Wer bin ich und warum so viele?

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Wer bin ich und warum so viele? Das Modell des "inneren Team"

Ich musste eine wichtige berufliche Entscheidung treffen und mein Team hatte ganz unterschiedliche Ansichten und Ratschläge dazu:

  • „Folge Deiner Berufung“, sagte der Visionär.
  • „Du musst auch an die Verdienstmöglichkeiten denken“, gab der Realist zu bedenken.
  • „Warum nur zwei Alternativen? Es gibt doch sicher noch mehr Optionen“, riet der Kreativdirektor.
  • „Du bist zu alt für Experimente“, mahnte der Sicherheitsbeauftragte.
  • „Denk an Deine Rente“, mahnte Mutter.
  • „Das ist alles viel noch zu unausgereift, zu wenig durchdacht“ nörgelte der Perfektionist.
  • „Nun grübel nicht noch länger darüber, entscheide Dich endlich!“, drängte der Ungeduldige.
  • „Solche Entscheidungen darf man nicht übers Knie brechen. Du brauchst noch mehr Zeit!“, empfahl der Bedenkenträger.
  • „Wie lange dauert denn das hier noch? Ich hab Hunger.“, jammert der Azubi.

Dieses Teammeeting hat tatsächlich stattgefunden. Vor achtunddreißig Jahren. Ich hatte das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg mühevoll erworben und wusste nicht genau, was ich studieren wollte. Kunst oder Psychologie?

Aber das Meeting fand nur in meinem Kopf statt.

Wahrscheinlich kennen Sie das auch. Man schlägt sich mit einer Idee oder einer Entscheidung herum und kann beobachten, dass es verschiedene Meinungen, Gefühle oder Gedanken dazu in einem gibt.

Die erste Methode, die ich lernte, um mit diesen verschiedenen inneren Stimmen zu verhandeln, war 1979 der „Voice Dialogue“ von Hal und Sidra Stone.  Später luden wir vom  HAKOMI Institute of Europe Richard Schwartz zu einer Fortbildung für das Lehrteam ein und er zeigte uns sein „Internal Family System“. Hier eine gute Zusammenfassung.

Dieser Ansatz wurde dann von anderen Therapeuten übernommen,  Friedemann von Schultz von Thun nannte es „Inneres Team“ , bei Gunther Schmidt heißt es „Inneres Parlament“.

Vorläufer solcher Teile-Modelle der Psyche waren natürlich Freuds Es, Ich und Über-Ich, und in jüngerer Zeit die Objektbeziehungs-Theorie. Auch die Transaktionsanalyse mit ihren Ich-Zuständen  und die Psychosynthese mit den Unterpersönlichkeiten nutzen diesen Ansatz.


 

Wer bin Ich? Worum es bei dieser Frage geht?

Unsere Gesamtpersönlichkeit ist kein festes „Ding“, sondern kann verstanden werden als eine Ansammlung von inneren Anteilen oder Sub-Persönlichkeiten, die ganz verschiedene Bedürfnissen, Motive und Ansichten haben.

Jeder Anteil hat mit seinem Tun, so störend es einem zuweilen vorkommen mag, eine gute Absicht – aber natürlich aus seiner beschränkten Perspektive. Insofern sind diese Anteile immer kreative Strategien auf innere Konflikte, die man mal erlebt hat. Hinter unangenehmen Verhaltensweisen können zum Beispiel diese „guten“ Absichten eines Persönlichkeitsanteils stecken:

  • Aufschieberitis – „Wir rebellieren gegen Vorschriften und Autoritäten“
  • Impotenz – „Ich mach mal einen Warnstreik“
  • Perfektionismus„Du darfst nie einen Fehler machen“
  • Jammern – „Wir sind unzufrieden wollen aber nichts ändern“
  • On-off-Beziehung – „Ich habe Angst vor Nähe und Verlassenwerden“
  • Arroganz – „An der Spitze stehen ist mir immer noch zu weit hinten“
  • Burnout – „Ohne Notabschaltung macht der/die immer so weiter“

Jeder innere Anteil hat sein eigenes Denksystem, seine spezifischen Emotionen und seinen ganz persönliche Art sich auszudrücken. Diese Anteile leben mehr oder weniger harmonisch in uns.

