Warum Persönlichkeitsseminare nichts für Feiglinge sind.

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männer mit socken
In den Führungsetagen der Wirtschaft sind Persönlichkeitsseminare ja mittlerweile angekommen. Dazu haben Seminaranbieter wie Comteam, Janus, (für beide habe ich mal gearbeitet) Management Circle u.v.a. beigetragen.

Nur in der Politik nicht. Zwar erfährt man zuweilen, dass einige auch schon mal bei einem Coach waren, aber meistens, um ihre rhetorischen Fähigkeiten und ihre Fernsehtauglichkeit zu optimieren.

Aber bei einem Persönlichkeitsseminar gewesen? Undenkbar.

Schwul darf man ja mittlerweile sein. Meditieren geht auch noch. Aber doch bitte nicht an der Psyche rumschrauben.

Ich verstehe das. Persönlichkeitsseminare können nämlich ganz schön gefährlich sein. Weswegen ja Seehofer & Co. sowas nie machen würden. Aber dazu später. Immer wieder bekomme ich via Mail Fragen zu meinen Persönlichkeitsseminaren. Die häufigsten habe ich hier mal zusammengestellt.

Wer braucht ein Persönlichkeitsseminar?

Ganz klar: niemand.

Die eigene Persönlichkeit entwickeln oder zu reflektieren ist kein Grundbedürfnis. Auch kein unbedingt gesellschaftlich gewünschtes Verhalten. Sonst würde es an den Schulen gelehrt und Krankenkassen würden die Kosten für Selbsterfahrungskurse ersetzen.

Ein Persönlichkeitsseminar besucht jemand, weil er ahnt oder befürchtet, dass sein Verhalten, mit dem er unzufrieden ist, auch etwas mit ihm selber zu tun hat. Weil er schon länger vergeblich versucht hat, die Schuld dafür den Umständen, dem Partner, der Firma oder der Gesellschaft zuzuschieben.

Wie bei den Anonymen Alkoholikern ist also der erste Schritt der schwerste. Sich auf einen Stuhl zu setzen und in die Runde zu sagen: „Ich heiße Peter und ich bin am Ende mit meinem Latein.“

So sagt das man natürlich nicht in einem entsprechenden Seminar. Da käme ja keiner. Aber sich das einzugestehen ist die erste große Hürde. Zuzugeben, dass man nicht weiter weiß. Und dass man die Situation aber auch nicht akzeptieren oder laufen lassen kann.

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https://www.youtube.com/watch?v=OfV4ktZmjN8

 

Was passiert in einem Persönlichkeitsseminar?

Kommt darauf an, wer es leitet.

In 90 Prozent der Fälle sehen Sie vorne einen Beamer und jemand, der „Herzlich willkommen!“ sagt. Und der dann über verschiedene Begriffe, Modelle oder Sprüche informiert, von denen man meist schon mal gehört oder gelesen hat:

  • 4-Ohren-Modell
  • NLP
  • Wer fragt, der führt.
  • Eisberg-Modell
  • Aktives Zuhören
  • Du kannst alles erreichen!
  • Gewaltlose Kommunikation
  • Mythos Motivation
  • Eisenhower-Quadrat und Pareto-Regel

Alles wichtige Modelle und Werkzeuge. Doch die kann man ja auch überall nachlesen. Dafür muss man kein teures Seminar besuchen. Aber der Trainer erklärt einem das alles nochmal. Mit schönen Geschichten aus seinem Leben, weil er das im Storytelling-Workshop so gelernt hat. Ganz wichtig sind tolle Powerpoint-Folien, auf denen die wichtigsten Aussagen noch mal stehen.

Also ein Seminar mit betreutem Lesen.

Dann gibt’s eine Übung in Kleingruppen. Hinterher wird das in der Großgruppe ausgetauscht und diskutiert. Vielleicht gibt’s Rollenspiele. Ganz professionelle packen jetzt auch die Videokamera aus und treiben einige Teilnehmer in die erste Panikattacke ihres Lebens.

