Wenn Führungskräfte sich ihrer Angst stellen und das Nichts entdecken.

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Achtsamkeit / Persönlichkeit

Angst rkwichmann persönlichkeits-blog

Angst ist unter männlichen Führungskräften ein Tabuthema. Das zeigt deutlich der Satz eines Vorstandsvorsitzenden, der zu dem Thema interviewt wurde: „Angst ist ein Wort, das ich nicht kenne.“

Dass dies eher ein frommer Wunsch ist, kann man in der Dissertation „Topmanagement und Angst“ von Gabi Harding nachlesen. Sie hat Top-Entscheider zu ihrer Arbeit und speziell zu ihren Ängsten im Job interviewt.

Darin kommt sie zu dem Schluss, dass viele Topmanager ihre Angst vor der Bedeutungs- und Identitätslosigkeit durch die Organisation mit ihrem Rollenangebot kompensieren. Manager erhalten so Ansehen, Größe und Macht. Dabei handele es sich jedoch um eine Pseudolösung, da Organisationen zwar Ängste nehmen, aber gleichzeitig auch neue erzeugen.

Doch was für eine Angst ist das eigentlich, die vermutlich nicht nur Führungskräfte haben? In meinen Persönlichkeitsseminaren kommen oft folgende Ängste zum Vorschein: die Angst zu versagen, zwischen Beruf und Familie aufgerieben zu werden, nicht alle Erwartungen erfüllen zu können, vor lauter To-Do-Listen den Sinn und Spaß am Leben opfern zu müssen.

Von der Führungskraft zum Zen-Lehrer.

Speziell zu diesen Ängsten von Führungskräften habe ich Paul Kohtes interviewt. Er gründete in Düsseldorf eine der erfolgreichsten deutschen PR-Agenturen. Auf der Suche nach innerem Gleichgewicht entdeckte er vor vielen Jahren die Zen-Meditation für sich. Heute leitet er Zen-Seminare und ist als Coach für Führungskräfte tätig. 1998 gründete er die Identity Foundation, eine gemeinnützige Stiftung, die das Thema Identität wissenschaftlich erforscht.

Es wurde ein sehr inhaltsreiches Interview, das zum Nachdenken anregen kann. Deshalb habe ich das 50minütige Gespräch aufgeteilt. Hier der erste Teil. Sie erfahren darin:

  • Warum es gerade für Führungskräfte beim Meditieren heilsam sein kann, nicht reagieren zu können und die Kontrolle aufzugeben.
  • Inwiefern Karriere machen für viele eine Form der Angstbewältigung ist.
  • Warum wir Deutsche so sehr den Wald lieben und uns nicht als eine Nation fühlen.
  • Wie man das Spirituelle nicht vom Alltag abspaltet sondern integrieren kann.
  •  Dass Meditieren einen Weg aus dem Modus des Funktionierens zeigen kann und man entdeckt, was man wirklich ist: nichts.

Was bleibt, wenn alle Rollen wegfallen?

Vor vielen Jahren machte ich mal in einem Seminarzentrum in Bayern ein „Enlightment Intensive“ mit. Da sitzt man in einer langen Reihe einem anderen Gruppenmitglied gegenüber, das einen immer wieder fragt: „Wer bist Du?“

Und man antwortete immer mit: „Ich bin jemand, der …“ und fügt eine Aussage über sich selbst dazu. („Ich bin ein Mann/Deutscher,/Student …) In pausenloser Folge spricht man immer neue Sätze mit immer neuen Aussagen und Erkenntnissen über das, was man glaubt zu sein. Der Fragende hört aufmerksam zu, ohne aber selbst etwas zu sagen.

mann-seiltanz-absturz_xs_alphaspirit - FotoliaDas Ganze ging von sechs Uhr morgens bis Mitternacht. Sieben Tage lang. Da gehen einem natürlich nach einer Weile die gängigen Antworten, wer man denn nun ist, bald aus. Und genau das ist das Ziel: eine unmittelbare Seins-Erfahrung zu machen, jenseits des verstandesmässigen Begreifens.

Also dahin zu kommen, was von einem übrig bleibt, wenn man all die Bilder, Konzepte, Ideologien und Rollen beiseite packt. Sie ahnen vielleicht schon die Antwort. Man landet bei „nichts“. Das ist erst einmal erschreckend – aber nach einer Weile auch enorm befreiend.

Denn man durchschaut auf einmal den Zirkus, den wir normales Leben nennen. Das Spiel mit Titeln, Rollen, Statussymbolen, also all die Versuche, uns eine positive oder sichere Identität zu geben, die wir dann leidenschaftlich verteidigen.

Sich eine Identität aufzubauen, ist natürlich wichtig. Doch es ist etwas Künstliches. „Deutscher“ zu sein oder „Europäer“ sind einfach nur Etiketten, die nichts über uns aussagen. Letztlich geht es bei dem ganzen Thema „Identität“ um den Unterschied zwischen „Ego“ und „Selbst“.

Der Unterschied zwischen „Ego“ und „Selbst“.

In der Meditation „Das zeitlose Selbst“ von Detlef Bartel, die es hier zum Herunterladen gibt, können Sie das unmittelbar erleben. Sie hören dabei gesprochene Zahlen von Eins bis Zehn und sollen sich diese Zahlen vor Ihrem inneren Auge auch vorstellen.

Jetzt kommt’s.

Während des Zählens sollen Sie auch auf die Pausen zwischen den Zahlen achten. Und was ist da?  Richtig: nichts! Stille. Ruhe. Eben nichts. Aber Sie erleben dabei etwas, nämlich Ihr Selbst.

Dieses Selbst ist der unzerstörbare Urgrund Ihres Seins. Und das erfährt jeder Mensch gleich. Der amerikanische Tea-Party-Anhänger genauso wie der afghanische Taliban. Ihr Nachbar genauso wie Ihr Chef. Das „Selbst“ ist für jeden Menschen gleich, weil es eben „Nichts“ ist.

Und Ihr Selbst ändert sich auch nicht. Wenn Sie diese Meditation vor zehn Jahren gemacht hätten, würden Sie Ihr „Selbst“ genauso erlebt haben. Und in drei Jahren ist es immer noch so. Ihr Körper und Ihr Ego altern, das Selbst nicht.

Pantomime, Banane_xs_iStock_000021858860XSmallUnser Ego (Rollen, Identität etc.) ist wichtig, um uns in der Welt zu bewegen. Aber es ist hilfreich, sich immer wieder daran zu erinnern, dass dies übernommene Rollen sind. Masken, die wir tragen. Hüte, die wir uns aufsetzen.

Paul Kohtes sagt es sehr schön: „Ein guter Schauspieler schlüpft nach der Arbeit aus seiner Rolle raus. Führungskräfte können das oft nicht so gut.“

Aber das gilt wohl für viele von uns.

PS: Alle bisherigen Video-Interviews finden Sie hier …

 

kommentar Welche Ängste kennen Sie im Beruf?

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Foto: © –  istock.com, www.shaw.ca

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.