Es gibt keine Sachentscheidungen. Letztlich entscheidet Ihr Gefühl.

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Buchbesprechungen / Persönlichkeit

Manche Menschen betonen, dass  ihre Entscheidungen rein rational und sachlich getroffen wurden und auf objektiven Fakten beruhen.
Das klingt beruhigend, wenn uns der Arzt erklärt, warum ein Eingriff notwendig ist oder ein Politiker argumentiert, warum wir in Afghanistan  Krieg führen oder Atomkraft unverzichtbar ist.
Aber gibt es wirklich reine Sachentscheidungen?

Hierzu einige interessante Informationen:
Neurobiologische Untersuchungen zeigen: Schon ca. 300 Millisekunden bevor wir uns entscheiden, zeigt sich in unserem Gefühlszentrum, dem limbischen System,  der entsprechende Impuls. Das würde bedeuten, dass alle unsere Entscheidungen zuerst im limbischen System  gefällt und erst danach mit unserem bewussten Verstand (Neocortex) begründet werden.

Ganz krass formuliert es ein Hirnforscher: „Wir tun nicht, was wir wollen. sondern wir wollen, was wir tun!“ Ich will hier nicht in diese Debatte einsteigen, sondern eher zeigen, warum die Behauptung in der Überschrift stimmt.

Jeder weiß, dass der Verstand zwar präzise arbeitet, jedoch vor allem  in „Wenn-Dann-Beziehungen“ denkt. Doch vieles im Leben folgt nicht diesem logischen Modell, sondern ist verzwickt und komplex, rückbezüglich und paradox. Um hier durchzusteigen, hilft uns das Gefühl. Es ist zwar unpräziser, kann aber solche komplexen Sachverhalte besser einschätzen und beurteilen.

Ein Beispiel: Angenommen, Sie wollen im Job einen Mitarbeiter einstellen oder suchen privat einen Babysitter oder eine Putzfrau, und Sie bekommen dreißig Bewerbungen. Wie entscheiden Sie, wer in die engere Wahl kommt?

Sie schauen sich zuerst die Fotos an, dabei fallen schon einige Bewerber raus. Rational eoder gefühlsmäßige Entscheidung? In die engere Wahl kommen dann vielleicht fünf Personen, die nach Ihrer Einschätzung fachlich alle gleich gut geeignet sind.

Der eine will etwas mehr Geld, einer kann erst in zwei Monaten anfangen, einer ist Ihrem Team oder Ihrem Partner sympathisch aber  Ihnen nicht so. Flugs haben Sie fünf, sechs verschiedene Kriterien, die für Sie unterschiedlich wichtig sind. Wie entscheiden Sie jetzt, wen Sie nehmen? Mit einem Excel-Sheet, in das Sie alle Merkmale eintragen, gewichten, bewerten?

Komplizierte Entscheidungen müssen  vor allem emotional verträglich sein. Gefühl und Verstand müssen zustimmen, damit wir uns entscheiden. Doch wenn die Datenlage nicht eindeutig ist, entscheiden Sie immer nach Gefühl. Zum Beispiel, wenn Sie einen Joghurt kaufen und die Wahl zwischen 22 Sorten haben.

„Halt! Bei uns zählen nur reine Fakten.“

Das höre ich jetzt die Diplomingenieure und Techniker rufen. Dazu habe ich ein schönes Beispiel bei meinem Trainerkollegen Matthias Pöhm gefunden:

„Das stimmt nicht. Wir zum Beispiel haben in unserer Firma ganz klare Einkaufskriterien. Wir sind Zulieferer der Automobilindustrie und kaufen Wälzlager ein. Wir haben die Anforderungen, dass die Legierungs-Schichtdicke für ein Wälzlager mindestens 0.8 mm dick sein muss. Wenn’s drunter ist, wird nicht gekauft. Das sind ganz präzise Qualitätsanforderungen, da spielt Gefühl keine Rolle“.

Ich frage dann: „Wie wurde denn entschieden, dass die Schichtdicke 0.8 mm sein muss und nicht etwa 0.6 mm oder 0.9 mm?“ – „Ja, das waren Messungen, die wir gemacht haben. Die Anforderung war, dass das Wälzlager im 48 Stunden Dauerbetrieb maximal einen Abrieb von 3.5 Promille haben darf. Und dann kam raus, 0.8 mm erfüllt das.“ Darauf ich: „Wie wurde denn entschieden das es 48 Stunden Dauerbetrieb sein soll und nicht etwa 40 Stunden und wie wurde denn entschieden dass der Abrieb 3.5 Promille sein darf und nicht etwa 3.8 Promille oder 2.9 Promille?“… Ich brauche maximal zwei Fragen und ich bin bei einer Gefühls-Entscheidung gelandet.“

Auch solche „harten“ Faktenlagen werden ab einer bestimmten Entscheidungstiefe danach beurteilt, wann sich die Verantwortlichen „sicher“, „gut“ oder „im grünen Bereich“ fühlen.

