Zum ersten Mal im Radio mit: „Das Leben ändern – aber wie?“

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Allgemein / Persönlichkeit

Andradio_kultur_kopp-wichmannfang September bekam ich eine Mail von einer Redakteurin des Deutschlandfunks:

„Sehr geehrter Herr Kopp-Wichmann,
„Warum ist es so schwer, sich zu ändern?“ – Unter diesem Arbeitstitel plant Deutschlandradio Kultur eine zweistündige Live-Diskussion, in der wir einen oder zwei Experten ins Gespräch mit unseren Hörerinen und Hörern bringen möchten.

Mit Interesse habe ich auf Ihrer Internetseite gelesen, dass Sie sich genau mit diesem Thema als Psychologe und Coach beschäftigen. Nun würde ich gern persönlich mit Ihnen Kontakt aufnehmen, um mehr über  Ihre Arbeit zu erfahren.

Vielleicht hätten Sie ja auch Lust und Zeit, an unserer Sendung teilzunehmen?“

Natürlich war ich sofort interessiert. Ein paar Telefonate hin und her und der Sendetermin wurde bestimmt: 19. November. Am selben Tag wurde auch die Internetseite des Deutschlandradio geschaltet. Ich fand den Text sehr gut. Man merkte, dass sich die Redakteurin ausgiebig mit meinem Buch und diesem Blog auseinandergesetzt hatte.

Am Abend zuvor flog ich nach Berlin. „Bitte kommen Sie um 8.45 in den Sender“, stand in der Email. Ich fand das ziemlich kurzfristig für eine Sendung, die um 9.05 Uhr starten sollte und man sich noch nicht kannte und auch noch nichts näher besprochen war. Was machten die mit der Sendung, wenn ich krank geworden wäre oder sonstwie verhindert?

Samstagmorgen machte ich mich auf den Weg zum Hans-Rosenthal-Platz. Deutschlandradio ist in einem historischen Rundbau, dem ehemaligen Gebäude von RIAS Berlin zuhause. Ich erinnerte mich, dass ich als Kind mit meinem Vater manchmal die Kabarettsendung „Die Insulaner“ von hier gehört hatte. Später hörte ich zuweilen die Theaterkritiken von Friedrich Luft, der seine Sendung immer mit dem Spruch beendete: „Wir sprechen uns wieder, in einer Woche. Wie immer – gleiche Zeit, gleiche Stelle, gleiche Welle. Ihr Friedrich Luft“.

Auch heute noch zählt der Deutschlandfunk bzw. Deutschlandradio zu meinen Lieblingssendern. Fundierte Beiträge, keine Werbung, kein Popgedudel wie auf vielen anderen Sendern, sondern in den Pausen Klassik oder Jazz.

Aber zurück in die Gegenwart. 8.50 Uhr schaute der Moderator Dieter Kassel kurz rein, wir plauderten fünf Minuten und um 8.59 Uhr sagte er: „So, jetzt nach den Nachrichten legen wir los.“ Na, alles sehr entspannt hier.

Ich war vorher noch nie in einem Radiostudio gewesen und staunte, dass da im digitalen Zeitalter immer noch so große Bandmaschinen herumstanden, bekam ein Glas Wasser, man erklärte mir den Gebrauch der Kopfhörer – und dann begann die Sendung.

Ich war schon etwas nervös.

Vor allem hatte ich mir vorher Gedanken gemacht, welche Leute wohl anrufen würden und was die fragen könnten. Zuvor hatte ich nämlich in einem Interview mit dem Moderator folgendes gelesen:

Der Anfang ist ganz entscheidend. Hart formuliert kann man sagen: Ein Verrückter mittendrin ist nicht schlimm. Ein Verrückter ganz am Anfang kann einem aber die ganze Sendung kaputt machen. Nicht er allein, aber ich habe manchmal das Gefühl, das sendet ein Signal aus an die anderen etwas verrückten Menschen, die noch die Restvernunft besitzen, nicht anzurufen.

