Normalerweise schreibe ich ja nie über politische Themen. Einmal habe ich es gemacht, als ich so besoffen war von Obamas Inthronisationsrede: „Yes, we can!“ Nach einigen Jahren, wo es ja richtiger heißen muss: „Yes, we scan!“ habe ich es bitter bereut und hier einen Erklärungsversuch dazu geschrieben.
Ich sollte es also lassen.
Aber als ich letzte Woche die Reaktion des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan auf eine kritische Frage einer englischen Journalistin las, war ich einfach nur begeistert.
Er schalt sie eine „schamlose Frau“ und dann kam es: „Erkenne Deinen Platz!“
Was für ein genialer Satz.
Der normale Hundebesitzer sagt ja zu seinem Vierbeiner einfach nur „Platz!“ Das wiederholt er, wenn es sein muss, vielleicht auch mit erhobener Stimme.
Wie primitiv! Wie viel gewählter klingt doch: „Erkenne Deinen Platz!“
Das klingt fast biblisch, ganz so als würde Stammvater Abraham mit ausgestreckter Hand einem die gottgewollte Position zuweisen. „Erkenne Deinen Platz!“ Das hat einfach was.
Man stelle sich vor, die junge Führungskraft hat einige Projekte gut abgeschlossen und fragt nach einer Gehaltserhöhung. Wie jämmerlich klingen da Ablehnungen wie „Da wollen wir erst noch mal abwarten“ oder „Die Geschäftszahlen erlauben gerade keine Erhöhung der Personalkosten.“
Einfach aufstehen und vorwurfsvoll rufen: „Frau Müller, erkenne Deinen Platz!“
Viele Beziehungen kranken ja heute daran, dass die Männer über ihre Identität verunsichert sind. Im gnadenlosen Wettbewerb um die Karriere und die Frauen muss Mann die männlichen Rivalen furchtlos ausstechen. Doch daheim soll er seine weichen Seiten zeigen, keine Berührungsängste am Wickeltisch zeigen und für sein Kind den fantasievollen, liebevollen Vater geben. Und im Bett dann noch der draufgängerische Latin Lover sein.
Fragte man die Gattin von Herrn Erdoğan, was moderne Frauen tun könnten, um dieses Dilemma aufzulösen, würde sie vielleicht sagen: „Zieh Dein Kopftuch fest und erkenne Deinen Platz.“
Auch für die politische Debatten im Bundestag ließe sich zeigen, dass wir es ernst mit der Integration meinen, jetzt, wo der Islam doch zu Deutschland gehört. Wie bescheiden klingen doch bisher die schlimmsten Beschimpfungen à la:
- Todenhöfer wird zu „Hodentöter“
- „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“
- Martin Lindner sei der „berühmteste Eierkrauler dieses Parlaments“
Frau Merkel könnte doch ganz ruhig zu der Drohung des CSU-Vorsitzenden Seehofer die Koalition wegen dem unsinnigen Mautgesetz platzen zu lassen, sagen: „Mein lieber Horst, erkenne Deinen Platz!“ Denken tut sie das bestimmt öfters.
Der letzte Absatz ist eine gute Überleitung zum zweiten Zitat, das letzte Woche zu lesen war.
„Enteiert mir die Jungs nicht!“
Auch so eine geniale Wortschöpfung. Noch dazu von einer konservativen Politikerin. Von der Christlich Sozialen Union. Von Christiane Haderthauer. Ja, die, die mit Modellautos für große Jungs gerade riesige Probleme hat.
Enteiern? Was für ein Wort? Von einer bayrischen Spitzenpolitikerin? Ist eigentlich mehr ein Ausdruck, den ich von Dieter Bohlen erwartet hätte. („Du singst, als müsste Dich jemand noch mal richtig beeiern.“)
Aber das Urheberrecht auf diese Wortschöpfung gehört Frau Haderthauer. Sie meinte damit:
Das, was Jungs gut können, die Lust am Wettbewerb um Status und Anführerschaft, das Kräftemessen und der eher marginal ausgeprägte Perfektionismus, verbunden mit der Gabe, sich von Kritik nicht sonderlich beeindrucken zu lassen, das sind hochwichtige Eigenschaften im Echtleben.
