Können Introvertierte erfolgreich sein?

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EFFEKTIVER FÜHREN / Karriere

Introvertierte rkwichmann persönlichkeits-blog

Mütter machen sich ja immer Sorgen.

„Der Junge kommt ganz nach seinem Vater, liest den ganzen Tag, spielt nicht mit anderen Kindern. Was soll nur mal aus ihm werden?“ klagte meine Mutter damals beim Kinderarzt. Ich war acht.

Seine Antwort ist nicht überliefert, aber meine Mutter – eine ausgeprägt extrovertierte Frau, die auch heute mit 92 Jahren auf die elektronische Verstärkung beim Telefon verzichten könnte, machte sich lange Zeit Sorgen um mich.

Und manche Introvertierte haben die gleichen Bedenken. Überall hört man:

  • „Du musst Dich besser verkaufen. Mehr aus Dir raus gehen.“
  • „Du bist immer so ruhig. Stimmt was nicht mit Dir?“
  • „Als Führungskraft müssen Sie brennen, ein Vorbild sein, Ihre Leute begeistern.“

Kein Zweifel, wir entwickeln uns immer mehr zu einer extrovertierten Gesellschaft nach amerikanischem Vorbild. Schon Zehnjährige müssen vor der Klasse Vorträge halten, schlagfertige Antworten geben, gut rüberkommen.

Jeder soll sich im Job neu erfinden, charismatisch wirken, andere mitreißen. Für Extrovertierte ist das leicht, es ist ihre Natur. Für Introvertierte ist es meist ein Graus, sie fühlen sich schnell minderwertig, den Anforderungen nicht gewachsen.

 

Intros haben andere Qualitäten.

In den USA schrieb Susan Cain den Bestseller zu diesem Thema: STILL – Plädoyer für Introversion in einer lauten Welt. Hier meine Rezension dazu.

In Deutschland brachte Dr. Sylvia Löhken ein Buch über Introvertierte heraus: Leise Menschen – starke Wirkung. Darunter beschreibt sie u.a. die unterschiedlichen Eigenschaften dieser beiden Ausprägungen:

Das HANDELSBLATT und auch der SPIEGEL widmeten eine Titelgeschichte dem Thema. Durch das Buch wurde mir selbst so richtig klar, wie introvertiert ich bin und ich verstand bestimmte Verhaltensweisen von mir plötzlich besser.

Erfreulicherweise erklärte sich Frau Löhken trotz des Medienrummels seit ihrem Buch schnell bereit, ein Video-Interview mit mir zu machen.

Hier die Fragen, die ich der Autorin stellte:

  • „Wann wurde Ihnen eigentlich klar, dass Sie eine Intro sind?“
  • „Was genau zeichnet einen Introvertierten aus und was unterscheidet ihn von jemand, der schüchtern ist oder schlicht Angst vor Menschen hat?“
  • „Ist das starke Medienecho auf Ihr Buch für einen Intro wie Sie nicht manchmal auch der Horror?“
  • „Wie ist das jetzt mit der Introvertiertheit? Vererbt oder Anpassungsstrategie?“
  • „Um Fernfahrer oder Leuchtturmwärter zu sein, ist Introvertiertheit sicher eine Voraussetzung. Gibt’s noch mehr Berufe, wo sich die Intros bevorzugt tummeln?“
  • „Jetzt leben wir ja in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die Menschen haben überall Angst. Ist das jetzt eine Chance für introvertierte Politiker, die ja sicherheitsorientiert denken und handeln?“
  • „Gibt es Nationalitäten, wo der Anteil leiser Menschen größer ist?“
  • „Warum wurde das gerade jetzt ein Thema? Hat es auch mit dem Internet zu tun, wo die kontaktscheuen Nerds durch ihre Erfindungen die gesellschaftliche Entwicklung vorantreiben?“
  • „Susan Cain schrieb, dass Introvertierte die besseren Führungskräfte sind, weil sie das Talent haben, einen Schritt zurückzutreten und zu schauen, was ihre Angestellten leisten, statt ihre eigenen Ideen durchboxen zu wollen.
    Sehen Sie das auch so?“
  • „Mein Blog hat ja das Thema „Persönlichkeitsveränderung“. Sie sagen, dass Intro- oder Extrosein angeboren ist. Worauf soll ein Intro jetzt besonders achten?“
  • „In Liebesbeziehungen ist es ja oft so, dass die lebhafte Frau ihren introvertierten Fels in der Brandung nach einigen Jahren öde und langweilig findet und der introvertierte Mann seine lebendige Frau nervig und laut. Was sollen diese beiden jetzt machen?“
  • „Sie betonen in Ihrem Buch, dass Intros und Extros sich darin unterscheiden, was sie brauchen, um sich wohlzufühlen.
    Dann kommt es doch bei dem ganzen Thema darauf an, wie sehr man aufnahmebereit ist für das Fremde, das Andersartige?“
  • „In internationalen Unternehmen gibt es mitunter ja interkulturelle Seminare, damit sich Menschen verschiedener Nationalitäten in ihren Besonderheiten und Eigenheiten besser verstehen.
    Es wäre doch gut, wenn es auch Seminare gäbe, wo Extros Intros besser verstehen und umgekehrt. Oder machen Sie das schon?“
  • „So schön und ertragreich das jetzt ist, dass Sie mit den leisen Menschen ein Thema gefunden haben, es hat ja auch eine Kehrseite. Ähnlich wie Joanne Rowling mit ihrem Harry Potter müssen Sie doch jetzt auch bei diesem Thema bleiben. Wie finden Sie diese Aussicht?“
  • Und jetzt noch meine 5-Millionen-Euro-Frage …

