Zeit ist der Trick der Natur, damit nicht alles gleichzeitig passiert.

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Zeitmanagement

D as Thema “Zeit” hat mich schon immer interessiert. Obigen Spruch fand ich mal auf der Mensa-Toilette der Universität Heidelberg. Viele Jahre zuvor begegnete mir – ich glaube bei Tucholsky – die philosophische Frage: „Was macht der Wind, wenn er nicht weht?“
Hier im Urlaub auf Mallorca lese ich zum zweiten Mal das empfehlenswerte Buch von Robert Levine „Eine Landkarte der Zeit“. Darin untersucht er das Verhältnis der Menschen zum Thema Zeit in 31 verschiedenen Ländern und macht deutlich, wie das Zeitgefühl eines Kulturkreises tiefe Konsequenzen für das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden seiner Menschen hat.

Einige der für mich wichtigsten Erkenntnisse:

1. Je gesünder die Wirtschaft eines Ortes, desto höher sein Tempo.

Das gilt für alle Länder der Erde, interessanterweise aber auch für Bereiche innerhalb ein und derselben Stadt.

2. Je entwickelter ein Land ist, desto weniger freie Zeit bleibt pro Tag.

In meinen Zeitmanagement-Seminaren höre ich zuweilen die Klage eines Teilnehmers, dass der Tag einfach zu wenig Stunden habe. Einem Indio in Lateinamerika würde dieser Satz wohl ungläubiges Kopfschütteln entlocken.

3. Größere Städte haben ein schnelleres Tempo.

Dies wurde nachgewiesen, indem man die Gehgeschwindigkeit von Passanten in 25 Städten verschiedener Länder untersuchte und eine fast vollkommene Übereinstimmung fand zwischen der Einwohnerzahl und der Gehgeschwindigkeit. Und dies selbst in so unterschiedlichen Ländern wie Frankreich, Deutschland, Griechenland, Israel und den USA.

4. Heißere Orte haben ein langsameres Tempo.

Auch dieses Stereotyp untersuchte Levine in seiner 31-Länder-Studie – und es stimmt. Die “langsamsten” Völker – Mexiko, Brasilien und Indonesien – liegen in den Tropen.

Doch das Verhältnis zur Zeit wird nicht nur von äußeren Gegebenheiten bestimmt. Jeder Mensch hat auch sein eigenes Verhältnis zum Thema “Tempo”. Wenn Sie wissen wollen, wie schnell oder langsam Sie ‘ticken’, hier ein kleiner Test:

  • Ihr Interesse an der Uhrzeit:
    Wissen Sie oft im Verlauf des Tages, wie spät es ist? Schauen Sie oft auf die Uhr? Oder vergessen Sei manchmal die Zeit oder wissen nicht, was für ein Wochentag ist?
  • Ihr Redemuster:
    Sprechen Sei schneller als andere Menschen? Werden Sie ungeduldig, wenn jemand nicht gleich auf den Punkt kommt? Wie empfinden Sie Unterbrechungen?
  • Ihr Essverhalten:
    Wie schnell essen Sie? Sind Sie oft als erster fertig? Oder nehmen Sie sich Zeit bei den Mahlzeiten?
  • Ihre Gehgeschwindigkeit:
    Gehen Sie schneller als andere? Sind Sie in einer Gruppe meist vorneweg? Bittet man Sie öfter, langsamer zu gehen?
  • Ihr Fahrverhalten:
    Regt Sie zähfließender Verkehr auf? Drängen Sie andere auf der Autobahn durch Blinkzeichen oder Hupen – oder würden Sie es gerne tun?
  • Ihre Zeitpläne:
    Erstellen Sie gerne Zeitpläne To-Do-Listen und halten Sie sich genau daran? Sind Sie ein Pünktlichkeitsmensch?
  • Ihre nervöse Energie:
    Wackeln Sie, wenn Sie ruhig dasitzen, oft mit einem Bein? Werden Sie gereizt, wenn Sie eine Stunde herumsitzen müssen, ohne etwas zu tun?
  • Ihr Warteverhalten:
    Schätzen Sie im Supermarkt ab, an welcher Kasse Sie am schnellsten dran kommen? Und ärgern Sie sich, wenn Ihre Kalkulation nicht aufgeht? Werden Sie in einem Lokal unruhig, wenn Sie nicht gleich bedient werden. Haben Sie dann den Impuls, das Restaurant zu verlassen, auch wenn es nur um einige Minuten Wartezeit geht?
  • Warnsignale:
    Hören Sie von anderen öfter, dass Sie langsamer machen/sich weniger Stress machen sollen? Oder dass Sie häufig angespannt wirken?

