Ist Warten sinnlos?

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Einen gehörigen Teil unserer Lebenszeit verbringen wir mit Warten. Im Wartezimmer beim Arzt, am Bahnhof, auf Behördengängen, im Stau, in der Telefonleitung.

Wir warten in Schlangen, wir warten auf den perfekten Partner, auf das neue iPhone. Wir können es kaum erwarten, bis unsere Träume in Erfüllung gegangen sind, bis wir einen fitteren Körper haben oder ein besseres Leben, wieder gesund sind. Wir suchen nach Wegen, wie wir unsere Ziele erreichen können. Wir warten. Das gute Leben ist unterwegs und wir werden es bald erreicht haben.

Geht es auch anders?

Was wäre, wenn wir aufhörten mit Warten? Aufhörten, Ziele und Träume zu verwirklichen, aufhörten mit Wünschen und Hoffen? Was ist, wenn das gute Leben bereits da wäre? Und die beste Art zu leben wäre, nicht mehr nach vorn zu schauen sondern wahrzunehmen, was wir bereits haben?

Wenn Sie gerade dabei sind, darauf zu warten, dass etwas Gutes passieren möge – oder aktiv dafür sorgen, dass etwas Gutes Wirklichkeit wird – machen Sie einfach mal eine Pause.

Schauen Sie einfach, wo im Leben Sie gerade sind. Wo sind Sie? Ist es nicht bereits gut? Wenn ja, warum schauen Sie in die Zukunft, wenn sie bereits im Guten angekommen sind?

Und wenn wir meinen, dass wir noch nicht im Guten angekommen sind, dann schauen wir vielleicht nicht sorgfältig genug.

 

Warten im Stau und in Schlangen.

Kürzlich musste ich sechs Stunden einen Möbelwagen fahren. Dabei bemerkte ich, dass ich immer wieder dachte: „Ich kann’s nicht erwarten, bis ich da bin.“ Als ich den Gedanken bemerkte, erinnerte ich mich daran: „Du bist schon angekommen.“

Wo ich gerade war – allein, in einem Lastwagen, auf einm Highway, in der Mitte einer wunderschönen Landschaft – war schon einzigartig. Okay, meine Beine waren müde, aber das war eine Gelegenheit, meine Beine zu spüren, wenn man oft seine Beine vergißt, wenn man den ganzen Tag sitzt.

Es war eine Chance, sich daran zu erinnern, dass ich lebendig bin, was wir immer für garantiert erachten. Wir nehmen täglich teil am Wunder des Lebens und manchmal kommt es uns nur routiniert vor und öde vor.

Meine Beine waren müde, deshalb hielt ich an, machte eine Pause, legte mich ins Gras und schaute in den Himmel. Meine müden Beine schenkten mir die Gelegenheit.

Das nächste Mal, wenn Sie sich in einem Stau auf der Autobahn oder einer Warteschlange befinden und dabei denken: „Hoffentlich bin ich bald da!“ … denken Sie daran, dass Sie schon an einem Platz sind, der gut ist. Vielleicht sitzen Sie in einem Auto, allein, können Musik hören oder selber singen. Sie können nach draußen in die Landschaft oder den Himmel schauen. Sehen Sie, welche Schönheit Sie umgibt.

Wenn Sie in einer Schlange warten, sind Sie nicht umgeben von anderen faszinierenden menschlichen Wesen? Was für eine tolle Gelegenheit, sie zu beobachten, zuzuhören und von ihnen zu lernen?

 

Die Tragödie mit Zielen.

Wir setzen uns Ziele, diese kleinen Träume davon, wie die Zukunft sein wird und konzentrieren uns darauf. Jeden Tag arbeiten wir an diesen Zielen, kommen einen Schritt weiter in eine große Zukunft.

Und dann ist das Ziel erreicht, yeahh!

Und was jetzt? Das nächste Ziel. Und dann wieder das nächste. Diese Art des Nach-Vorwärts-Schauens endet nicht mit dem Erreichen des Ziels. Und sie endet auch nicht bis zum Ende Ihres Lebens, wenn es keine Zukunft mehr gibt.

Aber genau genommen, es kann enden – in diesem Moment. Hören Sie auf, auf das Ziel zu schauen und schauen Sie darauf, wo Sie gerade sind.

