Was Sie nicht zugeben, können Sie nicht ändern.

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Emotionale Intelligenz / Persönlichkeit

Über den klugen Umgang mit Ängsten.

Letzte Woche volle Tage in meiner Praxis. Eine Erkenntnis, die sich durch die Tage zog, war, dass manche Menschen etwas Offensichtliches leugnen, um sich selbst nicht mit einer unangenehmen Wahrheit zu konfrontieren.

  • Ein Ehepaar, bei dem die Frau auf die detaillierten Beschwerden Ihres Mannes stereotyp mit dem Kopf schüttelte und hinterher ihre Version darstellte. Teilweise konnte man sich nicht einigen, wie lange ein Urlaub letztes Jahr war (zwei oder drei Wochen).
  • Eine Mann mit starken psychosomatischen Beschwerden, wurde bis zu seinem 16. Lebensjahr von seinem Vater regelmäßig geschlagen und hält daran fest, dass er sich das wahrscheinlich alles einbildet.
  • Eine Führungskraft beklagt sich bitter im Coaching , dass sie in vier Jahren bei drei Firmen nicht die  Probezeit überstand. Man habe ihn völlig falsch eingeschätzt und ihm keine Zeit gegeben, seine Fähigkeiten zu zeigen.
  • Eine Klientin mit Panikattacken, erfolgreiche Abteilungsleiterin, die sich jedoch gegenüber Kunden und Mitarbeitern minderwertig fühlt, weil sie nicht studiert hat. Eine Bereichsleiterin will wissen, warum sie bei ihren Ausführungen in Meetings immer sofort von Männern unterbrochen werde. Da zeigten sich doch die männlichen Seilschaften und eine Frauenquote würde daran nichts ändern.
  • Dazu passt auch: Ein ehemaliger Verteidigungsminister, der damals zurück trat, erklärt im Untersuchungsausschuss, er habe – im Nachhinein betrachtet – alles richtig gemacht.

Bei all diesen Beispielen spielen psychische Abwehrmechanismen eine wichtige Rolle, wie ich sie in einem früheren Beitrag ausführlich beschrieben habe. Abwehrmechanismen sind ein Versuch der Selbststeuerung und Gefühlsregulierung. Sie werden in reifere (z. B. Verdrängung) und unreifere (z. B. Spaltung) unterteilt. Jeder von uns bedient sich ihrer öfters, denn sie sind die Voraussetzung zur Bewältigung unbewusster psychischer Konflikte.

Ziel einer Veränderungsarbeit ist jedoch, solche inneren Konflikte durch eine bewusstere Problembewältigung bzw. Konfliktverarbeitung zu lösen, denn Abwehrmechanismen lösen den inneren Konflikt nicht, sondern – wie der Name sagt – sie wehren ihn ab. Die Arbeit an diesen Widerständen, mit denen der Klient sich schützt, ist anstrengend – für beide Seiten.Wichtig auf meiner Seite ist dabei eine akzeptierende Haltung. Jeder Druck durch heftiges Überzeugen-Wollen oder indirekter durch offenes oder verstecktes Abwerten des anderen sind kontraproduktiv. Psychotherapie oder Coaching sind ja keine moderne Besserungsanstalt. Sondern beides ist vor allem ein freier Raum, wo jemand alles berichten kann, was ihn plagt und sicher sein kann, dass ich es mir nur anhöre. Auch nicht zu verändern suche.

Diese Haltung des Nicht-Verändern-Wollens ist zentral. Denn der Klient kommt ja meistens mit dem Wunsch des Veränderns. Ich soll diese Angst wegmachen. Er will diese schrecklichen Gefühle loswerden. Doch Psychotherapie oder Coaching folgt nicht dem medizinischen Modell der Veränderung. Der Arzt kann etwas herausschneiden, wegoperieren, behandeln.

