Wie Sie damit aufhören können, es anderen recht zu machen.

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Emotionale Intelligenz / Persönlichkeit

Kein Zweifel, Menschen, die versuchen, selbstlos zu sein und ihr Leben vor allem nach den Erwartungen anderer zu richten sind beliebt. Und kennen jede Menge Sprüche und Zitate berühmter Leute als Rechtfertigung: „Egoismus ist die Zärtlichkeit der Ellenbogen.“ ((Samuel Taylor Coleridge) oder „Jeder muss sich entscheiden, ob er im Licht der Nächstenliebe oder im Dunkel der Eigensucht leben will.“ (Martin Luther King).

Doch wie so oft bei moralischen Appellen wird nur schwarz-weiß argumentiert, anstatt im Sinne eines Sowohl – als auch.

Wie ist das bei Ihnen? Welcher der folgenden Aussagen stimmen Sie zu?

  • Ich fühle mich verantwortlich, dass diejenigen, die mit mir zu tun haben, sich wohl fühlen.
  • Es ist wichtig für mich, von anderen akzeptiert zu werden.
  • Ich versuche oft herauszufinden, was andere von mir erwarten, um mich danach zu richten.
  • Es ist mir wichtig, von anderen zu erfahren, ob ich meine Sache gut gemacht habe.
  • Ich stelle meine Wünsche und Bedürfnisse zugunsten anderer Personen zurück.
  • Es ist mir unangenehm, andere Leute zu kritisieren.
  • Wenn jemand sich über mich ärgert, tue ich alles dafür, dass es wieder gut wird zwischen uns.

Wenn mehrere dieser Aussagen auf Sie zutreffen, kann es sein, dass Sie auch versuchen, es anderen recht zu machen.

Viele Menschen richten sich zu sehr nach dem, was andere Menschen erwarten. In gewisser Weise ist das gut, denn der Mensch ist ein soziales Wesen und in vielerlei Weise von anderen abhängig. Doch gibt es wie bei allen Übertreibungen auch deutliche Nachteile, die man leicht übersieht.

1. Sie können es gar nicht allen recht machen.

Eine bekannte Fabel von Äsop illustriert das:

Ein Mann reitet auf seinem Esel nach Haus und läßt seinen Sohn zu Fuß nebenher laufen. Kommt ein Wanderer und sagt: „Das ist nicht recht, Vater, dass Ihr reitet und lasst Euren Sohn laufen; Ihr habt stärkere Glieder.“

Da stieg der Vater vom Esel herab und ließ den Sohn reiten. Kommt wieder ein Wandersmann und sagt: „Das ist nicht recht, Bursche, dass du reitest und lässt Deinen Vater zu Fuß gehen. Du hast jüngere Beine.“

Da saßen beide auf und ritten eine Strecke. Kommt ein dritter Wandersmann und sagt: „Was ist das für eine Quälerei, zwei Kerle auf einem schwachen Tier? Sollte man nicht einen Stock nehmen und Euch beide hinabjagen?“ Da stiegen beide ab und gingen zu Fuß, rechts und links der Vater und Sohn und in der Mitte der Esel.

Kommt ein vierter Wandersmann und sagt: „Ihr seid drei kuriose Gesellen. Ist’s nicht genug, wenn zwei zu Fuß gehen? Geht’s nicht leichter, wenn einer von Euch reitet?“ Da band der Vater dem Esel die vordern Beine zusammen, und der Sohn band ihm die hinteren Beine zusammen, zogen einen starken Baumpfahl durch, der an der Straße stand und trugen den Esel auf der Achsel heim.

Eigentlich wissen Sie das ja längst. Es ist unmöglich, es allen recht zu machen. Selbst wenn Sie das könnten: vermutlich bliebe einer übrig, dem das nicht ganz recht wäre – Sie selbst.

Selbst der berühmteste Schriftsteller, der bekannteste Pianist, der angesagteste Rockstar schafft es nicht, alle zufrieden zu stellen. Es wird immer mehrere geben, denen etwas nicht gefällt. Oft genau das, was anderen gerade sehr gut gefällt.

Also, was ist Ihr Leben? Nur eine Sammlung von To-do-Listen, auf denen die Wünsche, Vorstellungen und Erwartungen anderer Menschen stehen?