Aber prüfen Sie es selbst bei sich.

Wie entscheiden Sie, wann Sie ein neues Auto kaufen und welches? Wann bezahlen Sie eine Rechnung – gleich oder legen Sie sie erst einmal beiseite? Und wann bezahlen Sie sie dann?

Ich bin sicher, wenn Sie solche Entscheidungsprozesse bei sich selbst genauer untersuchen, werden Sie immer eine Gefühlsentscheidung finden.  Denn auch rationale Überlegungen messen wir an den „guten“ oder „unguten“ Gefühlen, die wir dabei haben. Denn in unsere Gedanken fließen immer persönliche Werte ein und diese Werte sind immer hochemotional.

Ob wir angesichts einer Katastrophe, die wir im TV sehen, uns zu einer Spende entschließen, hat nichts mit unserem Kontostand zu tun. Der eine fühlt sich besser, wenn er etwas spendet. Der andere fühlt sich besser, wenn er nichts gibt.

Unser Entscheidungsverhalten hat auch biologische Gründe. Denn Ihr Gehirn belohnt Sie für Entscheidungen, die gut oder positiv für Sie sind, indem es den Botenstoff Dopamin ausschüttet, was sich immer sehr gut und belohnend anfühlt.

Welche Konsequenzen hat das für Veränderungen?

Scheitern viele Veränderungen deshalb, weil die Gefühle zu wenig berücksichtigt werden? Oder ist es nicht so einfach?

Gerade las ich die englische Ausgabe des neuen Buchs von Dan and Chip Heath  „Switch – Veränderungen wagen und dadurch gewinnen!“ . Die deutsche Ausgabe erscheint demnächst. Darin benutzen die Autoren eine schöne Metapher, um deutlich zu machen, wie wir mental organisiert sind:

  • Der „Elefant“ in uns steht für unsere Emotionen.
  • Der „Reiter“ in uns steht für den rationalen Verstand, der abschätzen und Konsequenzen berechnen kann.
  • Der „Weg“ beschreibt die Umgebung und die Schritte zu unserem Ziel.

Jetzt stellen Sie sich vor, dass der kleine Reiter auf dem großen Elefant sitzt und ihn in seine Richtung lenken will. Wenn der Elefant auch in die se Richtung will, weil er sich davon angenehme Gefühle verspricht, klappt das.

Doch Elefant und Reiter sind eben oft nicht derselben Meinung. Ihr Verstand will etwas anderes als Ihr Gefühl. Nehmen wir an, Sie wollen abnehmen. Haben sich einen Diätplan aufgestellt. Drei Tage klappt es prima. Am Ende eines stressigen Tages steht auf Ihrem Plan Tofuschnitzel mit grünem Salat. Sie öffnen den Kühlschrank, wollen nach dem Tofu greifen …

Sie kennen den Rest der Geschichte. In diesem Moment versucht Ihr winziger „Reiter“ den „Elefanten“ zu bändigen, der sich im Kühlschrank – vorbei an Magerjoghurts, fettfreiem Dressing und kalorienreduziertem Schinken – seinen Weg sucht. Und zielsicher die Dreifach-Käse-Pizza findet. „Das Ablaufdatum ist drei Tage drüber“, ruft noch hilflos der Reiter …

Das sind die Momente, wo Sie hinterher sagen: „Ich wollte ja abnehmen aber es ging nicht.“ Deswegen scheitern auch viele Veränderungsvorhaben. Egal ob es um Ihr privates Fitnessprogramm geht. Oder um das große Change-Projekt in der Firma. Wenn es nicht gelingt, die betroffenen Menschen bei ihren Gefühlen abzuholen, helfen alle vernünftigen  Appelle meist nicht.

  • Der Elefant in Ihnen sucht den Weg des geringsten Widerstands. Er mag keine Experimente. Ist konservativer als der rechte Flügel der CSU. Der Elefanten-Teil in uns bevorzugt Gewohnheiten, Bedürfnisse, Instinkte oder Gefühle, wenn es um Entscheidungen geht.

