„Iss nicht so viel Süßes!“ sagte meine Mutter öfters zu mir, als ich acht Jahre alt war. Auf meine Warum-Frage bekam ich die Antwort „Weil es ungesund für dein Leben ist.“
„Gibt’s hier denn nie Fleisch?“ wollte ich im buddhistischen Zentrum beim Mittagessen mal wissen. Auch hier war die Antwort negativ aber nicht mit dem Hinweis, dass Tiere auch fühlende Wesen und deshalb schonenswert seien, sondern „Weil Fleisch ganz viele Zivilisationskrankheiten verursacht.“
„Am besten den Salzkonsum einschränken“, beschied mich mein Hausarzt, als ich fragte, ob ich bei meinem Bluthochdruck auf etwas Besonderes achten solle.
Tja, wer gesund leben will kann in nullkommanix eine lange Liste von bösen Lebensmitteln zusammenstellen:
- Fleisch, vor allem natürlich das rote.
- Zucker und natürlich auch alle Süßstoffe, v.a. Aspartam, aber auch Fruchtzucker, Honig usw.
- Salz, selbst wenn es aus dem Meer oder vom Himalaya kommt.
- Alkohol. Kaffee. Limonaden.
- Fette, vor allem die Transfette
Die Liste mit den guten Lebensmitteln ist da vergleichsweise kurz:
- Gemüse
- Obst
- Getreide, am besten selbstgemahlen
- Wasser, Früchtetee
Aber stimmt das denn wirklich?
Im Juli-Heft von brandeins las ich einen Artikel von Uwe Knop, der ein ganz anderes Licht auf die zahllosen Ernährungsrichtlinien wirft. Der Autor hat innerhalb von drei Jahren etwa 500 Studien zum Thema Ernährung hinterfragt.
Sein Fazit: Es gibt keine wissenschaftlich gesicherten Nachweise für Ernährungsregeln und den Zusammenhang von bestimmten Nahrungsmitteln und Krankheiten.
So wurde die allgemein bekannte Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) fünf Portionen Gemüse oder Obst am Tag zu essen im Jahr 2000 proklamiert, um Krebs vorzubeugen. Jetzt vierzehn Jahre später ist man klüger.
In der großen EPIC-Studie war das Fazit des Studienleiters, Professor Rudolf Kaaks, vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ):
„Man muss heute feststellen, dass der in den Fall-Kontroll-Studien gefundene starke Zusammenhang zwischen hohem Gemüse- und Obstkonsum und einer Senkung des Krebsrisikos infrage gestellt werden muss.“
Dass viele Menschen den Appellen folgten und deutlich mehr Gemüse und Obst zu sich nahmen hatte natürlich schon Folgen. Seit Einführung der Kampagne „5 am Tag“ sind die klinischen Fälle von Magen-Darm-Erkrankungen in der Zeit zwischen 2000 bis 2011 um 80 Prozent gestiegen.
Und was ist mit Fleisch?
Sie ahnen schon den Tenor dieses Beitrags: dasselbe Ergebnis wie beim Gemüse.
Eine Meta-Analyse der Universität Cambridge, die 80 Einzelstudien mit mehr als 600.000 Teilnehmer aus 18 Nationen prüfte, kam zu dem Ergebnis: kein Zusammenhang zwischen Fleischverzehr und Herz-Kreislauf-Krankheiten.
Dazu passt auch ein genauerer Blick auf die Empfehlung zur mediterranen Ernährung, die hierzulande gern gepriesen wird. Denn Italiener und Spanier essen statistisch deutlich mehr Fleisch als wir Deutsche – leben aber länger als wir. Die Spanier sogar am längsten in ganz Europa.
In den letzten Jahrzehnten hat ja die vegetarische Ernährung immer mehr Anhänger gefunden. Einige führen ethische Gründe dafür an („Nichts essen, was Augen hat“) viele aber auch gesundheitliche Aspekte, die mit zahlreichen Studien belegt werden sollen.
