„Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ Von Watzlawick, Uri Geller bis Zumwinkel .

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Neurobiologie / Psychologie

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„Nothing is real“

drückte John Lennon das Thema dieses Blogbeitrags in drei Worten aus.
Das Buch mit dem obigen Titel von Paul Watzlawick erschien 1976 und war unter anderem dafür verantwortlich, dass ich mein Psychologiestudium trotz großen Frustes und erlebter Praxisferne doch fortsetzte. Das war es, was mich bei diesem Studium angezogen hatte: Die Frage, wie wir unsere Wirklichkeit erschaffen, wer dann für die Ereignisse wirklich verantwortlich ist und welche Konsequenzen sich daraus für den Einzelnen ergeben. Hierzu zwei Links: Experiment von Watzlawick 1978 und Der radikale Konstruktivismus als Erkenntnistheorie

Damals war es die Vorlesung von Professor Norbert Groeben, der mir Namen wie Heinz von Foerster, Humberto Maturana, Ernst von Glasersfeld, Thomas Kuhn u.a. nahebrachte. Deren Bücher verschlang ich in vielen Nächten. Die Beschäftigung brachte mich später zum Buddhismus und einer Psychotherapiemethode, die damals (1983) keiner kannte: Hakomi. Der Name stammt von den Hopi-Indianern und bedeutete in deren Sprache:

„Wie stehst du in Beziehung zu diesen vielen Welten? Oder: Wer bist du?“

In der Hakomi-Methode begegnete ich wieder diesem Thema der unterschiedlichen Welten und dem Versuch, aus dem eigenen „Alltags-Ich“ herauszutreten, um achtsam beobachten und dadurch besser zu verstehen, wie ich eine konkrete Situation zwar wahrnehme aber vor allem – aufgrund meiner Prägungen/Landkarten/Einstellungen interpretiere.

Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie wie viele intelligente und erfolgreiche Menschen wenig Ahnung von erkenntnistheoretischen Fragen haben. Die Folge ist ein naiver und zuweilen gefährlicher Glaube an den Mythos der Objektivität und die Vorhersagbarkeit von Ereignissen. Wie völlig subjektiv unsere Meinungen, Schlussfolgerungen und Pläne sind, auch wenn sie von angeblich objektiven Zahlen (jeder Controller oder Bilanzkundige kann da nur kichern!) untermauert sind, ist den meisten Menschen völlig unbekannt.

Wie oft wurde schon – mit objektiven Zahlen untermauert – vorausgesagt:

  • dass und wann die Erde durch die wachsende Weltbevölkerung kollabiert
  • dass wir in soundsoviel Jahren das Ende der Erdölförderung erreicht haben
  • dass die Rente sicher ist
  • dass bald eine Klimakatastrophe droht
  • dass eine gesunde Lebensweise (was das ist, variiert) vor Krankheit schützt.

Ich will hier nichts verharmlosen, aber Prognosen – zumal exakte – leiden eben an dem Umstand, dass sie die Zukunft betreffen.

Doch zurück zu Ihrer und meiner Wirklichkeit.
Ein amüsantes Beispiel für unterschiedliche Wirklichkeiten schildert Watzlawick beim Thema „Distanzzone“ zwischen zwei fremden Menschen. Wir als Europäer halten eine Armlänge für angemessen. Dagegen rücken sich zwei fremde Südamerikaner viel dichter auf die Pelle. Die Folge: Wenn sich nun Angehörige zweier solch unterschiedlicher Kulturkreise (Wirklichkeiten) begegnen, empfindet der Südamerikaner seinen Gesprächspartner als distanziert und rückt näher, während der Europäer sich wiederum bedrängt fühlt und rückwärts ausweicht. Beide handeln „logisch“ im Rahmen ihrer Wirklichkeit und sind über den anderen verwundert. Erst das Heraustreten aus der eigenen Wirklichkeit und das metasprachliche Besprechen der eigenen Annahmen über die „richtige Distanzzone“ und das anschließende Erkennen der Beliebigkeit dieser Richtigkeit ermöglicht ein erleichterndes Lachen und plötzliche – wirkliche -Verständigung.

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In der erfolgreichen ProSieben-Show „The next Uri Geller“ zeigen Mentalisten Tricks, bei denen man weiß, dass irgendetwas faul ist – aber man selten drauf kommt, wie das gemacht wird. Die Zauberer bedienen sich dabei verschiedener Tricks, unsere Aufmerksamkeit abzulenken. Dank etlicher Videos auf youtube oder diesem Blog können Sie nachvollziehen, wie Sie hinters Licht geführt werden.

