Warum Sie nicht unbedingt Steve Pavlina’s Buch „Personal Development for Smart People“ lesen müssen.

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Persönlichkeit / Psychologie

Moses zum wartenden Volk: “Die gute Nachricht: Ich hab IHN runter auf zehn gehandelt. Die schlechte: Ehebruch ist immer noch dabei!”

Read this post in a bad English translation.

Seit zweieinhalb Jahren betreibe ich diesen Persönlichkeits-Blog. Mit den ca. 1000 Lesern pro Monat bin ich überrascht und sehr zufrieden. Gegen den Guru der Persönlichkeits-Blogger ist das natürlich gar nichts. Der heisst Steve Pavlina und hat zwei Millionen Besucher pro Monat. Auf seinem Blog schreibt er über sehr viele Themen, von Beziehungen über Produktivität bis zu Ernährung. Derzeit lässt er uns an seinen Erfahrungen mit einer Saftdiät teilhaben. Von seinem Verlag bekam ich eine PDF-Ausgabe seines neuen Buches, das ich hier besprechen möchte. (Das Vorwort und das erste Kapitel koennen Sie weiter unten lesen).

Worum geht es in dem Buch?

Steve Pavlina widmet sich in seinem Blog durchaus kleineren Problemen des Alltags. So erfährt man beispielsweise:

Die Artikel sind gut geschrieben und enthalten wichtige Anregungen. Aber in seinem Buch will er sich nunmehr einer wirklich wichtigen Frage zuwenden und diese auch beantworten. Sie lautet:

“Was bedeutet es, als bewusste Menschen zu wachsen
und wie können wir diesen Prozess intelligent steuern?“

Diese ultimative Frage, die ja auch Geistesgrössen wie Nelson Mandela, den Papst oder Dieter Bohlen reizen könnte, ist natürlich mit einfachen Techniken oder Tipps aus der Ratgebersparte nicht zu beantworten. Deshalb hat sich Pavlina auf die Suche nach universellen Prinzipien gemacht. Diese Prinzipien sind:

  • Universal gültig: d.h. sie gelten für jeden Menschen, überall und in jeder Situation. Dazu sind sie  zeitlos, individuell und kollektiv gültig.
  • Allumfassend: Alle anderen Prinzipien und Regelungen, die es gibt, können darauf zurückgeführt werden.
  • Unteilbar: Andere Prinzipien gibt es nicht
  • Kongruent und unwiderlegbar: Sie sind logisch und für jeden intuitiv verständlich.
  • Praktisch anwendbar: Trotz ihres hehren Charakters muss man damit etwas anfangen können.

Diese Methode, persönliche Ideen als universelle Wahrheiten auszugeben, hat eine lange Tradition. Alle Religionsstifter, US-Präsidenten und andere Möchtegern-Gurus sind damit gut gefahren. Der Vorteil dabei ist, dass sich kaum einer traut, diese universalen Prinzipien zu hinterfragen. Wer das probiert, macht sich lächerlich, wie jemand, der die Schwerkraft anzweifelt.

Wieviel Prinzipien gibt es nun?

Pavlina hat sich für sieben dieser universellen Prinzipien entschieden. Warum nicht acht oder sechs? Das erfahren wir nicht. Moses hat Gott ja auch nicht gefragt, warum bei zehn Geboten schon Schluss sei, er hätte da noch ein paar dringende Regeln für sein Volk. Sieben gilt ausserdem als heilige Zahl.

Nun zu den Prinzipien. Es sind:

  1. Wahrheit: (truth): Wie man die Wirklichkeit akzeptiert und entsprechend der Wahrheit lebt.
  2. Liebe (love): Wie man mit anderen Menschen Beziehungen führt.
  3. Macht (power): Hier geht es um die Fähigkeit, motiviert und diszipliniert sein Leben zu gestalten. Ein Begriff, den ich eher mit „Selbstverantwortung“ umschreiben würde.
  4. Einheit (oneness): Mein Psychologieprofessor nannte es das „AHMAZ-Prinzip“: Alles Hängt Mit Allem Zusammen. Nichts ist getrennt.
  5. Autorität (authority): Wie man in seinem Leben selbst die Regie führt.
  6. Mut (courage): Wie man Mut und innere Stärke entwickelt.
  7. Intelligenz (intelligence): Wie man selbstbestimmt leben und sich selbst verwirklichen kann.