Auch hier gehen natürlich die Meinungen auseinander. Eine Studie der Universität Graz, nach der Vegetarier öfter krank und häufiger depressiv seien sowie eine geringere Lebensqualität als Fleischesser hätten, wurde heftig diskutiert und mit Gegenstudien zu widerlegen versucht.
Ja, was soll man denn im Leben nun glauben?
Dass wir über so vieles nichts Genaues wissen, hat mit zwei Problemen zu tun:
1. Wir können die „Realität“ oft nicht objektiv erfassen, müssen uns aber in dieser Realität dauernd entscheiden.
– Wann ein Blutdruck zu hoch und deshalb behandlungsbedürftig ist, lässt sich nicht objektiv bestimmen. Aber natürlich wollen wir vom Arzt darüber eine Aussage. Und so kommt es, dass dieser Grenzwert über die Jahrzehnte sinkt. Vielleicht auch durch gute Lobbyarbeit der Pharmaindustrie.
– Wann ein Kind an den Mandeln operiert werden muss, entscheidet weniger der jeweilige Befund des Arztes sondern vor allem der Wohnort (!)
2. In ganz vielen Studien werden Korrelationen zu Kausalitäten umgedeutet.
Studien zu Ernährungsfolgen sind epidemiologische Studien, d.h. große Gruppen von Menschen werden zu Essverhalten, Lebensstil und Krankheitsverlauf befragt – und dann zu bestimmten Zeitpunkten beobachtet.
Korrelation heißt, dass zwei Datensätze sich ähnlich verhalten, doch kann daraus keine Kausalität geschlossen werden. Wenn die Größen A und B korrelieren, dann kann A von B abhängen oder B von A. Oder beide Größen A und B hängen von einer dritten Größe ab oder sie haben gar nichts miteinander zu tun. Welche der vier Varianten vorliegt, geht aus der bloßen Statistik nicht hervor.
Hier einige Beispiele:
- „Mehr Störche – mehr Kinder!“ Wenn in einer Gegend mehr Störche gesehen werden und gleichzeitig die Geburtenrate steigt, ist das eine Korrelation aber kein Kausalzusammenhang.
- „Ein Ehrenamt hält jung!“ behauptet eine US-Studie und verkündete ebenso unser Bundespräsident. Es ist aber genauso denkbar, dass vor allem die fitten Alten sich für ein Ehrenamt engagieren.
- „Reichtum schützt vor Herzinfarkt.“
Verkleinert man die Kluft zwischen Arm und Reich, wären die Menschen gesünder. Aber vielleicht ist es auch andersherum: Gesunde Menschen sind leistungsfähiger und verdienen deshalb mehr. - Hier eine Grafik, die zeigt, wie in Amerika die Ausgaben für Wissenschaft und Raumfahrt mit der Suizidrate „zusammenhängen“.
Zurück zur Ernährung.
Die Crux ist auch, dass es zu jeder Studie eine Gegenstudie gibt – und jede nochmals – je nach Interessenlage und ideologischer Ausrichtung unterschiedlich interpretiert werden kann.
Mit zwei Ausnahmen, wie die EPIC-Studie zeigte: Durch Rauchen wird man nicht gesünder, obwohl Tabak bio ist. Und zu viel Bauchfett begünstigt die Krebsentstehung, egal ob der Bauch vegetarisch, biodynamisch oder mediterran erworben wurde.
Mein Fazit: Keiner weiß, wie man richtig lebt.
Der brandeins-Autor empfiehlt übrigens, dem eigenen Körper zu vertrauen. Heißt konkret: nur essen, wenn man hungrig ist. Nur das essen, worauf man wirklich Appetit hat. Und nur so viel essen, bis man satt ist.
Wenn das nur nicht manchmal so schwierig wäre.
Wie lebt man richtig?
Nach welchem Rezept leben Sie?
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Bild: © www.cartoon4you.de