Wie jungen Langzeitarbeitslosen wirklich geholfen werden kann.

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Allgemein / Karriere

Wie kriegt man die jugendlichen Langzeitarbeitslosen von der Straße? In den Jobcenter bemühen sich viele engagierte Mitarbeiter darum. Doch die bloße Vermittlung einer Stelle oder eines Ausbildungsplatzes reicht oft nicht. Viele Jugendliche müssen zuvor etwas lernen, was man in einer guten Familie erwirbt. Sie brauchen kompetente „Nach-Erziehung“?

Doch wie soll das gehen?

Letzte Woche wurde gemeldet, dass ein 34-Jähriger Antragsteller  einen Negativbescheid erhielt- und mit einer Axt zurückkehrte.  Damit demolierte er in Berlin das Büro seines Sachbearbeiters. Später drohte er mit weiterer Gewalt.

Das Problem.

Jugendliche Langzeitarbeitslose gelten oft als verkorkste Fälle. Sie beziehen Arbeitslosengeld II, haben meist keinen Abschluss, keine Ausbildung. Kurz: keine Perspektive.

Allein im Sommer 2009 haben 58.000 Jungen und Mädchen die Schule ohne Abschluss verlassen. Derzeit leben über 171.000 arbeitslose Jugendliche von Arbeitslosengeld II. Noch einmal 170.000 tauchen in dieser Statistik nicht auf, weil sie in irgendwelchen Fortbildungsmaßnahmen stecken.

Was für eine Vergeudung von Arbeitskräften. Was für eine trostlose Perspektive zu Beginn eines Arbeitslebens.

„Fördern und Fordern“ lautet das wohlklingende Credo,

mit der die Bundeseregierung die Hartz-IV-Reform vor sechs Jahren einleitete. Doch scheint das Fordern dabei leichter zu fallen. Die Bundesagentur für Arbeit entzieht rund zehn Prozent der unter 25-Jährigen komplett die Förderung.

Die für die Jugendlichen zur Verfügung stehenden Fortbildungsmaßnahmen sind gut gemeint – aber kaum gut gemacht. Denn viele der jugendlichen ALG-II-Empfänger sind Schulabbrecher oder haben einen schlechten Abschluss.

Wie viel werden sie wohl von Fördermaßnahme profitieren, die darin besteht, sie wieder täglich acht Stunden in ein Klassenzimmer mit 25 anderen Schulverweigerern zu sperren. Sie werden also in ein System gezwungen, in dem sie bereits einmal gescheitert sind. Der Misserfolg ist programmiert.

Wie kann man Langzeitarbeitslosen besser helfen?

Arbeitsmarktexperten wie beispielsweise Professor Stefan Sell fordern schon lange eine „Vertrieblichung“ dieser Fördermaßnahmen. Das heißt, die Jugendlichen brauchen so schnell wie möglich einen Zugang zur realen Arbeitswelt. Und zwar nicht in einem normalen Ausbildungsbetrieb, denn damit sind jene „Problemjugendlichen“ schlicht überfordert.

Die Jugendlichen brauchen ein Stück „Nacherziehung“. Das heißt konkret:

  • Sie müssen sich an regelmäßige Arbeitszeiten gewöhnen.
  • Lernen früh aufzustehen und pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen
  • Bei Konflikten nicht wegzulaufen, den Job zu schmeißen, sondern sich auseinandersetzen lernen.

Viele der Jugendlichen können das noch nicht. Nicht weil es ihnen an Intelligenz fehlt, sondern weil sie oft große Schwierigkeiten in ihrer Biografie aufweisen. Alkohol- oder Drogenprobleme, jahrelanges Durchschummeln und Faulheit, Mißbrauchserfahrungen.

Die Förderung junger Langzeitarbeitsloser ist also nicht vor allem ein Ausbildungsproblem. Es ist zu allererst ein pädagogisches Problem.

Sind das jetzt wieder verblasene Sozialarbeiter-Phantasien oder lässt sich das wirklich realisieren?

Die gute Nachricht: es geht!

Zum Beispiel in Mannheim. Die Quote der Jugendarbeitslosen liegt in Offenbach bei 5,9 Prozent. In Berlin bei 10,1 Prozent. In Mannheim bei 0,3 Prozent. Was ist da los?

Dieser beeindruckende Erfolg ist vor allem einem Mann und  seiner Idee zu verdanken: Joachim Burg vom Jobcenter Mannheim. Auch er erkannte vor acht Jahren:

Es hilft lernunwilligen Jugendlichen für ihr weiteres Berufsleben wenig, wenn sie in Fortbildungskursen lernen, Vogelhäuschen zu schreinern.