Im seelischen Bereich, wenn ich mal die medikamentöse Behandlung ausklammere, die zuweilen notwendig ist, geht es um das Aufdecken, Verstehen und Verarbeiten von inneren Konflikten. Jedes Verhalten macht da erst mal Sinn, wenn es auch dem Betreffenden völlig sinnlos erscheint. Auch „unsinnige“ Verhaltensweisen können als sinnvolle Strategien betrachtet werden, die einmal notwendig für das eigene physische und psychische Überleben waren. Herauszufinden ist nun, wann und wo diese Strategie einmal sinnvoll war und warum der Klient heute noch so krampfhaft daran festhält.

Meist geht es dabei heute um das Selbstbild, also das Bild, das wir wollen, dass uns andere so sehen. Das soll natürlich möglichst gut und fleckenlos sein. Doch alle Menschen haben Fehler, böse oder schlechte Seiten. Und jetzt kommt die Überschrift dieses Beitrags ins Spiel. Wenn andere mir etwas sagen, was ich mit meinem Selbstbild nicht vereinen kann oder will, muss ich es abwehren.

Das ist menschlich, führt aber nicht weiter. Was Sie nicht zugeben, können Sie nicht ändern. Und vor allem den anderen überzeugen Sie damit selten, wenn Sie das Unangenehme verdrängen, leugnen oder woanders hin projizieren.

Wie können Sie nun konkret etwas verändern?

Nach meiner Erfahrung ist es notwendig, die Angst dahinter und den zugrunde liegenden Konflikt kennenzulernen. Das ist wie gesagt, nicht leicht, denn der Betreffende wird meist erst einmal vehement abstreiten, dass a) das Ganze etwas mit ihm zu  tun hat, b) er überhaupt eine Angst hat und c) es da einen Konflikt gibt. Gutes Zureden, vernünftige Argumente etc. sind nutzlos. Der andere wird gute Gegenargumente, wortreiche Erklärungen bieten, wütend werden oder resignierend verstummen.

Deshalb halte ich viel von Experimenten, mit denen derjenige etwas bei sich untersuchen kann. Das Experiment ist manchmal nur ein Satz, den ich denjenigen bitte, zu sagen – aber in Achtsamkeit (wie in meinem Buch ausführlich beschrieben). Manchmal lasse ich mir aber auch Experimente einfallen, die der Klient in der Realität ausführen soll. Dabei ist schon das Nennen des Experiments so aufregend, dass der Mensch merkt, dass das Gesagte den inneren Konflikt berührt.

Bezogen auf einiger der obigen Beispiele sieht das so aus:

