Quälen Sie sich auch mit diesen „falschen“ Schuldgefühlen?

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Schuldgefühle, kopp-wichmann,

Schuldgefühle, kopp-wichmann,

Schuldgefühle sind wie ein quälender Schatten, der einen verfolgt: „Das hätte ich nicht tun dürfen!  Wie konnte mir das nur passieren? Warum bin  ich gescheitert? Wie kann ich das je wieder gutmachen? Ich bin nicht gut genug.“

Solche inneren  Monologe sind der ständige Begleiter von Menschen, die mit Schuldgefühlen kämpfen. Fragt man nach, welche Schuld Sie denn auf sich geladen haben, fällt ihnen erst mal nichts Besonderes ein.

Unbewusste Schuldgefühle gehören zu den heftigsten und schmerzlichsten Gefühlen,  die das Leben belasten können und in die Menschen wie in einem Fangnetz  verstrickt sein können. Meist liegen die Wurzeln in Kindheit und Jugend.

Wenn unbewusste Schuldgefühle vorhanden sind, weiß der Betreffende gar nicht, dass sie vorhanden sind, weil sie eben unbewusst sind. Er spürt nur deutlich die Auswirkungen in seinem Leben.

Um diese elementare Gefühle und ihre emotionale Wucht besser zu verstehen, ist  es notwendig, Erlebnisse und Botschaften aus der frühen  Kindheit zu erinnern bzw. aufzudecken.

In meiner langjährigen Arbeit mit Menschen sind es vor allem die folgenden „falschen“ Schuldgefühle, die mir immer wieder begegnen:

 

1. Die Schuld, geboren zu sein.

Wenn ein Kind nicht gewollt wurde führt das fast immer zu einem Schuldthema. Vielleicht mussten die Eltern heiraten und das war damals eine große Schande. Oder  Schwangerschaft und Geburt waren gefährlich vielleicht lebensbedrohlich für die Mutter. Oder das Kind ist das Ergebnis einer missglückten Abtreibung.

Erfährt das Kind das irgendwann später, weil es davon hört oder die Großmutter sich verplappert, kann sich das Kind davon nicht distanzieren („Geht mich nichts an. Hättet Ihr besser verhüten müssen.“)

Stattdessen kann in dem Kind ein Schuldgefühl entstehen, das so massiv erlebt wird, dass es „abgearbeitet“ werden muss. Oft in Form einer Rollenumkehr (Parentifizierung). Das Kind fängt an, für die Eltern oder die Mutter zu sorgen, indem es besonders brav wird, unauffällig und pflegeleicht. Indem es die Eltern nicht noch einmal enttäuschen will und besondere Leistungen zeigt.

2. Die Schuld des falschen Geschlechts.

Ganz England atmet auf.

Ganz England atmet auf.

Nicht nur in Königshäusern hat man genaue Vorstellungen, welches Geschlecht das künftige Kind haben soll. Auch normale Eltern haben oft Wünsche dazu. Dass nach drei Söhnen man sich vielleicht eine Tochter wünscht, mag verständlich sein. Auch der Landwirt hofft meist auf einen Jungen, der den Hof übernehmen kann und ist über weiblichen Nachwuchs nicht immer erbaut.

Obwohl ja der Samen des Mannes bei der Zeugung das Geschlecht des Kindes bestimmt, übernehmen oft Frauen die Schuld, das falsche Geschlecht zu haben. Manche „Michaela“, „Andrea“ oder „Christiane“, die nachforscht, wie sie zu diesem Vornamen kam, erfährt, dass sie eigentlich ein Jungen werden sollte.

3. Die Schuld nur Ersatz zu sein.

Ein Mann wunderte sich, dass im Fotoalbum seiner Kindheit, kaum Bilder von ihm und dafür viele Abbildungen eines fremden Jungen waren. Als er mit sieben Jahren seine Mutter danach fragte, erfuhr er, dass drei Jahre vor seiner Geburt sein Bruder mit zwei Jahren an einer Lungenentzündung verstorben war und seine Mutter immer noch jeden Abend darüber weinte.

 

4. Die Schuld, gesund zu sein.

behindert_geschwister_xs_Claudia Löw - FotoliaIn Familien, wo ein Bruder oder eine Schwester dauerhaft krank oder behindert ist, dreht sich natürlicherweise viel um dieses Geschwister, das besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge braucht. Sind es nur zwei Kinder, kann das andere Kind darüber Schuldgefühle entwickeln und versuchen, das auszugleichen. Oft indem es seine Lebendigkeit und Vitalität zurückhält oder ganz unterdrückt.

