Wie ich zum Terroristen werden könnte.

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Nach dem Attentat auf das Redaktionsbüro von Charlie Hebdo habe ich viel gelesen und nachgedacht über die Motive und Biografien von Terroristen und Selbstmordattentätern. Die Quintessenz beschreibe ich hier.

 

1. Ich müsste mich sehr minderwertig fühlen.

Entweder weil mir meine Eltern, meine Mitschüler oder andere Menschen das eingeredet und mich entsprechend behandelt hätten.

 

2. Ich müsste überzeugt sein, dass ich minderwertig bin.

Das geht natürlich nur, wenn ich die Meinungen und Handlungen anderer übernehme und mich nicht dagegen abgrenze.

 

3. Ich müsste beschließen, dass das Gegenteil stimmt.

Dass ich also nicht minderwertig bin, sondern ganz im Gegenteil ein ganz besonderer Mensch bin oder sein werde – bedeutender und wichtiger als alle anderen.

4. Ich müsste mich für Waffen begeistern.

Denn dabei würde ich spüren, dass mit einer Waffe in der Hand mein Minderwertigkeitsgefühl sofort verschwindet.

#jesuischarlie #charliehebdo #raiseyourpencil

Weil viele den Cartoon nicht verstehen: „JESUS WAS CHARLIE“

5. Ich müsste nach einem höheren Sinn im Leben suchen.

Ein normaler Sinn wie einen passenden Beruf finden, eine Familie gründen, ein gutes Leben führen dauert ganz schön lange. Und wenn da etwas nicht gleich klappt, käme das alte Minderwertigkeitsgefühl schnell wieder zurück.

6. Ich müsste eine Gruppe von Terroristen finden, die mir eine höhere Aufgabe zuweist.

Eine Gruppe, die mir verspricht nur durch eine kurze Ausbildung und einen einzigen gefährlichen Arbeitseinsatz weltberühmt zu werden. Und zwar nicht nur auf Erden sondern auch im Himmel – bis in alle Ewigkeit also.

7. Ich müsste glauben, dass ich sogar größer als Gott werden könnte.

Statt klein und minderwertig zu sein würde mein Selbstwert also praktisch ins Unermessliche steigen. Denn die Gruppe würde mir sagen, dass es Gott gefallen würde, wenn ich ihn durch meine Tat rächen könnte.

Ich müsste also glauben, dass Gott, der angeblich Allmächtige, auf mich angewiesen wäre, dass seine Ehre wiederhergestellt werden würde.

Mein Fazit:
Ja, so könnte es gehen, dass auch ich ein Terrorist werden könnte. Und ich würde mich die ganze Zeit gut fühlen, weil im Recht.

Der Preis wäre natürlich auch hoch. Ich dürfte keine positiven Beziehungen zu Menschen haben, die nicht gewaltbereit sind. Und ich müsste anfangs aufkommende Zweifel an meinem Tun wegwischen – im Dienst der großen Aufgabe, die das Schicksal für mich ausersehen hat.

Glauben kann also ganz schön gefährlich sein.

Menschen unterscheiden sich ja darin, wie sie auf Fremdartiges reagieren. Egal, ob es fremde Menschen, Gewohnheiten oder Einstellungen sind. Dabei gilt:

  • Je unsicherer ein Mensch in seinem Selbstwert ist, umso eher erlebt er etwas Fremdes als Bedrohung.
  • Je sicherer ein Mensch in seinem Selbstwert ist, umso eher erlebt er etwas Fremdes als Bereicherung.

Leider verhilft auch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht immer zu einem stabileren Selbstwert. Der Gewaltforscher Andreas Zick hat dazu viele Studien gemacht.

So fand er heraus, dass Vorbehalte und Abwertungen gegenüber behinderten Menschen bei katholischen wie evangelischen Menschen gleich stark waren.

Deutlich geringer waren sie nur bei konfessionslosen.

Hören Sie hier dazu den Podcast.

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Bild: © www.cartoon4you.de

Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.

11 Kommentare

  1. Interessantes Gedankenspiel. Eine Bewusstheit für eigene Motivationen (hier fiktive) ist allemal hilfreich.
    An das Thema schließt meiner Ansicht nach auch unmittelbar das Thema ‚Angst‘ (u.a. Umgang mit Ängsten, aber auch das Geschäft mit der Angst) an.
    Beides hat mich in den vergangenen Wochen zum Bloggen inspiriert:
    https://wuenschenwollentun.wordpress.com/2014/12/17/kultivierung-der-gewalt-das-geschaft-mit-der-angst/
    https://wuenschenwollentun.wordpress.com/2015/01/23/angst-angst-angst/

  2. Markus sagt

    Hi

    Sehr interessante Punkte. Ich habe mir noch keine weitreichenden und differenzierte Gedanken zu dem Thema gemacht. Bis anhin ging ich davon aus, dass solche Menschen in einem schwachen Moment an eine falsche Gruppe geraten sind. Ich habe mehrfach gehört, wie sich Organisationen verletzliche Menschen ausgesucht haben und sie versucht haben zu verführen.
    Deine Punkte regen definitiv zum denken an.

    Gruss
    Markus

  3. Gut gesagt, Martin.
    Ein Vorteil des Opferstatus ist, dass man schnell Kontakt zu anderen Menschen findet – die sich auch als Opfer fühlen oder definieren.
    Man muss nur mal an der Haltestelle seinen Unmut darüber ausdrücken, dass der Bus nicht kommt – sofort ist man im Gespräch mit wildfremden Menschen.

  4. Für so gut wie jede Aggression muss sich der Täter vor sich selber als Opfer definieren. Kaum einer hat das so fein am Beispiel der Nazis analysiert wie Arno Grün in seinem Buch „Der Fremde in uns“.