Wollte man früher seine Persönlichkeit weiter entwickeln musste man an einem Feuerlaufseminar teilnehmen. Das war jahrzehntelang der Renner. Heute darf man gemeinsam ein Floß bauen oder im Hochseilgarten auf dünnen Tauen balancieren. Und wenn man dann den Chef am Sicherungsseil hält, ist das gut für’s Teambuilding.

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Macht das jetzt Sinn oder sind das Alibimaßnahmen?

Der Grund für diese Vielfalt: „Persönlichkeitsseminar“ ist genauso wie „Business-Coach“ kein geschützter Titel.

Kann sich jeder nennen. Kann jeder veranstalten. Also zum Beispiel auch Uli Hoeneß, wenn er mal beim FC Bayern nicht mehr Präsident ist. Er könnte dann Seminare anbieten zum Thema „Knete, Knast und wie geht’s weiter?“ Für Menschen, die auch mal tief gefallen sind und einen Neuanfang suchen.

Denn am überzeugendsten sind Trainer ja immer dann, wenn Sie ihr Seminarthema selbst erlebt oder noch besser erlitten haben. Diätanleitungen von Frauen mit Kleidergröße 38 sind weniger überzeugend als wenn die Fettlöserin berichtet, wie sie es auf 170 Kilo Körpergewicht schaffte. Zum Verständnis: sie kam von 340 Kilo.

Also, zum Glück kann jeder Coach sein. Oder eine Business-Coach-Ausbildung anbieten. Wer lieber Fußpfleger werden will, hat da viel strengere Kriterien zu beachten. Find ich gut.

Andernfalls hätten wir ja nur staatlich geprüfte Persönlichkeitstrainer. Mit dreijähriger Ausbildung, einer strengen Abschlussprüfung und einem TÜV-Siegel für die Website. Die bunte Vielfalt ist mir da doch lieber. Der Markt regelt das schon.


Wie wirkt ein Persönlichkeitsseminar?

Oft leider gar nicht.

Nicht weil der Trainer schlecht war oder die Teilnehmer nicht aufgepasst hätten. Sondern weil zu wenige wissen, wie Veränderung bei Menschen überhaupt passiert.

Sonst sähe ja der Unterricht in unseren Schulen ganz anders aus. Oder man würde sich die doofen Warnungen auf den Zigarettenschachteln sparen.

Aber die meisten Verantwortlichen (das geht jetzt gegen Bildungs- und Gesundheitsminister), die andere zu etwas bringen wollen, glauben immer noch an drei magische Werkzeuge:

  1. Aufklärung oder Belehrung
  2. Drohung oder Bestrafung
  3. Das Konzept des Leidensdruck

Das Schlechte daran: diese drei magischen Werkzeuge wirken.

Bei jedem. Wenn auch nicht immer. Wer höllische Zahnschmerzen hat, schaut nicht erst im Internet nach, was das sein könnte. Sondern macht schleunigst einen Notfalltermin.

Aber diese Werkzeuge wirken auch oft nicht.

Denn Menschen wollen selten belehrt werden. Sie wollen sich lieber selbst informieren oder was lernen – und vielleicht dabei angeleitet werden.

Drohungen wirken nur, wenn man die Bestrafung befürchtet.

Und Leidensdruck als Veränderungsmotivation taugt auch oft nicht. Weil viele Menschen das Leiden, begleitet vom unausweichlichen Jammern über die Situation, dem Verändern vorziehen.


Wann wirken also Persönlichkeitsseminare?

Ganz klar: nur wenn sie die Emotionen berühren.

Ein packender Film oder ein bewegender Roman haben die Kraft, unser Leben zu ändern. Nicht wegen der darin enthaltenen Information. Sondern wegen der Geschichte, die hoffentlich heftig unsere Emotionen triggert.

Weil wir uns vielleicht in dem Erzählten selbst erkennen mit unseren Ängsten und unseren Hoffnungen. Und im Film oder dem Roman die Hauptperson sich plötzlich auf den Weg macht. Eine Lösung sucht – und bei einem Happyend auch findet.