Wer könnte da jetzt anrufen? Vielleicht der Alkoholiker, dessen Frau sich im Lauf einer Therapie bei mir von ihm getrennt hatte? Oder ein Alt-68er, der wortreich darlegen würde, dass an Stress und Burnout sowieso nur die kapitalistischen Strukturen schuld seien? Oder der Stammtischbruder, der mich darüber aufklären würde, dass alle Psychologen einen an der Waffel haben?

Oder noch schlimmer: niemand würde anrufen.

Aber es kam ganz anders. Nämlich mehr Anrufe und Fragen per Email als ich in der Sendung beantworten konnte. Zum Beispiel zum Thema nicht Neinsagen können. Was man gegen Perfektionismus machen könne. Was dahinter steckt, wenn man trotz guter Absichten zu Terminen immer zu spät komme.

Dieter Kassel moderierte sehr souverän und freundlich und so gewann ich auch nach einer Viertelstunde meine Gelassenheit zurück. Vor allem, nachdem mein erster gewünschter Musiktitel lief.

So verging die erste Stunde im Flug. Nach den Nachrichten um 10 Uhr waren die ersten Emails eingetrudelt, die ich dann im Gespräch mit dem Moderator beantwortete. Da ich nicht alle Anfragen beantworten konnte, will ich das hier für einige nachholen.

„Sind Sanktionen zur Veränderung sinnvoll?

Es gibt einen kleinen Prozentsatz v.a. junger Menschen, die im Bezug von Arbeitslosengeld 2 eher 100 Prozent Sanktionen der Regelleistungen und sogar bis hin zur Wohnungslosigkeit in Kauf nehmen, bevor sie die Auflagen des Amtes erfüllen würden. Sind also Sanktionen überhaupt sinnvoll?“ (Email von L.H.)

Sanktionen mögen nötig sein, sie erzeugen vielleicht Gehorsam aus Angst vor weiteren Strafen – aber man kann andere nicht motivieren zu etwas. Man kann andere bestechen, bedrohen oder bestrafen – aber das sollte man nicht Motivation nennen. Sinnvoller aus meiner Sicht wären vermutlich Gespräche, warum jemand sich diesen Auflagen widersetzt.

„Soll man seinem Bauchgefühl folgen?
Ich stelle oft fest, dass mein erstes „Bauchgefühl“ das richtige ist bzw. gewesen wäre. Aber ehe man sich sofort dazu entscheidet, fängt das Nachdenken an, ob es nicht doch besser wäre, es anders zu machen. Dann macht man es anders und stellt am Ende fest, dass der erste Impuls doch richtig gewesen wäre.“ (Email von M.S. aus Dresden)

Das Bauchgefühl hat nicht immer recht. Es stimmt v.a. denn, wenn man sich auf einem Gebiet gut auskennt. Auf einem Gebiet, wo man Laie ist, ist das Bauchgefühl auch nur besseres Raten. Bei gefühlsmäßigen Dingen stimmt das Bauchgefühl deshalb oft, weil es aus dem Unbewussten kommt. Und das Unbewusste kann besser eine große Informationsmenge in kurzer Zeit sichten und entscheiden.

„Was ist der Unterschied zwischen Opfer und Opferhaltung?“

Dazu schreibt I.D.: „Bitte erklären Sie den Hörern diesen Unterschied. Opfer ist man aufgrund (strukturell) ungleicher Machtverhältnisse. Das Einnehmen einer inneren Opferhaltung macht auf Dauer krank.“