Die ersten drei Prinzipien (Wahrheit, Liebe und Macht) sind Grundprinzipien. Die restlichen vier Prinzipien resultieren aus Kombinationen dieser Grundprinzipien. Auf den ersten 86 Seiten des Buchs werden diese Grundprinzipien erläutert.

Hier nur kurz die Vorgehensweise des Autors anhand des Grundprinzips „Wahrheit“. Die wichtigsten Werkzeuge, um die „Wahrheit“ zu erkennen, sind: Wahrnehmung, Vorhersage, Genauigkeit, Akzeptanz und Selbstbeobachtung.

Natürlich gibt es Hindernisse, die sich uns beim Erkennen der Wahrheit in den Weg stellen. Diese sind: Konditionierung durch die Medien, durch die Kultur, falsche Ueberzeugungen, störende Gefuehle, Süchte, Unreife und Krankheitsgewinn (secondary gain).

Doch gegen diese machtvollen Feinde lässt uns der Autor nicht allein, sondern hat ebenso machtvolle Methoden anzubieten, „um mehr Wahrheit in unser Leben zu bringen“ (S. 27): eine Rating-Skala von 1 – 10, das Tagebuchschreiben und –  30 Tage kein Fernsehen!

Ist es zu fassen? Da quälen sich die alten Griechen und Römer bis hin zu Leibniz, Kant und Hegel jahrhundertelang mit der Suche nach der Wahrheit herum – und finden noch nicht einmal eine einheitliche Antwort. Und dabei ist es doch so einfach.

Auch im zweiten Teil bekommen wir praktische Tipps, wie man mit Problemen des täglichen Lebens besser fertig wird. Er behandelt die sechs Bereiche: Gewohnheiten, Karriere, Geld, Gesundheit, Beziehungen und Spiritualität. Hier soll man lernen, wie man die persönlichen Probleme in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien Wahrheit, Liebe und Macht verändern kann.

Doch sind die hier vorgeschlagenen Techniken aus meiner Erfahrung als Therapeut und Coach wenig hilfreich. Zwei Beispiele:

  • Sie haben Angst vor Zurückweisung?
    Pavlina rät: Einfach auf Leute zugehen („Hi, my name is Steve. You look like someone I haven’t met yet.“ S. 35). Denn „wenn Sie sich von anderen isoliert fühlen, ist Kontaktsuchen die beste Heilung.“
    Wow, die Methode muss ich in meiner Praxis ausprobieren. Sie haben Angst, Aufzug zu fahren, eine Rede vor sechzig Leuten zu halten oder ekeln sich vor oralem Sex?
    Ganz einfach: „JUST DO IT!!
  • Bei zweifelhaften Entscheidungen soll man sich fragen (S. 118):
    „F
    ü
    hrt dieser Weg mich zum Herzen?“
    Ja, wenn das mal immer so einfach zu beantworten wäre.

Die Genialität dieser Intervention wird nur noch von diesem anderen amerikanischen Therapeuten übertroffen, der eine Patientin in fünf Minuten von ihrer Zwangsidee, ihr Leben in einer Schachtel  verbringen zu müssen, heilt:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=BYLMTvxOaeE[/youtube]

Aber das hier war eine Comic-Sendung. Ich glaube, Steve Pavlina meint es ernst.

Meine Meinung zu dem Buch.

Das Buch war ein Bestseller, bevor es überhaupt offiziell erschienen ist. Das zeigt, dass es verspricht, die Wünsche und Bedürfnisse vieler Leser, etwas in ihrem Leben zu verändern, trifft. Das beweisen auch die vielen positiven Rezensionen, die bis jetzt auf seinem Blog veröffentlicht wurden. (Bin gespannt, ob Steve auch meine Buchkritik verlinkt).

Das Positive zuerst: Das Buch ist einfach geschrieben, normales Schulenglisch reicht aus. Wie bei amerikanischen Autoren üblich, erfährt man auch viel Biographisches. Es enthält viele Uebungen und macht so den Eindruck, es wäre praktisch. Mit am besten fand ich den Vorschlag eines 30-Tage-Probe-Trainings (S. 91), um neue Gewohnheiten auszuprobieren.
Vermisst habe ich eine Literaturliste. Positiv gesehen hat das den Vorteil, dass ich mich nicht mit anderen Autoren rumplagen muss.