Dass aber nicht alles, was man nicht erklären kann, ein Trick sein muss, zeigt gerade das Beispiel des Löffelbiegens, mit dem seinerzeit Uri Geller eine ganz Nation am Fernsehschirm in Atem hielt. Es geht nämlich tatsächlich, und zwar mit Hilfe Ihrer eigenen Energie. Hier eine praktische Anleitung.

All das begegnet jedem von uns jeden Tag. Besonders natürlich wenn zwei unterschiedliche Kulturen miteinander zu tun haben (siehe die Rede des türkischen Ministerpräseidenten über den Unterschied zwischen „Assimilation“ und „Integration“.) Doch auch die Zumwinkels dieser Republik und ihre Kollegen leben in ihrer eigenen Welt. Doch bevor sie jetzt vorschnell in den Chor der selbstgerechten Mehrheit einstimmen, hier einige Zahlen aus einer kleinen Notiz der heutigen F.A.S.:

  • Wer hat noch nie bei der Versicherungsschadenmeldung, bei der Steuererklärung geschummelt? Hand auf’s Herz?
  • Durch nichtangemeldete Rundfunk- und Fernsehgeräte entgehen den Radiostationen pro Jahr ca. 100 Millionen Euro.
  • Durch Schwarzarbeit (vom Anbau bis zur Putzfrau) entgehen dem Staat schätzungsweise pro Jahr 349 Milliarden Euro.

Wo eben die Schummelei endet und der Steuerbetrug anfängt, legt jeder – mit guten Argumenten – für sich aus. Wenn Nokia Subventionsspielregeln für sich auslegt, ist die Empörung groß. An den jährlichen Bericht des Bundesrechnungshofes über die Verschwendung von Steuergeldern (zwei Milliarden in 2007) hat man sich dagegen schon längst gewöhnt.

Wo auch zwei fremde Kulturen aufeinander treffen und mit ihren unterschiedlichen Auffassungen von Wirklichkeiten versuchen, die gemeinsame Realität zu gestalten , erlebt jeder von uns, der in einer Beziehung lebt. Zahllose Bücher haben das zum Thema und einige Komiker bestreiten mit ihrem Thema ihren Lebensunterhalt. Am intelligentesten – wie ich finde -wieder Dieter Nuhr.

Wie wirklich ist unsere Wirklichkeit?
Das ist auch das Thema der Titelgeschichte des neuen FOCUS (25.2.08). Unter anderem mit einem Interview mit mir. (Der Redakteur des Beitrags wurde auf mich aufmerksam, weil ich im letzten Sommer einen Blogbeitrag über das „Gorilla-Video“ geschrieben hatte: „Warum wir Wichtiges oft übersehen.“

Fazit: Betrachten Sie doch mal einige Situationen oder Probleme des heutigen Tages mit der Brille des Konstruktivismus.

Hierzu eignen sich besonders einige Fragen aus dem systemtherapeutischen Werkzeugkasten: Creative Commons License photo credit: Stitch

  • „Aus welchen Verhaltensweisen (Wie? Wann? Wo?) besteht das Problem?“
  • „Welchen Nutzen hätte es für das System, wenn das Problem noch eine Weile bestehen würde?“
  • „Wer reagiert am meisten auf das Problemverhalten, wer weniger? Wen stört es, wen nicht?“
  • „Wie erklären Sie sich, dass das Problem entstanden ist, wie dass es dann und dann auftritt und dann und dann nicht? Welche Folgen haben diese Erklärungen?“
  • „Was hat sich in den Beziehungen verändert, als das Problem begann?“
  • „Wie lange wird das Problem noch Ihr Begleiter sein? Wann werden Sie es verabschieden?“
  • „Wie oft (wie lange, wann, wo) ist das Problem nicht aufgetreten?“
  • „Was haben Sie und andere in diesen Zeiten anders gemacht?“
  • „Wie könnten Sie mehr von dem machen, was Sie in Nicht-Problem-Zeiten gemacht haben?“
  • „Angenommen heute Nacht käme eine Fee und würde Ihnen das Problem abnehmen, was wäre dann morgen anders?“
  • „Wer würde als erstes erkennen, dass das Wunder über Nacht geschehen ist, und woran?“
  • „Was würden die Menschen um Sie herum danach anders machen?“

Erfahrungsgemäß ist es gar nicht so einfach, Antworten auf diese Fragen zu finden. Aber allein das Fragenstellen erlaubt schon eine gewisse Distanz zu dem „Problem“. Und dieser Abstand kann helfen, das „Problem“ etwas nüchterner zu sehen. Das heißt zu begreifen, dass das Problem nicht objektiv existiert, sondern eben eine Konstruktion der Beteiligten mit ihren Annahmen und Wirklichkeitskonstruktionen.

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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.