Stattdessen kooperiert das Mannheimer Jobcenter mit acht Betrieben. Dort können sie aus vierzig Berufsfeldern auswählen, was sie interessiert und was sie mal ausprobieren wollen.

Das Besondere ist:

  • die Jugendlichen arbeiten in der realen Arbeitswelt – werden aber ständig betreut.
  • Sie sind nicht unter sich, sondern arbeiten Seite an Seite mit „normalen“ Arbeitern.
  • Wenn jemand seine Arbeit nicht zusagt, kann er wechseln, auch mehrmals.
  • Wer nicht zur Arbeit erscheint, bekommt Besuch von einem Sozialarbeiter, erst dann wird das Geld gestrichen.
  • Wer nicht weiß, wie er zu seiner Arbeitsstelle kommen soll, bekommt ein Leihfahrrad gestellt.

Der Leiter des Jobcenters Mannheim ist kein realitätsfremder Gutmensch, sondern ein kühler Rechner. Auf der einen Seite ließ er dreißig seiner Jobvermittler berufsbegleitend einen 18-monatigen Studiengang absolvieren. Denn ohne qualifizierte Vermittler, die die Probleme der oft entmutigten Jugendlichen mit Fingerspitzengefühl ansprechen können, läuft das Ganze nicht.

Hier ein Interview mit ihm zum Anhören und Nachlesen.

All das hat auch mittlerweile eine ökonomische Notwendigkeit. Vor einigen Jahren gab es noch ein Überangebot an potenziellen Auszubildenden. Mittlerweile hat sich die Situation ins Gegenteil verkehrt. Durch den demografischen Wandel herrscht allenthalben ein gravierender Mangel an Azubis. Wir können es uns als hochindustrialisiertes Land schlichtweg nicht leisten, junge Menschen endlos zu subventionieren und falsch zu fördern.

Das Ganze kostet Geld. Aber es spart auch welches. So konnten Burgs Mitarbeiter im Jahr 2010 die Zielvereinbarung von 3.000 vermittelten Jugendlichen übertreffen. Sie verhalten 4.500 Jugendlichen zu einem Job – und sparten so der Bundesanstalt für Arbeit fünf Millionen Euro!

Mein Fazit: Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des Artikels „Die Reparaturwerkstatt“ und eines Interviews mit Professor Sell. Als ich beides in der brandeins 4/2011 las, dachte ich sofort, dass diese Ideen weiter verbreitet gehören.

Denn Misserfolge, Frustrationen und Perspektivlosigkeit kann man nicht allein personalisieren nach dem Motto „Selber schuld!“. Manchmal liegt der Fehler im System und eine im Grunde einfache Idee kann überall umgesetzt werden. Zumal wenn sie sich bereits seit acht Jahren bewährt hat – wie in Mannheim.

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Haben Sie Erfahrungen damit?

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Foto: © – Froodmat – phptocase.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

4 Kommentare

  1. Martina Guse sagt

    Ich habe Ihren Artikel mit großem Interesse gelesen, da ich selbst eine mittlerweile 19 Jahre alte Tochter habe. Sie hat ein gutes Elternhaus, aber ich habe es nicht abfangen können, was ein manipulativer Vater, Trennung und die „Falschen Freunde“ nach dem großen Umzug angerichtet haben. Nun dümpelt sie so vor sich hin und sie hat genau die von Ihnen beschriebnen Schwierigkeiten. Dabei ist sie liebenswert, hat gute Umgangsformen, ist intelligent, aufmerksam und eine gute Auffassungsgabe. Leider gerät sie total leicht in Stress und dann ist das meiste an Fähigkeiten weg. Gibt es das von Ihnen Beschriebene auch in Kaiserlautern?
    Beste Grüße

  2. Sehr geehrter Herr Kopp-Wichmann – danke für die Verbreitung eines „Erfolgsmodells“. Das brauchen wir dringend. Vielleicht wird auch in der Sozialförderung irgendwann die Frage nach der Kosten/Nutzen Rechnung legitim und so die Förderung effektiver?

    Viele meiner Bekannten betreiben ein Geschäft, Unternehmen oder Abteilung und alle praktizieren – ohne brandeins Interview usw. – genau die o.a. Maßnahmen. Die Erfolgsquote ist überaus deprimierend. Und auch die Fallzahl von 4.500 Vermittelten verrät nicht, wieviele in dem Job geblieben sind.
    Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Art: Leihfahrrad und Besuch vom Betreuer wirklich grundsätzlich weiter kommen.
    Wie heisst es so schön: wenn du ein Schiff bauen willst, lehre sie nicht Holz zu hobeln…sondern die Liebe zum Meer.

    Schönen Sonntag
    RR

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