  • Den Mann, der bei den Schilderungen seiner Frau immer mit dem Kopf schüttelte, fragte ich: „Angenommen, nur mal angenommen, Ihre Frau hätte mit nur zwanzig Prozent ihrer Aussagen Recht – was würde das für Sie bedeuten?“
    Der Mann dachte kurz nach und antwortete: „Das würde bedeuten, dass ich ein schlechter Ehemann wäre und sie nicht liebte – und beides stimmt nicht.“
    Schwupps, da war der innere Konflikt auf dem Tisch. Und ihm wurde etwas klarer, warum er sich die Kritik seiner Frau nicht in Ruhe anhören, sondern vehement abwehren musste.
  • Die dreimal in der Probezeit gekündigte Führungskraft fragte ich: „Können Sie sich vorstellen, dass das auch etwas mit Ihnen zu tun haben könnte?“ Der Mann verneinte heftig und verwies stattdessen auf seine erstklassigen Ausbildungen und Diplome. Als ich etwas provokativ sagte, dass die drei Firmen also einen kapitalen Fehler gemacht hätten und seine überragenden Fähigkeiten nicht erkannten und das sicher mal bereuen würden, antwortete er erleichtert: „Genauso ist es!“
    Manche Menschen ziehen eben das Träumen und Rechthaben vor anstatt dem Feedback anderer Menschen eine Chance zu geben. Ich erzähle dann manchmal die Fabel vom dem Affen im Zoo, der träumte, dass er ein mächtiger Löwe sei und sich auch so verhielt. Lief, guckte und brüllte wie ein Löwe. Dumm nur, dass ihm die Zoobesucher immer nur Bananen und Erdnüsse gaben.
  • Dem Mann, der seine Prügelerinnerungen für Hirngespinste hielt, schlug ich vor, sich jeden Tag nur eine Minute vorzustellen, dass sein Vater das tatsächlich getan haben könnte. Der Klient ließ sich darauf ein und kam ziemlich verstört zur nächsten Sitzung. Ihm war klar geworden, wie viel Angst er noch hatte, dass der Vater, der mittlerweile 85 Jahre alt war und in einem Pflegeheim lebte, zurückkommen könnte. Er spürte aber auch, welche ungeheure Wut tief unten in ihm selbst schlummerte und noch nicht heraus durfte.
  • Bei der Klientin, die ihren Selbstwert von einem Studium abhängig machte, kam mir eine völlig verrückte Idee, die ich ich verriet: „Ich stelle mir gerade vor, Sie würden ab morgen einen Button tragen auf dem steht: ‚Ich habe nicht studiert‘.“ Zu meiner Verblüffung fing die Frau zu lachen an prustete: „Das mach ich!“ Nach einer Weile zögerte sie: „Und wenn mich jemand fragt, was das soll?“ Dann empfahl ich, sie solle sagen, dass es einfach ein Experiment wäre.
  • Wenn Sie Ihren eigenen inneren Konflikten auf die Spur kommen wollen, kann ich meine Persönlichkeitsseminare empfehlen. Die sind ziemlich intensiv aber wirken nachhaltig, wie Sie aus den Kommentaren hier lesen können.

Wozu brauchen wir Heilige?

Im öffentlichen Leben sieht man das Vertuschen und Verbergen ja allenthalben. Egal ob in der Politik oder im Wirtschaftsleben, es wird gelogen, getäuscht, geschmiert … Sicher fallen Ihnen ein paar Beispiele aus der letzten Zeit ein. Manchmal passiert auch etwas Unerwartetes. Jemand gibt ein Fehlverhalten zu und zieht daraus die Konsequenzen.

Wie jüngst Margot Käßmann, die nachdem sie betrunken Auto fuhr, erwischt wurde und von ihren Ämtern als EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischöfin zurück trat. Ich verstehe den Schritt aber ich finde ihn trotzdem nicht gut. Mir persönlich wäre ein hoher kirchlicher Würdenträger, der „nicht nur sein Gewissen erforscht“ sondern mal einen Fehler zugibt und im Amt bleibt, lieber.

Die Argumente im Fall Käßmann waren, sie könnte künftig keine Kritik mehr an gesellschaftlichen Mißständen üben, weil jeder Lokalreporter sie dann auf ihr eigenes Fehlverhalten verweisen würde. Wieso eigentlich? Warum ist es in einer demokratischen, sich aufgeklärt gebenden Gesellschaft scheinbar unmöglich, Fehler, die niemandem geschadet haben, zu machen, sie zuzugeben, daraus zu lernen und weiter sein Amt auszuüben?

Der Grund liegt in uns. Wir brauchen  Heilige. Menschen, die wir anbeten und idealisieren können, jedenfalls eine Zeit lang. Bis sie eben einen Fehler machen. Und dann stoßen wir sie erbarmungslos vom Thron und empören uns. Und das Spiel beginnt von Neuem.

Halten wir wirklich so wenige Ambivalenzen aus? Jeder von uns hat doch dunkle Seiten. Wer ist noch nicht angesäuselt Auto gefahren? Hat bei der Steuererklärung geschummelt? Etwas zum Schaden seiner Firma getan? Aber von „denen da oben“ fordern wir moralische Reinheit und makelloses Verhalten. Ich halte das für ein unerwachsenes, kindisches Verhalten. Als Kinder idealisieren wir auch unsere Eltern, bis wir dann mit der Zeit merken, dass es eben auch nur Menschen mit Stärken und Schwächen sind. Sinken Sie dann in unserer Achtung? Ja, ein Stück, aber das ist notwendig und hoffentlich eine gute Lehre fürs Leben.