Oft erscheint uns heute die Orientierung an der Zeit als normal und vernünftig. Dabei vergessen wir, dass es die längste Zeit der menschlichen Zivilisation gar keine Möglichkeit gab, sicherzustellen, dass man pünktlich war, auch wenn man es wollte; und selbst wenn eine Person zur verabredeten Zeit da war, konnte man das nicht überprüfen. Aber das Leben funktionierte auch damals. Nur hat sich eben unser Leben von der ‘Zeit der Natur’ weg entwickelt zur ‘Zeit der Uhr’.

Wie Zeit und Warten zusammenhängen.

Leicht verwechselt man kulturelle Normalität mit ethnozentrischer Überlegenheit. Doch wie wir mit der Zeit umgehen, sagt nichts über die Zeit, aber viel über uns selbst und unsere “Landkarten” über die Zeit. In wirtschaftlich erfolgreichen Systemen gilt ja die Landkarte „Zeit ist Geld.“ So kann man dann Statistiken lesen, wie viele Arbeitsstunden dem Gegenwert eines Fernsehers entsprechen. Interessanterweise antworten ja auch Menschen, die über viel Geld verfügen, auf die Frage, was Sie sich am meisten wünschen: „Mehr Zeit!“. Das hört man wiederum von Arbeitslosen selten.

Wenn also Zeit Geld ist, dann wird klar, dass auch Warten seinen Preis hat. Hieraus lassen sich einige Gesetzmäßigkeiten ableiten:

Wir schätzen das, worauf wir warten.
Egal ob es das neue iPhone von Apple oder der neue Harry-Potter-Band ist, schon das Warten wird mittlerweile zum Ereignis.

Der Status bestimmt, wer wartet. Und je länger Menschen auf dich warten, desto höher ist dein Status.
Je wichtiger wir sind, desto größer ist die Nachfrage nach unserer Zeit. Und da die Zeit begrenzt ist, wächst ihr Wert mit unserer Bedeutung.
Bei Popkonzerten ist es mittlerweile üblich, dass es nicht pünktlich anfängt und Tausende eine halbe Stunde und mehr auf einen einzigen Menschen warten – obwohl der Star bestimmt schon lange in seiner Garderobe sitzt. Der Wert von Finanzberatern, Rechtsanwälten oder Vorstandsvorsitzenden steigt einfach durch die Tatsache, dass sie lange im voraus ausgebucht sind. (Mein Orthopäde hat zwei Telefonleitungen für Anrufer. Eine für Kassenpatienten und eine für Privatpatienten. Raten Sie mal, auf welcher Sie länger warten müssen.)
Ganz unten auf der Rangliste stehen Menschen, zu denen man einfach hingehen kann. Die Dame an der Hotelrezeption, der Pförtner am Werkstor; sie sitzen immer im Erdgeschoß. In den höheren Stockwerken gibt es dann Großraumbüros, richtige Büros mit geschlossenen Türen, dann Büros mit Sekretärin. Mit jedem Schritt wird die gewünschte Person unzugänglicher und die Notwendigkeit, einen Termin zu vereinbaren -und die Gelegenheit, Leute warten zu lassen.

Ganz deutlich wird es, wenn man es endlich geschafft hat, zu einem Menschen mit höherem Status vorzudringen und vor dessen Schreibtisch sitzt – und dieser gerade in diesem Moment noch ein dringendes Telefonat zu erledigen hat.

