Theorie der kognitiven Dissonanz – oder warum Sie sich nicht von Ihren Telekom – Aktien trennen.

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Psychologie

Jeder kennt das Gefühl: War das jetzt die richtige Entscheidung? Hab’ ich das optimale Produkt, den richtigen Job, den richtigen Partner gewählt? Vor allem nach einer Entscheidung tauchen die nagenden Selbstzweifel auf.

  • In den 1950er Jahren scharte Marian Keech viele Anhänger um sich. Sie hatte eine Vorhersage empfangen, dass eine gewaltige Flut alle Menschen auf der Erde töten werde und nur die Anhänger ihrer Sekte von fliegenden Untertassen gerettet würden .Was taten die Sektenanhänger, als die prophezeite Katastrophe ausblieb?
  • Sie haben nach sorgfältiger Prüfung ein neues Auto gekauft, als sie in einer renommierten Autozeitschrift einen negativen Testbericht über Ihr gerade erstandenes Wunschauto lesen.Wie gehen Sie mit dieser Information um?
  • Im Jahre 2001 kaufen Sie sich – angeregt durch Werbespots von Prominenten mehrere Telekom-Aktien zum Kurs von umgerechnet 14 €. Nahe dem Kurshöhepunkt 2001 kaufen Sie auf Empfehlung Ihres Bankberaters noch einmal Telekom-Aktien zum Kurs von 105 € dazu. Seit 2004 pendelt der Telekom-Kurs um die 14 €-Marke.Warum verkaufen Sie nicht?
    Heute steht der Kurs übrigens hier
    Der Psychologe Leon Festinger entwickelte auf Basis des Geschehens um die ausbleibende Weltkatastrophe seine „Theorie der Kognitiven Dissonanz“. Nach dieser für das Alltagsleben sehr brauchbaren psychologischen Theorie entsteht kognitive Dissonanz („gedanklicher Missklang“), wenn Kognitionen – Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten – miteinander unvereinbar sind und so einen inneren Konflikt erzeugen.Kognitive Dissonanzen treten vor allem auf, wenn neue Erkenntnisse der eigenen Meinung widersprechen oder zusätzliche Informationen eine getroffene Entscheidung als falsch entlarven.Sie führen dazu, dass
  • unangenehme Neuigkeiten missachtet („Rauchen kann Ihr Leben verkürzen) und
  • angenehme umso mehr geschätzt werden (Johannes Heesters hat siebzig Jahre geraucht und ist jetzt 102 Jahre alt).

Um diesen Konflikt aufzulösen, gibt es mehrere Möglichkeiten:
1. Man ändert seine eigene Meinung – und gibt damit zu, dass man sich geirrt hat. (Also man hört auf zu rauchen.)
2. Man wehrt dissonante Informationen ab. (Mein Opa raucht seit sechzig Jahren und ist kerngesund.)
3. Man versucht, die Meinung aller anderen zu ändern. (“Rauchen entspannt, schafft Kontakte und macht schlank.”)
4. Man relativiert den inneren Konflikt, indem man die Risiken minimiert. (“An irgendwas muss jeder sterben.”)
5. Man rechnet die negativen Aspekte gegen mögliche positive Aspekte auf (“Raucher leben vielleicht kürzer – aber dafür intensiver.”)

Für die Anhänger des UFO-Kultes kam nur die dritte Möglichkeit in Betracht. Nach ihrer persönlichen Überzeugung hätte die Welt in der Flut untergehen müssen. Da dies nicht eintrat, kam es es zu einer „kognitiven Dissonanz“ zwischen der eigenen Einstellung und der Realität. Statt das Versagen ihrer Führerin zu akzeptieren und sich von abzuwenden, sahen sich die Anhänger in ihrem Glauben nur um so mehr bestärkt. Sie behaupteten, ihre Gebete hätten Gott umgestimmt, und versuchten mit einem Mal fieberhaft, andere Leute zu ihren Ansichten zu bekehren.

Wenn Ihr geliebter Mercedes, Mazda oder Opel in einem Test schlecht abschneidet, können Sie an sich oft Folgendes beobachten. Plötzlich entdecken Sie auf der Straße ganz viele Autos Ihres Typs. Und Sie denken: „Wenn so viele auch dieses Auto fahren, kann es so schlecht nicht sein.“ Damit haben Sie Ihre innere Dissonanz aufgelöst.

Würden Sie Ihre Telekom-Aktien verkaufen, müssten Sie – wie Millionen andere – realisieren, dass Sie einen kostspieligen Fehler gemacht haben. Diese Alternative mögen die meisten Menschen nicht. Statt dessen behalten Sie das bedruckte Papier mit der Begründung: „Irgendwann muss der Kurs ja wieder steigen.“

Wir mögen es nicht, wenn unser Handeln im Konflikt mit unseren Überzeugungen steht. Bei allem, was wir tun, prüfen wir automatisch, ob wir richtig handeln. Dass sich zum Beispiel jemand in einer Schlange einfach vordrängelt, ohne einen triftigen Grund dafür zu nennen, ist bei fast allen Menschen nicht im Einklang mit ihren Überzeugungen. Es kommt zu kognitiver Dissonanz. Ganz anders sieht es aus, wenn uns jemand einen vernünftigen Grund für sein Drängeln nennt.

Die Sozialpsychologin Ellen Langer machte in einer Bibliothek ein interessantes Experiment. Studenten bekamen die Anweisung, sich möglichst vorne in einer langen Schlange vor einem Kopierer vorzudrängeln. Dabei sollten sie drei Strategien benutzen:

1. “Lässt Du mich vor?”
2. “Darf ich vor? Ich muss unbedingt was kopieren.”
3. “Bitte lass mich vor. Mein Professor braucht diese Kopien dringend.”

Am erfolgreichsten war Ausrede Nr. 3. Fast alle Studenten ließen den Probanden mit der nicht nachprüfbaren Professor-Erklärung vor. Bei der ersten Bitte ließ weniger als die Hälfte die Drängler vor. Selbst die lächerliche Erklärung Nr. 2 war für immer noch über 90% der Studenten die richtige Information, um deren kognitive Dissonanz aufzulösen, und die Bittenden vorzulassen.

Ungeahnte Möglichkeiten tun sich bei bewusster Ausnutzung der kognitiven Dissonanz anderer Menschen auf.

  • Beim nächsten Supermarkteinkauf drängen Sie sich an der Kasse vor mit dem Spruch: “Entschuldigung, ich muss das hier bezahlen!”
  • Als Verkehrsminister rechnen Sie die CO2-Emissionen im
    Verhältnis zur Nutzlast und schon ist ein Landrover-Geländewagen
    klimafreundlicher als ein Smart-Kleinwagen. Sie sehen, die Theorie mit dem komplizierten Namen ist höchst alltagstauglich.

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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

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