Ein drastisches Beispiel von vor ein paar Tagen. Es fühlt sich eben für manche Menschen gut an, zu dritt einen Passanten komareif zu treten, weil man sich dann gegenüber einem Schwächeren stark fühlt. Der „Reiter“, der weiß, dass ihn das für Jahre ins Gefängnis bringt, findet bei dem Täter kein Gehör.

Wenn man etwas ändern will, muss man meistens raus aus der Komfortzone.

Mit Komfortzone sind hier die gewohnheitsmäßigen Routinen im Verhalten und Fühlen gemeint. Damit Sie den „Weg“ zu Ihrem Ziel gehen können, braucht es ein Zusammenspiel von Reiter und Elefant. Jeder für sich allein verliert sich nämlich in unproduktiven Verhaltensweisen.

Der Elefant tendiert zu spontanem, gefühlsbetontem Handeln. Ohne Rücksicht auf die Folgen. Der Reiter in uns sieht die ganze Situation, also Einsatz und Folgen, aber er verliert sich schnell in endlosem Denken und nutzlosem Analysieren.

Für eine Veränderung raten die Autoren deshalb zu diesen Schritten:

  • Motivieren Sie Ihren Elefanten.
  • Geben Sie dem Reiter Informationen.
  • Passen Sie die Umgebung an.

Das Buch bringt viele anschauliche Beispiele, wie man das in die Praxis umsetzen kann. Und was häufig schief läuft, wenn Veränderung nicht klappt. Die drei wichtigsten Missverständnisse:

  1. Was wie ein Problem aussieht, ist oft ein Situationsproblem.
    Also eine Folge davon, wie eine Situation gestaltet ist. Oft unterschätzen wir die Kräfte der Umgebung, die unser Verhalten beeinflussen. Verändert man die Situation, kann man oft leichter als mit flammenden Appellen erreichen, dass Menschen sich in die gewünschte Richtung bewegen.
    Der „Weg“ muss dann verändert werden.
    So zeigte eine Studie, dass die Menge Popcorn, die Kinobesucher futtern, nicht vom einzelnen Besucher, sondern vor allem von der Größe der Popcorn-Box abhängt.
    Deshalb auch der Rat, wenn man weniger essen will: kleineren Teller nehmen, nicht dabei lesen – die Veränderung der äußeren Situation hilft, sein Verhalten zu verändern.
    Noch ein Beispiel: Wie bringt man mehr Leute dazu, ihr Altglas zum Container zu bringen? Durch Appelle an das Umweltgewissen des „Reiters“? Oder indem man auf jede Flasche Pfand erhebt (Elefant)? Man kann auch den „Weg“ des Deponierens ändern:
    httpv://www.youtube.com/watch?v=zSiHjMU-MUo
  2. Was wie Faulheit aussieht, ist oft Erschöpfung.
    Das war für mich eine der wichtigsten Informationen des Buchs: Selbstkontrolle ist eine Ressource, die sich erschöpft. Sie ist nicht unbegrenzt verfügbar. Deswegen scheitern auch viele Vorhaben.
    Wenn Sie ein gewohnheitsmäßiges Verhalten verändern wollen, brauchen Sie dazu viel Achtsamkeit und Selbstkontrolle durch Ihren „Reiter“. Damit erschöpfen Sie jedoch jene „mentalen Muskeln“, die für eine Veränderung gerade nötig sind. Mit anderen Worten:
    Der „Elefant“ muss dann motiviert werden.
    Angenommen, Sie wollen jemandem vermitteln, dass zu viel Cola trinken nicht gesund ist, wegen dem enthaltenen Zucker. Die genaue Angabe – es sind 12 Prozent – ist korrekt, aber wenig anschaulich und wird kaum zu einer Verhaltensänderung führen. Die Zuckerangabe so zu übersetzen, dass die Gefühle angesprochen werden, kann aber auch so aussehen:
    httpv://www.youtube.com/watch?v=yKZ2ZqBYlrI&
  3. Was wie Widerstand aussieht, ist oft ein Mangel an Klarheit.
    Der „Reiter“ analysiert gerne, prüft gedanklich Alternativen, wägt Kosten und Nutzen ab. Doch wenn der Reiter nicht genau weiß, in welche Richtung er gehen will, führt er den Elefanten oft im Kreis.
    Nicht nur Männer brauchen klare Anweisungen, wie ich das in diesem Video mal humorvoll zeigte.
    Sehr oft müssen wir uns selbst oder anderen deutlich sagen, was wir als nächsten Schritt wollen. Also nicht anklagen, jammern, Vorwürfe machen – sondern lösungsorientiert denken und handeln.
    Der „Reiter“ braucht hier eine Richtung.