Am deutlichsten können Sie Ihre inneren Anteile in Situationen wahrnehmen, in denen Sie zweifeln, zögern, zwiespältig sind oder erst lange nachspüren müssen.

Den ausgereiftesten Ansatz hierzu hat für mich Richard Schwartz entwickelt, dem ich hier weitgehend folge. Auch wenn jeder Mensch ganz verschiedene Persönlichkeitsanteile in sich trägt, gibt es einige zentrale Teilpersönlichkeiten, die bei vielen Menschen auftreten:

Der Manager.
Dieser Teil versucht, unter allen Umständen das Funktionieren und die Sicherheit eines Menschen zu gewährleisten. Entweder, indem  er die innere und äußere Umgebung kontrolliert, z.B. dafür sorgt, dass jemand nicht zu nahe kommt oder abhängig wird.
Auch der Antreiber „Mach’s allen Recht“ oder der innere Kritiker, der ständig das eigene Aussehen oder Verhalten bemängelt, können Manager sein.  Er will dafür sorgen, dass man besser aussieht oder ankommt, oder verleitet einen, sich mehr um andere zu kümmern als um die eigenen Bedürfnisse.

Die Verbannten.
Menschen, die in ihrem Leben verletzt, gedemütigt, verängstigt oder beschämt wurden, entwickeln oft Teile, die starke Gefühle oder traumatische Erinnerungen an diese Erfahrungen tragen.
Da dies aus Sicht des Managers die Sicherheit des Individuums gefährden könnte, sorgt er dafür, dass diese Gefühle verdrängt oder abgespalten werden. Die sie repräsentierenden Teile werden in einem inneren Kerker eingesperrt. Diese gefangenen Teile nennt Schwartz die „Verbannten“.

Die Feuerbekämpfer.
Wenn einer der Verbannten so aufgewühlt ist, dass er droht, die Person mit diesen extremen Gefühlen zu überfluten oder aber sie der Gefahr erneuter Verletzung auszusetzen, treten die Feuerbekämpfer in Aktion.

Sie versuchen, die gefährlich flammenden Gefühle schnell zu löschen. Sie reagieren sehr impulsiv, sind häufig auf der Jagd nach Nervenkitzel oder anderen starken Reizen, die die Gefühle der Verbannten überlagern sollen. Hinter Drogen- und Alkoholabhängigkeit, beim Ritzen, bei Essstörungen, Sex- oder Arbeitssucht stecken häufig Aktivitäten von Feuerbekämpfern.

 


Wer hat die Leitung in Ihrem „inneren Team“??

Wer bin ich und warum so viele? Das Modell des "inneren Team"

Bild: © Christiane Cornelius – FOTOLIA

Ein Schauspielerkollektiv probt ein neues Stück. Die meisten haben Vorschläge, wie eine bestimmte Szene am besten anzulegen sei. Alle reden durcheinander, unterbrechen sich. Die Positionen polarisieren sich.

Jetzt ist hoffentlich ein Regisseur da, der etwas die Stimme erhebt, für Ruhe sorgt und sagt: „Vielen Dank, meine Damen und Herren für ihre Beiträge … wir spielen die Szene folgendermaßen …“

Dieser Regisseur ist in dem Modell von Schwartz das SELBST. In den anderen Theorien heißt es „Oberhaupt“, „Konferenzleiter“ u.ä.

Das SELBST ist kein Teil, es ist den anderen Teilen übergeordnet. Vergleichbar mit der Kanzlerin mit ihrem Vetorecht gegenüber den Ministern. Das SELBST hat wichtige Führungsqualitäten wie Perspektive, Vertrauen, Mitgefühl und Akzeptanz. Es kann die Beiträge der Persönlichkeitsanteile ruhig anhören, anerkennen und danach mit seiner eigenen Erfahrung den richtigen Weg weisen.