Geld verschafft einen Platz vorn in der Schlange.
In einem Herrenausstattergeschäft in Marbella erlebte ich einmal, dass obwohl Geschäftszeit jedem der Zutritt verweigert wurde und sogar die Fenstervorhänge zugezogen wurden, weil ein prominenter Kunde kurz zuvor den Laden betreten hat.

Beim Einchecken am Flughafen gibt es unterschiedliche Schalter, je nachdem wie viel ich für mein Ticket bezahlt habe. In der VIP-Lounge gibt es besondere Getränke und Internet-Anschluss, die Holzklasse findet in der “Wartezone” oder am “Gate” meist ein reduziertes Angebot.

Selbst wer straffällig geworden ist, darf als Reicher die Wartezeit zu Hause verbringen – gegen angemessene Kaution selbstverständlich. Wer die nicht zahlen kann, wartet in der Untersuchungszelle.

Der Mächtigere kontrolliert, wer wartet.
Zeit ist auch Macht, denn Zeit ist der einzige Besitz, der auf keine Weise ersetzt werden kann, wenn er einmal verloren ist. Daraus folgt:

  • Jemanden warten zu lassen, ist eine Demonstration der Macht.
    Als Popstar kann ich, wie gesagt, Tausende andere warten lassen. Der Arzt lässt den Patienten warten, nicht umgekehrt.
  • Mächtige Menschen haben die Möglichkeit, andere warten zu lassen.
    Interessant wäre ja, wenn bei einem Konzert nach einer Viertelstunde alle wieder gehen würde und dies in die Garderobe des Stars gemeldet werden würde.
  • Durch die Bereitschaft zu warten, erkennt man diese Macht an.
    Aber auch ein Popstar, der sonst andere warten lässt, ist bei einer Audienz bei der englischen Königin oder dem Papst überpünktlich.

 

Mit Warten kann man auch andere wirksam kontrollieren.
Deshalb kursiert im Berufsleben der Spruch „Man sieht sich immer zweimal im Leben“ wenn wir eine Enttäuschung oder Niederlage wegstecken müssen. Wir warten – auf eine Gelegenheit, es dann dem anderen heimzahlen zu können. Und auch im Krimi schwört der Gangster, der als einziger erwischt wurde und seine zwanzigjährige Strafe absitzt, seinen Komplizen Rache: „Wartet, bis ich wieder draußen bin.“
Sogar die Schildkröte bedient sich dieser Strategie. Von einem anderen Lebewesen an ihrem Weg gehindert, fängt sich nicht an zu kämpfen oder zu argumentieren. Sie entscheidet sich für das Warten. Und da ihre durchschnittliche Lebenserwartung die fast aller anderen Lebewesen übertrifft, ist das eine kluge Strategie.

 

Wartezeit kann auch geschenkt werden.
Da die eigene Zeit kostbar erlebt werden kann, können wir sie auch einem anderen schenken. Wer Kinder hat, verbringt unendlich viel Zeit auf Spielplätzen, Kindergartenfesten, Elternabenden usw. Wenn wir bei einem Menschen sitzen, dessen Leben zu Ende geht, tun wir dasselbe. Wir schenken ihm das einzige, was jetzt vielleicht noch für ihn und uns wichtig ist – unsere Zeit. Wenn Politiker sterben, die vom Volk bewundert und verehrt wurden, so kann man Tausende sehen, die diesem die letzte Ehre erweisen wollen – in endlosen Warteschlangen.

Vielleicht regen diese Betrachtungen über die Zeit Sie dazu an, bewusster damit umzugehen. Denn man kann sich ja jetzt Fragen stellen wie:

  • Ist Nichtstun wirklich Zeitverschwendung?
  • Oder ist fortwährendes Beschäftigtsein nicht auch Zeitverwendung?
  • Kann man Zeit überhaupt verschwenden?
  • Warum erst die Arbeit und dann das Vergnügen?

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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

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