Die reine Information ist dagegen ist immer schnell erzählt aber wenig ergiebig:

  • Erfolgloser Boxer darf gegen den Champion kämpfen. Gewinnt den Kampf und das Herz seiner Freundin. (Die Story von „Rocky“)
  • Prostituierte trifft gelangweilten Millionär. Verlieben sich. Beide ändern ihr Leben. (Das ist der Plot von „Pretty Woman“)
  • Fernsehstar hat die Faxen dicke und wandert ein paar Wochen. Ärgert sich viel unterwegs, freundet sich aber auch mit zwei Damen an.
    (Das ist die Kurzform von „Ich bin dann mal weg“)

Sie sehen: es ist nie nur die Geschichte, sondern immer die Art und Weise, wie sie erzählt wird, die etwas in uns zum Klingen bringt.

Dasselbe gilt für Seminare zur Entwicklung der Persönlichkeit. Feuerlaufen war über lange Jahre so ein Boom, weil dort Menschen mindestens drei Dinge über sich gelernt haben:

  1. Ich kann etwas schaffen, obwohl ich mir vor Angst in die Hosen mache.
    (Was könnte ich noch tun, wenn ich mich nicht von meiner Angst lähmen lasse?)
  2. Ich kann Dinge erreichen, die ich eigentlich für unmöglich gehalten habe. (Mit nackten Füßen über glühende Kohlen laufen? Nä, oder?)
  3. Die Gemeinschaft von Menschen verleiht mir ungeahnte Kräfte.
    (Feuerlaufen im Einzelunterricht hätte nicht geklappt.)

Die physikalische Erklärung, warum Feuerlauf ungefährlich ist, bewirkt nichts. Jedenfalls nicht, dass die Angst verschwindet. („Ach so ist das! Dann mache ich das auch.“) Es ist der hochemotionale Kontext, der fast jeden, der das will, befähigt, im wahrsten Sinn da durchzugehen.

Denn an rein sachlicher Information ist unser Gehirn nicht sonderlich interessiert. Deswegen ist ja auch der Schulstoff so schwer in die Köpfe unserer Kinder reinzukriegen.

Wenn es ein Lehrer schafft, eine starke Beziehung aufzubauen (wie in Fack Ju Göhte) kann es gelingen, was Druck und viele Appelle nicht vermochten. Und außerdem: Jugendliche lernen von allein, wie man ein Smartphone bedient und mit zwei Daumen rasend schnell Texte tippt – ganz ohne Aufforderung und Nachhilfe! Wegen der positiven Gefühle dabei.

Und bei Erwachsenen ist es genauso. Einsicht verändert nichts. Emotionen erhöhen aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir etwas Neues lernen.

Warum Emotionen beim Persönlichkeits-Coaching so wichtig sind, habe ich hier mal in einem Fachartikel beschrieben.


Was braucht es noch zur Veränderung?

Ein Antibiotikum soll man so lange nehmen, wie es der Arzt vorgeschrieben hat. Kindern muss man viele Wochen beibringen, dass abends Zähneputzen angesagt ist. Wer mit Joggen angefangen hat, muss es viele Wochen durchhalten, bis der Spaß an der Bewegung größer ist als die Schmerzen im Knie.

Zur Veränderung braucht es also Ausdauer.

Nicht weil wir doof sind, sondern weil unser Gehirn faul ist. Es lernt nicht gern Neues. Es ist grüner als Renate Künast und will immer Energie sparen. Und etwas Neues zu lernen, sich einzuprägen, daran zu denken – kostet einfach viel Energie.

Man muss also dranbleiben.

Möglichst jeden Tag. Jede Unterbrechung im Wiederholen des neuen Verhaltens schwächt die Kette. Weil der Aufbau einer neuronalen Spur im Gehirn unterbrochen wird anstatt verstärkt.


Wie findet man ein gutes Persönlichkeitsseminar?

Hmm, ähnlich, wie man man einen guten Zahnarzt findet.

Wahrscheinlich nicht durch wahlloses Suchen im Internet. Und beim Hängenbleiben auf der Seite mit den schönsten Bildern.

Einen guten Coach oder ein Training für mehr Selbstbewusstsein findet man oft am besten durch Empfehlungen. So wie Amazon das mit seinen Angeboten macht. Vielleicht sind ein paar gefälschte Rezensionen dabei. Aber die meisten deuten in die richtige Richtung. Also rumfragen, sich informieren, in der Personalabteilung nachhören. Leute, die man als Vorbild hat, fragen, wer oder was ihnen geholfen hat, diesen Weg zu gehen.