Dasselbe kann passieren, wenn ein Elternteil dauerhaft schwer krank ist. Wer als Kind öfter hört: „Sei leise, Mama geht’s heute nicht gut“ oder sich als Siebenjähriger ums Mittagessen kümmern muss, weil die Mutter betrunken auf dem Sofa liegt, entwickelt einerseits frühe Ressourcen. Ist andererseits mit dieser Rolle aber auch enorm überfordert und kann Schuldgefühle entwickeln, nicht krank zu sein.

5. Die Schuld, erfolgreich zu sein.

„Du sollst es mal besser haben als wir“, hören Kinder manchmal. Dieser gut gemeinte Wunsch kann aber Schuldgefühle machen, wenn man erlebt, dass der Vater sich das Geld für den Klavierunterricht des Sohnes vom Mund abspart und der Sohn mit der Zeit das Interesse am Klavierspielen verliert.

„Wenn Du nicht geboren worden wärst, wäre ich heute Ärztin!“, erinnerte sich eine Frau, die ihr erfolgreiches Jurastudium abschließen wollte und vor den entscheidenden Klausuren enorme Prüfungsängste bekam.

Arbeitsstörungen und Prüfungsängste sind oft die Nagelprobe dafür, wie gut sich jemand innerlich von den Eltern gelöst hat. Besteht hier noch eine unangemessene Loyalität, spürt der Betreffende unbewusst, dass er besser nicht erwachsen – und erfolgreich – ins Berufsleben tritt.

 

6. Die Schuld überlebt zu haben.

zwilling_xs_ultraschall, Martin Valigursky - FotoliaSie wollten zu dritt nachts von der Party mit dem Auto nach Hause fahren. Der Fahrer hatte etwas getrunken, bestand aber darauf, selbst zu fahren. Eine Kurve zu schnell gekommen, von der Straße abgekommen, gegen den Baum geprallt. So schilderte mir eine Klientin jene Nacht, die alles veränderte.

Der Fahrer und die Beifahrerin waren sofort tot. Sie saß auf dem Rücksitz und überlebte schwer verletzt. „Mit welchem Recht darf ich weiterleben?“ fragte sie sich immer wieder. Da sie darauf keine Antwort wusste, wurde sie schwer depressiv.

Auch Überlebende des Holocaust, gewaltsamer Geiselnahmen und anderer Katastrophen entwickeln oft eine Überlebensschuld. Diese aufzulösen ist nicht leicht und bedarf meist einer längeren therapeutischen Begleitung.

Etwa zwanzig Prozent der Schwangerschaften sind als Zwillingsschwangerschaft angelegt, aber nur bei etwa zwei Prozent kommt es zu einer Zwillingsgeburt. Dennoch kann dieser frühe Verlust eine emotionale Gedächtnisspur hinterlassen und diffuse Schuldgefühle verursachen.

 

7. Die Schuld missbraucht worden zu sein.

Die Übernahme von Schuld, auch wenn einem rational klar ist, dass man Opfer war und nicht Täter, kann man auch als Versuch verstehen, einer überwältigenden Ohnmachtserfahrung ein Stück Kontrolle entgegenzusetzen.

Das ist bei sexuellem Missbrauch besonders häufig zu beobachten. Weil oft der Täter nicht bestraft wird oder die Tat leugnet, sucht das Opfer nach einer Erklärung, um ein Minimum an Kontrolle zu  erlangen. In Äußerungen wie „Wenn ich nicht so einen kurzen Rock angehabt hätte …“ oder „Wenn ich nicht so spät abends in dieser dunklen Straße unterwegs gewesen wäre …“ hört man manchmal den versteckten Selbstvorwurf.

 

 Wie Schuldgefühle früh entstehen.

Als Kind hat man keine Möglichkeit, sich von den Eltern und möglichen inneren Zuschreibungen von Schuld entziehen. Das Kind kann nicht sagen: „Dass die Eltern dauernd streiten, mein Vater säuft, die Mutter unglücklich ist, hat nichts mit mir zu tun. Das ist deren Baustelle.“ Stattdessen sucht das Kind immer nach einem Grund und landet fast immer bei der Erklärung, dass das Problem irgendwie mit ihm selbst zu tun haben muss.

Generell tendieren Frauen mehr zu Schuldgefühlen als Männer. Vermutlich weil sie beziehungsorientierter denken und oft auch glauben, ihren  eigenen Ansprüchen und denen anderer nicht genügt zu haben. Wo Männer sich besser (manchmal zu strikt) abgrenzen („Mir doch egal!“) haben Frauen , mehr damit zu kämpfen, die vermeintlichen Erwartungen von Eltern, Schwiegereltern, Partnern enttäuscht zu haben, falsch  gehandelt oder versagt zu haben.