„Echtleben“. Auch so ein Wahnsinnsausdruck. Demnach gibt es auch ein „Falschleben“ Was kreative Wortschöpfungen angeht, sollte ich mal bei Frau Haderthauer ein Wochenendseminar besuchen.
„Die Gabe, sich von Kritik nicht sonderlich beeindrucken zu lassen“, hat Herr Erdoğanja nun wirklich im Übermaß. So wie er im Frühjahr die Vorwürfe bezüglich der haarsträubenden Sicherheitsmängel in türkischen Bergwerken ungemein kreativ abbügelte. In einem bizarren Auftritt belehrte er die Angehörigen, die ihre Männer und Väter verloren hatten über die Geschichte der Bergwerksunglücke – die gehörten nun einmal zum Bergbau.
In England sind 1862, 1866 und 1894 mehr als 200, 360 beziehungsweise 290 Bergarbeiter bei Unglücken ums Leben gekommen, in Frankreich 1906 sogar über 1.000, und in Japan 1914 fast 700.
Dazu braucht man Eier. Und Geschichtsbewusstsein.
Der Mächtige bezieht seine Macht von den Ohnmächtigen.
59 Prozent der Türken sind zufrieden mit der Politik Erdoğans. Besonders große Zustimmung (zwischen 66 und 68 Prozent) bekommt Erdoğan bei der Landbevölkerung, bei Wählern mit geringer Bildung und im einkommenschwächsten Fünftel der Bevölkerung. Die geringsten Zustimmungswerte (38 Prozent) erzielt Erdoğan unter der Gruppe der Universitätsabsolventen.
„Erkenne Deinen Platz!“ Das ist ja auch eine Frage, die man spirituell verstehen kann. Wo ist mein Platz im Leben? Wo gehöre ich hin?
Herr Erdogan scheint die Frage für sich schon lange beantwortet zu haben. Schließlich hat er große Pläne. So soll aus Istanbul mit heute 13 Millionen Einwohnern eine Megacity mit dereinst 17 Millionen werden. Dagegen wären selbst die größten Städte Europas bessere Dörfer.
Im Frühjahr war ich für ein Wochenende in Istanbul. Eine tolle Stadt. Möglicherweise mein letzter Türkei-Besuch, wenn dieser Blogartikel ihm vorgelegt wird. Kritik? Ironie? Dann heißt es vielleicht bei meinem nächsten Einreiseversuch statt „Türkiye’de hoş geldiniz!“ – na, Sie wissen schon.
Sie lachen?
Das können Sie aber nur, wenn Sie keine türkische Frau sind. Denn für die ist Lachen verboten. Findet zumindest der Stellvertreter Erdoğans, Bülent Arınç. Lachen ist nicht tugendhaft. Und auf dem Weg zu einer modernen Türkei, die sich noch immer um eine Aufnahme in die EU bemüht, gehören noch mehr konservative Empfehlungen.
„Stundenlange“ Gespräche am Handy sind genauso untugendhaft wie Lachen. Dabei würden Kochrezepte ausgetauscht und Klatschgeschichten erzählt. Frauen sollten sich solche Gespräche für persönliche Treffen aufsparen.
„Erkenne Deinen Platz!“
Genau. Wer weiß, dass sein Platz im Olymp, im Himmel neben dem Propheten, jedenfalls janzweitoben ist, kann andere gut auffordern, ihren Platz zu erkennen. Der ist aber dann weiter unten.
Alles klar?
Diesen Beitrag können Sie sich hier als Podcast anhören oder herunterladen.
Und – wissen Sie, wo Ihr Platz ist?
PS: Wenn Ihnen dieser Beitrag gefiel, dann sagen Sie es doch bitte weiter: auf Facebook, Twitter oder per Email.
… oder schreiben Sie einen Kommentar.
… oder abonnieren Sie meinen sonntäglichen Newsletter mit dem Formular oben links.
Bild: © www.cartoon4you.de