2. Die Erwartung anderer entspringen deren Sicht der Welt. Und die ist nicht „richtig“.

Und die ist niemals objektiv, auch wenn derjenige sie als vernünftig, rational und als einzig richtige Weltsicht darstellt. Das lernt man ja auch, wenn man Zeitung liest. Soll man in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation die Steuern erhöhen oder senken? Für jede Seite lassen sich gute Argumente finden. Der Konsum würde dadurch gedrosselt oder angekurbelt. Selbst die Wirtschaftsweisen haben unterschiedliche Ansichten dazu. Es gibt nicht die Wahrheit.

Wenn Sie das mal in der Tiefe begriffen haben, dann können Sie fortan auch Ihre „Wahrheit“ leben. Denn die ist so subjektiv wie die der anderen. Mit anderen Worten, so falsch oder genauso richtig. Mit dem wichtigen Unterschied, dass es sich dabei um Ihr Leben handelt – Ihre Zeit, Ihre Energie.

3. Wer es allen recht machen sucht, ist nicht automatisch selbstlos.

Keine Frage, Menschen mit einem „Mach’s allen recht – Antreiber“ sind meist beliebt. Da wo andere Menschen eine Bitte abschlagen, keine Lust haben oder einfach „nein“ sagen, kann man sich auf die Menschen, die immer nett sein wollen, verlassen.

Aber das hat seinen Preis. Denn solche Menschen tun dies nicht vor allem, weil sie nur edel, hilfreich und gut sind. Fast könnte man sagen, sie handeln auch egoistisch. Ist Ihnen doch oft die Meinung anderer über sich selbst so wichtig, dass sie dem alles unterordnen.

Meist tun sie es aus ganz anderen Gründen:

  • Sie haben Angst vor Konflikten.
    Wer immer sich nach den Wünschen anderer richtet, hat mit anderen Menschen meist ein konfliktfreies Leben. (Wie es innen aussieht, ist eine andere Sache.) Er bekommt auch viel Anerkennung und Sympathie für sein pflegeleichtes Wesen.
    „Mit dir kann man prima Urlaub machen, du machst alles mit.“
    „Es gibt so viele egoistische Typen. Mit dir ist das ganz anders.“
  • Sie befürchten Ablehnung.
    Wer als Kind oft gehört oder erlebt hat, dass seine Wünsche blödsinnig, überflüssig oder zu teuer sind, beschliesst oft, sich diese Blöße nicht mehr zu geben und fortan nur noch das zu tun, was andere wollen oder verlangen.
    Dahinter steckt oft die Befürchtung, dass ein angemessenes Abgrenzen vom anderen nicht ertragen werden würde. Mit anderen Worten, dass dies die Beziehung zu stark belasten würde.
    Das mag, je nach Situation und Beziehungsstand auch zuweilen passieren. Doch das brauchen Sie nicht persönlich nehmen („Ich weiß, leicht gesagt.“) So wie der andere das „Recht“ hat, auf Ihr Verhalten ärgerlich oder enttäuscht zu sein, dürfen Sie sich abgrenzen.
  • Sie neigen zu starken Schuldgefühlen.
    Wer ein hohes Selbstideal hat, die buddhistische Lehre missverstanden hat oder glaubt, dass er sein Leben hier dauernd verdienen muss, ist oft mehr an den Wünschen anderen interessiert als an den egenen Bedürfnissen. Weil er von sich weiß, dass er dann die halbe Nacht lang wachliegt und sich mit seinen Schuldgefühlen plagt.Da liegt es oft näher, sich übertrieben tugendhaft zu verhalten und seine Wünsche zu unterdrücken, gleichsam als vorweg genommene Buße für das vermeintliche sündhafte Wünschen.
    Manchmal kann sich das auch in das Gegenteil verkehren. Wer nur gibt und nichts vom anderen nimmt, sorgt oft für Schuldgefühle beim anderen. Das ist ein sehr subtiler, unbewusster Mechanismus.Schon öfters beobachtete ich, dass ein Paar sich nach dem erfolgreich abgeschlossenen Studium eines Partners trennt. Der eine Partner hat währenddessen gearbeitet und Studium und Unterhalt des anderen vollkommen finanziert – und wird verlassen. Beide können sich das nicht erklären.
    Äußere ich dann die Hypothese in Richtung des Partners, der sich trennt: „Vielleicht wurde Ihnen klar, dass Sie zu stark in der Schuld Ihrer Freundin stehen und das Gegebene nie ausgleichen können“ , kommt oft Klarheit in die Dynamik. Wenn einer viel gibt und nichts nimmt, schafft das leicht ein enormes Beziehungsgefälle, dem der andere sich durch Beziehungsflucht entzieht.
  • Sie kleben Rabattmarken.
    Die Älteren unter meinen Lesern kennen noch die Rabattmarken, die man beim Einkauf bekam, ordentlich in ein entsprechendes Buch klebte, sammelte und irgendwann gegen etwas Schönes einlösen konnte. Mittlerweile heißt dieses Prinzip „Payback-Punkte“, ist aber nicht so sinnlich erfahrbar wie eine Sammlung Rabattmarkenbücher.Im psychologischen Bereich gibt es dieses Prinzip „Jetzt sparen – später belohnen!“ aber auch. Da funktioniert das innerlich, quasi mit virtuellen Rabattmarken.Fühlt sich jemand durch einen anderen gekränkt und kann dies nicht mit demjenigen in der Beziehung klären, wird oft innerlich eine oder mehrere Rabattmarke geklebt. Nach dem Motto: „Das merk‘ ich mir.“ Oder „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Auch in der Partnerschaft klappt das vorzüglich. Eingelöst werden diese vollgeklebten Markenbücher dann durch etwas, das man sich dann „leistet“: also zwei Tage Krankfeiern, einen Seitensprung oder einen  sündhaft teuren Luxusartikel.