In uns selbst erleben wir das SELBST in Momenten, wo wir im Flow sind, präsent sind, uns authentisch fühlen und angemessen handeln.

Schwierig wird es immer dann in unserem Leben, wenn auf dem inneren Regiestuhl nicht das SELBST sitzt, sondern eine Teilpersönlichkeit Platz genommen hat.
Dann werden wir plötzlich ungeduldig obwohl wir genügend Zeit haben. Lesen akribisch einen Text zum fünften Mal durch – dann ist der Perfektionist am Ruder.

Entscheidend ist, dass wir das bemerken. Dabei hilft einem die Achtsamkeit, mit der wir in jedem Moment, wo es passt, uns fragen, was mache ich gerade – und warum?

Ein Beispiel: Am Wochenende nach dem Frühstück.

“Du wolltest heute die Steuererklärung machen!” meldet sich Ihr Kritiker.
“Aber heute ist prima Wetter zum Radfahren.” (Gegenstimme Genießer).
“Aber das Finanzamt hat schon gemahnt.” (Kritiker)
“Morgen soll es regnen, Radfahren geht nur heute.” (Genießer)

Nach einer Weile setzen Sie sich frustriert von dem inneren Theater vor den Fernseher (Feuerbekämpfer), um nach drei Stunden festzustellen, dass es zu regnen begonnen hat. Sie bleiben weiter vor dem Fernseher hängen. “Das ist typisch für dich, einen ganzen Tag so zu verbummeln. Du bist und bleibst ein Versager!”, (Kritiker) ist die letzte Stimme, die Sie vor dem Einschlafen hören.

Wie Sie mit Ihrem inneren Team zusammen arbeiten können.

Wer bin ich und warum so viele? Das Modell des "inneren Team" Wenn Sie bemerken, dass Sie unentschlossen sind oder etwas Sie hindert, angemessen zu handeln, ist die innere Distanzierung hilfreich.

Es macht einen Riesenunterschied, ob Sie sagen: „Ich habe Angst.“ oder „Ein Teil von mir hat Angst.“

Distanzieren können Sie sich von einem Gedanken, einem Gefühl, einem Impuls, einer Einstellung. Bei der Zusammenarbeit mit diesen inneren Anteilen hat sich dieses Vorgehen bewährt.

  1. Identifizieren Sie die einzelnen Mitglieder ihres inneren Teams, die sich in der Situation gerade melden.
  2. Treten Sie in einen inneren Dialog mit den Teilen und finden Sie heraus, welche gute Absicht jeder Teil mit seinem Beitrag verfolgt.
  3. Gehen Sie in Kontakt mit Ihrem SELBST.
    Dazu hilft oft eine Veränderung der Sitzhaltung oder Sie laufen mal herum, atmen ein paar Mal tief. Alles, was Ihnen hilft, sich von den Teilen zu lösen, ist gut.
  4. Anerkennen Sie die Beiträge der Teile und deren gute Absichten.
  5. Treffen Sie Ihre Entscheidung auf der Basis der gehörten Informationen.

Zugegeben, das braucht ein bisschen Zeit und ist vor allem für wichtige Entscheidungen, bei denen Sie festhängen, sinnvoll. Nicht bei der täglichen Essensauswahl in der Kantine.

Wie es aussehen kann, wenn sich Teile bekämpfen und kein Präsident für Ordnung sorgt, konnte man im Mai 2012 im ukrainischen Parlament sehen:

In Ihnen fühlt es sich manchmal auch so an?
Dann wird es Zeit, dass Sie wieder die Regie übernehmen.

Eine gute Möglichkeit, Ihre eigene Teamfähigkeit zu prüfen und zu erweitern ist mein Seminar „Emotionale Intelligenz„.

Lesen Sie hier, was Sie in 2 1/2 Tagen dafür tun können.Fotolia_69564395_seminar kebox klein

kommentar Wie geht es Ihnen mit Ihrem „inneren Team“?

 

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Foto: © – synto, Christiane Cornelius – Fotolia.com, privat

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.