Ihr Ziel mag großartig klingen: einen Marathon laufen, ein Projekt abschließen, von den Schulden runterkommen, ein schönes Sixpack antrainieren, die erste Million schaffen.

Aber es ist eine Phantasie, und wenn sich diese Phantasie erfüllt, wird es nicht das sein, was Sie sich erträumten. Es wird sich nach einer Weile wie normales Leben anfühlen, nicht wie ein ganz anderes neues Leben. Das Leben wird nicht besser sein, niemals, bis Sie aufhören, nach einem besseren Leben zu streben und realisieren, dass das Leben bereits großartig ist.

Dieses Leben, jetzt in diesem Moment, ist bereits perfekt! Genießen Sie es – und vergessen Sie Ihre Ziele. Sie zu erreichen wird nicht besser sein als das Leben, das im Moment da ist – in diesem Moment.

Manchmal werde ich gefragt: „Und was ist, wenn ich nichts von dem habe, was ich will?“ Nun, hören Sie auf, diese Dinge anzustreben. Sie sind nicht besser als das, was Sie bereits haben – nämlich jenes lächerliche Geschehen namens Leben.

 

Wo ist mein traumpartner?

So viele Menschen warten auf den Traumpartner, den perfekten Menschen, der Sie liebt, Ihr Leben perfekt macht.

Dieser Mensch mag auftauchen oder nicht, aber die Tragödie ist nicht, das Sie Mr. oder Mrs. Perfekt haben oder nicht – das Tragische ist, dass Sie auf das Glück warten.

Sie brauchen keinen anderen Menschen, der Sie liebt, der Sie vollständig macht, glücklich macht. Dieser Mensch ist bereits da – es sind Sie selbst.

Sie sind Ihre beste Gesellschaft, Sie sind der Mensch, der Sie bedingungslos lieben kann. Sie brauchen nur aufzuhören, auf den Traumpartner zu warten und auf sich selbst zu schauen. Nehmen Sie sich einfach wirklich wahr. Akzeptieren Sie sich. Lieben Sie sich, so wie Sie sind, ohne zu wünschen, dass Sie anders wären.

Vielleicht brauchen Sie dazu ein paar Versuche, am besten, Sie probieren es gleich jetzt auf. Es kann sein, dass Sie selbst der Traumpartner Ihres Lebens sind, auf den Sie warten.

 

Drei Dinge können Sie heute tun.

Wie hört man auf, auf gute Dinge zu warten? Drei Dinge, die Sie heute gleich tun können:

  1. Machen Sie langsam. Sich beeilen bedeutet, dass Sie das versäumen, was da ist.
  2. Werden Sie achtsam. Schauen Sie auf das, was um Sie herum ist. Schauen Sie auf sich selbst – wie liebenswert Sie sind. Wenn Sie das nicht finden, schauen Sie sorgfältiger.
  3. Lächeln Sie.


Mein Fazit:

weg_ins_glück_xs_lassedesignen - FotoliaDieser Artikel stammt von meinem Lieblings-Blogger Leo Babauta. Seine Sicht ist natürlich extrem und auch er hat sicherlich Ziele, die er konsequent verfolgt. Aber es geht ja gar nicht darum, keine Ziele zu verfolgen.

Es geht darum, nicht auf das Glück zu warten. In den Worten des Buddha klingt das so: „Es gibt keinen Weg zum Glücklichsein. Glücklich sein ist der Weg.“

Wir haben das ja alle schon erlebt. Die Vorfreude ist fast immer größer als die Wirkung des Erlebnisses hinterher. Wir überschätzen in der Regel den Effekt, den das Erreichen eines Ziels auf uns gefühlsmäßig hat.

Sie haben ein neues Auto bestellt, den neuen Bluray-Fernseher, das neue Supersize-Bett, die tolle Urlaubsreise. Der erste Moment, wo Sie das ersehnte in Händen halten oder erleben ist phantastisch. Und vier Wochen später ist es Teil Ihres normalen Lebens – und sie fühlen sich wieder so wie immer.

Diese Ernüchterung auszuhalten ist nicht einfach, wenn man nicht das Leben selbst als das „beste Produkt“, das es zu bestellen gibt, würdigt. Und viele Menschen geraten deshalb in einen Kreislauf des Wünschens, Hoffens und Enttäuschtwerdens – wie ein Süchtiger nach dem nächsten Schuß.