    Konkret: Statt lange zu analysieren, warum etwas nicht geklappt hat, kann man danach schauen, was anders war, als es mal geklappt hat.
    Im systemischen Coaching nennt man diese Technik „Nach Ausnahmen fragen“.
    Das geht mit folgenden Fragen:
    „Wann in den letzten Wochen bzw. Monaten gab es Zeiten, in denen das Problem nicht oder weniger stark/oft aufgetreten ist?“
    „Was genau war da anders?“
    „Was haben Sie da anders gemacht?“
    „Und was noch?“
    „Wie haben Sie das geschafft?“

    So entdeckte vor einigen Wochen eine Führungskraft im Coaching mit mir, dass sie abends viel weniger gestresst nach Hause kam, als durch die Schneeverhältnisse der Bus vom Bahnhof ausfiel und der Mann für den Heimweg eine halbe Stunde zu Fuß laufen musste.
    Das probierte er dann aus, indem er häufiger vier Stationen vorher aus dem Bus ausstieg und einen Spaziergang nach Hause machte.Man kann auch schauen, wie es andere gemacht haben, was man selbst erreichen will. Die Autoren nennen das „Don’t Solve Problems-Copy Success“ Hier der  Artikel dazu.

Was bedeutet das jetzt konkret?

Die Metapher von Elefant, Reiter und Weg kann Ihnen helfen zu verstehen, wenn ein Vorhaben stockt oder gescheitert ist, was wohl die Gründe dafür sind.

In der Grafik rechts ist der Ablauf  eines Projekts schematisch dargestellt. Es gilt für berufliche Veränderungen wie auch für private Vorhaben.

Jetzt wissen Sie ja schon, dass bei jedem dieser Schritte nicht allein objektive Tatsachen eine Rolle spielen, sondern gefühlsmäßige Entscheidungen mindestens genauso wichtig sind. Und oft den Ausschlag bei Ihrer Entscheidung für eine Option geben.

Klappte es bisher nicht, können Sie nachforschen:

  • Fehlt es an Motivation für den „Elefanten“?
    Information allein reicht meist nicht für eine Veränderung.
    – Wie könnten Sie sich oder andere dazu bringen, den Unterschied nicht nur zu begreifen, sondern auch zu fühlen?
    – Machen Sie die Veränderungsschritte so klein, dass der „Elefant“ keine Angst mehr davor hat.
    – Entwerfen Sie eine starke Vision von Ihrem Ziel, mit der Sie sich oder andere identifizieren können.
  • Geben Sie dem „Reiter“ klare Anweisungen.
    Oft fehlen klare Handlungsanweisungen für die nächsten Schritte.
    – Finden Sie heraus, wann es mal geklappt hat. Und wiederholen Sie dieses Verhalten.
    – Untersuchen Sie, wie es andere gemacht haben, die damit Erfolg hatten. Kopieren Sie deren Handlungen.
    – Eine Vision allein reicht oft nicht. Es braucht klare Anweisungen. (Statt: „Gesünder leben“ besser sagen „Jede Stunde  ein Glas Wasser trinken.“
  • Verändern Sie den „Weg“.
    Wenn sich die Situation verändert, ändern Menschen leichter ihr Verhalten.
    – Wollen Sie mehr Kommunikation in der Familie, lassen Sie jeden zweiten Abend den Fernseher aus.
    – Verändern Sie unvorteilhafte Gewohnheiten in bessere.
    – Verhalten ist ansteckend. Wenn Sie kürzere, effektivere Meetings wollen, führen Sie mal eine Besprechung im Stehen durch.

Wenn es keine Sachentscheidungen gibt, gibt es wenigstens Sachzwänge? Leider auch nicht. Lesen Sie hier …

Dass Veränderung mitunter nicht leicht ist, habe ich schon in etlichen Artikeln hier beschrieben. Woody Allen wusste das schon früher: „Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis.“

Diesen Beitrag können Sie sich hier anhören oder herunterladen.

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Foto: © Helder Almeida, losif Szasz Fabian, Stauke – Fotolia.com,

Veränderungen wagen und dadurch gewinnen!

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.