Hier das Interview mit Sylvia Löhken:

Mein Fazit:

Haben Sie sich auch als Introvertierter erkannt? Gut so. Denn dann können Sie darauf Rücksicht nehmen und sich entsprechend verhalten. Wenn Sie Zweifel haben, machen Sie hier den Online-Test.

Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen folgende Tipps geben.

  • Respektieren Sie, wenn Sie angestrengt oder müde sind.
    Sich jetzt zusammenreißen bringt wenig. Sie brauchen einfach nur Ruhe, um Ihre Akkus aufzuladen.
  • Sie sind öfters gern allein und finden das komisch?
    Das brauchen Sie nicht. Sie sind einfach anders und müssen sich nicht mit den Vorlieben von Extros vergleichen.
  • Intros überlegen länger, bevor sie etwas sagen.
    Aber in Meetings oder auf einer Party ist das zu viel Sorgfalt. Probieren Sie einfach aus, mal etwas zu sagen. Es muss nicht perfekt oder besonders originell zu sein. Es ist nur Smalltalk – kein Festvortrag.
  • Schaffen Sie sich das passende Umfeld für Ihre Stärken.
    Dazu gehört vermutlich das Vermeiden von Tratschrunden. Auch sind Sie wohl kein Teamplayer. Schreiben und konzentriert an einer Sache arbeiten liegt Ihnen mehr als ein Beruf, wo Sie vor allem reden müssen wie im Verkauf.
  • Wenn Sie als Führungskraft introvertierte Mitarbeiter haben,
    und selbst ein Extro sind, unterschätzen Sie die vielleicht, weil Sie von sich als Maßstab ausgehen. Wie Sie Introvertierte fördern können, lesen Sie hier ….
  • Wenn Sie auch gerne schreiben, fangen Sie doch einen Blog an.
    Da können Sie ellenlang Ihre Gedanken ausbreiten, ohne dass man sie unterbricht. 😉
    Ich schreibe übrigens gern in Cafés mit WLAN. Wien mit seinen Kaffeehäusern wäre meine Traumstadt. Im Café ist man nicht zu Hause, sondern unter Menschen – und trotzdem für sich.

Können Introvertierte erfolgreich sein? Aber sicher. Nehmen Sie als Beispiele Angela Merkel, Bill Gates, Günther Jauch, Mark Zuckerberg oder Barack Obama (TV-Duelle sind übrigens für Introvertierte der Horror).
Es kommt nur darauf an, dass Sie Ihre Stärken kennen und sich ein berufliches Umfeld schaffen, in denen diese zur Geltung kommen. Alles was mehr extrovertierte Qualitäten verlangt, delegieren Sie.

Ach ja, meine Mutter nochmal. Als mein erstes Buch erschien, überreichte ich es ihr voller Stolz und hoffte auf Ihre anerkennende Reaktion.

Sie schaute kurz rein und sagte: „Aber das ist ja gar kein Roman.“

PS: Alle bisherigen Video-Interviews finden Sie hier …

 

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Foto: © – istock.com, S. Löhken

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.