Irreführend ist also nicht das Setzen und Erreichen von Zielen, sondern die Hoffnung, die wir daran knüpfen. Wenn wir darüber vergessen, das zu leben und zu genießen, was bereits da ist – vor dem Erreichen unserer Ziele.

 

kommentar Wie geht’s Ihnen beim Warten?

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Foto: © HappyAlex, lassedesignen  – Fotolia.com, istock.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

16 Kommentare

  1. Ein sehr schöner Artikel, der genau meine momentane Situation beschreibt. Viele Pläne und Wünsche haben sich nicht erfüllt – das Leben schreibt seinen eigenen Lebensplan. Und trotzdem hatte und habe ich ein gutes Leben und bin dankbar dafür.

    Nicht am alten festhalten, sondern schauen, welches ist im Moment der richtige Weg für mich. Ein Prozess, der verarbeitet werden muss – auch Trauer darf sein. Das braucht Zeit. Bis man merkt, das etwas Neues vielleicht viel mehr den eigenen Bedürfnissen entspricht.
    An diesem Punkt bin ich gerade und genieße das Leben.

    Liebe Grüße
    Gerda Hoffmann

  2. Rebecca sagt

    Ja alles wird Teil des normalen Lebens… Man merkt es auch wenn man Mutter wird… Das baby ist endlich da man spürt es nicht mehr nur im bauch sondern man kann es riechen hören sehen die haut spüren alles ist so neu so schön die Gefühle fahren vor Glück Achterbahn Euphorie Liebe Glück riesiger stolz Faszination alles kommt zusammen… Und nach den ersten Wochen hat sich alles eingespielt.

  3. Michael Homeyer sagt

    Hallo Herr Kopp, Zustimmung: „Wenn wir darüber (Hoffnung, die wir an das Setzen und Erreichen von Zielen knüpfen) vergessen, das zu leben und zu genießen, was bereits da ist – vor dem Erreichen unserer Ziele.“

    Milton Erickson hat das aus Sicht seiner persönlichen Erfahrung in seiner Geschichte „Über und Sterben“ erzählt (Rosen 2011:Die Lehrgeschichten von M.H. Erickson, iskopress). Zum Schluß rät er seinem Studenten: „Mein Vater und meine Mutter haben das Leben immer in vollen Zügen genossen und ich habe versucht, meinen Patienten einzuschärfen ‚Genieße das leben und genieße es gründlich‘. Und je mehr Humor du in deinem Leben aufbringen kanns, desto besser für dich. Und er ergänzt: Ich weiß nicht, woher der Student den Eindruck hatte, dass ich sterben werde. Ich werde es noch aufschieben.“

    Und Rosen, sein Biograf kommentiert:“ Was aufschieben? Das Sterben? Oder den Gedanken des Studenten? ;-))

  4. Paradox sagt

    gern geschehen 🙂

    PS: das Buch, welches nahe der Mitte erwähnt wird, gibt es nach meinen Kenntnisstand nur in französischer Sprache 🙁
    Und das ist bei mir „größer“ als rudimentär vorhanden….

  5. Paradox sagt

    Ich empfehle zum Thema „Warten“ die gestrige Sendung auf Arte: „Philosophie“
    Zu Gast war der Philosoph und Metaphysiker Nicolas Grimaldi, der unter verschiedenen Aspekten das „Warten“ beleuchtet. Wer die Sendung nachträglich sehen möchte hier der link:
    http://www.arte.tv/de/warten-nicolas-grimaldi-ist-zu-gast-bei-raphael-enthoven-in-philosophie/2235124,CmC=6968172.html

    Leider konnte ich selbst den Ausführungen schlecht folgen, was ich jedoch nachholen werde.

    Sehenswert meines Erachtens allein deswegen schon, da sich ein neues Bewußtstein dem Warten gegenüber entfaltet und das in nur knapp 25min 🙂

  6. Meine Lebensphilosophie lautet mittlerweile: Alles in Maßen bzw. im rechten Maß.
    Beides ist gut: Ziele haben UND das Jetzt genießen können – und ja, sogar die Vergangenheit zu würdigen wissen, denn die hat uns zu dem gemacht, der oder die wir sind. Aber eben nicht IMMER.