Wie hört man jetzt damit auf?

Wie meist helfen schlichte Tipps wenig: „Seien Sie selbstbewusster!“ „Denken Sie mehr an sich selbst.“ „Machen Sie sich von der Meinung anderer weniger abhängig.“

Es ist wichtig, zu verstehen, wann und warum Sie sich so verhalten.

  • Nicken Sie oft beim Zuhören dem anderen zu?
    Zeigen Sie auch öfters diese Demutsgeste?

    Zeigen Sie auch öfters diese Demutsgeste?

  • Fragen Sie öfters danach, wie es dem anderen geht ohne dass es Sie gerade interessiert?
  • Haben Sie Lust, abends zu Hause zu bleiben und befürchten, Ihr Partner könnte Sie langweilig finden?
  • Trauen Sie sich nicht, die Bitte um einen Gefallen abzulehnen, weil Sie Angst haben, der andere mag sie dann nicht?
  • Tarnen Sie Ihren Sexschmöker in der U-Bahn mit der Zeitung, damit man nicht denkt …?
  • Legen Sie öfters den Kopf schief?

Wichtig ist – wie immer, wenn Sie etwas verändern wollen: Bewusstheit.

Jetzt passiert es gerade! Oder noch besser: „Jetzt versuche ich wieder, es anderen recht zu machen.“ Und neugierig und mitfühlend mit sich selbst zu erforschen, was gerade in Ihnen vorgeht. Wem wollen Sie gerade gefallen? Auf wessen Anerkennung warten Sie gerade? Was sind Ihre Befürchtungen, was passieren könnte?

Dieses Erforschen kann Ihnen bewusst machen, dass ein „altes“ Programm in Ihnen gerade abläuft. Die Fünfjährige oder der Junge von acht Jahren will brav sein, weil ihm sonst die Zuneigung oder Anerkennung entzogen würde.

Die gute Nachricht: Sie sind erwachsen. Sie brauchen diese besondere Zuneigung nicht mehr so. Es wäre vielleicht „nice to have“. Aber nicht mehr lebensnotwendig.

Probieren Sie statt des alten Programms etwas Neues aus. Die folgenden Sätze sind Möglichkeiten, sich angemessen von anderen abzugrenzen.

– „Ich bin nicht für dich. Ich bin nicht gegen dich. Ich bin für mich.“

– „Ich bin anders als du.“

– „Ich bin getrennt von anderen.“

– „Meine Wünsche sind genauso wichtig.“

Dabei geht es nicht darum, im Sinne des positiven Denkens diese Sätze gebetsmühlenhaft zu wiederholen. Es geht nicht um ein Umprogrammieren. Sondern um ein tieferes Verstehen, was Sie gerade treibt, etwas zu tun, was Sie eigentlich nicht wollen.

Am meisten lernen Sie über sich, wenn Sie diese achtsam denken oder – wenn Sie allein sind – laut vor sich hinsagen und Ihre inneren Reaktionen beobachten.

Übrigens: „Die Liebe zu sich selbst ist der Beginn einer lebenslangen Romanze“, wusste schon Oscar Wilde.

Hören Sie hier dazu den Podcast.

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Was hat Ihnen geholfen, Ihr Verhalten zu ändern?

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Foto: © Helmut Niklas, Klaus Eppele – Fotolia.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.