    Pegida ist der Keim für eine gefährliche neue Art der westlichen „Opferrolle“ als Gegenpart zu der Opferrolle der Fundamentalisten.

    Und deswegen gibt es auch immer in jeder Paarbeziehung den Kampf um die Opferrolle
    Je mehr man sich als Opfer definiert, desto krassere Handlungen erlaubt man sich.

  5. Das Besondere ist immer erschreckend und deshalb auch in den Medien präsent.
    An die Tausende von Opfern im Israel-Palästina-Krieg oder in der Ukraine haben wir uns gewöhnt. Ein Flugzeug-Absturz mit 200 oder 300 Toten ist etwas „Besonderes“. An Allergien, im Straßenverkehr, durch verschmutztes Trinkwasser sterben jährlich Millionen Menschen auf der Welt.
    Das soll die Taten in Paris nicht entschuldigen, nur etwas zurecht rücken, dass es überall Leid und Ungerechtigkeit gibt. Und oft mitten unter uns.

  6. Stefanie Beckmann sagt

    Einen guten Punkt, den Birgit Permantier angesprochen hat. Ich würde ihn noch ergänzen: Ich dürfte vor anderen Menschen, die meine Überzeugungen nicht teilen, keinen Respekt mehr haben.
    Mein Fazit aus der Sieben Punkte Aufzählung von Roland wäre:
    Ich müsste mich ganz und gar auf die „andere Seite schlagen“ – kurz: radikalisieren. Da mir das aber schon immer suspekt war und ich sowieso zum friedlichen Buddhismus neige, kommt für mich so eine „Laufbahn“ schon mal nicht in Frage… In diesem Sinne gilt meine volle Anteilnahme den Franzosen, ohne Wenn und Aber.

  7. Wir sind erschüttert über den Terrorakt in Paris, der sich vor unser aller Augen abgespielt hat. In unsere Wirklichkeit geholt durch die Bilder und Kommentare in den Medien. Aber was ist mit den vielen Gewalttaten, die sich unsichtbar im Dunkeln abspielen und nur manchmal ans Licht der Öffentlichkeit dringen? Bürgerkriegsopfer, Folteropfer – darunter auch viele Kinder, die niemandem etwas getan haben! Es macht mich sprachlos, genauso wie das Buch, das ich zuletzt gelesen habe: „Während die Welt schlief“.
    Es geht um den Konflikt zwischen Israel und Palästina, beruhend auf Tatsachen. Seit 1948 immer wieder Angriffe auf Flüchtlingslager, Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen und die Ermordung unschuldiger Zivilisten – auch Frauen und Kinder – die nichts mit Politik zu tun hatten.
    Trotzdem ist es ein unbeschreiblich schönes Buch, lebendig geschrieben und trotz der Thematik voller Poesie. Auch wenn mich die erschreckenden Szenen im Buch immer noch verfolgen – es macht Hoffnung, weil es deutlich macht: Es liegt an uns, wie wir auf Hass und Gewalt reagieren.
    Die Flüchtlingsproblematik zeigt uns, es gibt unendlich viele Opfer von Gewalttaten, die wir nicht vergessen sollten. Auch wenn sie nicht so stark im Fokus der Medien stehen!

  8. Wir konstruieren uns ja immer unsere eigene Wirklichkeit, weil wir die objektive Realität nicht erkennen können.
    Wer das weiß hat den ersten Schritt zur Toleranz getan gegenüber anderen, die eine andere Wirklichkeit – aus denselben Fakten – konstruiert haben.
    Wer das nicht weiß, wähnt sich im Besitz der Wahrheit und kann deshalb auch nicht tolerant sein, sondern nur „Ungläubige“ dulden oder bekämpfen.

  9. Ja, viele gute und schlüssige Punkte. Einen würde ich noch ergänzen, der sich implizit aus den 7 Punkten ergibt, sozusagen 8. Die haben sich ihre eigene Wirklichkeit konstruiert.
    Und ich glaube, mit dieser muss man sich auseinandersetzen, um Lösungen zu finden!

    Gruß oscillar

  10. Ich dürfte mich auch emotional nicht zu tief an andere Menschen binden, weil diese Bindungen mir dann einen Grund gäben, das Leben hier und jetzt schön zu finden und das wäre ja blöd, denn als Terrorist würde ich auf jeden Fall mein jenseitiges Leben favorisieren.
    Dass danach alles besser wird, ist einfach part of the deal. 😉

  11. Karl Hinkel sagt

    Ja, so ist wohl die Kaskade.
    „Wenn Hass und Angst zusammentreffen, dann wird leicht die Angst zur Zündschnur…“, sagte kürzlich ein Terrorismusexperte.
    – und wie lange geht das nun schon? Wann war 9/11? „Seht doch das Blut auf den Straßen!“, schreit Pablo Neruda und beschwört die „Engel des Feuers…“ in Aufenthalt auf Erden. Wie viel Leid wenige den Vielen antun können, die Geschichte ist voll davon.
    Und jetzt Paris. Madrid, London vor nicht langer Zeit… Ein Krieg ohne Fronten, deren Kriegstreiber über die aberwitzige Macht der völligen Skrupellosigkeit verfügen. Ganz ehrlich, langsam wird mir Angst und Bange.
    Persönlich empfinde ich da irgendwie Parallelen zum Naziterror, der ja auch von solch menschenverachtenden Irren betrieben wurde.
    Vergangene Woche sah ich einige dieser Skrupellosen. Vorsichtig schaute ich mir diese Gestalten von der Seite an. Wie hässlich die waren, wie furchtbar hässlich und ungepflegt, laut und widerlich.
    Und voller Angst.

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