    Zum Warten: De erlebe ich auch immer mehr Kunden, die warten auf das GROßE Glück, auf irgendwas Spektakuläres, auch was Ziele angeht, erst wenn sie „für was brennen würden“, dann wüssten sie, dass das das „richtige“ Ziel, der richtige Partner, das richtige LEBEN!! ist.

    Da habe ich grad vorgestern jemanden mit einer paradoxen Intervention aus der Wartezone rausgeholt: „Ich finde auch, Sie sollten so weitermachen wie bisher und warten. Das kann natürlich bis zu Ihrem Tod so gehen. Aber egal, Hauptsache Sie warten! Grabspruch: „Er wartete sich zu Tode!“ Fand er total witzig. Geht natürlich nur bei Kunden, wo frau weiß, dass das auch Wirkung zeigen kann und das Gegenüber das Komische oder Tragische daran rafft.

    Viele Wege führen zur Lebenszufriedenheit. Danke, dass Sie mit diesem Artikel wieder an den des „Im Hier und Jetztl leben“ erinnert haben.
    Herzliche Grüße

  7. Hallo Gabriele,
    kein Ziel zu haben, heißt nicht, sich nicht zu bewegen. Sie können spazieren gehen mit und ohne Ziel. Es kommt darauf, etwas zu tun, was man möchte, ohne das Ziel so zu fokussieren, dass alles drumherum verblasst.

  8. Gabriele sagt

    Ich bin vor einiger Zeit quasi ausgestiegen. Einige unerwartete Ereignisse, die es zu verarbeiten galt, waren der Auslöser. Für mich war es ein Wink des Schicksals. Den Weg zu mir selber finden war meine Intention. Ein konkretes Ziel hatte ich nie. Ihr Artikel beruhigt mich daher.
    Generell sagt man, kein Ziel macht bewegungslos. Ich lebe jetzt auch zurückgezogener.
    Besteht keine Gefahr?

  9. Hallo Herr Moller,
    ja , etliche der Artikel von Leo Babauta verdienen es, auch nicht englischsprachigen Menschen zuzuführen. Er hat ja das Copyright für seine Blogartikel hergegeben, deshalb gibt es da auch keinen Ärger.

  10. Ich kannte den Artikel schon, da Leo auch einer meiner Lieblingsblogger ist. Aber: so gute Artikel können mir auch gerne zweimal (oder öfter) begegnen.

    Danke, dass Sie ihn ins Deutsche übertragen haben, damit wird er für noch mehr Leser zugänglich.

  11. Stimmt, viele Menschen können sich ein Leben ohne “Sich-Beeilen” und “Ziele-Erreichen” kaum vorstellen. Es ist ja auch zu einer gesellschaftlichen Einstellung geworden. Immer „höher, schneller, weiter“. Ein gutes Vorbild ist für mich immer die Natur. Weder beeilt sie sich, noch will sie krampfhaft ein Ziel erreichen. Statt dessen spielt sie herum mit Möglichkeiten. Dieses Prinzip funktioniert seit Millionen von Jahren.

    Danke für Ihren Kommentar.

  12. Sehr erfrischend geschrieben, vielen Dank. The „Power of Now“, das Leben im Hier und Jetzt. Nichts wirklich Neues, aber immer wieder schön, daran erinnert zu werden, die Aufmerksamkeit zurück ins Jetzt zu holen.

    Wie schwierig diese Aufgabe ist, zeigt einfach nur, wie tief das „Sich-Beeilen“ und „Ziele-Erreichen“ uns eingeprägt wurde.

    Liebe Grüße
    Carsten

  13. Alexander Schwarz sagt

    Spannend… Anfang September hat Leo einen Artikel veröffentlicht, der diesen Gedanken aus meiner Sicht gut ergänzt. – Es ging um „Full-Screen-Living“ …

    Aussage 1: Statt am Computer auf zwei Bildschirmen 5 Fenster gleichzeitig im Blick zu haben und daneben noch diverse Signale in der Systemleiste, schalte die eine Anwendung, mit der du dich gerade befasst, in den Fullscreen-Modus, ohne Ablenkungen.

    Aussage 2: Wäre es nicht cool, dieses Prinzip auf den Rest deines Lebens zu übertragen? Und, egal ob du gerade in einem Meeting sitzt, spülst oder im Stau stehst, einfach genau das zu tun?

    LG, Alex

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