 

Zwischen Schuldgefühl und echter Schuld unterscheiden.

Denn Schuldgefühle können unangemessen sein. Das schlechte Gewissen ist dabei oft kein guter Ratgeber. Denn man kann sich schuldig fühlen, ohne eine wirkliche  Schuld auf sich geladen haben. Für den Außenstehenden ist das meist offensichtlich, für den Betroffenen jedoch nicht.

Bei Schuldgefühlen gibt es oft eine emotionale Verwirrung. Der vermeintliche „Schuldige“ glaubt, er müsse etwas gut machen, müsse büßen, um die Schuld abzutragen oder zu tilgen.

  Entweder in der Art, dass er das Schicksal des „Opfers“ teilt – z.B zu sterben oder zu leiden wie das Opfer – oder dass er in anderer Weise „einen Preis zahlt“..

Bert Hellinger hat drei seelische Dynamiken benannt, die hier als Wiedergutmachung vermeintlicher Schuld dienen können:

  • „Ich folge Dir nach“
    bei Identifizierung mit einem toten Familienmitglied
  • „Lieber ich als Du“
    beschreibt die die Übernahme von Schuld, Leid und Verstrickung eines anderen Familienmitgliedes.
  •  „Mir darf es nicht besser gehen als Dir“
    als Treue oder Loyalität im Leid.

indem es ihm schlecht geht, er etwas Geliebtes verliert: Gesundheit, Besitz, Erfolg. Bisweilen wird sogar der Verlust – oder die Behinderung – eines Kindes als „Strafe“ erlebt z.B. für eine Abtreibung!

 Wie lassen sich Schuldgefühle auflösen?

Das ist immer ein intensiver hochemotionaler Prozess. Mit rationaler Einsicht oder Appellen an die Vernunft ist da nichts auszurichten.

Familienaufstellungen sind bekannt dafür, solche unbewussten Dynamiken sichtbar und erlebbar zu machen. Auch in meinen Persönlichkeitsseminaren tauchen schuldhafte Verstrickungen immer wieder als Ursache für seltsame Probleme immer wieder auf.

Allein das Aufdecken des möglichen Zusammenhangs zwischen Schuldgefühl und dem Glauben, etwas ausgleichen, bezahlen oder wiedergutmachen zu müssen, kann befreiend wirken.

Hierzu arbeite ich in meinen Persönlichkeitsseminaren oder Coachings mit bestimmten Sätzen. Wenn Sie das ausprobieren wollen, suchen Sie sich einen ruhigen Ort ohne Störungen, setzen Sie sich bequem hin und schließen Sie die Augen. Sagen Sie jeweils einen Satz laut vor sich hin und achten Sie auf Ihre inneren Reaktionen in den ersten vier, fünf Sekunden.

Hier die Sätze:

  • „Ich darf glücklich sein.“
  • „Ich konnte nichts dafür.“
  • „Mir darf es besser gehen als Dir.“
  • „Ich muss nichts wiedergutmachen.“
  • „Ich habe genug gebüßt.“

Ihre inneren Reaktionen können heftig sein. Das ist meist ein Hinweis auf ein unbewusstes Schuldthema, vor allem, wenn Sie an einen bestimmten Menschen aus Ihrem Leben oder an eine Situation denken müssen.

Das Bearbeiten von schweren Schuldgefühlen braucht manchmal professionelle Begleitung und geht meist mit heftigen Gefühlen einher. Starke innere Stimmen wollen einen davon abhalten und einreden, dass die Schuld doch ganz real sei – auch wenn einem der rationale Verstand sagt, dass das nicht stimmt.

Das ist ja auch der Nutzen von unangemessenen Schuldgefühlen. So quälend sie sein mögen, sie geben einem das Gefühl, das Richtige und Notwendige zu tun. Das Bearbeiten und Loslassen scheint einem mitunter verboten, zu einfach, frevelhaft und kann auch enorme Ängste auslösen.

Welche Schuldgefühle quälen Sie besonders?

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Foto: © privat, Claudia Löw, Martin Valigursky – Fotolia.com


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Der Autor

Bloggt hier regelmäßig seit Juli 2005. Führt intensive 3-h-Online-Coachings durch.. Schreibt Bücher, eBooks und eMail-Kurse. Zeichnet jetzt sogar Cartoons.