„Was Sie nicht zugeben, können Sie nicht ändern“, lautet die Hypothese dieses Beitrags. Weil wir vorhin bei den kirchlichen Würdenträgern waren und dass deren angebliche Makellosigkeit auch Teil eines Systems ist, dass die Menschen eben in gute und böse Individuen aufteilt. Dass das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat, zeigen ja die aktuellen Mißbrauchsfälle in kirchlichen und pädagogischen Einrichtungen. Diese Fälle sind ja auch nur so lange möglich, weil ganz viele wegschauen. Weil es in das persönliche Weltbild von einem Direktor, einem Priester usw. nicht passt, dass diese eben nicht nur gut sind.

Hier kommt ein Experiment zu dem Thema, das Sie mal selbst ausprobieren können. Streng katholisch Gläubige will ich vorher aber auffordern, jetzt, diese Website zu schließen und nicht weiterzulesen. Ich möchte Ihre religiösen Gefühle nicht verletzen und das meine ich ernst. Ebenso möchte ich Leute warnen, die den Teufel immer noch in der Hölle verorten und es nicht aushalten, „teuflische“ also vor allem böse, aggressive oder sexuelle Seiten in sich anzuerkennen. Am besten, Sie schauen sich dieses Video und verlassen dann diesen Blog.

Also, hier kommt das Experiment.

Stellen Sie sich vor, der Papst würde in der kommenden Osteransprache statt des Segens „Urbi et orbi“ in verschiedenen Sprachen, den ja nun jeder zur Genüge kennt und der doch wenigen wirklich nützt, Folgendes sagen: „Zum Schluss noch etwas Persönliches. Ich habe lange damit gerungen, ob ich Euch, meinen Gläubigen, das Folgende zumuten kann. Auch habe ich mein Gewissen gründlichst erforscht und herausgekommen dabei ist, dass es tatsächlich stimmt – manchmal onaniere ich.“

Was passiert in Ihnen, wenn Sie das lesen?
Das Experiment ist ja nur für Sie bestimmt. Sie sollen dabei etwas über sich herausfinden.

Also mir ginge es so. Im ersten Moment wäre ich schockiert. Und dann – plötzlich würde mir Herr Benedikt sympathisch werden, ganz ehrlich. Ich würde denken: Wowww, ein Mensch! Da könnte er noch so viele farbige Kleidchen und Käppis tragen, ich würde denken, das ist ein Mann- und kein Papstdarsteller. Das ist ein Mann, der Mut hat und zu seiner Sache steht.

Okay, Ende der Utopie. Aber die spannende Überlegung ist doch, warum wird das nie geschehen? Weil der Papst sowas nicht macht oder weil all die katholischen Gläubigen glauben wollen, dass er sowas nicht macht. Würden noch mehr aus der Kirche austreten? Oder würden vielleicht auch Leute wieder eintreten?

Zurück zu Ihnen. Ängste löst man nicht auf, indem man sie ignoriert, mit Alkohol oder Medikamenten betäubt, sondern indem man sich ihnen stellt. Sie erst einmal vor sich selbst zugibt. Das erfordert eine Menge Mut. Ich weiß, wovon ich spreche, denn in meiner zehnjährigen Psychoanalyse bin ich vielen meiner Ängste begegnet.

Die gute Nachricht ist: es ist wie mit dem Gespenst im Schrank. Solange Sie den Schrank nicht aufmachen, erschrecken Sie bei jedem Geräusch. Gibt es es mal kein Geräusch im Zimmer, beruhigt Sie das aber auch nicht, ganz im Gegenteil. Es hilft nur eins: hingehen und die Schranktür aufmachen. Die gute Nachricht: fast nie ist wirklich ein Gespenst drin.

kommentar Wovor haben Sie Angst? Und wie gehen Sie damit um?

 

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o##Foto: © RT Images – Fotolia.com

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.