Letztlich müssen Sie sowieso Ihrem Gefühl und ihrer Intuition vertrauen. Da hilft auch die Latte der absolvierten Ausbildungen nichts, die Sie durchlesen.

Sie müssen also spüren, wer Ihnen sympathisch und vertrauensvoll vorkommt. Und wem Sie Kompetenz zutrauen. Weil das, was er/sie schreibt, Sie rational aber vor allem emotional anspricht.


Haben Persönlichkeitsseminare auch Nebenwirkungen?

Ja klar. Alles was wirkt, hat Nebenwirkungen. Meistens unerwünschte.

Das ist ja auch der Grund, warum viele Chefs oder Führungskräfte nie an einem solchen Seminar teilnehmen werden. Vor allem die nicht, die es am dringendsten nötig hätten.

Denn nach einem guten Seminar geht man anders raus als rein.

Meist hat man nämlich herausgefunden, warum man an bestimmten Verhaltensweisen so festhängt. Sich bis jetzt nicht anders verhalten konnte. Obwohl man damit auf Dauer gesehen nichts bewirkte oder sogar schmählich verlor. Und sich wichtige Menschen von einem abwenden. Oder anfangen, mitleidig zu lächeln.

Diese Ergebnisse schaffen aber keine Coaching-Seminare, die nur Theorien und Tipps anbieten. Denn auch unerwünschte oder „negative“ Verhaltensweisen haben ihren Sinn. Wenn man erst einmal den dahinter liegenden Kontext entdeckt hat, in dem diese Verhaltensweisen enorm wichtig waren. Oft überlebenswichtig.

Das wird aber erst durch das Reflektieren der eigenen Geschichte möglich.

  • Weil man zum Beispiel verstanden hat, warum der Hunger nach Wichtigkeit erlebte Kränkungen von früher nicht heilen kann. Weshalb man krankhaft nach immer mehr Bestätigung giert.
  • Weil man erschreckt feststellt, dass der Hunger nach Aufmerksamkeit und Anerkennung nicht von außen gestillt werden kann.
  • Weil man schmerzlich begreift, dass der Hunger nach Macht vergeblich versucht, die Angst vor der einstmal erlebten Ohnmacht zu kaschieren.

In guten Persönlichkeitsseminaren geht es um diese menschlichen Motive. Weil jeder von uns damit ringt. Und wir niemals damit ganz fertig sind.


Ich auch nicht.

Ich schreibe hier so engagiert, weil ich auch viel Zeit und viel Geld in Seminare investiert habe, die vergleichsweise wenig gebracht haben.

Okay, man kann aus allem lernen aber dafür muss ich nicht 800 Euro am Tag zahlen, sondern spreche lieber mit meiner lebenserfahrenen Oma.

Ich habe auch selbst zwanzig Jahre lang Methodenseminare selbst geleitet. Sie wissen schon: „In 2 Tagen besser kommunizieren/verkaufen/verhandeln etc. lernen“. Solche Seminare gibt’s ja auch heute noch zuhauf. Aber nicht von mir.

Denn vor etwa 10 Jahren wurde mir bewusst, wie wenig Teilnehmer aus einem solchen Seminar davon in der Praxis umsetzen. Nicht dass sie das nicht vorhatten. Aber Sie wissen ja jetzt: das Gehirn ist faul.

Und wenn man nicht ganz arg aufpasst, lotst einen das Gehirn schnell wieder auf die gewohnten Trampelpfade des alten Verhaltens. Einfach weil Sie sich da auskennen.

Wenn Sie jetzt wissen wollen, wie anders Persönlichkeitsseminare aussehen können – schauen Sie auf meine Website.

 

Dieser Artikel ist Teil der Blogparade zum Thema aktive Persönlichkeitsentwicklung von Quality Lifestyle, dem Dienstleister für Personal Coaching in Köln“

 

kommentar Wie sind Ihre Erfahrungen mit Persönlichkeitseminaren?

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Photo credit: Pop!Tech via Foter.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.