Wie aus dem Stil meines Artikels bereits deutlich wird: ich mag das Buch nicht. Und zwar aus vier Gründen:

  1. Der Autor vertritt ein religöses Welt- und Menschenbild.
    Das stört mich nicht, wenn ein Buch im Bibel-Verlag herausgegeben wird und im Titel erkennbar ist, dass es um Religion geht. Gibt sich das Buch aber als Leitfaden für „Personal Development“ aus, finde ich das unlauter.
    Ein Beispiel:
    Es ist in Ordnung, wenn jemand entdeckt, dass vegetarische Kost für ihn besser ist. Auf Seite 124 stellt er aber dann eine Verbindung zwischen „Gesundheit und Liebe“ her und argumentiert: „Wenn ich daran denke, Tiere zu essen, fühle ich mich von Empathie und Liebe abgeschnitten. Ich muss nur an verfaultes Fleisch denken.“
    In sanften Worten ist das für mich schlimmstes Missionarsgerede und Erwecken von Schuldgefühlen, wie es die meisten Religionen bis heute meisterhaft beherrschen. Das Gemeine daran: mag man jetzt trotzdem eine Lammkeule lieber als ein Glas Ananassaft, dann liegt nahe, dass man eben die Grundprinzipien von Wahrheit, Liebe etc. noch nicht ganz begriffen hat.
  2. Das Buch propagiert einen zwanghaften Lebensstil.

    Steve Pavlina. Trotz 15 Jahren vegetarischer Nahrung immer noch nicht sauber genug?

  3. Lese ich etliche Artikel seines Blog, fällt mir auf, dass es häufig darum geht, etwas besser zu machen, sich zu optimieren, Grenzen zu überschreiten, sich von vielem unabhängig zu machen. So experimentierte er damit, mit weniger Schlaf auszukommen, einen Marathon zu laufen, sich vegetarisch zu ernähren, dann zusätzlich auf Eier und Milchprodukte zu verzichten usw.
    Ich war neugierig, was jemand, der so gesund aussieht und lebt wie Steve Pavlina, dazu bewegen könnte, sich dreissig Tage nur von Saft zu ernähren.
    In seinem Beitrag dazu verrät er seine Motivation: „Even though I’ve been a vegan since 1997 and vegetarian since 1993, the cells of my body still contain a lot of junk from years of eating the Standard American Diet. So I’m looking forward to unloading more of the junk that keeps my cells from performing optimally.“
    Nun, die zwanghaften Patienten in meiner Praxis müssen sich auch sechzig Mal am Tag die Hände waschen, weil sie sich sonst nicht sauber fühlen und glauben, dass auf jeder Türklinke die Mikroben grinsend warten. Der Unterschied ist: meine Patienten schreiben kein Buch darüber, sondern wissen in einer Ecke ihrer Psyche, dass ihr Händewaschen ihr Problem ist – und nicht die Lösung.