Zum selben Thema kritischer äußert sich M.R. auf der Facebook-Seite von dkultur: „opfer und opferrolle sind zwei paar schuhe. wer wirklich seinen weg geht, wird sehr schnell an echte hindernisse geraten. hier kann doch nicht ernsthaft die lösung sein, die einstellung zur eigenen opferrolle ändern und die situation zu akzeptieren. das jammern über die umstände ist doch oft eine begleiterscheinung des kämpfens gegen die umstände. was kopp-wichmann bisher vorgeschlagen hat, war stets ein ausweichen auf bequemere bahnen. ich halte das für ein fatales signal, insbesondere, wenn es nicht um individuellen kram geht, sondern größere verantwortungen dahinter stecken. einen neuen beruf suchen im sgb2-deutschland hat noch viel größere dimensionen, gerade mit familie im hintergrund.

mit dieser pauschalen maxime „sieh dich nicht als opfer“ gäbe es keinen betriebsrat, gäbe es keine verfassungsbeschwerden, gäbe es schlußendlich keine demokratisches engagement.

Beim Thema „Veränderung“ ist dies das schwierigste Thema, einfach weil da meist sehr unterschiedliche Sichtweisen aufeinander treffen und da viele Gefühle drin stecken. Meine Position dazu ist so: Es gibt Dinge, die uns zustoßen und es gibt Situationen, die wir nicht kontrollieren können, aber das macht einen nicht automatisch zum Opfer. Hier ein Artikel zum Drama-Dreieck.

Zum Opfer werden wir erst durch zwei Dinge:

  • unsere Erwartungen, die anders sind als das, was eintritt,
  • unsere Einstellung, dass es im Leben gerecht zugehen müsste.

Zweifellos gibt es schwierige Situationen und Leid. Doch was „schwierig“ ist oder „leidvoll“, ist im Wesentlichen die Interpretation des Einzelnen und keine objektiv feststellbare Erfahrung. Diese Interpretation wird zudem stark durch Maßstäbe, an die man sich gewöhnt hat, beeinflusst.

Betriebsrat, Verfassungsbeschwerden und demokratisches Engagement sind ja gerade Beispiele, dass Menschen nicht die Opferhaltung einnehmen, sondern sich wehren. Und die Aufstände im arabischen Raum zeigen, dass Menschen sogar bei Androhung von brutaler Gewalt und Todesgefahr die jahrelange Opferposition verlassen können.

Zum gleichen Thema meint R.H. aus Bremen: „Die Einlassungen des Herrn K.-W. lassen wichtige Faktoren außer acht. Rahmenbedingungen sind nicht immer zu verändern und wirken direkt auf die Menschen und ihre Hirne. Damit unterschätzt der die Nutzung wichtiger Möglichkeiten. Ich spreche aus 35 Jahren professioneller Beratungserfahrung.“

Ja, das stimmt. Rahmenbedingungen wirken auf Menschen und Hirn. Zur Zeit der Postkutsche gab es kein Internet und keine Luftverschmutzung. Die Menschen starben weniger an Herzinfarkt und Krebs, dafür an Fleckfieber, Typhus und Wundstarrkrampf.

Aber was gut oder gar besser für den Menschen ist, kann man – leider oder zum Glück – nicht objektiv bestimmen. Unsere Gegenwart mit all ihren Einschränkungen und Belastungen ist letztlich die „gute alte Zeit“ von morgen.

Hier die Sendung zum Nachhören.

Die gesamte Sendung können Sie hier in zwei Teilen als Podcast hören. Hier rechts auf der Seite unter „Audio demand“ die MP3’s anhören oder herunterladen.

Wenn Sie in der Sendung nicht durchkamen oder einfach so eine Frage zum Thema haben, stellen Sie sie hier als Kommentar. Ich werde Ihnen hier antworten.

Insgesamt hat mir die Sache Spaß gemacht. Also liebe Redakteure von SWR, HR, Radio Bremen, ARD, ZDF usw. Wenn Sie eine Sendung zum Thema „Persönliche Veränderung“ planen, schreiben Sie mir eine Mail.

 

kommentar Welche Frage haben Sie zum Thema „DAs Leben ändern – Aber wie?

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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.