen Zusammenhängen zu denken, setzen sie sich kritisch mit den Auswirkungen von Übertechnisierung und Globalisierung auseinander. Höchster Wert ist die Lebensqualität des einzelnen.
- Sie haben großes Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten und gehen souverän mit beruflichen Herausforderungen um. Sie wollen Erfolg im Beruf – aber nicht um jeden Preis.
- Ihre postmateriellen Ansprüche richten sich auf die Entfaltung ihrer individuellen Bedürfnisse und Neigungen, auf das Schaffen von Freiräumen für sich und auf mehr Zeitsouveränität.
Hedonisten:
- Die Hedonisten sind die spaßorientierte untere Mittel- bis Unterschicht, immer auf der Suche nach Fun und Action, Unterhaltung und Bewegung (on the road). Nur nicht sein wie „die Spießer“. Gleichzeitig haben sie oft Träume von einem geordneten Leben mit Familie, geregeltem Einkommen und schönem Auto / Motorrad.
- Bezogen auf den Beruf führen viele eine Art Doppel-Leben, angepasst an den Berufsalltag, im Gegensatz zum hedonistischen Lebensstil in der Freizeit. Trotz und auf Grund dieser partiellen Anpassung haben sie häufig aggressive Underdog-Gefühle gegenüber ihrer (Arbeits-) Umwelt.
- Die Hedonisten leben ganz im Hier und Jetzt, möchten sich wenig Gedanken um die Zukunft machen. Dabei zeigen sie Spaß an der Provokation der „Spießer“ und der Identifikation mit „krassen“ Szenen, Clubs und Fangemeinden.
Experimentalisten:
- Die Experimentalisten haben große Lust am Leben und Experimentieren. Sie sind tolerant und offen gegenüber unterschiedlichsten Lebensstilen, Szenen und Kulturen. Gleichzeitig lehnen sie Zwänge, Routinen und Rollenvorgaben ab. Vielmehr leben sie lustvoll unterschiedliche Rollen und auch Widersprüche aus (Lifestyle-Avantgarde, neue Bohème).
- Weniger wichtig sind ihnen materieller Erfolg, Status und Karriere. Ihre Ablehnung, sich „lebenslänglich“ festzulegen, führt oft zu ungewöhnlichen Patchwork-Biografien und -Karrieren.
- Die Experimentalisten sind mit Multimedia groß geworden und nutzen intensiv Online-Angebote, Video- und Computerspiele. Sie engagieren sich aber auch für gesellschaftliche Randgruppen, betreiben Esoterik, machen mentales Training und gehen kreativen Tätigkeiten nach.
Moderne Performer:
- Die Modernen Performer sind die junge, unkonventionelle Leistungselite. Sie wollen ein intensives Leben, in dem sie ihre Multioptionalität und Flexibilität ausleben und ihre beruflichen wie sportlichen Leistungsgrenzen erfahren können.
- Ihr ausgeprägter Ehrgeiz richtet sich auf „das eigene Ding“, oft die eigene Selbständigkeit (Start-ups). Dabei haben sie nicht nur den materiellen Erfolg im Auge. Treibendes Motiv ist ebenso, zu experimentieren, spontan Chancen zu nutzen, wenn sie sich auftun und die eigenen Fähigkeiten zu erproben.
- Die Modernen Performer sind mit Multimedia groß geworden. Die modernen Kommunikationstechnologien nutzen sie intensiv und lustvoll, im beruflichen wie im privaten Leben.
Auf der Website von Sinus Sociovision finden Sie obige Grafik unter /Produkte/Sinus-Milieus/, auf der Sie durch Anklicken noch mehr interessante Informationen zu den einzelnen Lebensstilen bekommen können.
Nun, meine Frage:
Welcher Gesellschaftsschicht ordnen Sie sich zu?
Welcher Gesellschaftsschicht würden Sie einige Ihre Freunde zuordnen?
Welcher Gesellschaftsschicht würden Sie Ihre Eltern zuordnen?
Und wie begründen Sie Ihre Zuordnung? Und wie fühlen Sie sich damit?
Würden Sie gerne einen anderen Lebensstil leben?
PS: Den Artikel schrieb ich im Februar 2008. Ein paar Infos darin sind also nicht mehr aktuell. Aber das meiste stimmt dennoch.
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