  4. Der Autor vertritt für mich ein „unmenschliches“ Menschenbild.
    Im Kapitel „Beziehungen und Liebe“ (S. 132) schreibt Pavlina darüber, dass er in seiner Kommunikation zu sehr „Wahrheit und Macht“ betont. Er erklärt es damit, dass er in seiner Herkunftsfamilie nie „I love you“ gehört habe und es keine körperliche Zuwendung von seiten der Eltern gab. Das macht mir viel Sinn.
    Im Vorwort gesteht er auch, dass er als Achtzehnjähriger wegen häufigen Diebstahls in Untersuchungshaft sass. Dabei stahl er nicht, um Dinge zu besitzen, sondern wegen des Adrenalin-Kicks (S. 10). Nach einer erfolgreicher Karriere als Spiele-Programmierer wandte er sich ganz dem Thema „Persönlichkeitsentwicklung“ zu.
    Mit „unmenschlichem Menschenbild“ meine ich, dass er propagiert, sogenannte „Schwächen“ nicht zu akzeptieren, sondern eben zwanghaft, wie ich finde, zu bekämpfen und auszumerzen. Bei diesen „Schwächen“ handelt es sich jetzt aber nicht um kriminelle Neigungen oder Gewohnheiten, die anderen schaden, sondern um simple Vorlieben nach ausreichend Schlaf, Süssigkeiten, etwas Bequemlichkeit etc.
    Dabei gehen seine Tipps zum Thema „How To Build Your Power“ meist in eine anstrengende Richtung: „Die erste Stunde des Tages meistern!“ (als gäbe es nicht Menschen, die eben erst spätvormittags in ihre Hochform kommen) oder „Das Schlimmste zuerst!“, um seine To-do-Liste in den Griff zu bekommen.
    Die Tipps mögen ja für manche Menschen hilfreich sein.  Was mich stört, ist die nahegelegte Allgemeingültigkeit, als bräuchten alle Menschen ein Programm mit kalter Dusche und Dauerlauf um fünf Uhr früh, das mehr in ein Erziehungscamp für drogenabhängige Jugendliche passt.
  5. Das Buch vertritt eine „idealisierendes“ Menschenbild.
    Weise Menschen der meisten Kulturen (ich kenne einige tibetische Lamas) raten dazu, die Menschen so zu nehmen und zu lieben, wie sie eben sind. Diese Weisen starten kein gigantisches Verbesserungsprogramm mit dem Versprechen, die Menschen dann zu akzeptieren, wenn sie erfolgreich dieses Programm durchlaufen haben. Sie geben zwar auch Tipps (siehe die Bücher des Dalai Lamas), wenn man etwas verändern will, aber sie wissen auch genug über die „Natur“ des Menschen und bleiben gelassen. Im Kapitel „Intelligenz“ (S. 81) dagegen liest man bei Palina zum Thema „Conscious Assessment“ u.a. folgende bohrenden Fragen:

    • Drückst Du bei Deiner Kommunikation Dein wahres Selbst aus oder ein falsches Bild?
    • Liebst Du Dich selbst und andere bedingungslos?
    • Ubernimmst Du die komplette Verantwortung für alles in Deinem Leben?
    • Worin besteht Dein bedeutungsvoller Beitrag für die Welt?
    • Denkst und handelst Du stets mit einem Gefühl von Einheit?
    Cover von 'Personal Development for Smart People'

    Hier können Sie das Buch bestellen.

    Vielleicht haben Sie  sich ja zu Beginn des Tages noch ganz gut gefühlt, aber spätestens bei diesen Fragen kommt man doch ins Grübeln. Und wer kann auf all die Fragen schon mit einem fröhlichen „Jawollja!“ antworten? Gegen diese Fragen ist ja jede Beichte im tiefsten Niederbayern eine nette Unterhaltung.
    „Idealisierung“ ist ein psychischer Abwehrmechanismus. Man greift dazu, wenn man etwas einseitig positiv darstellen muss, weil man es nicht aushält, auch die negativen Seiten zu sehen und sich so ein ganzheitliches Bild von einer Person, einer Sache oder eine Idee zu machen.

    Im letzten Satz seines Buches (S. 149) schreibt der Autor:
    „Wenn es möglich wäre, dass alle Menschen auf der Erde zusammenkämen und sich auf eine spirituelle Philosophie einigen könnten, dann wäre es eine, die die universalen Prinzipien von Wahrheit, Liebe und Macht verkörpern würde.“

    In eine Sonntagsschule mag so ein Satz passen und auf zwölfjährige Mädchen auch einen gewissen Eindruck machen. Aber in ein Buch über Persönlichkeitsentwicklung für „Smart people“?

Hier einige positive Rezensionen seines Buchs auf deutsch: Berend Lange, Logan, Ivan Blatter A. Eichenauer, Entrepreneur.

Wenn Sie sich selbst einen ersten Eindruck machen möchten, hier mit freundlicher Genehmigung des Verlags eine Leseprobe (Vorwort und erstes Kapitel) von Steve Pavlina’s „Personal Development for Smart People“

Wie finden Sie Pavlina’s Buch? Oder seinen Blog?
Schreiben Sie doch auch  Ihre Meinung hier als Kommentar.
Ich bin gespannt – und werde Ihnen antworten.

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Fotos: © NSfotogyrl – © fotofrank – Fotolia.com,

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.